In Großbritannien gibt es ein Thema in den Medien, das mir völlig unbekannt war bevor ich hier her kam: Disability Hate Crime. Damit bezeichnen die Briten einen Angriff, der durch den Hass auf behinderte Menschen motiviert ist. Es ist ein eigener Strafttatbestand, der relativ schwer bestraft wird. Nun habe ich bei BBC von einer taubblinden Frau gelesen, der Jugendliche den Blindenstock auf dem Weg nach Hause weggenommen haben, sich über sie lustig gemacht haben etc. und sie ohne Stock eine Meile nach Hause finden musste. So weit so schlimm.
Die ganze Geschichte wird aber noch viel schlimmer, denn die Polizei und ein Krankenwagen waren kurz darauf vor Ort, haben sich aber nicht bei der Frau gemeldet, sondern haben zugesehen, wie sie sich den Weg nach Hause ohne Stock ertasten musste. Sie wussten nicht, wie sie mit der Frau kommunizieren sollten und haben es einfach gelassen. Eine Frau, die sich besser auskannte, haben sie einfach weggeschickt.
Warum hat der Polizist ihr nicht einfach seinen Hut in die Hand gegeben? Dann hätte sie vielleicht gewusst, dass die Polizei jetzt da ist. Und ansonsten sollte man wissen, dass viele taubblinde Menschen das Lormalphabet zur Kommunikation benutzen. Manche haben einen Handschuh dabei, der mit den einzelnen Buchstaben beschriftet ist. Man muss dann also nur noch auf den Handschuh schauen, den die taubblinde Person dann anzieht, und Buchstabe für Buchstabe durchgehen.
Hey, Danke für solche Infos.
Wie sieht das denn mit solchen „Disability Hate Crimes“ in Deutschland aus? Werden solche Taten überhaupt erfasst?
Vielleicht sollte meine Angeordnete hier im Kiez mal eine parlamentarische Anfrage an den Innensenator stellen…
Unglaublich!
Auch wenn man nicht weiß wie man kommunzieren kann, so kann man der Frau doch wenigstens einen Stock organisieren – wenigstens das!
Wir haben noch eine Menge zu lernen.
@Brenrhad
Ich glaube, die werden in UK auch nicht gesondert erfasst und selten als solche geahndet. Darum geht auch die derzeitige Diskussion. Mehr Hintergrundinfos zu Disability Hate Crime gibt es hier: http://news.bbc.co.uk/1/hi/magazine/7570305.stm
Es laufen derzeit auch Kampagnen dazu von verschiedenen Behindertenverbänden, um die Strafverfolger zu sensibilisieren.
Zum googeln: Auf deutsch heißt der Komplex wohl „Gewalt/Straftaten gegen Menschen mit Behinderung“.
Dazu findet sich aus 2003 übrigens ein 45-Seiten-Konzept zur „Kriminalitätsverhütung“ aus Schleswig-Holstein
http://www.schleswig-holstein.de/IM/DE/InnereSicherheit/RatKriminalitaetsverhuetung/Downloads/konzept__menschen__mit__behinderung,templateId=raw,property=publicationFile.pdf
Im Fazit werben die Autoren vor allem um Aufklärung der Bevölkerung.
Gewalttaten sollen nicht bagatellisiert aber genauso wichtig auch nicht skandalisiert werden sondern sachlich fundiert berichtet werden.
Der Protest gegen die Gewalt ist wichtig.
Informationen über Menschen mit Behinderung, über deren Hilfsbedarf sind wichtig. Und Infos über Angebote der Gesellschaft. Informationen über Opferverbände und ihre Leistungen müssen in die Öffentlichkeit.
Und ganz besonders wird gefordert, die Auseinandersetzung mit behinderungsspezifischen Themenfeldern muss zum „mainstream“ und nicht länger in Sonderdisziplinen abgehandelt werden. So sollen Lehrplangestaltungen, Parteiprogramme und kommunalpolitische Ausschüsse die Thematik entsprechend berücksichtigen.
Ich bin Bürgerdeputierter in einem Ausschuß. Ich weiß, es kommt hier ganz entscheidend auf die Initiative Einzelner an. Parteien als Struktur packen das thema nicht von selbst an.
Ich bin ausgebildete SOnderkindergartenpädagogin aus Wien und aus Gesprächen mit Freunden oder Verwandten muss ich immer wieder feststellen wie wenig sich die Leute auskennen und bin überrascht wie wenig man so weiß über Menschen mit Behinderung,… Unlängst hab ich jemanden erzählt, dass ich ab Herbst in einem Kinderheim für Kinder mit kognitiver (geistiger) Beeinträchtigung arbeiten werde. Mein Gesprächspartner hat mich nicht verstanden was ich gemeint habe. Er dachte, Kinderheime seien ausgestorben – ein Relikt aus der Nachkriegszeit.
Also deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass die Einsatzkräfte nicht wussten wie sie tun sollten, was nicht bedeuten soll, dass ich ihre Vorgehensweise begrüße! Dass man sich auch mti taubblinden Menschen unterhalten kann wissen sie wahrscheinlich nicht, schon gar nichts über das Lormen oder den Handschuh! Ich weiß nicht wie der Handschuh üblicherweise ausschaut. Ich hatte vor einem halben Jahr während einem Praktikum einen in der Hand, da fehlten die Hälfte der Buchstaben…
@Christiane: Blog lesen bildet. Ich als Außenstehender hätte das mit dem Handschuh nicht gewusst und frage mich auch, wie ich mit dieser Frau kommuniziert hätte, wäre ich in einer ähnlichen Situation wie diese Polizisten gewesen.
Auch ich habe eben eine weiter Bildungslücke geschlossen (Lormalphabet )… ich denke ich hätte der Frau über die Hand gestreichelt um Ihr zu Symbolisieren, dass ich Ihr helfen möchte.
Ab heute kenne ich den Lormalphabet – Handschuh! Gesehen habe ich sowas aber noch nie!
Es ist wirklich so: Schüler sollten definitiv mehr über Behinderungen bzw. Behinderte in der Schule lernen und Seien es nur „Grundlagen“ ! ! !
Eine der Businessregeln ist „Adaption des Konzeptes/des Produktes in andere Zielgruppen hinein“
Daraus abgeleitet: Wie bekommt man Kids dazu, lormen zu lernen?
Jugendliche üben zu bestimmten Phasen tatsächlich eigene Sprachen oder Sprachformen ein. Sie versuchen so zu kommunizieren, daß sie als Ingroup unentzifferbar bleiben, sie bauen eine eigene Sprachwelt, in der sie dann die Regeln bestimmen.
Ich könnte mir vorstellen: man macht in der 7. Klasse im Rahmen der Gemeinschaftskunde eine Session zum Lormen, die beide Schienen verbindet, also einmal das Einüben einer „geheimen Sprache“ und andersmal die intensive Beleuchtung des Kommunikationsproblems von taubstummen Blinden.
– Powerpoint Präsentation 1: 10 Folien zum Hintergrund
– Powerpoint Präsentation 2: skizzierter Handschuh, bedruckt nur mit den Buchstaben, die es braucht fürs Wort „Hallo“. Animation der Benutzung.
– Dann: 15 Handschuhe werden verteilt, 15 Zweier-Teams gebildet und los gehts. 1. Wort „Hallo“. 2. Statement „Mein Name xy“. 3. ein Satz: „Kann ich helfen?“
– Video aus dem Lorm-Training an einer Einrichtung
– Abschlußgespräch
– alle erhalten eine Pappkarte mit Handschuhzeichnung
Auf dem Heimweg sitzen die Kids im Schulbus und „schwätzen“ weiter.
Die ganze U-Einheit fix aufbereitet von einem Team, das von Schule zu Schule fährt.
Nurmalsoinsblauegesprochen
ja und dann braucht es noch eine Unterrichtseinheit über die jeweils nationale Gebärdensprache,…
Die Kommunikation von taubblinden Personen kann sehr unterschiedlich sein, je nach Eintreten der Behinderungen. Das im deutsch-sprachigen Raum verbreitete Lormalphabet ist jedoch in anderen Teilen unserer Welt unbekannt. In Amerika wird stattdessen zum Beispiel daktyliert, bei dem das amerikanische Fingeralphabet abgetastet wird. In England verwendet man das zweihändige Fingeralphabet in taktiler Form. Auch in Deutschland wird das Lormalphabet nicht von allen Taubblinden vorrangig benutzt.
http://www.fakoo.de/lorm
Eine Variante kennen jedoch alle sprach-kompetenten Taubblinden: wenn man ihnen die Worte nacheinander in Großbuchstaben in die Handfläche malt. So kann man in Verbindung mit dem Fragezeichen einfache Fragen übermitteln. Eine solche Kommunikation sollten wohl alle Polzisten weltweit beherrschen ;-)
Unabhängig davon ist es natürlich von Vorteil, wenn Kinder früh Kommunikationsformen von Behinderten lernen, um eine Vorstellung von deren Kommunikation zu bekommen und das Verständnis für Behinderte zu entwickeln. Dazu sollte dann aber unbedingt auch das Fingeralphabet gehören!
http://www.fakoo.de/finger
Gut finde ich auch den oben genannten Vorschlag, dem Taubblinden einen Stock zu besorgen. Da es auch bei Blinden öfter vorkommen kann, dass ihr Blindenstock verloren geht oder zerbricht und sie dann orientierungslos werden, schlage ich vor, dass Polizisten stets einen faltbaren Blindenstock als Sofort-Hilfsmittel in ihren Fahrzeugen dabei haben sollten.
Alexander Fakoó