Ich mache mir Sorgen, Aktion Mensch

Die Aktion Mensch hat in den vergangenen Jahren einen beachtlichen Imagewandel hingelegt: Von einer Organisation, die sich um arme Sorgenkinder kümmert, zu einer Organisation, die sich für gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen einsetzt und sich für Menschenrechte stark macht. Nicht zuletzt die Namensänderung von Aktion Sorgenkind in Aktion Mensch sollten das deutlich machen.

Architekt dieser Wandlung war unter anderem Geschäftsführer Dieter Gutschick. Er geht jetzt in Ruhestand und seit gestern stehen seine Nachfolger fest: „Armin von Buttlar und Martin Georgi führen ab dem 1. Mai Deutschlands größte private Förderorganisation in einer Doppelspitze als geschäftsführende Vorstände“, schrieb die Aktion Mensch in der Pressemitteilung. Martin Georgi? Martin Georgi? Der Name kam mir bekannt vor. Und dann fiel der Groschen: Martin Georgi verantwortete eine Werbekampagne der Christoffel-Blindenmission, die nicht nur von mir kritisiert wurde und nach den Protesten gestoppt wurde. Es war ein Afrikaner zu sehen, der statt Augen Münzeinwurfschlitze hatte.

Ich komme aus Bensheim, wo die Christoffel-Blindenmission ihren Sitz hat, und verfolge schon seit Jahrzehnten die Arbeit der Organisation. Ich empfand schon als Schülerin die Kampagnen befremdlich. Ich mag es nicht, wenn Hilfsorganisationen allein auf Mitleid setzen, um Spenden zu bekommen. Mitleid ist meines Erachtens die Hauptursache dafür, warum Menschen mit Behinderungen immer noch häufig nicht als gleichberechtigte Bürger angesehen werden, sondern als arme Hascherl. Und deshalb war es so wichtig, dass die Aktion Mensch von dieser Strategie abgerückt ist. Ich mache mir Sorgen, dass es einen Rückschritt im Auftreten der Lotterie geben wird, wenn der Geschäftsführer von einer Organisation kommt, die bis heute auf Mitleid setzt.

Die zweite Person der Doppelspitze bei der Aktion Mensch ist Armin von Buttlar. Er war zuvor unter anderem Finanzchef der Merz-Gruppe. Merz? Hatte ich nicht vor kurzem etwas über diesen Pharmakonzern gelesen? Ja, hatte ich.

Niemand hat ein größeres Interesse am Festhalten des medizinischen Modells von Behinderung als die Pharmakonzerne. Die verdienen mit der Annahme, dass Behinderung unbedingt geheilt werden muss und kann, Geld. Es gibt bei vielen Selbsthilfegruppen eine massive Abhängigkeit von der Pharmaindustrie, die sie gerne finanzieren so lange sie ihre Medikamente anpreisen. Es gibt schon lange kein gutes Verhältnis mehr zwischen der Pharmaindustrie und Selbsthilfeverbänden im Behindertenbereich. Ich gebe zu, ich kenne Herrn von Buttlar nicht und auch nicht seine Meinung zu diesen Themen. Aber dass ein ehemaliger Manager aus dem Pharmabereich nun an der Spitze der Aktion Mensch sitzt, irritiert mich dennoch.

Und da sind wir noch gar nicht bei der Diskussion, ob es nicht endlich mal Zeit wird, behinderte Entscheider bei der Aktion Mensch zu etablieren.
„Man wird sie an ihren Taten messen müssen“, sagte ein Freund vorhin zu mir. Das werde ich sicherlich tun. Und ich hoffe sehr, die Aktion Mensch wird nicht wieder zum Sorgenkind.

11 Kommentare

  1. Meine Soup sagt:

    Behindertenparkplatz » Ich mache mir Sorgen, Aktion Mensch…

  2. Dorothea sagt:

    Wer glaub, dass Berufskümmer(t)anten emanzipative Krüppelpolitik unterstützen, glaub auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.

  3. Helga sagt:

    „Niemand hat ein größeres Interesse am Festhalten des medizinischen Modells von Behinderung als die Pharmakonzerne.“
    Da hast du ein wahres Wort gesprochen. Aber es sind nicht nur die Pharmakonzerne, da hängt ein ganzer Rattenschwanz anderer Industrien dran. Da fällt mir z.B. ein, dass ein Klositz aus Spritzguss mit Seitenteilen zum Abstützen für meine Tochter 378,- € kostet. Davon zahlt die Pflegekasse nicht mal die Hälfte. Wir kann so was sein? Weil die Behinderten darauf angewiesen sind. Das ist einfach eine Sauerei. Es gibt viele Behinderte, die so ein Teil brauchen, also ist es keine Einzelanfertigung, die den Preis rechtfertigen würde. Die Behinderten sind ein riesiger Markt, den es abzuschöpfen gilt.
    Mich irritiert es auch, dass Herr von Buttlar und Herr Georgi nun den Vorsitz haben werden. Da ist eigentlich klar, wohin die Reise geht.

  4. MartinM sagt:

    Es wäre schlimm genug, wenn die Christoffel-Blindenmission in ihren Kampagnen „nur“ auf Mitleid setzen würde. Meines Erachtens gehört sie aber zu jenen Organisationen, die beim Spenden-Sammeln massiv an das schlechte Gewissen der Umworbenen setzt – und die Möglichkeit, sich von dieser „Sünde“ „Ablass“ einzukaufen. (Genau in dieser Richtung zielte ja die geschmacklose „Spartopfschlitz-Afrikaner“-Werbung.) Für „Aktion Mensch“ wären Kampagnen dieser Art nicht nur ein Rückschritt; sie wären verheerend.

  5. Gerhard sagt:

    Die Aktion Mensch ist kommerziell geworden. War eigentlich auch nicht anders zu erwarten.

  6. Sara sagt:

    Hört sich eigenartig an, die Besetzung. Trotzdem sollten man die Herrn danach beurteilen, was sie bei und mit der Aktion Mensch machen. In den letzten Jahren – seit der Namensänderung – wurde da gute Arbeit gemacht. Natürlich kommerziell, ist ja eine Lotterie. WEnn die Herren wieder die Mitleidsnummer fahren, ist das ein Rückschritt und unbedingt zu kritisieren. Wenn sie weiter progressiv bleiben: OK. Eben: „Man wird sie an ihren Taten messen müssen“

    Übrigens: Ich find’s auch mal wieder typisch, dass auf solche Posten nur Männer kommen.

  7. Das ist ein sehr kluger Kommentar! Die Aktion hat zwar den Namen geändert, aber Behinderte sind da häufig immer noch in erster Linie „Sorgenkinder“.
    Ich bin erst heute auf deinen Blog gestoßen, – der mir richtig gut gefällt! -, weil ich in meinem eigenen Blog neulich einen Beitrag unter dem Titel „Behindertenparkplatz“ hatte. Ich war überrascht, wieviele Besucher unter diesem Stichwort von außen zu mir kamen und habe selbst mal Behindertenparkplatz bei Google eingegeben. Und da stehst du ganz oben. Gut, dass ich geschaut habe. ;-)

  8. Ullmann sagt:

    Auch die einzelnen Behindertenverbände sind nicht ganz ohne. („Drum werfe den ersten Stein“…)
    (Fast) Überall wird in erster Linie an sich selbst gedacht und an seinen Geldbeutel. Viele Gehörlosenverbände zum Beispiel bekommen ihre Zuschüsse, die sie nicht an ihre „Sorgenkinder“ weitergeben – so wird oft für die im Verband angestellten Gebärdendolmetscher doppelt kassiert: Vom Staat bzw. vom Land und noch mal von gehörlosen Mitgliedern.

  9. […] Behindertenparkplatz » Ich mache mir Sorgen, Aktion Mensch Christiane Link sorgt sich in ihrem Blog über die Zukunft der "Aktion Mensch" unter neuer Leitung. (tags: aktionmensch christoffel merz behinderung) 0 Kommentare Keine Kommentare bis jetzt Einen Kommentar schreiben RSS-Feed für Kommentare zu diesem Beitrag. TrackBack URI Einen Kommentar schreiben Antworten abbrechen. Zeilen- und Absatzumbrüche automatisch, E-Mail-Adresse wird nicht angezeigt, HTML-Tags zulässig: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <pre> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong> […]

  10. […] Behindertenparkplatz " Ich mache mir Sorgen, Aktion Mensch (tags: Menschen Behinderung) « im land des apfelbaums […]

  11. Finde es aber immer wieder erschreckend wie viel von den Spenden an Organsiationen den Bedürftigen zu gute kommen. Ein nicht unerheblicher Teil wird in Werbung und der Taschen der Vorstände gesteckt. Wie es bei Aktion Sorgenkind ist weiß ich leider nicht, da ich niemanden kenne der dort arbeitet.