Tag Archiv für London

London – Hamburg und zurück

Ich komme mir gerade vor, wie in den besten dpa-Zeiten, in denen ich fast alle zwei Wochen durch die Gegend geflogen bin: Letzte Woche Wien, heute Hamburg, übernächste Woche wieder Wien.
Heute war ich also in Hamburg, um einen Vortrag zu halten. Weil ich am Mittwoch abend einen Termin hatte, wollte ich nicht am Abend vorher anreisen und musste also die erste Maschine ab Heathrow nehmen. Ich bin schon jahrelang nicht mehr mit British Airways geflogen und so kannte ich das neue Terminal 5 noch nicht.
Ich bin mit dem Heathrow Express ab Paddington gefahren. Der Ein- und Ausstieg ist ebenerdig, es gibt nur eine kleine Schwelle. Der Zug hält direkt im Terminal, man muss nur mit dem Fahrstuhl nach oben fahren. Zum Fahrstuhl kam ich aber schon gar nicht, weil das Tor, durch das Rollstuhlfahrer vom Bahnsteig gehen, abgeschlossen war und niemand hatte einen Schlüssel. Das Tor ist deshalb nötig, weil rechts davon Stangen stehen, um zu vermeiden, dass die Leute mit den Kofferwagen direkt in den Zug fahren. Das hätte man durchaus eleganter lösen können. Ein Mitarbeiter hat dann eine der Stangen entfernt. Die Tücke liegt wie immer im Detail.
Der Fahrstuhl wiederum ist sehr interessant. Er hat keine Knöpfe, sondern er fährt dauernd Abflugebene, Ankunftsebene und Bahnhof an. Und immer ist einer der Fahrstühle erreichbar. Man muss nicht warten.
In der Abflughalle wurde ich das erste Mal mit den Neuregelungen der EU-Richtlinie für behinderte Reisende konfrontiert: Es gab nur Check-In-Automaten. An den Countern selber konnte man nur Gepäck abliefern, aber nicht einchecken. Ich bin nicht gewohnt, dass ich am Automaten einchecken kann, denn bislang musste ich immer zum Check-In, um Assistenz anzufordern. Ich habe noch nie in meinem Leben woanders eingecheckt als am Check-In, weil es nie ging und Rollstuhlfahrer bei manchen Airlines für Telefon-Checkin etc. sogar gesperrt sind. Ein Mitarbeiter erklärte mir, ich könne am Automaten einchecken und mich dann an den Service des Flughafens wenden. Völlig unbürokratisches Verfahren und schnell. Den Anhänger für den Rollstuhl könne ich am Gate ausdrucken lassen. Ich nehme an, dass die Mitarbeiter auch jemanden anrufen, falls jemand blind ist. Am Automaten einchecken geht jedenfalls nicht und ich hoffe, dass BA nicht irgendwann einfällt, diese Mitarbeiter einzusparen.
Ich ging also zum Service für behinderte Reisende, die es an immer mehr europäischen Flughäfen gibt. Der Mitarbeiter fragte, ob ich allein zum Gate gehen könne, dann würde er dort jemanden hinschicken. AUch das ging ratzfatz. Kein Anstellen mehr, gar nichts.
Dann kam ich zur Sicherheitskontrolle. Der Mitarbeiter forderte mich auf, eine der Kisten, in die man seine Sachen legt, nach oben aufs Band zu heben. Sie stehen auf Seite der Passagiere und nicht wie sonst bei den Mitarbeitern. Ich sagte ihm, die Kiste sei mir zu schwer. Es gab aber nicht wirklich ein Konzept, was passiert, wenn jemand die Kiste nicht heben kann. Der Mitarbeiter ist hinter seinem Band gefangen. Bei alten Leuten wird das auch ein Problem sein. Irgendjemand anderes half mir dann. Ich könnte wetten, dass die Planer bei der Einrichtung gesagt haben: „Rollstuhlfahrer gehen eh nicht alleine zum Gate.“ Theorie und Wirklichkeit…
Die Gates liegen eine Etage tiefer, auch dort gibt es genug Fahrstühle, diesmal allerdings mit Knöpfen. Am Gate angekommen, kümmerte ich mich um den Anhänger für meinen Rollstuhl. Auch das ging ganz schnell und die Mitarbeiter boten mir noch an, mich umzusetzen, denn mein Sitzplatz sei ungünstig gelegen. Ob ich lieber am Gang oder am Fenster sitzen wolle, wurde ich gefragt. Das ist insofern bemerkenswert, weil es ja bekanntlich immer noch Airlines gibt, die da weniger flexibel sind. Natürlich konnte ich auch als Erste ins Flugzeug. Lief alles reibungslos und die Mitarbeiter waren nett. Entweder ich hatte Glück oder British Airways hat wirklich was an ihrem Service getan. Die letzten Male war dieser gruselig.
In Hamburg verlief auch alles problemlos. Ich hätte allerdings fast meinen Rückflug verpasst, aber ich sitze im Flugzeug während ich das schreibe. Ich habe einfach telefonisch eingecheckt. Ich hatte ja vom Morgen gelernt, dass das geht. Auch bei Lufthansa, denn mit denen fliege ich gerade zurück. Das ist eine riesen Erleichterung, denn ich habe schon einmal meinen Flieger verpasst, weil man mich nicht hat telefonisch einchecken lassen. „Sie müssen an den Schalter“, aber der schließt halt irgendwann.
Ich glaube, die neue EU-Richtlinie hat wirklich etwas verändert. Es gibt genug Personal auf den Flughäfen und alles funktioniert reibungslos.
Vor kurzem habe ich einen Vortrag gehört, bei dem mal wieder jemand behauptete, man könne Barrierefreiheit nicht gesetzlich verordnen. Der heutige Tag hat mir wirklich gezeigt: Doch, das kann man. Man muss es nur wollen. Ich habe heute meinen Flieger nicht verpasst, weil ich genauso schnell und bequem einchecken konnte wie alle anderen auch und sofort Assistenz greifbar war. Das ist wirkliche Barrierefreiheit.

Durch die Teeküche zu Gordon Brown

Ich war vor kurzem das erste Mal in Number 10 Downing Street zu Gast. Anlass war der Besuch von Angela Merkel in London. Nach einem Treffen traten Gordon Brown und Angela Merkel vor die Presse in Number 10.

Eingang Downing Street Number 10

Ich hatte mich über die Deutsche Botschaft akkreditiert und man hatte mir versichert, ich käme zur Pressekonferenz. Ich wusste, dass das Gebäude sehr alt ist und viele Ebenen hat und die Pressekonferenz im 1. Stock sein sollte. Ich war also gespannt – nicht nur auf Gordon Brown und Angela Merkel – sondern vor allem, ob ich da überhaupt hinkommen werde.

Schon auf der Straße vor den Sicherheitsabsperrungen sprach mit ein Polizist an, ob ich Ms. Link sei. Er würde mich ins Gebäude geleiten. Ich ging nicht durch die Fußgängerschleuse und die Sicherheitskontrolle in die Downing Street, sondern man öffnete mir die Autozufahrt.

Vor Number 10 angekommen kamen die Sicherheitsleute auch gleich raus und legten zwei Rampen an den Eingang und in Windeseile stand ich also im Gebäude – aber ich war ja noch nicht im Saal.

Ein Mitarbeiter traegt die Rampen weg

Wir mussten unsere Handys abgeben und dann begleitete mich ein Mitarbeiter zum Fahrstuhl. Dieses altehrwürdige Gebäude hat tatsächlich einen nachgerüsteten Fahrstuhl. Der ist zwar winzig, aber ich passte rein. Im ersten Stock angekommen standen wir in einem schmalen Flur mit dicken Teppichen, wertvollem Dekor in durch und durch britischem Design. Und wir standen vor fünf Stufen. Aber es gab einen Treppenlift. Einen Treppenlift in einem schmalen Flur in diesem altehrwürdigen Haus. „Denkmalschutz“ kam mir in den Sinn, aber der Lift brachte mich auf die Ebene, auf der die Pressekonferenz stattfand und wo Gordon Brown und Angela Merkel gerade ihr Treffen hatten.

Treppenlift

Ein Mitarbeiter entschuldigte sich dafür, dass ich jetzt durch die Küche musste. Denn wir kamen nicht durch den Haupteingang in den Saal, sondern von hinten. In der winzigen Küche waren gerade viele helfende Hände dabei, die Küche aufzuräumen, nachdem sie wahrscheinlich gerade den Tee serviert hatten. Durch die Küche kamen wir in einen anderen Saal und standen dort vor zwei Flügeltüren. Der Mitarbeiter öffnete die Türen und wir fanden uns hinter den Rednerpulten wieder, hinter denen anschließend die beiden zur Presse sprechen würden. Vorbei an den Pulten kam ich in den Saal – ohne eine einzige Stufe und ich hatte auch gleich ein bisschen mehr von Number 10 gesehen.

Die Zugänglichkeit von Number 10 war übrigens bereits Thema einer Petition. Es wurde kritisiert, dass man auf mobile Rampen angewiesen ist, wenn man ins Gebäude möchte. Die Regierung hat mitgeteilt, die Entfernung der Stufe am Eingang und andere Maßnahmen zu prüfen.

Das Bundeskanzleramt in Berlin ist übrigens auch barrierefrei.

Update August 2011: Ich habe die Kommentare jetzt geschlossen, weil der Beitrag ziemlich zugespamt wird.

In der deutschen Botschaft

Ich hatte das Vergnügen gleich zwei Mal in dieser Woche in der Residenz des deutschen Botschafters in London zu Gast zu sein – einmal zum Hintergrundgespräch mit anderen Journalisten und einmal heute abend zu einer Ausstellungseröffnung.

Dass die deutsche Botschaft baulich eine Herausforderung ist, hatte ich ja bereits schon einmal berichtet. Aber ich kann Entwarnung geben: Ich kann zwar immer noch keinen Pass in der Passstelle beantragen, aber ich könnte Botschafterin werden, denn in die Residenz des Botschafters kommt man auch als Rollstuhlfahrerin – man muss nur wissen wie.

Manchmal denke ich, mein Leben wäre erheblich langweiliger, wenn ich zu solchen Terminen einfach mal durch den Haupteingang gehen würde. In den letzten Tagen hatte ich einen sehr netten Mailwechsel mit dem Protokoll der Botschaft. Das sind die Herrschaften, die dafür sorgen, dass solche Veranstaltungen auch wirklich so ablaufen, wie das vorgesehen ist (selbst wenn ich daran teilnehme). Man bot mir an, mich die Treppen hochtragen zu lassen oder eine Odyssee durch den Keller auf mich zu nehmen. Und wer mich kennt weiß, dass ich lieber durch irgendwelche Keller gehe als mich tragen zu lassen – vor allem, wenn es solch repräsentative Keller sind.

Gestern habe ich mich also über die Klingel gemeldet und ein sehr netter Herr kam und stellte sich als Praktikant vor. Er war damit beauftragt worden, mir den Weg durch den botschaftlichen Untergrund zu weisen. Der Weg ging über zwei Lieferantenrampen (Steigung ca. 12%), vorbei am Pausenraum der Fahrbereitschaft. Dazwischen mussten diverse Türen per Gegensprechanlage geöffnet werden. Das ganze hatte etwas vom Schließsystem von Stuttgart-Stammheim. Sehr beeindruckend! Irgendwann standen wir dann vor einem kleinen Fahrstuhl. Man hatte allerdings vergessen, dem Praktikanten den Schlüssel für den selbigen zu geben, aber der Caterer half aus. Und mit dem kleinen Fahrstuhl fuhren wir dann nach oben in die Residenz. Ein sehr beeindruckendes Gebäude mit viel Gold, Teppichen und Ölgemälden. Ich war pünktlich im Haus, alles hatte geklappt und war gut organisiert. Man hatte sogar einen Stuhl am Tisch weggenommen.

Nun war ich heute wieder in der Botschaft zu einer Ausstellungseröffnung. Die Einladung kam direkt nach der Veranstaltung gestern. Ich mailte zurück, dass ich wieder den Kellerweg nehmen würde, erhielt aber keine Antwort. Gemeinsam mit meiner Praktikantin (nicht nur die Botschaft, auch ich habe eine Praktikantin) ging ich dann wieder zur Klingel. Diesmal waren die Sicherheitsleute aber nicht vorbereitet auf mein Kommen. Jemand kam runter und sagte mir, man habe keinen Schlüssel für den Keller der Residenz, aber man kenne einen anderen Weg. Irgendwo im Hauptgebäude gebe es einen Hublift. Nachdem wir alle Stockwerke abgesucht hatten (ich kenne das Gebäude unterdessen wie meine Westentasche), haben wir tatsächlich einen Hublift zur Residenz gefunden. Und ich habe den Evakuierungsfahrstuhl des Botschafters kennen gelernt – da kann man den Botschafter in den Keller befördern, wo er dann in Sicherheit gebracht werden kann. So etwas erfährt man aber nicht, wenn man als Otto-Normaljournalist den Haupteingang benutzt. Und man erfährt auf solch einer Odyssee mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit kleine Anekdoten aus dem Innenleben solch einer Organisation.

Disability Hate Crime

In Großbritannien gibt es ein Thema in den Medien, das mir völlig unbekannt war bevor ich hier her kam: Disability Hate Crime. Damit bezeichnen die Briten einen Angriff, der durch den Hass auf behinderte Menschen motiviert ist. Es ist ein eigener Strafttatbestand, der relativ schwer bestraft wird. Nun habe ich bei BBC von einer taubblinden Frau gelesen, der Jugendliche den Blindenstock auf dem Weg nach Hause weggenommen haben, sich über sie lustig gemacht haben etc. und sie ohne Stock eine Meile nach Hause finden musste. So weit so schlimm.
Die ganze Geschichte wird aber noch viel schlimmer, denn die Polizei und ein Krankenwagen waren kurz darauf vor Ort, haben sich aber nicht bei der Frau gemeldet, sondern haben zugesehen, wie sie sich den Weg nach Hause ohne Stock ertasten musste. Sie wussten nicht, wie sie mit der Frau kommunizieren sollten und haben es einfach gelassen. Eine Frau, die sich besser auskannte, haben sie einfach weggeschickt.
Warum hat der Polizist ihr nicht einfach seinen Hut in die Hand gegeben? Dann hätte sie vielleicht gewusst, dass die Polizei jetzt da ist. Und ansonsten sollte man wissen, dass viele taubblinde Menschen das Lormalphabet zur Kommunikation benutzen. Manche haben einen Handschuh dabei, der mit den einzelnen Buchstaben beschriftet ist. Man muss dann also nur noch auf den Handschuh schauen, den die taubblinde Person dann anzieht, und Buchstabe für Buchstabe durchgehen.

Mal wieder Kontakt mit dem NHS

Eine meiner größten Bedenken vor dem Umzug nach Großbritannien war die medizinische Versorgung. Was habe ich mir nicht alles an Warnungen anhören müssen über den National Health Service (NHS). Nachdem ich ja schon vor einem Jahr das besondere Vergnügen hatte, ein NHS-Krankenhaus eine Woche lang von innen zu begutachten, hatte ich heute mal wieder Kontakt mit dem britischen Gesundheitssystem.
Mir geht es seit einer Woche nicht so richtig gut und ich kränkele vor mich hin. Nachdem nachts nun auch noch Bauchkrämpfe hinzu kamen, dachte ich, ich muss nun doch mal zu meinem Hausarzt (GP).

Nun weiß ich, dass wir hier im Greenwich Millenium Village relativ priviligiert sind: Wir haben eine super moderne Praxis – mit Labor und allem Schnickschnack. Ich habe also um 10 Uhr heute morgen dort angerufen und gesagt, ich würde gerne einen Arzt sehen. Um 12 Uhr hatte ich einen Termin und musste 5 Minuten warten. Bislang war ich immer bei einer Hausärztin, aber die war heute nicht da und so lernte ich ihren Mann kennen. Auch sehr nett und sehr bemüht, mir zu helfen.

Die Praxis ist super barrierefrei mit barrierefreier Toilette und viel Platz überall. Ich habe heute das erste Mal in meinem Leben in einer Arztpraxis eine Urinprobe abgegeben, ist mir aufgefallen. Weil die Arztpraxen in Deutschland mehrheitlich keine barrierefreie Toilette haben, musste ich immer nach Hause fahren, dort die Urinprobe abgeben und dann wieder zurück. Heute ging das ratzfatz und vor Ort. Der Arzt hat den Urin auch sofort untersucht.

Mit einem Rezept über drei Medikamente hat er mich dann nach Hause geschickt. 21 Pfund haben die mich gekostet, weil man pro Medikament 7 Pfund Eigenanteil zahlen muss, außer man ist von der Zuzahlung befreit. Dass ich eine Infektion habe, konnte der Arzt im Labor sofort sehen. 4 von 5 Werte sind nicht in Ordnung.

Viel anders wäre das in Deutschland auch nicht abgelaufen und ich habe zunehmend den Eindruck, dass der NHS weit besser ist als sein Ruf.

Im Ausland

Ich war mal wieder zwei Tage beruflich in Frankfurt und habe jedesmal mehr das Gefühl, ich fahre ins Ausland. Dabei ist das ja eigentlich meine Heimat. Dieses Mal stand ich bereits am Beginn der Reise vor der Herausforderung, mir eine Fahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr ziehen zu müssen. Das habe ich noch nie in meinem Leben in Deutschland gemacht, denn als deutsche Rollstuhlfahrerin hat man ja eine Wertmarke, mit der man kostenlos fahren kann. Ich habe aber keine deutsche Wertmarke mehr und so machte ich Bekanntschaft mit Frankfurter Ticketautomaten und Zonenkarten. Wie das ein Ausländer ohne Deutschkenntnisse verstehen soll, ist mir völlig schleierhaft. Dass Rollstuhlfahrer eine Karte ziehen müssen, ist auch nicht vorgesehen. Fahren ja alle kostenlos und deshalb kommt man kaum an die Schlitze und Knöpfe dran. Gleiches Problem stellte sich dann später beim Busfahren. Wie soll ich vorne eine Fahrkarte ziehen, wenn ich hinten einsteigen muss? Ich habe mir dann gleich eine Tageskarte gekauft.

Das Hotel, in dem ich sonst wohne, wird gerade renoviert und es gab keine barrierefreien Zimmer. Also musste ich mir ein anderes Hotel in der Nähe des Flughafens suchen. Meine Wahl fiel auf das Intercity Hotel am Flughafen. Doch leider war die Dame am Telefon nicht in der Lage, mir eine adäquate Auskunft darüber zu geben, ob der Shuttle zwischen Hotel und Flughafen für mich zugänglich ist. „Das wird schon irgendwie gehen“, sagte sie mir. Ich habe dann zu ihrer großen Überraschung nicht gebucht.

Ich habe mir dann ein Hotel in der Bürostadt Niederrad gebucht, nicht wissend, dass dieser Stadtteil nach 20 Uhr völlig ausgestorben ist. Mein Zimmer war im Souterrain mit Blick auf die Unterböden der Autos auf der A5. Obwohl es ein nagelneues Hotel war und es offiziell ein barrierefreies Zimmer war, konnt man sich weder im Zimmer noch im Bad im Rollstuhl ordentlich bewegen. Im E-Rollstuhl hätte man überhaupt keine Chance gehabt. Ist die hessische Bauordnung wirklich so schlecht oder war die Bauaufsicht bestochen? Keine Ahnung.

Ich bin abends noch in die Stadt gefahren, nur eine Station mit der S-Bahn bis Hauptbahnhof und barrierefrei. Auf der Rückfahrt habe ich aber einen entscheidenden Fehler gemacht. Ich bin zwar in die S-Bahn in Richtung Wiesbaden gestiegen, aber nicht in die, die Richtung Niederrad fährt, sondern die, die über Griesheim fährt. Da fühlte ich mich dann wirklich wie im Ausland, denn ich war hoffnungslos verloren. Ich hatte keine Ahnung, welche der folgenden Stationen barrierefrei sind, damit ich wieder zurückfahren konnte. Denn die Frankfurter Verkehrsbetriebe weisen das natürlich nicht auf ihrem S-Bahnplan in den Zügen aus, wie das Hamburg oder London macht. Auf den jeweiligen Bahnsteigen waren auch keine Hinweisschilder für Fahrstühle zu sehen. Ich wusste nur, dass Wiesbaden einen Sackbahnhof hat und ich dort auf alle Fälle rauskomme. Also fuhr ich durch bis Wiesbaden – eine fast einstündige Fahrt. In Wiesbaden wartete ich dann weitere 30 Minuten auf die S-Bahn zurück nach Frankfurt. Gegen 0.30 Uhr kam ich dann in Niederrad an.

Da die Bürostadt Niederrad in der Nacht durchaus als Ökoprojekt durchgehen könnte, was die Beleuchtung angeht, war der Rückweg umso mühseliger. Ich sah meine eigene Hand vor Augen nicht und blieb prompt mit dem Vorderrad in einem Schlagloch hängen. Das Vorderrad war völlig verbogen und fuhr nicht mehr. Also fuhr ich hochgekippt auf den zwei Hinterrädern im Dunkeln ins Hotel. Ich war bedient.

Am nächsten Tag hat mir aber ein Lufthansa-Techniker den Rollstuhl repariert. Und ich habe mir fest vorgenommen, auswendig zu lernen, welche der Stationen im Rhein-Main-Gebiet barrierefrei sind. Viele scheinen das ja nicht zu sein.

4500 Pfund Schadenersatz für drei Teenager

Als ich vorhin ins Auto stieg, liefen gerade Nachrichten bei BBC London. Eine der Nachrichten war, dass drei behinderte Teenager 4500 Pfund von einem Kosmetiksalon erhalten, weil eine Mitarbeiterin sich geweigert hatte, sie zu bedienen. Sie würden mit ihren Behinderungen andere Kunden abschrecken. Das ist der Bericht der BBC und das ist die Pressemitteilung der Anwaltskanzlei, die die Mädchen vertreten hat. Die Geschichte ist schlimm, aber irgendwie gibt es doch noch Gerechtigkeit auf der Welt – wenn man die richtigen Gesetze hat. Und das Allerwichtigste ist die Signalwirkung – für behinderte Menschen, aber auch für die Unternehmen.

Alles wie gehabt

Ich bin gestern zum ersten Mal richtig Bahn gefahren in Großbritannien. Um es vorweg zu sagen: Es war ziemlich enttäuschend. Alles lief fast genauso ab wie bei der Deutschen Bahn – ziemlich nervtötend.

Ich hatte mich entschieden, zu einer Veranstaltung der Deutsch-Britischen Handelskammer nach Birmingham zu fahren. Morgens vermeldete der Verkehrsfunk aber bereits Staus überall und dann entschied ich mich, mit VirginTrains nach Birmingham zu fahren anstatt mit dem Auto. Auf der Internetseite wurde ich schon darüber aufgeklärt, dass man sich als Rollstuhlfahrer 24 Stunden vorher anmelden sollte. Das ist bei der Deutschen Bahn auch so und ich finde das eine Zumutung. Es sollte doch im Jahr 2008 möglich sein, auch als behinderter Reisender mal spontan von A nach B zu fahren.

Ich rief die Hotline trotz 20-stündiger Verspätung dennoch an. Dort blaffte man mich sofort an, dass ich eigentlich 24 Stunden vorher anmelden müsse. „Und was ist, wenn ich vor 24 Stunden noch nicht wusste, dass ich mit Ihnen fahren möchte?“, fragte ich die Dame. „Ja, dann nehmen wir Ihre Anmeldung dennoch entgegen. Aber ich kann für nichts garantieren.“ Welches Bahnunternehmen garantiert denn irgendwas? Das war mir neu. Naja egal, sie nahm meine Anmeldung auf. War dabei sehr nett und sagte mir dann noch, wo Behindertenparkplätze bei den Bahnhöfen sind etc. Das fand ich einen ganz guten Service.

Am Bahnhof angekommen, kaufte ich mir eine Fahrkarte für den Zug um 15:10 Uhr und ging zur Customer Information, um Assistenz zu bekommen. Und schon wieder blaffte mich ein Mitarbeiter an, ich habe mich nicht rechtzeitig angemeldet. Ich erklärte ihm, dass ich eigentlich mit dem Auto fahren wollte und sie sich doch mal freuen sollten, eine Neukundin gewonnen zu haben. Er hatte meine Anmeldung vorliegen, es gab gar keinen Grund mich anzublaffen, alle Angaben waren korrekt und ich wartete auf den Menschen mit der Rampe. Der kam auch und sagte: „Ich habe schlechte Nachrichten: Ich Zug wurde gecancelt.“ Sie würden mich auf den nächsten Zug umbuchen. Damit war die Anmeldung also sowieso für die Katz.

Wie an den Flughäfen werden die Abfahrtsgleise an Sackbahnhöfen immer erst kurz vor Abfahrt bekannt gegeben, damit die Leute nicht auf den Bahnsteigen rumstehen, sondern in der Wartehalle. Das hat für mich den Vorteil, dass ich ohne Eile einsteigen kann, denn die Assistenzleute wissen die Gleisnummer natürlich schon vorher. Der Einstieg der Fernzüge ist ähnlich bescheuert wie in Deutschland: Zwei hohe Stufen. Dafür ist er Einstieg per Rampe erheblich besser. In jedem Wagen, in dem es einen Rollstuhlplatz gibt, gibt es in einem Schrank eine Rampe, die man an die Treppe anlegen kann. Die ist stabil und es geht ruckzuck. Ich war also als Erste im Zug bis die Horden einfielen. Da der Zug davor ja nicht fuhr, waren also doppelt so viele Menschen im Zug wie Plätze da waren. Aber ich konnte nicht meckern, ich hatte ja einen Platz.

In einer Broschüre las ich dann, dass ich viel zu viel für mein Ticket bezahlt habe. Rollstuhlfahrer, die keinen Sitzplatz benötigen, zahlen nur einen reduzierten Fahrpreis. Hat mir natürlich niemand gesagt. In der Broschüre stand auch, dass Rollstuhlfahrer den Schaffner darauf hinweisen sollen, dass er am Ankunftsbahnhof Assistenz anfordert. Aber von einem Schaffner war angesichts der Überfüllung des Zuges nichts zu sehen.

Und so war ich dann auch wenig überrascht, dass in Birmingham niemand war, um mir die Rampe an den Zug anzulegen. Aber in solchen Fällen, ist ja auf die Briten Verlass: Die Leute, die einsteigen wollten, haben sofort einen Virgin-Mitarbeiter auf dem Bahnsteig gesagt, er soll eine Rampe holen und das ging ruckzuck.

Die Rückfahrt verlief anfangs problemlos. Der Zug war fast leer, die Leute am Customer Service in Birmingham sehr nett, aber wieder war kein Schaffner zu sehen. Wie kamen also in London Euston an und keiner war da. Ich schaffte noch, einem der wenigen Mitreisenden aufzutragen, im Bahnhof bescheid zu sagen, dass ich aus dem Zug will. Aber der Zug stand an der Endhaltestelle und nichts passierte. Kein Personal weit und breit und ich war relativ weit hinten im Zug, so dass ich auch den Lokomotivführer nicht erreichen konnte. Ich hatte dann nach 20 Minuten Angst, dass irgendwann jemand die Türen schließt und den Zug ins Depot fährt, es war ja schon spät. Auch vom Putzpersonal war nichts zu sehen. Ich stellte mich also an die Tür, eine Hand an der Wagentür, um das Schließen zu verhindern. Die andere am Handy. Es gelang mir nicht, die Telefonnummer des Bahnhofs rauszukriegen und so entschloss ich mich, 999 zu wählen. Die würden mich schon aus dem Zug holen. Dazu kam es aber gar nicht, weil plötzlich am Ende des Bahnsteigs ein kleiner Wagen auftauchte. Die Mitreisenden hatten wohl doch bescheid gesagt.

Die Leute von Nationalrail sagten, ihnen habe niemand etwas gesagt und die Leute von VirginTrains seien vor 30 Minuten nach Hause gegangen. Der Bahnhof war total ausgestorben als ich in der Halle ankam und die Mitreisenden hatten sicherlich einige Probleme, jemanden zu finden, dem sie sagen können, dass ich noch im Zug bin.

Ja, natürlich beschwere ich mich bei VirginTrains. Nur ich fürchte, das wird auf so unfruchtbaren Boden fallen wie bei der Deutschen Bahn. Transportunternehmen sind in vielen Bereichen nicht verpflichtet, das DDA umzusetzen, was mich tierisch ärgert. Ich habe in Deutschland Bahn fahren gemieden und werde das wohl hier auch so handhaben. Aber ich werde jetzt jeden Abgeordneten, dem ich begegne damit nerven, endlich die Transportunternehmen zur Barrierefreiheit nach DDA zu verpflichten und zwar umfassend.

Warum ich Newham mag

So, ich muss nun endlich mal wieder dieses Blog beleben. Ich brauchte mal Zeit zum Durchatmen. Ich war fast zwei Wochen in Portugal und habe dann die vierte Ausgabe von „The German Link“ fertig gestellt. Es ist einiges passiert in der Zwischenzeit: Ich habe SWR3 ein recht ausführliches Interview gegeben. Dann habe ich erfahren, dass mich das Newham College überraschenderweise zum „Female Entrepreneur of the Year“ gewählt hat. In dem Business Centre, in dem ich mein Büro habe, hatte mich jemand vorgeschlagen, ohne dass ich das wusste und nun gehe ich am Mittwoch zur Preisverleihung. Ich freue mich natürlich sehr.

Ich bin ja erst seit Ende April mit meiner Firma in Newham und fühle mich dort sehr willkommen. Newhams Bevölkerung ist mehrheitlich nicht-weißer Herkunft und ich bin sehr beeindruckt, welche Geschichten die Leute, denen ich dort begegne, zu erzählen haben. Mein Büro ist in einem Gründerzentrum und ich bin dort eine der wenigen Weißen. Ich habe dort zum Beispiel eine Frau getroffen, die bis vor 10 Jahren Analphabetin war und unterdessen ein Unternehmen zur Weiterbildung von Lehrern hat. Sie hat zudem vier Kinder groß gezogen, hat ihren Mann verloren und hatte diverse Herzinfarkte. Oder eine indische Frau, die mir erzählte, dass sie erst seit kurzem Bücher liest, weil das in ihrer Familie nicht üblich gewesen sei. Oder ein Grafikdesigner, der seit dem 14. Lebensjahr obdachlos war und dann mit 18 angefangen hat, wieder in die Schule zu gehen und sich eine Wohnung gesucht hat. Aber alle haben ihre eigenen Unternehmen oder sind gerade dabei, es zu gründen. Ich mag das Umfeld dort sehr, weil mich die Kraft und der Wille dieser Menschen sehr beeindruckt. Und jedesmal, wenn mich jemand fragt: „Was? Sie sitzen in Newham? Wieso das denn?“, erzähle ich die Geschichten der Leute, von der Power, die in diesem Stadtteil steckt, wenn man den Leuten nur ein bisschen Unterstützung und Bildungsmöglichkeiten gibt und dass in Newham die Olympischen Spiele 2012 stattfinden. Außerdem bekommt man in Newham eine Schale Obst für 1 Pfund. Wer sich also gesund ernähren will, muss unbedingt nach Newham.

75 Pfund in zwei Minuten verdient

Es gibt so Situationen im Leben, da weiß ich nicht, ob ich mich ärgern oder freuen soll. Und entscheide mich dann, beides zu tun. Heute habe ich mal wieder solch eine Situation erlebt. Ich hatte vor mehr als einer Woche eine E-Mail bekommen von einem Marktforschungsinstitut, die Jungunternehmer suchten für eine Befragung. Da die Herrschaften weder sagten, wer ihr Auftraggeber ist noch woher sie meine Adresse haben, habe ich die Mail kurzerhand gelöscht.

Ein paar Tage später riefen sie an und fragten, ob ich nicht doch an der Befragung teilnehmen wolle. Ich habe erst einmal gefragt, wer ihr Auftraggeber sei und woher sie meine Daten haben. Auftraggeber sei der britische Staat, sprich Businesslink. Daher haben sie auch meine Daten. Geld gebe es auch: 75 Pfund.

Ich muss sagen, ich lasse mich ja von niemandem so gerne befragen wie vom Staat. Da kann man politische Äußerungen tätigen und das nimmt dann jemand zu Protokoll.

Ich bin da also heute abend hingerast. Um 18 Uhr sollte es losgehen. Meine U-Bahn stand natürlich – wie immer, wenn man irgendwo pünktlich erscheinen will – ewig an einem Bahnhof und so musste ich ziemlich rumhetzen, um pünktlich zu sein. Ich kam auch noch pünktlich, der Eingang war ebenerdig, aber der Rest der Location war völlig vertreppt.

Auf meine Frage, ob sie einen barrierefreien Zugang hätten, erntete ich von dieser Tanja-Anja-Person nur ein Kopfschütteln und den Kommentar „Da wurden wohl die falschen Leute ausgesucht.“ „Nein, die falsche Location“, antwortete ich sichtlich genervt. Ich verlangte, ihren Manager zu sprechen. Der Manager ließ sich aber verleugnen und wollte nicht mit mir sprechen. Es geht doch nichts über souveräne Führungskräfte. Aber Tanja-Anja überreichte mir ein Kuvert und sagte, das Honorar bekäme ich dennoch. Nach zwei Minuten war ich wieder draußen und hatte 75 Pfund für nix bekommen. Und meine Meinung teile ich dem Auftraggeber jetzt auf dem Postwege mit, vor allem meine Meinung zu nicht barrierefreien Bürgerbefragungen.