Ich komme mir gerade vor, wie in den besten dpa-Zeiten, in denen ich fast alle zwei Wochen durch die Gegend geflogen bin: Letzte Woche Wien, heute Hamburg, übernächste Woche wieder Wien.
Heute war ich also in Hamburg, um einen Vortrag zu halten. Weil ich am Mittwoch abend einen Termin hatte, wollte ich nicht am Abend vorher anreisen und musste also die erste Maschine ab Heathrow nehmen. Ich bin schon jahrelang nicht mehr mit British Airways geflogen und so kannte ich das neue Terminal 5 noch nicht.
Ich bin mit dem Heathrow Express ab Paddington gefahren. Der Ein- und Ausstieg ist ebenerdig, es gibt nur eine kleine Schwelle. Der Zug hält direkt im Terminal, man muss nur mit dem Fahrstuhl nach oben fahren. Zum Fahrstuhl kam ich aber schon gar nicht, weil das Tor, durch das Rollstuhlfahrer vom Bahnsteig gehen, abgeschlossen war und niemand hatte einen Schlüssel. Das Tor ist deshalb nötig, weil rechts davon Stangen stehen, um zu vermeiden, dass die Leute mit den Kofferwagen direkt in den Zug fahren. Das hätte man durchaus eleganter lösen können. Ein Mitarbeiter hat dann eine der Stangen entfernt. Die Tücke liegt wie immer im Detail.
Der Fahrstuhl wiederum ist sehr interessant. Er hat keine Knöpfe, sondern er fährt dauernd Abflugebene, Ankunftsebene und Bahnhof an. Und immer ist einer der Fahrstühle erreichbar. Man muss nicht warten.
In der Abflughalle wurde ich das erste Mal mit den Neuregelungen der EU-Richtlinie für behinderte Reisende konfrontiert: Es gab nur Check-In-Automaten. An den Countern selber konnte man nur Gepäck abliefern, aber nicht einchecken. Ich bin nicht gewohnt, dass ich am Automaten einchecken kann, denn bislang musste ich immer zum Check-In, um Assistenz anzufordern. Ich habe noch nie in meinem Leben woanders eingecheckt als am Check-In, weil es nie ging und Rollstuhlfahrer bei manchen Airlines für Telefon-Checkin etc. sogar gesperrt sind. Ein Mitarbeiter erklärte mir, ich könne am Automaten einchecken und mich dann an den Service des Flughafens wenden. Völlig unbürokratisches Verfahren und schnell. Den Anhänger für den Rollstuhl könne ich am Gate ausdrucken lassen. Ich nehme an, dass die Mitarbeiter auch jemanden anrufen, falls jemand blind ist. Am Automaten einchecken geht jedenfalls nicht und ich hoffe, dass BA nicht irgendwann einfällt, diese Mitarbeiter einzusparen.
Ich ging also zum Service für behinderte Reisende, die es an immer mehr europäischen Flughäfen gibt. Der Mitarbeiter fragte, ob ich allein zum Gate gehen könne, dann würde er dort jemanden hinschicken. AUch das ging ratzfatz. Kein Anstellen mehr, gar nichts.
Dann kam ich zur Sicherheitskontrolle. Der Mitarbeiter forderte mich auf, eine der Kisten, in die man seine Sachen legt, nach oben aufs Band zu heben. Sie stehen auf Seite der Passagiere und nicht wie sonst bei den Mitarbeitern. Ich sagte ihm, die Kiste sei mir zu schwer. Es gab aber nicht wirklich ein Konzept, was passiert, wenn jemand die Kiste nicht heben kann. Der Mitarbeiter ist hinter seinem Band gefangen. Bei alten Leuten wird das auch ein Problem sein. Irgendjemand anderes half mir dann. Ich könnte wetten, dass die Planer bei der Einrichtung gesagt haben: „Rollstuhlfahrer gehen eh nicht alleine zum Gate.“ Theorie und Wirklichkeit…
Die Gates liegen eine Etage tiefer, auch dort gibt es genug Fahrstühle, diesmal allerdings mit Knöpfen. Am Gate angekommen, kümmerte ich mich um den Anhänger für meinen Rollstuhl. Auch das ging ganz schnell und die Mitarbeiter boten mir noch an, mich umzusetzen, denn mein Sitzplatz sei ungünstig gelegen. Ob ich lieber am Gang oder am Fenster sitzen wolle, wurde ich gefragt. Das ist insofern bemerkenswert, weil es ja bekanntlich immer noch Airlines gibt, die da weniger flexibel sind. Natürlich konnte ich auch als Erste ins Flugzeug. Lief alles reibungslos und die Mitarbeiter waren nett. Entweder ich hatte Glück oder British Airways hat wirklich was an ihrem Service getan. Die letzten Male war dieser gruselig.
In Hamburg verlief auch alles problemlos. Ich hätte allerdings fast meinen Rückflug verpasst, aber ich sitze im Flugzeug während ich das schreibe. Ich habe einfach telefonisch eingecheckt. Ich hatte ja vom Morgen gelernt, dass das geht. Auch bei Lufthansa, denn mit denen fliege ich gerade zurück. Das ist eine riesen Erleichterung, denn ich habe schon einmal meinen Flieger verpasst, weil man mich nicht hat telefonisch einchecken lassen. „Sie müssen an den Schalter“, aber der schließt halt irgendwann.
Ich glaube, die neue EU-Richtlinie hat wirklich etwas verändert. Es gibt genug Personal auf den Flughäfen und alles funktioniert reibungslos.
Vor kurzem habe ich einen Vortrag gehört, bei dem mal wieder jemand behauptete, man könne Barrierefreiheit nicht gesetzlich verordnen. Der heutige Tag hat mir wirklich gezeigt: Doch, das kann man. Man muss es nur wollen. Ich habe heute meinen Flieger nicht verpasst, weil ich genauso schnell und bequem einchecken konnte wie alle anderen auch und sofort Assistenz greifbar war. Das ist wirkliche Barrierefreiheit.
Tag Archiv für London
London – Hamburg und zurück
Warum ich Newham mag
So, ich muss nun endlich mal wieder dieses Blog beleben. Ich brauchte mal Zeit zum Durchatmen. Ich war fast zwei Wochen in Portugal und habe dann die vierte Ausgabe von „The German Link“ fertig gestellt. Es ist einiges passiert in der Zwischenzeit: Ich habe SWR3 ein recht ausführliches Interview gegeben. Dann habe ich erfahren, dass mich das Newham College überraschenderweise zum „Female Entrepreneur of the Year“ gewählt hat. In dem Business Centre, in dem ich mein Büro habe, hatte mich jemand vorgeschlagen, ohne dass ich das wusste und nun gehe ich am Mittwoch zur Preisverleihung. Ich freue mich natürlich sehr.
Ich bin ja erst seit Ende April mit meiner Firma in Newham und fühle mich dort sehr willkommen. Newhams Bevölkerung ist mehrheitlich nicht-weißer Herkunft und ich bin sehr beeindruckt, welche Geschichten die Leute, denen ich dort begegne, zu erzählen haben. Mein Büro ist in einem Gründerzentrum und ich bin dort eine der wenigen Weißen. Ich habe dort zum Beispiel eine Frau getroffen, die bis vor 10 Jahren Analphabetin war und unterdessen ein Unternehmen zur Weiterbildung von Lehrern hat. Sie hat zudem vier Kinder groß gezogen, hat ihren Mann verloren und hatte diverse Herzinfarkte. Oder eine indische Frau, die mir erzählte, dass sie erst seit kurzem Bücher liest, weil das in ihrer Familie nicht üblich gewesen sei. Oder ein Grafikdesigner, der seit dem 14. Lebensjahr obdachlos war und dann mit 18 angefangen hat, wieder in die Schule zu gehen und sich eine Wohnung gesucht hat. Aber alle haben ihre eigenen Unternehmen oder sind gerade dabei, es zu gründen. Ich mag das Umfeld dort sehr, weil mich die Kraft und der Wille dieser Menschen sehr beeindruckt. Und jedesmal, wenn mich jemand fragt: „Was? Sie sitzen in Newham? Wieso das denn?“, erzähle ich die Geschichten der Leute, von der Power, die in diesem Stadtteil steckt, wenn man den Leuten nur ein bisschen Unterstützung und Bildungsmöglichkeiten gibt und dass in Newham die Olympischen Spiele 2012 stattfinden. Außerdem bekommt man in Newham eine Schale Obst für 1 Pfund. Wer sich also gesund ernähren will, muss unbedingt nach Newham.