Tag Archiv für Barrierefreiheit

Post aus Palo Alto

Die Stadt Palo Alto hat sich entschlossen, von mir nicht weiter 300 Dollar wegen Parkens auf einem Behindertenparkplatz (mit Ausweis) zu verlangen. Meine vierzeilige Beschwerde (mehr Platz war nicht auf dem Formular) wurde anerkannt. Ich wiederum habe mich entschlossen, in Palo Alto einfach nicht mehr zu parken.

Aberzombie & Witch

Ich bin gestern in San Francisco angekommen und nachdem ich mit dem BART-Zug vom Flughafen in die Stadt gefahren bin, war das erste Geschäft, das ich hier sah, Abercrombie & Fitch. Das erinnerte mich daran, dass ich unbedingt noch etwas über diese Firma schreiben wollte. Abercrombie & Fitch macht seit Jahren weniger wegen ihrer Kleidung von sich reden, sondern wegen diverser Klagen wegen Diskriminierung, nicht zuletzt von behinderten Kunden und Mitarbeitern. Im Film Shrek 3 gab es eine Geschäft, das „Aberzombie & Witch“ genannt wurde als Parodie auf A & F.

– Laut Manager Magazin verklagten US-Bürgerrechtsgruppen Abercrombie & Fitch 2003 im Namen von 10 000 erfolglosen Stellenbewerbern wegen Diskriminierung, weil das Unternehmen nur Weiße einstelle. Das Verfahren endete 2005 mit einer gütlichen Einigung, bei der das Unternehmen einwilligte, den Klägern 40 Millionen Dollar zu zahlen und hausinterne Maßnahmen für „größere Diversität“ einzuführen.

– Im Sommer 2009 wurde die Modekette von einer Frau in London wegen Diskriminierung aufgrund einer Behinderung verklagt. Das Arbeitsgericht gab der Studentin zum Teil recht. Beim Einstellungsgespräch gab die junge Frau nicht an, dass sie eine Unterarmprothese trägt. Von ihrem Chef wurde sie zum Tragen einer Strickjacke über dem üblichen T-Shirt aufgefordert, sodass die Prothese verdeckt wird. Mitarbeiter des so genannten „visual teams„, einer Abteilung für ästhetische Angelegenheiten, verboten der Frau jedoch weiter im Verkaufsbereich tätig zu sein und forderten sie auf, nunmehr im Lager zu arbeiten. Das Gericht in London sah im Vorgehen des Unternehmens eine rechtswidrige Belästigung und verpflichtete Abercrombie & Fitch zusätzlich zur Zahlung einer grundlegenden Entschädigung von 136 Pfund und des Verdienstausfalls von 1077 Pfund zu einer Entschädigung für die erlittene Demütigung, den Vertrauensverlust und die verletzten Gefühle in Höhe von 6800 Pfund.

– Kurz vor meiner Abreise las ich dann, dass Abercrombie & Fitch zur Zahlung von 115 000 Dollar sowie Auflagen verurteilt wurde, weil sie einem autistischen Mädchen in Minnesota verweigert haben, gemeinsam mit einer Begleitperson in die Umkleidekabine zu gehen.

Ich glaube eigentlich, dass man Unternehmen, die diskriminieren, manchmal nur mit hohen Geldstrafen beikommen kann. Aber was macht man mit einem Unternehmen, dass weder die Zahlung von 8000 Pfund noch von 40 Millionen Dollar juckt? Zuerst einmal: Nicht dort einkaufen. Klar. Aber wahrscheinlich muss man in hartnäckigen Fällen wie diesem dazu übergehen, die Geschäftsführer persönlich haftbar zu machen. Und der Artikel über den Fall in Minnesota liest sich auch nicht so, als würden die Gerichte sich das länger anschauen. Das bringt vielleicht nicht diese merkwürdige Firma zum Umdenken, aber es sendet eine wichtige Botschaft in die Gesellschaft: Dass die Diskriminierung behinderter Menschen nicht toleriert wird. Und das ist nicht zu unterschätzen.

Deutschland im Sommer 2009

In Hessen wird einem Mann, der nach einem Motorradunfall Pflege benötigt und im Rollstuhl sitzt, vom örtlichen Sozialamt die Assistenz verweigert. Man zahle lediglich eine Heimunterbringung. Dass der Mann verheiratet ist und damit von seiner Frau getrennt leben müsste, interessiert den Behördenleiter nicht.

In Berlin wird einem Rollstuhlfahrer der Theaterbesuch zur Hölle gemacht. Er könne unmöglich unangemeldet ins Theater gehen, wird ihm gesagt. Als er sich weigert, wieder zu gehen, und einen nicht barrierefreien Platz einnimmt, droht man, die Polizei zu rufen, obwohl er eine Eintrittskarte hat.

In München weigert sich das Arbeitsamt einem gehörlosen Auszubildenden die Gebärdensprachdolmetscher für die Berufsschule zu stellen. Er verliert daraufhin seinen Ausbildungsplatz. Als er wieder einen neue Stelle findet, bleibt das Amt bei seiner Auffassung und schreibt, er solle am Blockunterricht an einer Gehörlosenschule in Essen teilnehmen. Er habe kein Recht, in München eine Berufsschule zu besuchen.

In Berlin muss eine alleinerziehende Mutter ihren Job aufgeben, weil die Schulbehörde die Schulhelfer für ihren behinderten Sohn nicht mehr im benötigten Umfang stellen möchte.

In Magdeburg wird eine arbeitslose, nicht behinderte Frau als „geistig behindert“ eingestuft, damit man sie in eine Behindertenwerkstatt schicken kann.

Mein Recht auf Kino oder „Isch protestiere“

Seit Wochen habe ich mich darauf gefreut, in Frankfurt ins Kino zu gehen. Ich wollte unbedingt Hape Kerkerlings neuen Film „Horst Schlämmer – Isch kandidiere“ sehen. Ich bin gerade für zwei Tage in Frankfurt und hatte das fest eingeplant.

Ich fuhr also zur Hauptwache mit dem Ziel Kino. In Frankfurt ins Kino zu gehen ist als Rollstuhlfahrerin sowieso eine kleine Mission. Es gibt nicht so viele barrierefreie Kinos, das weiß ich noch aus Jugendzeiten als ich mit Freunden öfter nach Frankfurt gefahren bin.
Jemand empfahl mir das CineStar-Kino am Eschenheimer Turm. Es ist ein relativ modernes Kino in einem alten Gebäude. Ich kam dort an und es war Kinotag. Dementsprechend war der Andrang. Aber die Anzeige sagte mir, es seien noch 107 Karten für Horst Schlämmer verfügbar. Ich war also optimistisch, noch eine zu bekommen.
An der Kasse angekommen, fragte mich die Kinokassenfrau, ob ich alleine ins Kino ginge. Ich sagte „Ja“ und sah an ihrem Gesicht, dass das ein Problem war.

Sie sagte mir, alle Kinos, in denen der Film laufe (an dem Abend gab es vier Vorstellungen) seien nicht barrierefrei – mit einer Ausnahme. Ein Saal sei zugänglich. Dort gebe es nur einen Rollstuhlplatz und der sei vergeben an einen anderen Rollstuhlfahrer. Mit Begleitung sei es aber kein Problem. Ich ahnte schon, dass es weniger ein Platzproblem als irgendeine bescheuerte Vorschrift war und sagte ihr: „Wissen Sie, ich lebe in England. Dort läuft der Film nicht. Ich habe mich seit Wochen darauf gefreut, den Film zu sehen, wenn ich für zwei Tage in Frankfurt bin.“ Ihre Antwort: „Schauen Sie doch einen anderen Film.“ Ich: „Ich glaube, Sie haben mich nicht verstanden. Ich möchte diesen und keinen anderen Film sehen und verstehe nicht, warum ich mit Begleitung plötzlich Platz da wäre. Sie murmelte irgendwas von Sicherheitsvorschriften.

Aha, wieder was gelernt: Ich darf also in Deutschland Alkohol trinken, Auto fahren, an den Wahlen des Deutschen Bundestags teilnehmen und mich wählen lassen. Ich könnte sogar Bundeskanzlerin werden. Aber ich darf in Frankfurt nicht alleine ins Kino. Ja nee, is klar.

Meine Empörung erweichte die Frau und sie sagte, sie würde mir eine Karte verkaufen, aber sie glaube nicht, dass mich die Security in den Saal lassen würde. Sie kenne aber die Regeln nicht so ganz genau.

Ich habe zwar nur ein paar Semester Jura im Nebenfach studiert, aber ich wusste, ich hatte gewonnen. Kam doch mit dem Verkauf der Karte ein Vertrag zustande. Soviel wusste ich. Und selbstverständlich nahm ich mir vor, auf Vertragserfüllung zu bestehen und den Aufstand des Jahrhunderts zu machen, sollte man mich nicht in den Saal lassen.

Als ich bei der Security ankam, interessierten die sich gar nicht für mich. Fragten mich nur, ob sie mir die Tür zum Saal aufmachen sollten.

Als ich reinkam, traute ich meine Augen nicht: Es gab überhaupt keinen Rollstuhlplatz. Nicht einen einzigen. Auch die andere Rollstuhlfahrerin stand mitten im Gang zwischen den zwei Notausgängen. Es war einfach eine leere Reihe, in die 10 Rollstühle gepasst hätten. Hätte ich übrigens eine nicht behinderte Begleitung gehabt, hätte diese weit über- oder unterhalb in einer anderen Reihe Platz nehmen müssen, so wie jetzt der Mann der Rollstuhlfahrerin neben mir.

Aber am Ende zählt ja – frei nach Helmut Kohl – was hinten raus kommt und ich habe ich den Film gesehen. Horst Schlämmer wäre stolz auf mich. Weisse bescheid!

Der Süden Englands

Ich habe mir endlich mal wieder Urlaub gegönnt und war im Süden Englands. De facto kenne ich das Land, in dem ich jetzt seit fast drei Jahren lebe immer noch nicht richtig, auch wenn mir viele britischen Londoner versichern, sie kennen auch kaum mehr als ich von Großbritannien.
Und nach einem einwöchigen Trip durch Südengland muss ich sagen, ich lebe in einem sehr schönen Land. Und in einem relativ barrierefreien noch dazu. Wir haben selbst in den kleinsten Käffern an der Küste immer eine barrierefreie Toilette gefunden. Aber der Reihe nach:

Brighton

Brighton

Brighton liegt weniger als eine Autostunde von uns entfernt. Das Meer ist somit sogar näher als in Hamburg. Brighton ist das größte Seebad Englands und machte auf mich einen sehr studentischen Eindruck. Mein erster Eindruck war schon sehr positiv: Wir fanden problemlos einen Behindertenparkplatz ohne viel zu suchen. Wir übernachteten im Premier Inn Hotel, eine der größten Budget-Hotelketten in Großbritannien. Ich hatte noch nie bei Premier Inn übernachtet. Wir waren aber so zufrieden, dass wir auch auf der weiteren Reise öfter in Premier Inns übernachtet haben. Ungewöhnlich fand ich, dass sie zwar ein barrierefreies Bad mit Griffen hatten, aber eine Badewanne statt einer berollbaren Dusche, dafür mit vielen Griffen. Ich weiß, dass das vielen Rollstuhlfahrern Probleme bereitet. Naja, für mich war das aber okay.
Brighton selber ist ziemlich barrierefrei. Es gab genug öffentliche barrierefreie Toiletten, die Restaurants hatten mobile Rampen zum Anlegen. Aber am meisten beeindruckt hat mich der Royal Pavillion, der für ein so prunkvolles Gebäude aus dem frühen 19. Jahrhundert relativ barrierefrei war. In der Audiotour wurde sogar erklärt warum: George IV konnte irgendwann nicht mehr gut laufen und ließ alle Zimmer im Erdgeschoss einrichten. A propos barrierefrei: Es gab sogar eine spezielle Audiotour für blinde Besucher, in denen die einzelnen Zimmer beschrieben wurden.

Poole

Nachdem uns Portsmouth nicht so gut gefallen hat und außerdem regnete, sind wir einfach weiter nach Poole gefahren. Nach der guten Erfahrung mit der Premier Inn-Kette, sind wir auch dort wieder in ein Hotel von ihnen und wurden nicht enttäuscht. Auch in Poole gab es Behindertenparkplätze, die problemlos zu finden waren. In der Touristeninfo haben wir uns mit Informationen über die Region eingedeckt und sind danach thailändisch essen gegangen. Allerdings war es nicht ganz so einfach, ein barrierefreies Restaurant zu finden. Poole ist nicht so der Hit. Der Strand ist sehr schön, aber die Stadt selbst ist eher langweilig, fand ich.

Eine Broschüre brachte uns auf die Idee, auf die Isle of White zu fahren. Es gab super günstige Fährangebote und so sind wir am nächsten Tag nach Lyminton gefahren, einem kleinen Ort an der Küste. Die Hauptstraße haben wir uns gar nicht erst angesehen – zu steil. Aber unten am Hafen war es sehr nett.

Lymington

Hafen von Lymington

Es gab kleine Läden, man konnte Eis essen und die Schiffe beobachten während man auf die Fähre wartete. Bislang waren alle Autofähren, die ich hier benutzt habe, total barrierefrei. So auch diese. Man muss den Leuten, die am Anfang kontrollieren sagen, dass man Rollstuhlfahrerin ist, dann schicken sie einen an den Rand oder in eine spezielle Reihe, um sicherzustellen, dass man einen Platz in der Nähe des Lifts bekommt und genug Platz zum Aussteigen hat. Das hat sowohl auf der Hin- als auch auf der Rückfahrt super funktioniert. Sie hatten uns auch angeboten, im Auto sitzen zu bleiben, aber das wollten wir nicht.

Isle of Wight

Isle of White

Auf der Isle of Wight haben wir kein Zimmer mehr im Premier Inn bekommen und sind stattdessen zu Travelodge, eine andere Budget-Kette mit etwas schlichteren Zimmern. Ich war mal in Wales und habe in einem Travelodge-Hotel übernachtet. Das Zimmer auf der Isle of Wight sah identisch aus wie das in Wales. Einfach, aber barrierefrei.
Parken war auf der ganzen Insel kein Problem. Abends waren wir in einem uralten Pub am Hafen von Newport – umgebaut mit Rampe und barrierefreier Toilette. Das finde ich jedesmal faszinierend: Da gibt es hunderte Jahre alte Gaststätten und die haben eine barrierefreie Toilette. Und dann gibt es Lokale, die weit weniger Probleme hätten, eine einzurichten und die machen es nicht. In dem Pub waren dann auch gleich noch andere Rollstuhlfahrer.

Swanage

Auf Empfehlung sind wir am nächsten Tag weiter nach Swanage gefahren. Swanage symbolisiert für mich einen Urlaubsort, der einfach nichts richtig gemacht hat in Bezug auf Barrierefreiheit. Wir kamen in Swanage an und hatten schon Probleme einen Parkplatz zu finden. Es gab kaum Behindertenparkplätze. Als wir dann endlich einen gefunden hatten, durfte man auf diesem nur zwei Stunden stehen bleiben und musste bezahlen, obwohl es ein Parkplatz der Stadt war und kein Privater. Der Hammer war aber, dass ich an die Parkautomaten nicht rankam, weil eine Stufe davor war.

Parkautomat

Der Bürgermeister dieses Ortes wird noch Post von mir erhalten. So kurbelt man den Tourismus sicher nicht an. Und das hatte sich wohl auch rumgesprochen: Während es in wirklich jedem Küstenort auffallend viele behinderte Menschen gab, die dort Urlaub machten, waren Swanages Urlauber durch und durch nichtbehindert.
Es gab leider keine Hotelketten am Ort und so mussten wir uns auf die Kompetenz der Touristeninfo verlassen. Die Frau wirkte recht ratlos als wir ankamen. Sie hatte nicht einmal eine Liste mit barrierefreien Unterkünften, telefonierte etwas halbherzig rum und riet uns dann, es in einem anderen Ort zu versuchen. Das nenne ich lokale Wirtschaftsförderung! Wir haben Swanage dann auch schnell wieder verlassen und sind zurück nach Poole gefahren, diesmal in ein anderes Premier Inn-Hotel.
Aber eine Einrichtung hat mich aber in Swanage beeindruckt: Eine alte aber barrierefreie Bahn.

Zug

Wir kamen drei Minuten vor Abfahrt des Zuges an, kauften schnell eine Fahrkarte und ruckzuck legte der Schaffner eine Rampe an.

Rampe am Zug

Rampe am Zug

Ich habe mich wirklich gefragt, wieso das eigentlich nicht immer so sein kann. Wir sind mit der Bahn bis Corfe Castle gefahren, einem Ort mit 1500 Einwohnern, einer Burg, ein paar Pubs und – natürlich – einer Behindertentoilette.

Hinweisschild fuer Rollstuhlfahrer

Corfe Castle

Weymouth

Weymouth

Eigentlich wollten wir schon nach Hause fahren, aber das Wetter war so schön und so entschieden wir uns dafür, noch ein bisschen westwärts zu fahren. Wir kamen nach Weymouth, das uns so gut gefiel, das wir dort blieben. Die Touristeninfo von Weymouth war das komplette Gegenteil zu der in Swanage. Das Premier Inn war ausgebucht und so gingen wir wieder in die Touristeninfo. Dort begrüßte uns ein Plakat mit angebotenen Dienstleistungen für behinderte Urlauber: Es gab eine Liste mit barrierefreien Unterkünften, eine Broschüre mit barrierefreien Einrichtungen, einen Stadtplan für Rollstuhlfahrer und vieles mehr. Die Hotelliste telefonierten wir dann einfach ab und schon die zweite Unterkunft auf der Liste hatte ein barrierefreies Zimmer frei. Während unseres Aufenthalts in Weymouth sind mir sicherlich 30 Rollstuhlfahrer begegnet: Alte und Junge, Leute auf Scootern, mehrfachbehinderte Menschen an Beatmungsgeräten und Aktivsportler. Der Ort hat sich auf behinderte Urlauber eingestellt und die wissen das offensichtlich zu schätzen. Der Stadtplan für Rollstuhlfahrer verzeichnete sage und schreibe 14 Behindertentoiletten.

Das war sicher nicht die letzte Tour, die wir auf diese Weise gemacht haben. Es ist einfach toll, einfach dahin zu fahren, wo man hin möchte und dort zu bleiben, wo es einem gefällt. Und ich fand sehr interessant zu sehen, was man als Küstenort, der vom Tourismus lebt, mit ein bisschen Mitdenken machen kann.
Ich bin übrigens immer noch beeindruckt von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Briten. Das macht das Reisen hier so angenehm. Wenn wir irgendwo standen und auf die Karte schauten, kam sofort jemand und fragte „Do you need a hand?“. Also verloren gehen kann man hier nicht.

Kueste

Changing places

Es macht richtig Spaß zwischen Deutschland und England hin- und herzupendeln. Man entdeckt da Dinge, die in einem der Länder normal sind und im anderen nicht einmal angedacht sind – klimatisierte Busse zum Beispiel sind in London Mangelware, in Deutschland zumindest in den Städten, in denen ich in den letzten Monaten war, üblich. Hier fangen sie gerade erst an, sich über heiße Busse aufzuregen und zu überlegen, was man den tun könne und wie man sicherstellen kann, dass die Fahrer nicht aus Versehen auch noch die Heizung anmachen. Heute nachmittag lief dazu eine Talksendung im Radio. Nunja….
Dann wiederum gibt es hier Kampagnen, da denke ich, das wird es in Deutschland in 20 Jahren noch nicht geben. „Changing Places“ ist so ein Beispiel. „Changing Places“ setzt sich dafür ein, dass barrierefreie Toiletten auch für Menschen mit Mehrfachbehinderungen und anderen Bedürfnissen zugänglich sind. Das heißt, dass es einen Lifter gibt, Wickelmöglichkeiten, mehr Platz etc. In Deutschland wird immer noch darüber diskutiert, ob man hier und dort überhaupt eine Behindertentoilette braucht.
Die Kampagne macht darauf aufmerksam, dass Menschen mit Mehrfachbehinderungen derzeit teilweise auf dem Fußboden versorgt werden müssen, weil ansonsten kein Platz ist. Hier erzählen Leute von ihren Erfahrungen, wie sie mit der Situation umgehen und was es für sie bedeutet, wenn mehr Behindertentoiletten nicht nur auf den 08/15-Rollifahrer zugeschnitten wären. Es gibt auch eine Suchmöglichkeit nach Toiletten, die die Anforderungen bereits erfüllen.
Außerdem bin ich jedesmal begeistert, wie professionell solche Kampagnen hier durchgezogen werden. Hinter dieser steckt unter anderem die Organisation Mencap, die größte Organisation für Menschen mit Lernschwierigkeiten in Großbritannien.

Gala statt Spiegel

Wenn im Flugzeug Magazine verteilt werden, stehen in Deutschland Gala und Bunte immer ganz oben auf der Rangliste der beliebtesten Magazine. Nicht Spiegel, nicht Focus, nicht die Wirtschaftswoche. Ich lese trotzdem meist den Spiegel, frage mich aber langsam, ob man die Zeit im Flieger nicht besser zur Erholung nutzen sollte, wenn es geht. Rausschauen, träumen und an was Schönes denken. Also vielleicht doch Gala oder Bunte lesen?
Spiegel-Artikel wie dieser gefährden meinen positiven Gemütszustand beim Fliegen. Ich hatte den Artikel im Flugzeug gelesen und kam schon schlecht gelaunt an.
Ich hatte erst überlegt, sofort darüber zu bloggen. Wie sich das eigentlich anfühlt, wenn das Leben mit Behinderung in den Medien ständig als weniger wert betrachtet wird und man sich ständig rechtfertigen muss, dass man „dennoch“ ein schönes Leben führt. Habe ich dann aber nicht gemacht, es hätte meine Laune noch verschlechtert.
Dann kam ich nach der Reise nach Hause und hatte mehrere E-Mails im Postfach mit der Bitte, doch etwas zu besagtem Artikel zu schreiben. „Och nee“, dachte ich. Ich mag mich bei dem schönen Wetter nicht mit diesem Thema rumärgern. Aber eigentlich müsste ich. Es ist wirklich wichtig. Und dann habe ich gesehen, dass es Oliver Tolmein ausführlich getan hat und ich sowieso nichts mehr hinzuzufügen hätte. Ach doch, eines noch: Mir macht das wirklich Sorgen, wie manche Menschen, die manchmal auch Journalisten sind, mit dem Thema Behinderung und Lebenswert umgehen. So große Sorgen, dass ich es am liebsten verdränge und demnächst vielleicht doch lieber die Gala im Flugzeug lese.

300 Behindertenparkplätze

Heute war ich mal wieder im Lakeside Shopping Centre in Essex. Ich gehe dort sehr gerne einkaufen, denn es ist einfach alles barrierefrei und es ist einfach schön da. Das Centre liegt direkt am See, man kann bei schönem Wetter in einem der Restaurants auf dem Steg sitzen.
Heute bin ich anders auf das Gelände gefahren und kam an einem orangefarbenen Schild vorbei. Ich musste zwei Mal hinsehen. Da soll es doch wirklich 300 Behindertenparkplätze geben, die ich nicht kannte.

Schild mit Hinweis auf 300 Behindertenparkplaetze

Mir war das vorher noch nie aufgefallen, weil es auch in anderen Parkhäusern um das Einkaufszentrum herum Behindertenparkplätze gibt.

Ich folgte also der Beschilderung und fand mich tatsächlich in einem Parkhaus mit 300 Behindertenparkplätzen wieder, die am einkaufsmüden Montag nicht schlecht gefüllt waren. Sie waren unterteilt in welche für Rollstuhlfahrer (breiter) und welche mit normaler Breite. Und alle Autos vor, hinter und neben meinem hatten einen Ausweis an der Windschutzscheibe liegen.

Es gibt in Großbritannien erheblich mehr Behindertenparkplätze als in Deutschland. Ich habe mich da schnell dran gewöhnt und es erleichtert mir den Alltag sehr, weil ich problemlos den Rollstuhl ein- und ausladen kann. Aber 300 Plätze habe ich nocn nie auf einen Streich gesehen.

Ich habe allerdings auch den Eindruck, es gibt mehr Parkausweisbesitzer als in Deutschland. Die Parkplätze sind oft besetzt, aber nicht von Falschparkern sondern von Ausweisbesitzern. Das ist aber mein rein subjektiver Eindruck und das wollte ich nun bestätigt haben.

Die Zahlen für Großbritannien fand ich schnell: Es gibt 2,3 Millionen blaue Parkausweise auf der Insel. Das macht bei geschätzten 61 Millionen Einwohnern 3,8 Prozent der Bevölkerung, die einen Ausweis besitzen. Finde ich sehr realistisch, wenn man davon ausgeht, dass etwa 10 Prozent der Bevölkerung behindert ist, sind vielleicht 3,8 Prozent stark gehbehindert oder blind. Kann schon sein. Das Verkehrsministerium hat erst im Oktober 2008 eine Studie zur Nutzung der Parkausweise veröffentlicht. Demnach bin ich in fast allen Kategorien die Ausnahme, die die Regel bestätigt (jung, arbeitend, Ausländerin, Ausweis seit mehr als 10 Jahren etc.). Aber das nur nebenbei…

Dann habe ich mich auf die Suche nach deutschen Zahlen gemacht und fand sofort eine Frage des Bundestagsabgeordneten Ilja Seifert von Ende Mai dieses Jahres an die Bundesregierung. Er hat sich auch gefragt, wieviele Parkausweise es eigentlich in Deutschland gibt und die Bundesregierung antwortete wie folgt: „Der Bundesregierung liegen keine bundesweiten Statistiken über die Anzahl der europäischen Parkausweise vor.“ Na toll. Und jetzt kann ich meine Vermutung, was die Anzahl angeht, nicht einmal überprüfen.

Was siehst Du? Was hörst Du?

Ich bin seit langem der Meinung, dass behinderte Menschen oft genug in den Medien vorkommen. Das Problem ist nur wie sie darin vorkommen. DIE ZEIT hat jetzt eine blinde Frau und einen gehörlosen Mann gemeinsam interviewt und fand das offensichtlich sehr originell. Ich habe mich beim Lesen des Artikels dabei erwischt, wie ich die Augen verdreht habe. Über die Fragen und eigentlich die ganze Inszenierung. Auch wenn die ZEIT-Redaktion sich sicher auf die Schulter geklopft hat, dank der „genialen Idee“, eine Blinde und einen Gehörlosen an einen Tisch zu setzen – ich kann mir die Redaktionskonferenz gut vorstellen -, ich glaube, Applaus werden sie dafür nicht so sehr von behinderten Menschen bekommen.

Über die Rolle der Dolmetscherin hat schon Jule was geschrieben. Mich stören in erster Linie diese typischen Klischeefragen wie „Ist es besser blind oder gehörlos zu sein?“, „Wie träumen Sie?“, „Wären Sie gerne nicht behindert?“ „Wie schauen Sie Fernsehen?“ und „Was bedeutet Musik?“. Vielleicht kann das mal jemand in einer FAQ zusammen fassen, dann lesen sich das alle mal durch und dann ist das ein für alle Mal geklärt und muss nicht ständig neu abgehandelt werden. Ich dachte, wir wären weiter…

Es wird zudem der Eindruck vermittelt, Blinde und Gehörlose lebten nebeneinander her, könnten nie miteinander in Kontakt treten (Nur die ZEIT macht’s möglich!). Das ist totaler Unsinn. Die Zusammenarbeit zwischen den Vereinen könnte besser sein, aber es ist keineswegs so, dass man ahnungslos nebeneinader her lebt. Ich habe schon sehr sehr lustige Abende gemeinsam mit meinem Freund, der ja blind ist, und gehörlosen Freunden erlebt. Ich habe mehrfach erlebt, dass blinde und gehörlose Menschen gemeinsam Politik gemacht haben, in Gremien gemeinsam saßen und befreundet waren – sowohl in Deutschland als auch in England.

Letztendlich wird das Interview beiden nicht gerecht. Denn dieser ständige Vergleich „Blind oder gehörlos? Was ist besser? Was ist schlimmer?“ ist totaler Quatsch. Die Lebenssituation blinder Menschen ist völlig anders als die der gehörlosen Menschen. Man hätte genauso gut einen Rollstuhlfahrer und einen Gehörlosen an einen Tisch setzen können. Aber das hätte man sicher für nicht so originell gehalten. Wenn ich in der Redaktionssitzung gewesen wäre, hätte ich gefragt: „Was ist die Story?“ Die Welt hat sich verändert. Das nehmen auch gehörlose und blinde Menschen wahr. Jaaaa? Und weiter?

via Not quite like Beethoven

Zeichen der Ausgrenzung aus Stahl

Andreas Bemeleit beschreibt in seinem Weblog Zwischenzeit wie die Stadt Hamburg mit einer neuen Touristenattraktion behinderte Menschen ausgrenzt. Ein schönes Beispiel für Leute, die immer noch glauben, alle neuen Gebäude würden barrierefrei gebaut.

„Die Architekten von Bothe Richter Teherani haben in Allianz mit Hamburgs Senat und Bürgerschaft ein aus Beton und Stahl geschaffenes Zeichen der Ausgrenzung vollbracht. Sie schaden dem Image Hamburgs, indem sie Barrieren schaffen, die vermeidbar gewesen wären.“

Hier nachzulesen.