Tag Archiv für Aktion-Mensch

Aktion Mensch, Inklusion und KISS

Die Aktion Mensch wird 50

Wie gehts weiter mit der Aktion Mensch? | kobinet-nachrichten

Stellen wir uns einmal vor, fünf Jahre nach In-Kraft-treten der UN-Behindertenrechtskonvention hätten wir noch eine Aktion Sorgenkind. Wie peinlich wäre dies? Genau so peinlich wie der Begriff Anstalt, den noch so manche Behinderteneinrichtung im Namen und damit verbunden wahrscheinlich auch noch im Geiste führt.
Die Dankbarkeit der Aktion Mensch müsste also all denjenigen gegenüber grenzenlos sein, die für die Namensänderung hart gekämpft haben. Doch genau betrachtet haben diejenigen, die auch mit dem Begriff des Sorgenkindes gut leben konnten, nichts von ihrer Macht des großen Geldes abgegeben. Die Wohlfahrtsverbände spielen nach wie vor die erste Geige bei der Aktion Mensch als ob es beispielsweise keinen Deutschen Behindertenrat oder den Slogan gäbe: Nichts über uns ohne uns.

Inklusion

Wo die Sonderschule nicht existiert – KURIER.at

„Bei uns werden die Kinder in den Mittelpunkt gerückt und gefördert. Bei uns wird nicht in behindert und nicht behindert unterschieden“, erklärt Vizebürgermeister Josef Tutschek den eingeschlagenen Weg.

Behinderte Frau aus dem Rollstuhl gestoßen

Überfall: Behinderte aus Rollstuhl gestoßen – Westdeutsche Zeitung

Phantombilder entlarven Täter – Aktuelle Stunde

Und außerdem…

Behindert sein ist teuer
BBC News – Disabled people ‚pay penalty‘ on everyday costs

Disabled people pay „a financial penalty“ on everyday living costs, spending an average of £550 a month extra, according to a report by Scope.

Der Sänger von KISS ist auch behindert.
KISS lead singer was born with one ear | Fox News

Und wer bei der Telekom den Tarif für gehörlose Kunden buchen möchte, muss ein Captcha in Gebärdensprache lösen.
Telekom Zugangskontrollsystem

Ich mache mir Sorgen, Aktion Mensch

Die Aktion Mensch hat in den vergangenen Jahren einen beachtlichen Imagewandel hingelegt: Von einer Organisation, die sich um arme Sorgenkinder kümmert, zu einer Organisation, die sich für gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen einsetzt und sich für Menschenrechte stark macht. Nicht zuletzt die Namensänderung von Aktion Sorgenkind in Aktion Mensch sollten das deutlich machen.

Architekt dieser Wandlung war unter anderem Geschäftsführer Dieter Gutschick. Er geht jetzt in Ruhestand und seit gestern stehen seine Nachfolger fest: „Armin von Buttlar und Martin Georgi führen ab dem 1. Mai Deutschlands größte private Förderorganisation in einer Doppelspitze als geschäftsführende Vorstände“, schrieb die Aktion Mensch in der Pressemitteilung. Martin Georgi? Martin Georgi? Der Name kam mir bekannt vor. Und dann fiel der Groschen: Martin Georgi verantwortete eine Werbekampagne der Christoffel-Blindenmission, die nicht nur von mir kritisiert wurde und nach den Protesten gestoppt wurde. Es war ein Afrikaner zu sehen, der statt Augen Münzeinwurfschlitze hatte.

Ich komme aus Bensheim, wo die Christoffel-Blindenmission ihren Sitz hat, und verfolge schon seit Jahrzehnten die Arbeit der Organisation. Ich empfand schon als Schülerin die Kampagnen befremdlich. Ich mag es nicht, wenn Hilfsorganisationen allein auf Mitleid setzen, um Spenden zu bekommen. Mitleid ist meines Erachtens die Hauptursache dafür, warum Menschen mit Behinderungen immer noch häufig nicht als gleichberechtigte Bürger angesehen werden, sondern als arme Hascherl. Und deshalb war es so wichtig, dass die Aktion Mensch von dieser Strategie abgerückt ist. Ich mache mir Sorgen, dass es einen Rückschritt im Auftreten der Lotterie geben wird, wenn der Geschäftsführer von einer Organisation kommt, die bis heute auf Mitleid setzt.

Die zweite Person der Doppelspitze bei der Aktion Mensch ist Armin von Buttlar. Er war zuvor unter anderem Finanzchef der Merz-Gruppe. Merz? Hatte ich nicht vor kurzem etwas über diesen Pharmakonzern gelesen? Ja, hatte ich.

Niemand hat ein größeres Interesse am Festhalten des medizinischen Modells von Behinderung als die Pharmakonzerne. Die verdienen mit der Annahme, dass Behinderung unbedingt geheilt werden muss und kann, Geld. Es gibt bei vielen Selbsthilfegruppen eine massive Abhängigkeit von der Pharmaindustrie, die sie gerne finanzieren so lange sie ihre Medikamente anpreisen. Es gibt schon lange kein gutes Verhältnis mehr zwischen der Pharmaindustrie und Selbsthilfeverbänden im Behindertenbereich. Ich gebe zu, ich kenne Herrn von Buttlar nicht und auch nicht seine Meinung zu diesen Themen. Aber dass ein ehemaliger Manager aus dem Pharmabereich nun an der Spitze der Aktion Mensch sitzt, irritiert mich dennoch.

Und da sind wir noch gar nicht bei der Diskussion, ob es nicht endlich mal Zeit wird, behinderte Entscheider bei der Aktion Mensch zu etablieren.
„Man wird sie an ihren Taten messen müssen“, sagte ein Freund vorhin zu mir. Das werde ich sicherlich tun. Und ich hoffe sehr, die Aktion Mensch wird nicht wieder zum Sorgenkind.

Die Rundfunkgebühren und die Aktion Mensch

Seit die Aktion Mensch so heißt wie sie heißt und nicht mehr Aktion Sorgenkind, ist sie mehr und mehr zur Soziallotterie für alle Gruppen und nicht mehr nur für behinderte Menschen geworden. Kann ich mit leben, muss ich ehrlich sagen. Eine der aktuellen Kampagnen ist „Die Gesellschafter“-Kampagne. Sie behandelt nur noch wenig das Thema Behinderung, sondern geht der Frage „In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?“ nach. Zu der Kampagne gibt es ein Tagebuch, in dem jeden Tag eine andere Persönlichkeit das aktuelle Nachrichtengeschehen kommentiert.

Und was lese ich da heute? „ARD und ZDF bekommen Recht – so geht es nicht weiter!“ lautet die Überschrift zu einem Kommentar über die gesetzlichen Rundfunkgebühren. Der Autor schimpft auf die Öffentlich-Rechtlichen und stellt die Gebühren in Frage. Das muss ich sagen, liebe Aktion Mensch, ist journalistische Unabhängigkeit! Da kann sich ja der ein oder andere Verleger noch eine Scheibe abschneiden. Immerhin steht nicht zuletzt das ZDF hinter der Aktion Mensch, der Intendant ist ihr Vorsitzender. Der Text ist zwar inhaltlich etwas heikel, aber wenigstens hat der Autor die in Augen der GEZ richtige Wortwahl genutzt. Schade eigentlich. Ich musste bei dem Gedanken, dass die GEZ nach Akademie.de nun auch die ZDF-nahe Lotterie abmahnen könnte, ein wenig schmunzeln.

Klein und hilfsbedürftig

Die Netzeitung hat Rupert Platz von der Agentur Aperto zu Barrierefreiheit interviewt. Die Agentur hat im vergangenen Jahr eine goldene Biene für barrierefreies Webdesign gewonnen. In dem Interview steht zumindest für Leute, die sich schonmal mit Barrierefreiheit im Internet befasst haben, nicht wirklich neues. Aber das macht ja nix. Es gibt ja auch noch Leute, die nicht wissen, worum es geht. Deshalb finde ich solche Interviews durchaus nützlich und nicht wertlos.

Aber was hat den Herrn denn geritten sich wie folgt zitieren zu lassen:

„Behinderte sind nur eine Gruppe von vielen, die auf Web-Barrieren stoßen – allerdings auch eine besonders kleine und hilfsbedürftige. Daher hat sich der Gesetzgeber auf sie bezogen, als er 2002 alle staatlichen Websites auf Bundesebene zur Barrierefreiheit verpflichtet hat.“

Behinderte Menschen sind eine kleine und hilfsbedürftige Gruppe? Deshalb hat der Gesetzgeber das Behindertengleichstellungsgesetz geschaffen? Könnte es nicht vielleicht sein, dass es um gleichberechtigte Teilhabe in dem Gesetz geht und gerade nicht um Hilfsbedürftigkeit?

Und dass es um eine kleine Gruppe geht, möchte ich auch bezweifeln. Außerdem geht es in dem Gesetz nicht nur um das Internet, sondern um Barrieren in allen Lebensbereichen. Das ist ein Gesetz für Menschen mit Behinderungen. Der Gesetzgeber hat sich keinesfalls nur „auf sie bezogen“.

Weiter erzählt Herr Platz seine Meinung zum Begriff „Barrierefreiheit“: „Der Begriff ‚Barrierefreiheit‘ ist da auch missverständlich, man assoziiert das ja gleich mit Rücksichtnahme gegenüber Minderheiten, mit einer Art virtuellen Rollstuhlrampe am Seiteneingang, und genau darum geht es eben nicht.“

Ähm, darum geht es aber auch beim Begriff Barrierefreiheit gerade nicht. Nach Definition im Gesetz, wäre die Rampe am Seiteneingang nicht barrierefrei, sonders es geht um den Zugang zu einem Gebäude „in der allgemein üblichen Weise“. Nix Seiteneingang. Und um „Rücksichtnahme gegenüber Minderheiten“ geht es auch nicht. Es geht um die gleichberechtigte Teilhabe einer bestimmten Gruppe in der Gesellschaft. Seit dem Sozialgesetzbuch IX und dem Behindertengleichstellungsgesetz geht es gerade nicht mehr um die armen Behinderten, die Hilfe brauchen, sondern es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Zumindest war das Absicht des Gesetzgebers und so kann man es auch – für deutsche Verhältnisse deutlich – im Gesetzestext lesen.

Ich finde, dafür hat Aperto aber einen fetten Abzug in der B-Note verdient. Barrierefreiheit hat nämlich viel mit Einstellung zu tun, nicht nur mit Programmieren. Aber die nächste Biene-Runde steht vor der Tür. Vielleicht kann das die Jury ja berücksichtigen.