Die Eltern behinderter Kinder in den Medien

Am Freitag war „Rare Disease Day„, also ein Tag an dem das Bewusstsein in der Öffentlichkeit für seltene Erkrankungen geschärft werden soll. Noch im Halbschlaf hörte ich im Radio das Interview mit einer Mutter eines Kindes und war dann auch wach und verärgert. Ich gebe zu, ich habe nicht alles mitbekommen, weil ich noch halb schlief, aber der Tenor des Interviews kam für mich dennoch rüber: „Es ist ganz schlimm, wenn man ein behindertes Kind hat. Jetzt benutzt der 14-jährige Junge sogar einen Rollstuhl. Wenn sich die Mutter nicht kümmern würde, wäre er völlig aufgeschmissen.“

Um es vorweg zu sagen, ich möchte keinesfalls die Leistungen von Kindern behinderter Eltern in Frage stellen. Im Gegenteil. Aber mir stellen sich immer öfter die Nackenhaare zu Berge, wenn ich Eltern behinderter Kinder in den Medien sehe oder höre. Muss es denn immer die Mitleidstour sein? Kann man nicht einfach mal Forderungen stellen ohne das eigene Kind herabzusetzen?

Warum verstehen die Eltern nicht, dass sie mit ihrer Mitleidsarie ihren Kindern nicht helfen sondern schaden? Anstatt berechtigte Forderungen nach mehr Unterstützung zu stellen, wird ein furchtbares Bild vom Leben mit Behinderung gezeichnet. Das fördert zwar den eigenen Helden-Status aber sicher nicht die Inklusion. Mir kommt es manchmal so vor, als ob manche Eltern gar kein Interesse daran haben, für Inklusion einzutreten. Die Botschaft ist alleine: Alles ganz furchtbar.

Sorry, das ist sowas von kontraproduktiv, dass mir manchmal wirklich die Hutschnur platzt. Sollen sie halt sagen, was sich ändern soll. Ich ahne es schon: Familien müssen finanziell entlastet werden, niederschwellige Hilfsangebote, mehr Assistenzstunden, etc pp. Mir fallen da tausend Sachen ein.

Aber neee, man kann natürlich auch darüber wehklagen, dass das Kind jetzt einen Rollstuhl braucht. Und hat einer der „Alles so schlimm“-Eltern mal daran gedacht, wie das eigentlich für das Kind ist, wenn es seine Mutter oder Vater im Radio / Fernsehen hört, die erzählen wie furchtbar alles ist, weil das Kind behindert ist? Was das mit dem Kind macht?

Ich beobachte immer mehr, dass das soziale Modell von Behinderung bei behinderten Menschen ankommt. Aber ich glaube, es wäre wichtig, dass die Eltern es auch verstehen. Kinder werden nicht stark, in dem man den medizinischen Zustand bejammert, sondern in dem man versucht, die sozialen Bedingungen zu ändern.

13 Kommentare

  1. kira Simone sagt:

    Wenn man es ganz genau nimmt, dann erzählen meist Eltern offen über ihre Probleme, wenn sie sich noch „in“ der berühmten Trauerspirale befinden. Fitte Eltern, die in der Selbsthilfe aktiv sind, jammern nicht. Sie arbeiten im Hintergrund und bereiten Wege vor.

  2. Für ein Kind entsetzlich. Ich saß neben meiner Mutter und musste ihr Wehklagen ertragen. Ich sei so teuer, die Schiene ist schon wieder kaputt und neue Schuhe braucht sie auch schon wieder. Dem Gegenüber war das Wehklagen meiner Mutter peinlich und ich hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst

  3. felicea sagt:

    Es gibt viele Eltern nicht-behinderter Kinder, die in dem Abhängigkeitsverhältnis baden und sogar versuchen es so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Mütter von Jungs ihnen gar nicht erst beibringen einen Haushalt zu führen, damit er dann auch im Studentenalter noch heim kommt um sich die Wäsche waschen zu lassen. Bei einer Mitschülerin ging es soweit, dass sie nach einem Unfall beim Arzt nicht einmal ihre Krankenversicherung nennen konnte, weil ihre Eltern ihr die Informationen immer vorenthalten haben. Sie war zu diesem Zeitpunkt bereits fast 18.

    Ein Kind mit Behinderungen ist Eltern mit Klammerpotenzial noch viel stärker ausgeliefert und sie bekommen auch noch Bestätigung durch die Gesellschaft, in dem ihnen immer wieder versichert wird, wie aufopfernd sie doch sind. Die Kids lernen früh, dass sie als Last dankbar zu sein haben. Sie ziehen sich so weitgehend unselbstständige Dankbarkeitshäschen heran.

    Ich behaupte nicht, dass die Eltern das absichtlich tun, aber oft eben unterbewusst. Die Verstärkung durch die Gesellschaft, die immer nur die tapferen Eltern sieht, ist nicht hilfreich.

    Aber es ist ja überhaupt nicht opportun an Eltern Kritik zu üben oder daran zu zweifeln, dass sie wirklich immer zum Besten ihrer Kinder handeln. Das tun viele nämlich nicht, selbst wenn sie es immer behaupten.

  4. […] Auf ihrem Blog Behindertenparkplatz geht es um weit mehr als Geschichten rund um das korrekte Parken. Zwar bietet sie einen Reiter FAQ zum Thema Behindertenparkplätze an, aber ansonsten nimmt die in London lebende deutsche Journalistin viele Aspekte der Themen Inklusion und Barrierefreiheit kritisch unter die Lupe. Mein derzeitiger Lesetipp für euch: Ihr Beitrag über Eltern von Kindern mit Behinderung und wie sie sich in den Medien präsentieren. […]

  5. Ich finde Deine Kritik an Eltern von Kindern mit Handicap zwar berechtigt, möchte aber auch darauf hinweisen, dass er mir zu allgemein verfasst ist. Ich habe selbst ein kind mit handicap, dass mir zwar manches mal viel Kraft abverlangt, aber dennoch liebe ich das Leben mit unserem kleinen Racker und bin auch in gewisser Weise dankbar, dass er „besonders“ ist, da ich so viele Facetten des alltäglichen Lebens vielleicht nicht wieder so zu schätzen gelernt hätte, wie ich es durch ihn getan habe. Für mich ist ein Kind mit handicap auch nicht auf seine Einschränkungen zu reduzieren, sondern man sollte immer sehen, dass diese kinder auch viele sehr schöne Eigenarten haben. Ich möchte mich aber auch bei Dir bedanken, da Du mir über Deinen Artikel einen Anreiz für einen eigenen Artikel geliefert hast ;) LG Sabrina

  6. Vianne sagt:

    Ich denke auch, dass es für viele Eltern (nach eigener Erfahrung: Mütter) eine Art Kompensation ist. Wenn das Kind schon „defekt“ ist, dann taugt es doch wenigstens dazu, ihre eigene Rolle als tapferer Held oder gar Märtyrer („Ich opfere mein ganzes Leben dem Kind! Ach, was habe ich es schwer! Ich bin ja so ein guter Mensch!“) zu konsolidieren.

    Was das mit dem Kind anstellt ist dabei eher egal, hier geht es schließlich um Wichtigeres, nämlich die eigene Person und das Kind soll lieber ruhig und froh darüber sein, dass es so eine aufopferungsvolle Mutter (Elternteil) hat. :-p

    Die normopathische Gesellschaft, in der wir leben, unterstützt und glorifiziert ein solches Verhalten auch noch. Wenn das Kind älter wird und irgendwann aufmuckt, bekommt es dann von allen Seiten zu hören, wie undankbar es doch sei und was für eine aufopfernde Heilige die Mutter (Eltern/Elternteil).

    In der Hinsicht gibt es noch viel zu tun.

  7. Luki sagt:

    Hallo Christiane, ich kann deinen Unmut gut nachvollziehen. Ich schreibe einen Facharbeit über das Thema und habe inzwischen mit einigen Eltern über ihre Kinder gesprochen. Leider nehmen die Eltern lieber eine Opferrolle an, anstatt ihre Kinder zu einem selbstständigen Leben zu ermutigen.

  8. Veronika sagt:

    @ Luki
    Für viele Eltern ist es auch nicht einfach. Sie lieben ihre Kinder einfach viel zu sehr und nehmen es deshalb auch gern auf sich.
    Doch das es nicht von Nachhalt gekrönt ist, wissen sie zwar, aber interessiert eher weniger. Leider!

  9. Claudia sagt:

    Au weia, hier wird mir zu einseitig auf den Eltern rumgehackt. Das, was Eltern Medien berichten, wird von den Medien oftmals auch verschärfend dargesellt, weil Journalist/innen meinen, sie müssten ihren Artikeln über Menschen mit Behinderung oder in diesem Fall Familien mit einem Kind mit Behinderung in einer bestimmte Art „einfärben“ um es dem „normalen“ Publikum auch verkaufen zu können. Sicherlich gibt es viele – meist unreflektierte – Motive der Familien mit den Medien zu sprechen. Eine grunsätzlich vorsätzliche Böswilligkeit für eine bestimmte Art der Darstellung ihrer Lebenssituation der Familien (oder Mütter) würde ich aber erst einmal nicht unterstellen.

  10. Mein Vater hat mir einige Zeit, als ich schon alleine wohnte, Klamotten, die IHM nicht gefielen, nicht aus der Reinigung zurück gebracht und gehofft, seine blinde Tochter würde es nicht merken. Dann hat er sogar mal, nachdem eine meiner sehenden Freundinnen an einem Autounfall tödlich verunglückt war, heimlich Blindenschleifen (Armbinden), die ich schon lange nicht mehr trage, an meine Lieblings-Stoffjacke nähen lassen in der hoffnung, mir würde auch das niemand erzählen. Das alles aus Sorge, aber entmündigend ist es. Und noch heute, wenn ich über irgendwas anders denke als er, sagt er: „Du kannst das nicht beurteilen, weil Du blind bist.“ Er hat sich schon „gebessert“, und ich mag meinen vater. Aber ich bin froh, dass ich in Deutschland wohne und er in Österreich. Klar vermisse ich ihn oft, aber wäre ich in seiner Nähe, würde er dauernd an mir ‚rum meckern und sich selbst damit trösten, dass ich mich nur deshalb so kleide, wie ich es tue, weil ich blind bin, und mir dazu ganz einfach die Wahrnehmung fehlt… usw.

  11. […] Über die Darstellung von Eltern behinderter Kinder in den Medien schrieb Behindertenparkplatz. […]

  12. Christian sagt:

    @ Claudia: Sehr wichtiger Einwand. Meiner (nicht gerade kleinen) Erfahrung mit dem Thema „Eltern von Kindern mit Behinderung in den Medien“ stützt Deine These: Manche Eltern jammern gern und viel über ihr Kind, die Medien wollen aber auch genau dieses Bild. Das ganze wird dann geschmückt mit den üblichen Klischees (der immer ausgelassen fröhliche Junge mit Down-Syndrom, das supermusikalische blinde Mädchen, …) und fertig ist der Vorabend-Bericht. Dann klingt das schnell so: http://leidmedien.de/journalistische-tipps/beispiele/schon-wieder-so-ein-schweres-schicksal-fragwurdige-beispiele/

    Christian

  13. Jörg sagt:

    @kira simone: Genau so sieht es aus. Die Kraft die so ein emotionales Outing bedarf sollte man lieber aktiv in die tägliche Arbeit und den „Kampf“ mit Behörden, Stiftungen investieren. Dort ist diese besser angelegt