Tag Archiv für Medien

Wieso Vielfalt im Journalismus auch Qualität bedeutet

Es war eine der ersten Redaktionssitzungen bei BBC, an der ich teilnahm. Jemand schlug vor, in unserer Sendung zu diskutieren, ob das Hakenkreuz in der EU verboten werden soll. Mein erster Gedanke war „Ist das nicht längst verboten?“. Mein zweiter Gedanke war „Und wenn nicht, was gibts da zu diskutieren? Da können doch nur ein paar rechte Spinner dagegen sein“.

Anlass war der Vorstoß der deutschen Bundesregierung während ihrer Ratspräsidentschaft bei der EU, das Hakenkreuz europaweit verbieten zu lassen.

An dieser Redaktionskonferenz nahmen etwa 10 oder 15 Leute teil. Fast jeder hatte eine andere Staatsangehörigkeit, einen anderen kulturellen Hintergrund als der Redakteur oder die Redakteurin neben sich. Dort saßen britische, indischstämmige, südafrikanische, arabische, schwarze, weiße, männliche, weibliche Kollegen. Und eben ich: Deutsch, weiß, Frau.

Ein indischer Kollege merkte an, dass die indische Gemeinde, vor allem Hindus, in Großbritannien stinksauer über die Initiative seien. Das sei ihr Symbol, das die Nazis missbraucht hätten. Es könne nicht sein, dass Deutschland wegen seiner Geschichte ihnen einen Teil ihrer Kultur wegnehme.

Langsam dämmerte es mir. Natürlich hatte ich ich irgendwann davon gehört, dass das Swastika in anderen Kulturen eine ganz andere Bedeutung hat, die Nazis dieses Symbol gar nicht erfunden hatten. Ich war sogar zuvor in Indien, wo ich Hakenkreuze gesehen hatte. War mir das in dem Moment präsent? Nein. Meine deutsche Sozialisierung überlagerte alles. Es war mir nicht präsent, weil in meiner deutschen Bubble bislang Inder und Hindus so gut wie keine Rolle spielten und ich im deutschen Schulunterricht zwar das Dritte Reich sieben Mal in 13 Jahren Schulzeit behandelt hatte. Indien allerdings kein einziges Mal.

Und ich ahnte, dass das bei den Abgeordneten, die diesen Vorstoß nach Brüssel getragen hatten, wohl kaum anders war. Ich hatte recht. Genau so war es. Als ich den ersten deutschen Abgeordneten anrief und fragte, ob er denn überhaupt bedacht habe, dass jetzt Hindu-Familien in Großbritannien ihre Dekoration ändern müssen, die indische Botschaft in London sogar ihr Mosaik vor der Tür, vernahm ich ein langes Schweigen am anderen Ende der Leitung.

Die Krautreporter-Debatte

Warum erzähle ich das? Gestern startete das Projekt Krautreporter mit dem Ziel, einen anderen Online-Journalismus zu machen. Und seitdem müssen sich die Macher fragen lassen, warum von 28 Autoren nur 6 Frauen sind. Einige an der Diskussion Beteiligten finden, das Thema sei lächerlich und habe nichts mit der Qualität des Angebots zu tun. Ich sehe das etwas anders. Ich glaube, dass Vielfalt in Redaktionen auch zu einem besseren Journalismus führt und Aspekte in die Berichterstattung einfließen, auf die man auch bei guter Recherche nicht zwangsläufig kommt. Bei mir wäre das Thema Hakenkreuz glatt durchgefallen, für die indischen Kollegen war das aber eine Herzensangelegenheit.

Und so haben auch Frauen manchmal eine andere Sicht auf Themen als Männer. Gerade was die Themenfindung im Journalismus angeht, sind viele Bereiche lange noch nicht ausreichend recherchiert und beschrieben. Warum? Weil es nicht als relevant angesehen wird. Mit Diversität in der Redaktion verschieben sich aber auch Prioritäten und Beurteilungen über Themen. Das heißt nicht, dass ein schwarzer Redakteur immer nur gegen Diskriminierung schreiben soll. Bitte nicht! Aber es fließen gerade in Entscheidungsprozesse ganz andere Aspekte ein, die man mit einem homogenen Redaktionsteam vielleicht nicht unbedingt berücksichtigt hätte. Deshalb halte ich die Debatte um die Krautreporter für wichtig. Und da es ein Projekt ist, bei dem der Leser und die Leserin zahlen soll, gilt umso mehr, die Vielfalt der Leserschaft abzubilden. Mir geht es dabei nicht um eine Frauen-Quote sondern darum, dass es in Deutschland bereits genug homogen besetzte Redaktionen gibt. Krautreporter wollen aber nach eigenem Bekunden anders sein. Diese Andersartigkeit in Form von Vielfalt sehe ich derzeit aber leider noch nicht.

Die Eltern behinderter Kinder in den Medien

Am Freitag war „Rare Disease Day„, also ein Tag an dem das Bewusstsein in der Öffentlichkeit für seltene Erkrankungen geschärft werden soll. Noch im Halbschlaf hörte ich im Radio das Interview mit einer Mutter eines Kindes und war dann auch wach und verärgert. Ich gebe zu, ich habe nicht alles mitbekommen, weil ich noch halb schlief, aber der Tenor des Interviews kam für mich dennoch rüber: „Es ist ganz schlimm, wenn man ein behindertes Kind hat. Jetzt benutzt der 14-jährige Junge sogar einen Rollstuhl. Wenn sich die Mutter nicht kümmern würde, wäre er völlig aufgeschmissen.“

Um es vorweg zu sagen, ich möchte keinesfalls die Leistungen von Kindern behinderter Eltern in Frage stellen. Im Gegenteil. Aber mir stellen sich immer öfter die Nackenhaare zu Berge, wenn ich Eltern behinderter Kinder in den Medien sehe oder höre. Muss es denn immer die Mitleidstour sein? Kann man nicht einfach mal Forderungen stellen ohne das eigene Kind herabzusetzen?

Warum verstehen die Eltern nicht, dass sie mit ihrer Mitleidsarie ihren Kindern nicht helfen sondern schaden? Anstatt berechtigte Forderungen nach mehr Unterstützung zu stellen, wird ein furchtbares Bild vom Leben mit Behinderung gezeichnet. Das fördert zwar den eigenen Helden-Status aber sicher nicht die Inklusion. Mir kommt es manchmal so vor, als ob manche Eltern gar kein Interesse daran haben, für Inklusion einzutreten. Die Botschaft ist alleine: Alles ganz furchtbar.

Sorry, das ist sowas von kontraproduktiv, dass mir manchmal wirklich die Hutschnur platzt. Sollen sie halt sagen, was sich ändern soll. Ich ahne es schon: Familien müssen finanziell entlastet werden, niederschwellige Hilfsangebote, mehr Assistenzstunden, etc pp. Mir fallen da tausend Sachen ein.

Aber neee, man kann natürlich auch darüber wehklagen, dass das Kind jetzt einen Rollstuhl braucht. Und hat einer der „Alles so schlimm“-Eltern mal daran gedacht, wie das eigentlich für das Kind ist, wenn es seine Mutter oder Vater im Radio / Fernsehen hört, die erzählen wie furchtbar alles ist, weil das Kind behindert ist? Was das mit dem Kind macht?

Ich beobachte immer mehr, dass das soziale Modell von Behinderung bei behinderten Menschen ankommt. Aber ich glaube, es wäre wichtig, dass die Eltern es auch verstehen. Kinder werden nicht stark, in dem man den medizinischen Zustand bejammert, sondern in dem man versucht, die sozialen Bedingungen zu ändern.

Die Angst vor dem eigenen Scoop

Ich habe seit gestern abend wirklich Schnappatmung. Es tut mir schon fast körperlich weh, mitanzusehen, wie der NDR seinem Scoop, ein „weltexklusives Interview“ mit Edward Snowden zu senden, so dermaßen vergeigt, dass ich mich frage, wer da eigentlich Entscheidungen trifft und mit welchem Einfluss.

Ein Sender, in dem Sendungen wie extra3 und ZAPP laufen, bekommt bei einem exklusiven Snowden-Interview plötzlich kalte Füße oder ist einfach nur zu doof, damit richtig umzugehen? Er sendet es nur in Deutsch, der Livestream in den Tagesthemen wird unterbrochen, wenn Snowden-Ausschnitte laufen, ein Geoblocking verhindert, dass das Interview außerhalb Deutschlands gesehen werden kann. Und das alles, weil der NDR hofft, 3,50 Euro mit Verwertungsrechten im Ausland zu verdienen?

Weiße Fläche statt Snowden

So sieht die NDR-Seite aus dem Ausland aus. Andere Angebote kann ich übrigens anschauen, nur dieses eben nicht. Ja, ich weiß, dass es Proxies gibt, aber darum geht es mir nicht.

NDR-Seite mit leerem Videobereich

Kommunikation der Bürokratie

Und dann die Kommunikation! Erst wird behauptet, man habe die Rechte nicht. Nein, die hat eine 100%-ige Tochter der Tochter des NDR. Dann gibt man endlich die englische Version frei, damit die deutschen Bürger ihre in der Schule hart erworbenen Englischkenntnisse auch mal anwenden können, aber im Ausland darf man den Film auf dem ARD/NDR-Angebot immer noch nicht sehen. Auch auf YouTube ist alles geblockt – bis ein paar wahre Freunde der Informationsfreiheit es einfach ohne Geoblockierung online stellen und eine rechtliche Verfolgung riskieren. Die Bürger als Hüter der Medienfreiheit – während ein öffentlich-rechtlicher Sender sich lieber um seine Verwertungsrechte im Ausland sorgt für ein Interview, das man nach der Erstausstrahlung sowieso nur noch wie Sauerbier los wird, wenn man es nicht zeitgleich verkauft hat.

Also geht es wirklich nur um alberne Lizenzen oder hatte man am Ende doch Angst vor dem eigenen Scoop? Gab es doch politische Gründe für das ziemlich misslungene Prozedere?

Es nutzt nichts, die Presse- und Rundfunkfreiheit im Grundgesetz stehen zu haben. Es bedarf auch Journalisten und Fernsehmachern, die wissen, wie man mit dieser Freiheit umgeht. Ein Snowden-Interview ist keine Derrick-Folge, die man gerne noch ans schwedische Fernsehen verticken möchte, sondern ein solches Interview hat eine politische Dimension, die nicht nur für deutsche Fernsehzuschauer interessant ist, sondern weltweit von Interesse ist.

Warum sollen die Briten nicht erfahren dürfen, wie das mit dem gegenseitigen Abhören der eigenen Bürger funktioniert? Weil Channel4 die Rechte kaufen könnte, was sie dann aber doch nicht machen?

Ja, die Briten haben nicht so eine tolle Verfassung wie die Deutschen, deshalb scheut sich ihr Premierminister in einer Parlamentsdebatte auch nicht, Journalisten, die weiterhin Snowden-Material veröffentlichen, schamlos mit rechtlichen Schritten. Deshalb gibt es hier auch so etwas wie eine DA-Notice, in denen die Regierung, der Presse „nahelegt“, was sie denn bitte nicht zu schreiben hat. Und – Überraschung! – seit 2013 gibt es eine DA-Notice zu PRISM und der britischen Beteiligung daran.

Im Lizenzdschungel oder was?

Mir fallen viele Gründe ein, warum die weltweite Verbreitung des Interviews politisch nicht gewollt ist. Ich hoffe für die ARD und den NDR, dass sie sich einfach in ihrer Lizenzbürokratie verfangen haben und es keine politische Einflussnahme gab. Vielleicht sollte man mal anfangen zu überlegen, wie sie aus ihrem Tochterfirmen-Dschungel wieder rauskommen, damit so etwas nicht noch einmal passiert.

Ja, die Bürger in UK, USA, China und sonst wo haben keine deutschen Fernsehgebühren bezahlt, aber ich bin mir sehr sicher, dass die Mehrheit der Bürger, die sie bezahlt haben, in diesem Fall sehr gerne gesehen hätte, dass mit ihrem Geld mehr Menschen erreicht werden als nur die, die zwischen Kiel und München wohnen.

Air New Zealand gebärdet mit Journalisten

Ich sage es lieber gleich, seit letztem Jahr bin ich Air New Zealand-Fan. Schuld daran ist ein Flug von Los Angeles nach London. Die hatten so eine nette Crew, einen top Service und sind auch noch echt barrierefrei. Aber ich schweife ab…

Heute morgen wurde ich durch ein paar Kommentare auf Twitter auf diese Webseite aufmerksam gemacht. Zu sehen ist ein Video in Neuseeländischer Gebärdensprache (die der britischen übrigens sehr ähnlich ist). Zu sehen ist eine Stellungnahme von Air New Zealand zu einem Artikel der Zeitschrift „The Listener“ (Der Zuhörer). Die Airline beklagt sich auf Gebärdensprache, die Zeitschrift habe ihnen wohl nicht richtig zugehört als man eine Partnerschaft mit der Billigfluggesellschaft Virgin Blue bekannt gab. Deshalb habe man sich entschieden, eine Sprache zu wählen, die die Journalisten vielleicht besser verstehen, wenn sie schon nicht richtig zuhören: Gebärdensprache.
Zudem haben sie eine Pressemitteilung mit gedrucktem Fingeralphabet verlinkt und den Artikel, über den sich die Airline so geärgert hat.

Das ist die originellste PR-Aktion, die ich seit langem gesehen habe.

Das Video gibt es auch auf YouTube (Bildbeschreibung steht unter dem Video):

Bildbeschreibung und Text für blinde Leser:

Einblendung: The Listener recently published an editorial about the proposed trans-Tasman alliance between Air New Zealand and Virgin Blue. This is Air NZ CEO Rob Fyfe’s response.

CEO: Dear Listener,
Dolmetscherin: Ironically it seems you haven’t been listening to us. We’ve got to say, you are hardly being true to your name. In your recent issue you asserted Air New Zealand intends going „determinendly downmarket“ in our service and quality. If you had bothered to give Rob a call, you would have heard loud and clear about our continued dedication to being the world’s best airline. (CEO grinst und nickt)

Dolmetscherin: As you appear to have turned a deaf ear to us, we thought it best to respond in a language you may be more familiar with. You reckon it is „inevitable Air New Zealand will downgrade“ its service if our proposed trans-Tasman alliance with Virgin gets approved.

CEO: Bollocks!

Dolmetscherin: It is in fact Virgin Blue who will be upgrading their service to align with us as we revealed in our media release announcing the proposal. Now we’re all guilty of selective hearing sometimes, Rob included, but we’ve got to say you did a fantastic job of not listening to the facts. And to answer the question you posed: Is Air New Zealand on its way to becoming a budget airline? No. You’re out of your tree! If you’d like to talk this through further, lend us your ear and give Rob a call.
P.S. He was tempted to respond with a far simpler, more direct form of sign language, but the lawyers advised against it.

Gala statt Spiegel

Wenn im Flugzeug Magazine verteilt werden, stehen in Deutschland Gala und Bunte immer ganz oben auf der Rangliste der beliebtesten Magazine. Nicht Spiegel, nicht Focus, nicht die Wirtschaftswoche. Ich lese trotzdem meist den Spiegel, frage mich aber langsam, ob man die Zeit im Flieger nicht besser zur Erholung nutzen sollte, wenn es geht. Rausschauen, träumen und an was Schönes denken. Also vielleicht doch Gala oder Bunte lesen?
Spiegel-Artikel wie dieser gefährden meinen positiven Gemütszustand beim Fliegen. Ich hatte den Artikel im Flugzeug gelesen und kam schon schlecht gelaunt an.
Ich hatte erst überlegt, sofort darüber zu bloggen. Wie sich das eigentlich anfühlt, wenn das Leben mit Behinderung in den Medien ständig als weniger wert betrachtet wird und man sich ständig rechtfertigen muss, dass man „dennoch“ ein schönes Leben führt. Habe ich dann aber nicht gemacht, es hätte meine Laune noch verschlechtert.
Dann kam ich nach der Reise nach Hause und hatte mehrere E-Mails im Postfach mit der Bitte, doch etwas zu besagtem Artikel zu schreiben. „Och nee“, dachte ich. Ich mag mich bei dem schönen Wetter nicht mit diesem Thema rumärgern. Aber eigentlich müsste ich. Es ist wirklich wichtig. Und dann habe ich gesehen, dass es Oliver Tolmein ausführlich getan hat und ich sowieso nichts mehr hinzuzufügen hätte. Ach doch, eines noch: Mir macht das wirklich Sorgen, wie manche Menschen, die manchmal auch Journalisten sind, mit dem Thema Behinderung und Lebenswert umgehen. So große Sorgen, dass ich es am liebsten verdränge und demnächst vielleicht doch lieber die Gala im Flugzeug lese.

Was siehst Du? Was hörst Du?

Ich bin seit langem der Meinung, dass behinderte Menschen oft genug in den Medien vorkommen. Das Problem ist nur wie sie darin vorkommen. DIE ZEIT hat jetzt eine blinde Frau und einen gehörlosen Mann gemeinsam interviewt und fand das offensichtlich sehr originell. Ich habe mich beim Lesen des Artikels dabei erwischt, wie ich die Augen verdreht habe. Über die Fragen und eigentlich die ganze Inszenierung. Auch wenn die ZEIT-Redaktion sich sicher auf die Schulter geklopft hat, dank der „genialen Idee“, eine Blinde und einen Gehörlosen an einen Tisch zu setzen – ich kann mir die Redaktionskonferenz gut vorstellen -, ich glaube, Applaus werden sie dafür nicht so sehr von behinderten Menschen bekommen.

Über die Rolle der Dolmetscherin hat schon Jule was geschrieben. Mich stören in erster Linie diese typischen Klischeefragen wie „Ist es besser blind oder gehörlos zu sein?“, „Wie träumen Sie?“, „Wären Sie gerne nicht behindert?“ „Wie schauen Sie Fernsehen?“ und „Was bedeutet Musik?“. Vielleicht kann das mal jemand in einer FAQ zusammen fassen, dann lesen sich das alle mal durch und dann ist das ein für alle Mal geklärt und muss nicht ständig neu abgehandelt werden. Ich dachte, wir wären weiter…

Es wird zudem der Eindruck vermittelt, Blinde und Gehörlose lebten nebeneinander her, könnten nie miteinander in Kontakt treten (Nur die ZEIT macht’s möglich!). Das ist totaler Unsinn. Die Zusammenarbeit zwischen den Vereinen könnte besser sein, aber es ist keineswegs so, dass man ahnungslos nebeneinader her lebt. Ich habe schon sehr sehr lustige Abende gemeinsam mit meinem Freund, der ja blind ist, und gehörlosen Freunden erlebt. Ich habe mehrfach erlebt, dass blinde und gehörlose Menschen gemeinsam Politik gemacht haben, in Gremien gemeinsam saßen und befreundet waren – sowohl in Deutschland als auch in England.

Letztendlich wird das Interview beiden nicht gerecht. Denn dieser ständige Vergleich „Blind oder gehörlos? Was ist besser? Was ist schlimmer?“ ist totaler Quatsch. Die Lebenssituation blinder Menschen ist völlig anders als die der gehörlosen Menschen. Man hätte genauso gut einen Rollstuhlfahrer und einen Gehörlosen an einen Tisch setzen können. Aber das hätte man sicher für nicht so originell gehalten. Wenn ich in der Redaktionssitzung gewesen wäre, hätte ich gefragt: „Was ist die Story?“ Die Welt hat sich verändert. Das nehmen auch gehörlose und blinde Menschen wahr. Jaaaa? Und weiter?

via Not quite like Beethoven

Behinderte Moderatorin als Kinderschreck?

Im Kinderkanal der BBC moderiert seit ein paar Wochen eine Moderatorin, die nur eine Hand und einen Unterarm hat. Bei der BBC sind daraufhin Beschwerden eingegangen, der Anblick der Frau erschrecke die Kinder. Es folgte ein riesen Aufschrei der Empörung über die Leute, die sich beschwert hatten. Die Moderatorin der Sendung, Cerrie Burnell, gibt seitdem Interviews, in der sie sehr besonnen, aber durchaus medienkritisch über das Thema „Behinderte Menschen in den Medien“ spricht. Außerdem hat sie für BBC One einen Film dazu gedreht – über sich und andere behinderte Menschen in den Medien.

Durch die Teeküche zu Gordon Brown

Ich war vor kurzem das erste Mal in Number 10 Downing Street zu Gast. Anlass war der Besuch von Angela Merkel in London. Nach einem Treffen traten Gordon Brown und Angela Merkel vor die Presse in Number 10.

Eingang Downing Street Number 10

Ich hatte mich über die Deutsche Botschaft akkreditiert und man hatte mir versichert, ich käme zur Pressekonferenz. Ich wusste, dass das Gebäude sehr alt ist und viele Ebenen hat und die Pressekonferenz im 1. Stock sein sollte. Ich war also gespannt – nicht nur auf Gordon Brown und Angela Merkel – sondern vor allem, ob ich da überhaupt hinkommen werde.

Schon auf der Straße vor den Sicherheitsabsperrungen sprach mit ein Polizist an, ob ich Ms. Link sei. Er würde mich ins Gebäude geleiten. Ich ging nicht durch die Fußgängerschleuse und die Sicherheitskontrolle in die Downing Street, sondern man öffnete mir die Autozufahrt.

Vor Number 10 angekommen kamen die Sicherheitsleute auch gleich raus und legten zwei Rampen an den Eingang und in Windeseile stand ich also im Gebäude – aber ich war ja noch nicht im Saal.

Ein Mitarbeiter traegt die Rampen weg

Wir mussten unsere Handys abgeben und dann begleitete mich ein Mitarbeiter zum Fahrstuhl. Dieses altehrwürdige Gebäude hat tatsächlich einen nachgerüsteten Fahrstuhl. Der ist zwar winzig, aber ich passte rein. Im ersten Stock angekommen standen wir in einem schmalen Flur mit dicken Teppichen, wertvollem Dekor in durch und durch britischem Design. Und wir standen vor fünf Stufen. Aber es gab einen Treppenlift. Einen Treppenlift in einem schmalen Flur in diesem altehrwürdigen Haus. „Denkmalschutz“ kam mir in den Sinn, aber der Lift brachte mich auf die Ebene, auf der die Pressekonferenz stattfand und wo Gordon Brown und Angela Merkel gerade ihr Treffen hatten.

Treppenlift

Ein Mitarbeiter entschuldigte sich dafür, dass ich jetzt durch die Küche musste. Denn wir kamen nicht durch den Haupteingang in den Saal, sondern von hinten. In der winzigen Küche waren gerade viele helfende Hände dabei, die Küche aufzuräumen, nachdem sie wahrscheinlich gerade den Tee serviert hatten. Durch die Küche kamen wir in einen anderen Saal und standen dort vor zwei Flügeltüren. Der Mitarbeiter öffnete die Türen und wir fanden uns hinter den Rednerpulten wieder, hinter denen anschließend die beiden zur Presse sprechen würden. Vorbei an den Pulten kam ich in den Saal – ohne eine einzige Stufe und ich hatte auch gleich ein bisschen mehr von Number 10 gesehen.

Die Zugänglichkeit von Number 10 war übrigens bereits Thema einer Petition. Es wurde kritisiert, dass man auf mobile Rampen angewiesen ist, wenn man ins Gebäude möchte. Die Regierung hat mitgeteilt, die Entfernung der Stufe am Eingang und andere Maßnahmen zu prüfen.

Das Bundeskanzleramt in Berlin ist übrigens auch barrierefrei.

Update August 2011: Ich habe die Kommentare jetzt geschlossen, weil der Beitrag ziemlich zugespamt wird.

Barrierefreie Fernsehbühnen

Eine der ersten Anekdoten, die mir bei BBC erzählt wurden, war die Geschichte von der „Sportlerin des Jahres“, die während einer Fernseh-Livesendung ihren Preis nicht entgegennehmen konnte, weil die BBC „vergessen“ hatte, die Bühne barrierefrei zu machen. Sie war Rollstuhlfahrerin und Paralympics-Siegerin und war per Telefonabstimmung etwas überraschend von den Zuschauern gewählt worden. Seit dem gibt es bei der BBC die Anweisung, dass alle Bühnen barrierefrei sei müssen, was ich selber gesehen habe. Selbst die kleine Bühne in dem Raum, in dem Mitarbeiterschulungen abgehalten werden, ist barrierefrei mit Rampe zugänglich.

Erfreulich ist, dass beim Deutschen Fernsehpreis immerhin drei behinderte Menschen auf der Bühne standen. Während die Paralympicssiegerin Kirsten Bruhn von hinten auf die Bühne kam (sie ist Rollstuhlfahrerin), musste Marcel Reich-Ranicki sich mühevoll die Stufen hinauf und hinunter quälen (er ist altersbedingt gehbehindert) und Denise Marko, die nur ein Bein und keine Arme hat, wurde auf die Bühne getragen. Das Mädchen ist 14 und kann sehr gut auf einem Bein hüpfen, aber eben keine Treppen hoch springen. Ich habe in England schon so viele schlaue Möglichkeiten gesehen, Bühnen zugänglich zu machen. Wenn ich weiß, dass zwei Preisträger eine Gehbehinderung haben, sind fünf Stufen vor der Bühne das Unpassendste, was man als Bühnenbauer machen kann.

Kevin Connolly gafft zurück

Kevin Connolly ist Photograf und hat die ganze Welt bereist. Er kam ohne Beine zur Welt und ist auf einem Skateboard unterwegs. In Wien starrte ihn mal wieder jemand an und er nahm die Kamera und drückte ab. Das war der Beginn einer Fotoserie, die auf der ganzen Welt entstanden ist: Menschen die ihn anstarren. Sehr sehenswert!

via National Public Radio