Tag Archiv für Barrierefreiheit

Fraport statt Tatort

Lieber Flughafen Frankfurt, lieber Fraport,

wie konntest Du nur wissen, dass ich am letzten Sonntag den Tatort verpasst habe? Ja, ich war mit Freunden türkisch essen und konnte daher nicht wie sonst meine Portion Spannung für die Woche genießen. Schön, dass Du mir heute dann doch ein wenig Spannung verschafft hast. Das Leben wäre ja sonst zu langweilig.

Ich kam mit der Lufthansa-Maschine aus London City bei Dir an und Deine Packer haben auch gleich den Rollstuhl ausgeladen. Er stand auf dem Flugfeld und wartet darauf, dass ich aus dem Flugzeug gebracht werde, aber das sollte noch eine Weile dauern. Du weißt ja selbst, Du kannst ganz schön hartnäckig sein, was Deinen Assistenzservice angeht, aber dazu später mehr.

Bei mir an Bord war ein älterer Herr, der schlecht gehen konnte (WCHR wie Du solche Leute nennst), aber mit dem normalen Passagierbus mitfuhr. Ich konnte von oben sehen wie Dein Busfahrer erst den Kinderwagen zur Familie mit dem dauerschreienden Kind brachte und dann versuchte, meinen Rollstuhl dem alten Herrn anzudrehen. Das gelang dann auch und mein Rollstuhl wanderte ruckzuck in den Passagierbus. Dass da ein Gepäcktag mit meinem (weiblichen!) Vornamen und Nachnamen dranhing, beeindruckte den Busfahrer natürlich nicht und hinderte ihn auch nicht daran, den Rollstuhl einem männlichen Mitreisenden zu geben, der sich darüber freute, nicht mehr laufen zu müssen. Das war schon Nervenkitzel angesagt. Ich sass ja auf meinem Sitz und konnte nichts tun, außer hysterisch nach der Flugbegleiterin schreien, die Gott sei Dank die Lage kapierte und in den Bus stürmte und dem älteren Herrn meinen Rollstuhl wieder wegnahm. 1:0 für mich, Fraport!

Dann warst Du sicher eingeschnappt und dachtest, die lass ich jetzt sitzen. Denn warum sonst dauerte es über 30 Minuten bis endlich der Hublift kam, um mich aus dem Flugzeug zu holen, obwohl der Pilot zwei Mal schon beim Anflug Dir eine Nachricht schickte, um den Hublift anzufordern? Du wolltest es eben spannend machen.

Weil das alles so lange dauerte und die Kommunikation ja nicht immer klappt, wurden auch schon die Passagiere für den nächsten Flug geschickt, die in den Bussen vor der Tür ausharren mussten. Ich saß ja immer noch im Flieger, der weiter nach Graz sollte. Da wollte ich aber nicht hin.

Irgendwann hast Du dann wenigstens schon mal den Bus geschickt, der mich zum Terminal fahren sollte. Da mein Rollstuhl die ganze Zeit im Regen stand, dachte sich Dein Busfahrer, es sei schlau, den Rollstuhl in den Bus zu holen. Irgendwann kam dann der Hublift. Man erklärte mir, man müsse jetzt aber erst einmal Platz machen für den anderen Passagierbus, damit die Maschine nicht noch später wegfliegt. Also wurden Bus und Hublift neben das Flugzeug gefahren. Bei diesem Umparkmanöver sah ich vom Hublift aus, dass mein Rollstuhl durch den Bus flog, weil er offensichtlich nicht gesichert wurde. Ich war schon etwas nervös, ich gebe es zu, als ich das sah. Mein Rollstuhl ist auf mich angepasst, kostet ein paar tausend Euro und ist so leicht nicht ersetzen. Da sieht man nicht gerne zu, wenn der durch einen Bus fliegt.

Als der Bus neben dem Hublift zum Stehen kam, sah ich, dass sich der Rollstuhl unterdessen zur Tür bewegt hatte. Und was machte der Busfahrer? Er öffnete die Bustür und der Rollstuhl fiel aus dem Bus aufs Flugfeld zwischen Hublift und Bus. Ja, da war Spannung angesagt.

So weit ich das bislang gesehen habe, ist der Rollstuhl aber heil geblieben. Der Busfahrer hat ihn wieder aufgesammelt und wunderte sich über meine empörte Reaktion. Erst da verstand ich, dass diese Spannung eine Serviceleistung Deinerseits sein muss. Denn, dass Du völlig überfordertes Personal beschäftigst und die Koordinierung des Hublifts überhaupt nicht klappt, das kann ich mir nicht vorstellen. Du bist doch Kontinentaleuropas größter Flughafen und sicherlich hoch professionell durchorganisiert. Der Pilot der Maschine wird Dir ebenfalls noch schreiben. Ich glaube, der dachte wirklich, Du bist zu chaotisch, um behinderte Passagiere angemessen abzufertigen.

Liebe Grüße
Deine Christiane

Air New Zealand gebärdet mit Journalisten

Ich sage es lieber gleich, seit letztem Jahr bin ich Air New Zealand-Fan. Schuld daran ist ein Flug von Los Angeles nach London. Die hatten so eine nette Crew, einen top Service und sind auch noch echt barrierefrei. Aber ich schweife ab…

Heute morgen wurde ich durch ein paar Kommentare auf Twitter auf diese Webseite aufmerksam gemacht. Zu sehen ist ein Video in Neuseeländischer Gebärdensprache (die der britischen übrigens sehr ähnlich ist). Zu sehen ist eine Stellungnahme von Air New Zealand zu einem Artikel der Zeitschrift „The Listener“ (Der Zuhörer). Die Airline beklagt sich auf Gebärdensprache, die Zeitschrift habe ihnen wohl nicht richtig zugehört als man eine Partnerschaft mit der Billigfluggesellschaft Virgin Blue bekannt gab. Deshalb habe man sich entschieden, eine Sprache zu wählen, die die Journalisten vielleicht besser verstehen, wenn sie schon nicht richtig zuhören: Gebärdensprache.
Zudem haben sie eine Pressemitteilung mit gedrucktem Fingeralphabet verlinkt und den Artikel, über den sich die Airline so geärgert hat.

Das ist die originellste PR-Aktion, die ich seit langem gesehen habe.

Das Video gibt es auch auf YouTube (Bildbeschreibung steht unter dem Video):

Bildbeschreibung und Text für blinde Leser:

Einblendung: The Listener recently published an editorial about the proposed trans-Tasman alliance between Air New Zealand and Virgin Blue. This is Air NZ CEO Rob Fyfe’s response.

CEO: Dear Listener,
Dolmetscherin: Ironically it seems you haven’t been listening to us. We’ve got to say, you are hardly being true to your name. In your recent issue you asserted Air New Zealand intends going „determinendly downmarket“ in our service and quality. If you had bothered to give Rob a call, you would have heard loud and clear about our continued dedication to being the world’s best airline. (CEO grinst und nickt)

Dolmetscherin: As you appear to have turned a deaf ear to us, we thought it best to respond in a language you may be more familiar with. You reckon it is „inevitable Air New Zealand will downgrade“ its service if our proposed trans-Tasman alliance with Virgin gets approved.

CEO: Bollocks!

Dolmetscherin: It is in fact Virgin Blue who will be upgrading their service to align with us as we revealed in our media release announcing the proposal. Now we’re all guilty of selective hearing sometimes, Rob included, but we’ve got to say you did a fantastic job of not listening to the facts. And to answer the question you posed: Is Air New Zealand on its way to becoming a budget airline? No. You’re out of your tree! If you’d like to talk this through further, lend us your ear and give Rob a call.
P.S. He was tempted to respond with a far simpler, more direct form of sign language, but the lawyers advised against it.

Die Qual der Wahl

Am Donnerstag wird in Großbritannien gewählt. Und zum ersten (und hoffentlich letzten) Mal darf ich an einer Parlamentswahl nicht teilnehmen, obwohl ich in dem Land, in dem gewählt wird, Steuern zahlen. Naja, immerhin darf ich das Gemeindeparlament von Greenwich mitbestimmen. Meine Stimme kommt mir hier fast noch wichtiger vor als in Deutschland, weil die Wahlbeteiligung hier insbesondere bei Kommunalwahlen bedenklich schlecht ist. In unserem Wahlbezirk (Eltham South) lag die Wahlbeteiligung beim letzten Mal bei 40%.

Sehr interessant ist zu sehen, welche Rolle die Behindertenpolitik im Wahlkampf spielt. Das Magazin „Disability Now“ hat die Parteien zu ihrer Behindertenpolitik befragt. Alles in allem ist das alles sehr mau, was dort genannt wird.

Das ist ziemlich unverständlich, denn in einer Umfrage im April unter behinderten Wahlberechtigten gaben zwei Drittel der Befragten an, dass die Behindertenpolitik der Parteien ihre Wahlentscheidung maßgeblich beeinflussen würde.

Sehr interessant diesbezüglich war eine Posse, die sich letzte Woche ereignete. Der Spitzenkandidat der Konservativen, David Cameron, war in London auf einem Wahltermin. In der Näher hielt sich ein Vater mit seinem rollstuhlfahrenden Sohn auf, die eigentlich nur einen Krankenhaustermin wahrnehmen wollten. Das Wahlkampfteam von Cameron dachte sich wohl, es mache ein tolles Pressebild, wenn ihr Kandidat den behinderten Jungen trifft und fragte den Vater, ob er gemeinsam mit seinem Sohn mit Cameron sprechen wolle. Der Vater wollte, denn er hatte sich über die Politik der Konservativen zur schulischen Integration geärgert. Der Vater hatte lange darum gekämpft, seinen Sohn in eine Regelschule schicken zu können und ärgerte sich über eine Passage aus dem Wahlprogramm.

Was die konservativen Wahlkämpfer bekamen, war also kein herziges Wahlkampfbild, sondern ein Debatte auf allen Kanälen und in Zeitungen über die schulische Integration behinderter Kinder und die Politik der Torries – gemeinsam mit einem Bild, das alles andere als herzig aussieht.

Der Vater des Kindes ist zudem Chef eines recht bekannten ThinkTanks und ließ sich freudig und wortgewandt in jede Sendung schalten und trat massiv für die schulische Integration behinderter Kinder ein. So schnell kann ein Wahlprogramm ganz schön altmodisch aussehen.

Ich weiß immer noch nicht, was ich am Donnerstag wähle. Gestern rief die Labour-Partei an und fragte mich, wie wahrscheinlich es sei, dass ich am Donnerstag Labour wähle. Abwarten und Tee trinken!

Für mich wird interessant zu sehen, ob sie die Barrierefreiheit meines Wahllokals verbessert haben. Ich habe mich nach der Europawahl beim Wahlleiter der Gemeinde beschwert, weil der barrierefreie Eingang nach 18 Uhr geschlossen war und ich erst an die Scheibe im Hochpaterre klopfen musste, damit mir jemand aufmacht. Das Wahllokal hatte aber bis 22 Uhr geöffnet. Den E-Mails und den überschwänglichen Entschuldigungen nach zu urteilen, müsste es diesmal klappen.

Stuckholm

Wir wollten eigentlich nur 2 Tage in Stockholm bleiben. Artur hat dort einen Vortrag gehalten und ich bin mitgefahren. Ich war noch nie in Stockholm und wollte mir die Stadt mal ansehen. Für 2 Tage ist das auch wirklich ein sehr schönes Reiseziel – es wurden dann aber 9 Tage.
Schon am Mittwoch scherzten wir, ob wir wohl ein Wochenende dran hängen müssen, weil in Island ein Vulkan ausgebrochen sei. Es wurde nicht nur ein Wochenende, es wurde eine ganze Woche.

Hotelzimmer wurden knapp

Ich gebe zu, es gibt schlimmere Orte, an denen man festsitzen kann als Schweden, zumindest wenn man in einem der besten Hotels der Stadt in einem barrierefreien Zimmer untergebracht ist. Ich hatte am Donnerstag schon Lufthansa angerufen, nachdem unser Flug gecancelt war. Der Mitarbeiter meinte zu mir, ich könne zum Flughafen rausfahren und mir einen Hotelvoucher geben lassen, aber sicher sei er sich nicht. Ich könne auch einfach in diesem Hotel bleiben. Eventuell zahle Lufthansa das Zimmer. Mein Bauchgefühl sagte mir, dieses Zimmer unter keinen Umständen herzugeben und es sollte richtig sein.

Am Freitag erzählte uns dann eine Mitarbeiterin eines anderen Hotels, dass sie bereits 80 Gäste wegschicken mussten – alle gestrandet in „Stuckholm“ wie für uns die schwedische Hauptstadt künftig heißen wird.

Flug umbuchen und Wäsche waschen

Die Tage verbrachte ich damit, unseren Flug umzubuchen. Es dauerte Stunden bis man jemanden erreichte, aber wir wollten sofort auf einen neuen Flug, wenn der alte mal wieder gecancelt war bevor andere Leute die Maschine schon gefüllt hatten. Es gehen nicht wahnsinnig viel Maschinen von Stockholm Richtung Deutschland bzw. England. Wäsche waschen war auch eine beliebte Beschäftigung, denn wir hatten ja nur Wäsche für zwei Tage dabei.

Britisch-Belgische Bustour

Am Anfang der Woche fing ich an, nach alternativen Transportmöglichkeiten zu suchen – mit wenig Erfolg. Züge ausgebucht, aus Kopenhagen bekam ich die Information, dass die Deutsche Bahn nur noch mit Ticket einsteigen lässt, dieses aber schwer zu bekommen ist. Irgendwann surfte ich auf die Seite der britischen Botschaft in Stockholm und fand eine Sonderseite für gestrandete Briten in Stockholm mit einer schwedischen Telefonnummer, mit der man sich in Verbindung setzen konnte. Ich rief dort an in der Hoffnung, dass die eine Idee hatten, wie wir wieder nach London kommen. Und tatsächlich, die nette Frau am Telefon sagte mir, man habe gemeinsam mit der belgischen Botschaft einen Bus organisiert, der zumindest nach Brüssel fahre. Wenn wir Glück hätten, bekämen wir dort einen Anschluss mit dem Eurostar. Nun muss ich sagen, Busreisen gehören nicht gerade zu meiner bevorzugten Reiseart, aber ich hatte ja keine Wahl. Wir wollten nach einer Woche Stockholm in dreckigen Klamotten einfach nur nach Hause und der Luftraum war nach wie vor zu. Um 23.15 Uhr sollten wir zur belgischen Botschaft kommen, von dort sollte die britisch-belgische Evakuierungstour starten. Am Ende des Telefonats fragte mich die Botschaftsmitarbeiterin noch nach meinem Namen, meinem Geburtsdatum und meiner Passnummer. Da musste ich dann gestehen, dass ich zwar britische Steuerzahlerin bin, aber einen deutschen Pass habe und Artur einen portugiesischen. War aber kein Problem, sie wollten uns dennoch helfen. Wir haben dann noch einen ebenfalls gestrandeten Vortragenden aus den USA mitgenommen, auch das war kein Problem weder für die britische und belgische Botschaft.

Ich hasse Reisebusse

Nun muss man sagen, dass Reisebusse (zumindest kontinentaleuropäische, die in England haben oft Hublifte) mehrheitlich nicht barrierefrei sind. Im Gegenteil, die Treppen sind eng und steil und hinein ging es nur auf dem Po. Die Kanten waren scharf, die Sitze unbequem. Es war eine Tortur. Dass wir diese Reise nicht bis zum Ende mitmachen würden, war spätestens dann klar als der niederländische Busfahrer sagte, man werde noch ein Ziel in den Niederlande anlaufen und die Fahrt dauere etwa 24 Stunden. Man werde gegen Mitternacht in Brüssel ankommen. Aber was sollten wir gegen Mitternacht in Brüssel? Ein barrierefreies Hotelzimmer suchen. Pah! Aussichtslos bei den vielen Leuten, die versuchten mit dem Eurostar nach England zu kommen!

Hamburg-Stillhorn

Also beschlossen wir, an der Raststätte Hamburg-Stillhorn auszusteigen und von dort zum Hauptbahnhof zu fahren. Die Fahrt hatte langsam etwas von einem Road Movie.
In Dänemark mussten wir auf der Fähre raus aus dem Bus, was wieder Kletterkünste meinerseits bedeutete. Aber da konnte ich wenigstens zur Toilette gehen. Die Bustoilette war für mich unerreichbar.
In Hamburg-Stillhorn haben wir uns dann ein Taxi gerufen. Der Taxifahrer staunte nicht schlecht als er fragte „Wo kommen Sie denn her?“ und wir sagten „Aus Stockholm und wir wollen nach London.“ Aber erstmal wollten wir zum Bahnhof. Dort angekommen sagte uns der Bahnmitarbeiter, dass es keine Eurostar-Tickets mehr gebe und wir uns besser auf den Weg nach Süden machen sollten, denn die französischen Bahnen streikten sowieso. Gut, dass wir nicht nach Brüssel gefahren waren!

Frankfurt

Also beschlossen wir, kurzerhand mit unserem amerikanischen Anhang nach Frankfurt zu fahren. Dort standen sowohl unsere als auch seine Chancen besser, einen Flug nach Hause zu bekommen als in Hamburg. Ich kaufte schnell Tickets nach Frankfurt, der nächste Zug sollte in 30 Minuten gehen und ging zum Servicepoint, um Einstieghilfe zu bekommen. Der Mann schickte uns direkt zum Bahnsteig, wo ich eine Servicemitarbeiterin ansprach und ihr sagte, dass ich Einstieghilfe für den Zug nach Frankfurt bräuchte. „Sie haben sich aber nicht angemeldet“, blaffte sie mich an. Ich musste einfach laut lachen. Stimmt, ich hatte mich nicht an die Vorschrift gehalten, dass sich behinderte Reisende 24 Stunden vorher bei der Bahn anmelden müssen. Ich sass allein die letzten 12 Stunden in einem Reisebus. Wie dumm von mir! Ich erklärte ihr, dass wir froh seien, überhaupt den Weg raus aus Schweden gefunden zu haben, da die Züge überbucht seien und wir seit über einer Woche in Stockholm gestrandet waren bis die Botschaften einen Bus organisiert hatten und wir jetzt einfach nur nach Frankfurt kommen wollten, um von dort per Auto (meine Eltern leben in der Nähe) oder Flugzeug weiterzukommen. Sie begriff, dass ihr Kommentar uns etwas weltfremd vorgekommen sein musste und half mir in den Zug. Dort genossen wir erst einmal eine gute deutsche Currywurst und Bionade. Wir fuhren bis Frankfurt-Flughafen und dort holte uns meine Mutter ab. Unterdessen war zumindest der deutsche Flugraum wieder offen und wir buchten einen Flug nach London am nächsten Morgen. Die Flüge aus Stockholm gingen immer noch nicht. Und nach rund 36 Stunden Rückreise – davon 12 Stunden Bus -, kamen wir dann endlich in London an.

Mein Bedarf an Köttbullar und schwedischem Schokokuchen ist für die nächsten Jahre erst einmal gedeckt und auch IKEA kann ich derzeit nix abgewinnen. Aber eines muss ich sagen: Ich schaue der britischen Staatsangehörigkeit mit Freude entgegen. Auf deren Auslandsvertretungen scheint Verlass – und das Außenministerium twittert sogar.

Das iPhone und die Barrierefreiheit

Ich bin seit ein paar Monaten Besitzerin eines iPhones und habe Zugriff auf Informationen, die für mich im Alltag hilfreich sind. Nicht zuletzt, über die vielen Applikationen lassen sich immer und jederzeit Informationen einholen, die mir helfen, meinen Alltag zu organisieren. Auch mein Freund hat ein iPhone und nutzt es mit einer Sprachausgabe, die Apple standardmässig mitliefert. Wer es mal ausprobieren will, einfach auf –Settings – General – Accessibility gehen und Voice Over einschalten. Eine Liste mit Apps, die mit der Sprachausgabe nutzbar sind, gibt es auch.
Wie die Sprachausgabe funktioniert, kann man hier in diesem Apple-Video sehen (sorry, ohne Untertitel):

Natürlich gehören zum iPhone auch die kleinen Programme, die man zusätzlich installieren kann, die so genannten Apps.
Ich will mal die auflisten, die ich nutze und die zu mehr Barrierefreiheit beitragen:

Qype Radar – Die App zum gleichnamigen Portal mit Bildern und Bewertungen und teilweise Einträgen, die darüber informieren, ob die bewertete Lokalität barrierefrei ist oder nicht. Zumindest der Eingang ist aber auf den Bildern oft zu sehen, auch wenn die Angabe fehlt. Und wenn nicht, bekommt man die Telefonnummer ja eh immer gleich mitgeliefert.

Toiluxe – Eine App, die die nächste öffentliche Toilette anzeigt, leider noch ohne Angabe, ob es eine barrierefreie Toilette ist, aber dennoch relativ hilfreich.

Starbucks – Wo ein Starbucks, da ist auch fast immer eine barrierefreie Toilette. Die App zeigt unter anderem an, wo der nächste Starbucks ist. Sehr praktisch!

Foursquare – Mein Freund nutzt Foursquare in unbekannter Umgebung, um zu schauen, welche Geschäfte um ihn rum sind, in dem er die Plätze bei Foursquare aufruft. Und wenn er mir mitteilen will, wo er gerade ist, loggt er sich einfach ein. Das geht schneller als mit dem iPhone eine SMS blind zu schreiben.

WhatsApp – Die ideale App für gehörlose Nutzer. Man kann kostenlos SMS hin- und herverschicken, auch wenn das Programm geschlossen ist (funktioniert seit dem Update nicht immer reibungslos).

Tube Deluxe – U-Bahn-Karte für London mit Angaben zur Barrierefreiheit der Stationen.

London Bus – Da die U-Bahn-Stationen ja nur zu einem Viertel zugänglich sind, geht manchmal nur der Bus. Alle 6000 Londoner Busse sind barrierefrei. Die App findet die nächste Bushaltestelle, kennt die Fahrpläne und Strecken.

Tesco Clubcard – Tesco ist eine große britische Supermarktkette, die natürlich ihre eigene Kundenkarte hat. Die muss man aber nicht mehr mit sich rumschleppen, wenn man ein iPhone hat, sondern die App generiert aus der Kundennummer einen Barcode, den man an der Kasse hinhalten kann. Gerade für Menschen, die motorische Behinderungen haben, finde ich das sehr bequem. Die müssen die Karte nicht raussuchen. Jetzt ist das bei so einer Kundenkarte nicht so tragisch, aber ich hoffe, dass so künftig alle Karten verschwinden werden und man mit einem Fingertipp die Karte abrufen kann.

Ein Anruf von der Swiss

Meine Güte, Swiss überrascht mich seit gestern zunehmend. Heute hat mich der Teamleiter der Kundenbetreuung angerufen, um mir mitzuteilen, welche Massnahmen Swiss treffen wird, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. Er sei heute morgen “ fast vom Stuhl gekippt“ als er den Vorgang auf den Tisch bekam.
Folgende Massnahmen wird Swiss ergreifen:
Gegen die beiden Mitarbeiter, mit denen ich gesprochen habe, ist ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Viel wichtiger ist aber, dass er mir gesagt hat, dass alle Call Centre-Mitarbeiter umgehend nachgeschult werden und noch einmal darauf hingewiesen wird, wie behinderte Menschen anzumelden sind und was der Unterschied zwischen einem medizinischen Notfall und einem behinderten Reisenden ist. Die Teamleiter werden von Tisch zu Tisch gehen und mit jedem einzelnen Mitarbeiter darüber sprechen. Das ist weit mehr als ich erwartet hatte…
Ich schreibe diesen Eintrag übrigens vom Flughafen aus, nachdem ich problemlos einchecken konnte. Ende gut, alles gut.

Swiss Airlines hat sich gemeldet

Heute morgen meldete sich der „Social Media“-Verantwortliche der Swiss bei mir, um diese Geschichte aus der Welt zu schaffen und um vor allem sicherzustellen, dass ich morgen nicht am Flughafen stehen bleibe.
Er hatte über Twitter von der Geschichte erfahren und entschuldigte sich in aller Form. Gerade hat er mir noch einmal bestätigt, dass er dafür gesorgt hat, dass ich morgen problemlos fliegen kann, angemeldet bin und hat mir versprochen, mich auf dem Laufenden zu halten, was die Beschwerde intern bei Swiss gebracht hat.
Ich finde, das ist ein gutes Beispiel dafür, wie Unternehmen ihre Kommunikation und Service verbessern können, wenn sie zuhören – bei Twitter oder in Blogs oder auch sonst. Und es zeigt auch, dass man sich wehren muss, wenn man etwas verändern will.

Ich kann nicht für mich selber sorgen, meint Swiss Airlines

Ich wollte eigentlich nur schnell Swiss Airlines darüber informieren, dass ich Rollstuhlfahrerin bin, da ich mit Ihnen von London nach Genf fliege, aber auch im Jahr 2010 gibt es Unternehmen, die behinderte Menschen behandeln wie vor 100 Jahren. Nach dem Gespräch mit dem Call Centre habe ich folgende Mail in die Schweiz geschickt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich fliege am Dienstag mit Swiss von London nach Genf. Da ich Rollstuhlfahrerin bin und in Großbritannien lebe, habe ich mich an ihr Callcentre unter 0845 601 0956 gewandt, um Ihnen mitzuteilen, dass ich Assistenz benötige (WCHC).
Ich reise sehr viel und melde mich daher auch bei sehr vielen Airlines vorab an. Was ich heute bei Ihrem Call Centre erlebt habe, ist mir bei noch keiner Airline bei keiner meiner Reisen passiert.

Das Gespräch mit Ihrem Call Centre Agent begann damit, dass ich ihm sagte, ich sei Rollstuhlfahrerin, WCHC. Ihr Agent kannte aber nur WCHR und meinte, ich könne ja dann alleine die Treppe hochlaufen. Ich sagte mehrfach, ich sei WCHC. Er kannte dieses IATA-Kürzel aber nicht. Er schaltete das Gespräch auf Musik, kam zu mir zurück und behauptete, ich sei ein medizinischer Notfall und müsste ein MEDA-Formular ausfüllen. Ich sagte ihm, dass ich Vielfliegerin sei (ich habe fast 1000 Flüge hinter mir) und dass ich seit 33 Jahren eine Querschnittlähmung habe, die kein medizinischer Notfall sei. Ich verlangte seinen Supervisor.

Ich bat den Supervisor, mich als WCHC anzumelden. Auch dieser behauptete, ich müsse ein Formular ausfüllen, denn ich könne an Bord ja nicht alleine für mich sorgen. Ich habe auf Ihrer Webseite nachgelesen, von wem Sie das Formular verlangen. Ich zähle sicher nicht dazu, da ich weder frisch verletzt bin, noch Sauerstoff brauche oder unter irgendein anderes Kriterium falle. Ich brauche einfach nur zwei Leute mit Bordrollstuhl, was – wie Sie sicher wissen – weder in London noch Genf ein Problem sein sollte. Ich denke, die neuen EU-Regularien zur Beförderung von Passagieren mit eingeschränkter Mobilität sind Ihnen bekannt. Diese haben auch für Airlines Gültigkeit, die in die EU fliegen oder von dort starten. Dieses Gespräch hätte es somit in dieser Weise gar nicht geben dürfen.

Das ganze Gespräch verlief in höchstem Masse diskriminierend. Ich kann natürlich an Bord für mich sorgen. Das bestritt Ihr Call Centre Agent aber. Ich kann nur nicht gehen. Er behauptete, ich könne meine Arme nicht bewegen etc. Ich versicherte ihm, ich könne nur nicht gehen. Er behauptete, wenn man querschnittgelähmt sei, könne man auch die Arme nicht bewegen. Ich muss Ihnen sagen, ich finde es schon erstaunlich, dass ein Swiss Call Centre Supervisor glaubt, besser zu wissen, was ich kann und was ich nicht kann als ich selbst.

Ich verstehe, dass Sie als Airline vorab wissen möchten, welche Passagiere Assistenz benötigen. Ich schule selbst Flugbegleiter im Umgang mit behinderten Passagieren. Ich bin aber geradezu schockiert darüber, wie wenig Ihre Mitarbeiter geschult sind, um diese Anmeldungen anzunehmen. Es dauerte zudem 45 Minuten bis überhaupt jemand den Anruf annahm.

Ich möchte Sie herzlich bitten sicherzustellen, dass ihre Mitarbeiter, auch in ausländischen Call Centren, wissen, wie sie mit Anmeldungen behinderter Passagiere umzugehen haben. Die Konversation mit den beiden Mitarbeitern entspricht mit Sicherheit nicht dem Serviceanspruch Ihrer Fluggesellschaft. Zudem erwarte ich, dass ich mit Respekt behandelt werde, wenn ich bei Ihnen anrufe. Davon kann bei keinem Ihrer beiden Mitarbeiter die Rede sein.

Ich weiß nach dem Telefonat noch immer nicht, ob in der Buchung vermerkt wurde, dass ich WCHC bin. Falls nicht, nehmen Sie dieses Schreiben bitte als Anmeldung und teilen Sie mir bitte mit, was Sie unternehmen werden, um die Servicequalität auch im Umgang mit behinderten Reisenden in Zukunft sicherzustellen.

Mit freundlichen Grüßen
Christiane Link

Update: Swiss hat sich gemeldet.

Update 2: Swiss hat mich angerufen.

Eine Schule für alle

Studenten der Kunsthochschule in Köln haben für den Verein „Mittendrin“ mehrere Kinospots produziert. Mir gefällt der Erste am besten, aber seht selbst.

Filmbeschreibung für blinde Leser: Der Chor ist erst grau und besteht nur aus nicht behinderten Kindern. Erst als die behinderten Kinder dazu kommen, wird es lebending. Wenn der Chor verstummt, gebärdet ein gehörloser Junge das Lied während der Hausmeister eine Birne einschraubt (Quitschen).

Tonbeschreibung für gehörlose Leser: Der Chor singt erst langweilig den Kanon „Heho, spann den Wagen an. Denn der Wind treibt Regen übers Land. Hol die goldenen Gaben, hol die goldenen Gaben.“ Erst als die behinderten Kinder dazu kommen, wird das Lied lebendig.

Bildbeschreibung für blinde Leser: Ein Lehrer steht vor einer Klasse mit mehreren behinderten Schülern. Neben ihm steht jeweils ein anderes behindertes Kind. Bevor die Kinder lachen, zeigt ein rollstuhlfahrendes Kind dem Lehrer einen Vogel, ohne dass er es bemerkt.

Sister Act barrierefrei

Wir haben Freunden von uns Karten zum MusicalSister Act“ geschenkt und uns für den gleichen Abend auch gleich welche gekauft.

Ich habe extra einen Termin ausgesucht, bei dem die Vorführung mit Audiodiskription läuft. Fast jedes Theaterstück oder Musical, das eine Saison lang in London läuft, wird pro Saison ein- bis zwei Mal mit Audiodiskription, also Beschreibung für blinde Zuschauer, mit Gebärdensprachdolmetscher oder Untertitel aufgeführt. Ein Newsletter und eine Webseite der Londoner Theater informiert regelmäßig, wann es diese Vorstellungen gibt.

Ich habe also im Theater angerufen, ihnen gesagt, dass ich Rollstuhlfahrerin bin und mein Freund blind und ich gerne vier Tickets kaufen möchte. Wir haben ziemlich gute Plätze bekommen. Ein paar Tage vor der Vorstellung bekamen wir einen Brief mit einer CD. Dort war die Beschreibung drauf – zum Vorhören. Im Theater selbst bekam mein Freund, sowie die etwa 15 anderen blinden Besucher einen kabellosen Kopfhörer über den während der Vorstellung die Beschreibungen übertragen wurden. Die Sprecherin beschrieb alles live – wer auf die Bühne kommt, wie das Bühnenbild aussieht etc. Sie kam später auch noch zu den blinden Besuchern und stellte sich vor.

Das Musical war übrigens erstklassig. Wer den Film „Sister Act“ mag, dem wird auch die Theaterversion gefallen. Außerdem ist das Theater, in dem das Musical aufgeführt wird, sehr hübsch.