Griff ins Klo

Der Zweck heiligt die Mittel muss sich die Agentur Karmacom gedacht haben, als sie eine Kampagne kreierte, die junge Leute davon abhalten soll, betrunken Auto zu fahren. Wenn man nämlich betrunken Auto fährt, dann droht einem ein Leben im Rollstuhl, erzählt die Agentur den Leuten. Dafür haben sie Rollstuhlräder bei einem Festival in Freiburg neben die Toiletten montiert und werben auch ansonsten recht bedrohlich mit dem fahrbaren Untersatz Rollstuhl. Der Slogan: „Lass Dein Auto stehen, wenn Du gehen willst.“ Unterstützt wird die Kampagne von Fudder und dem Freiburger Sanitätshaus Pfänder.

Manchmal bin ich echt fassungslos über so viel soziale Inkompetenz, Ignoranz und vor allem Ausgrenzung. Wie Werben & Verkaufen schon richtig bemerkte, sitzt die Mehrheit der jungen Rollstuhlfahrer keinesfalls im Rollstuhl, weil sie betrunken waren. Sie haben Cerebralparese, Muskelschwund, Glasknochen oder eine Querschnittlähmung zum Beispiel. Um die Querschnittlähmung geht es hier wohl auch, denn die kann man sich bei einem Autounfall durchaus zuziehen. Allerdings kenne ich Hunderte junge Rollstuhlfahrer, aber nur eine einzige Rollstuhlfahrerin, die ich kenne, hatte einen alkoholbedingten Unfall. Und sie selbst war weder Unfallverusacherin noch betrunken! Ich selber bin durch einen ärztlichen Kunstfehler querschnittgelähmt und so gibt es ganz viele verschiedene Ursachen und Geschichten, warum Menschen nicht laufen können.

Was mich aber am meisten ärgert, ist die Drohung mit dem Rollstuhl und wie das Leben damit dargestellt wird. Was erlauben die sich eigentlich? Da kämpfen behinderte Menschen in Deutschland für Inklusion und gegen Ausgrenzung und eine Agentur hat nichts besseres zu tun als ihre Kreativität dafür zu verwenden, der Welt mitzuteilen, wie schlimm das Leben im Rollstuhl ist und den Rollstuhl als Fortbewegungsmittel zu verteufeln. Was kommt als nächstes? Eine Kampagne für Verhütung, in der die Lebensqualität von Alleinerziehenden angezweifelt wird? Oder eine Kampagne für gesundes Essen, bei der man sich über dicke oder magersüchtige Menschen lustig macht?

Und noch etwas verstehe ich nicht: Wieso richtet sich die Kampagne nur an nicht behinderte junge Leute? Erwartet man auf dem Festival keine behinderten Teilnehmer? Die werden sich von dieser Aktion aber wohl kaum angesprochen fühlen, fahren aber auch Auto. Sind die den Kampagnenmachern egal?

In Österreich gab es 2006 eine ganz ähnliche Kampagne, die gestoppt wurde, nachdem die Werbung in einem Schlichtungsverfahren als diskriminierend eingestuft wurde. Der Auftraggeber der Werbung, das Verkehrsministerium, zahlte damals 400 Euro Schmerzensgeld an einen Rollstuhlfahrer, der sich durch die Werbung diskriminiert fühlte.

Man kann nicht für eine Sache kämpfen, in dem man eine andere Gruppe benutzt und deren Leben degradiert. Das gibt ganz schnell Abzüge beim Karma, liebe Agentur Karmacom. Hört auf mit dem Unsinn, aber ganz schnell!

10 Kommentare

  1. Nicht zu fassen. Okay, Guerilla Marketing (bzw. Marketing, das so aussehen soll wie Guerilla Marketing) lebt ein Stückweit davon, eine gewisse Obszönität an den Tag zu legen, aber ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie sehr man buchstäblich ins Klo greifen kann, nur weil man vor lauter Werbedruck nicht merkt, wie man nebenbei schlichtweg Diskriminierung betreibt.

  2. Julia sagt:

    Dieser Hinweis auf der Kampagnenseite ist ziemlich drollig**:

    „Die Kampagnenmotive mit der Abbildung von Rollstühlen sind selbstverständlich nicht diskriminierend gemeint.“

    Boah. Das hat was von „Ich bin natürlich kein Rassist, aber …“ Oder von „Unser Sexismus ist augenzwinkernd gemeint – da sollen Frauen mal nicht so zickig sein.“ Ist doch immer schön, wenn andere einem sagen, wie man etwas aufzufassen hat.

    **jugendfreier Euphemismus, ersatzweise gewählt

  3. […] Behindertenparkplatz: Griff ins Klo (via +Mela […]

  4. Letztlich ist es für die Agentur nur ein Geschäft und für Geld tun die (Werbe)-Firmen fast alles auf dieser Welt…

    Aber mal allgemein: Ich durfte in meiner Zivildienstzeit mal ausprobieren was es heißt „behindert“ zu sein. Wir sind abwechselnd in Rollstühlen durch Münster gefahren. Und ich muss sagen, letztendlich ist GAR NICHTS wirklich barrierefrei, es war mehr ein ständiges betteln um Hilfe bei fremden Leuten.(Denn von alleine hat keiner geholfen) Ich hab die Menschen die an mir vorbeigingen genau beobachtet: Glotzer gab es immer wieder mal, aber viel schnlimmer waren die die BEWUSST weggeguckt haben und BEWUSST einen großen Bogen um mich gemacht haben…Es war ein nachhaltiges Erlebnis, wobei ich mir aber nicht anmaße zu behaupten, dass ich jetzt wüsste wie es ist „behindert“ zu sein. Denn ich konnte nach 1-2 Stunden wieder aus dem Rollstuhl aufstehen und weiterleben als wäre nichts gewesen…

    Das müssten mal alle Politiker für volle 3 Tage machen, dann würden Sie vielleicht mal was begreifen…

  5. Ralph sagt:

    Hsllo Christiane,

    ich kann zwar einerseits verstehen, dass das für Rollstuhlfahrer nicht gut rüberkommt. Andererseits, wenn diese Aktion nur ein paar Menschen davon abhält, alkoholisiert sich (und andere!) zu gefährden, dann finde ich es ok. Dann muss es auch nicht politisch vollkommen korrekt sein.

    Die Vorstellung „an den Rollstuhl gefesselt“ zu sein (sorry, auch so eine Formulierung die Du nicht magst) – ist für mich jedenfalls abschreckend.

    Und zumindest bei den Fällen, die mir bekannt sind, wurden eher „Unschuldige“ durch alkholosierte Fahrer geschädigt (Tod, Rollstuhl, Beinprotese).

    Ich lese das Blog hier schon lange – ohne das es mich persönlich betrifft – ich finde es einfach mal interessant, Einblick in das Leben und die Probleme von Behinderten zu bekommen.

    Mein kleines Fazit mal so zwischendurch: Ich weiss inzwischen nicht mehr, welche Begriffe ich verwenden darf und welche nicht. Ist ähnlich wie eine Putzfrau, die ich immer noch Putzfrau nenne und nicht „Raumpflegerin“. Wertfrei. Im Gespräch mit einem Behinderten hätte ich heute schon dauernd Sorge, dass ich „falsche“ Begriffe verwende. Ein Hotelzimmer ist nun mal behindertengerecht (da weiss jeder sofort was gemeint ist, bei „Barrierefrei“ denke ich immer an extra aufgestellte Hindernisse) um nur mal ein harmloses Beispiel zu nennen.

    Vielleicht kommt das auch nur hier im Blog so verbissen rüber, vielleicht braucht es auch diesen starken Gegenpol.

    Viele Grüsse
    Ralph

  6. Andreas sagt:

    Hallo Ralph,

    ich habe eigentlich kein Lust als abschreckendes Beispiel genutzt zu werden, aber genau das wird in dieser Werbeaktion gemacht. Ich denke nicht das der Zweck die Mittel heilig aber genau das ist es was du schreibst.

    Viele Grüße
    Andreas

  7. Mela sagt:

    Auch ansonsten fehlt es dem Verein IMHO etwas an Fingerspitzengefühl. Klar, das Bild ist lustig und in dem Sinne wohl auch fesch. Aber sollte man wirklich mit einem vollkommen überladenen Fahrzeug, das jeder StVO trotzt, Werbung für Mitfahrgelegenheiten machen?

    https://www.facebook.com/photo.php?fbid=153289551531927&set=a.150969615097254.1073741829.146522445541971&type=1&theater

  8. Claas sagt:

    Etwas mehr Gefühl fürs Feine wäre hier echt angebracht…aber so sprechen viele drüber…also auch wieder eine Art „Erfolg“… Frage ist nur, was kommt, wenn wir auch gegen solche Dinge Werbewirksam „imun“ werden…

  9. Linkspam sagt:

    […] Christiane Link schreibt darüber, warum eine neue Kampagne, die junge Leute davon abhalten soll, betrunken Auto zu fahren, der totale Griff ins Klo ist. […]

  10. trabino sagt:

    Also ich finde das ganze Teil echt geschmacklos.. Eine enge Bekannte sitzt im Rollstuhl und ich fand diese Art der Werbung einfach nur verdammt peinlich.
    Aber: schöner Artikel :)