Tag Archiv für Journalismus

Das Zeug zur Chefredakteurin

Aus einem Interview im Medium Magazin mit dem FOCUS-Online-Chefredakteur und „Jonet-Aktivist“ Jochen Wegner:

Wegner: „(…) Trotzdem müssen manche Journalisten dazulernen.“
Inwiefern?
Wegner: „Ein Beispiel: Ich überfliege jeden Tag so um die 500 Feeds in meinem Online-Reader.“

Okay, jetzt bin ich mir sicher, ich hab das Zeug zur Chefredakteurin. Ich überfliege jeden Tag 584 RSS-Feeds. ;-)

Screenshot Google Reader

via Björn

Ich komme – wenn es barrierefrei ist

Anruf einer PR-Agentur. Termin, blabla, Ort: Theater. Einladung kommt per Mail.

Ich maile zurück: „Herzlichen Dank für die Einladung. Können Sie für mich in Erfahrung bringen, ob das Theater rollstuhlgerecht ist. Ich bin Rollstuhlfahrerin. Herzlichen Dank!“

Wieder Anruf PR-Agentur: „Meine Kollegin, die Sie kennt, hat mich schon darauf hingewiesen, dass es da ein Problem geben könnte. Das Theater sagt, die Theatertechniker tragen Rollstuhlfahrer immer die Treppe hoch.“
Ich: „Das ist für mich keine Option. Dann kann ich leider nicht an Ihrer Veranstaltung teilnehmen.“
Schweigen. Dann: „Das Theater sagte, mit etwas Aufwand könnten sie auch eine Rampe hinlegen.“
Ich: „Ja bitte, das wäre gut. Bitte besorgen Sie die Rampe. Wenn eine daliegt, komme ich gerne. Wenn nicht, geh ich wieder.“ Erstaunen am anderen Ende der Leitung.

Wenig später wieder eine Mail: „Das Thetaer hat mir gerade fest zugesagt, dass es eine Rampe geben wird.“ Na bitte, geht doch. Aber so ganz glaub ich noch nicht dran. Aber macht nix, ich fahr vorbei, schau mir das an und sonst geh ich wieder. Ich liebe diese semi-barrierefreien Kann-man-Hingehen-Muss-man-nicht-Termine. Da wird Barrierefreiheit plötzlich zum PR-Element. Da müssen sich dann PR-Agenturen überlegen, ob sie eigentlich nicht eine klitzekleine Anforderung an die Location bei der Planung vergessen haben. Huch, sowas Lebensnahes plötzlich!

Wie Blinde im Kino

Analphabetismus spielt auf der diesjährigen Buchmesse erstmals eine Rolle. Mit einer Kampagne widmet sich die Buchmesse dieses Themas. Das findet auch die Kulturredaktion der Süddeutschen interessant und schreibt dazu einen Artikel. Überschrift: „Wir Blinde im Kino“. Analphabetismus auf der Buchmesse sei wie Blinde im Kino, könnten einige meinen, lese ich in dem Artikel.

Journalisten bedienen sich ja ganz gerne Vergleichen und Bildern. Nicht selten haben diese Bilder etwas mit Behinderungen zu tun und sind falsch. „Wie Blinde im Kino“ gehört sicherlich dazu. Ich kenne viele blinde Menschen, die ins Kino gehen. Warum auch nicht? Es gibt eine Menge Filme, die man auch genießen kann, ohne sie zu sehen. Weil die Handlung gut ist und die Musik schön.

„Dialog unter Gehörlosen“ kann man auch oft lesen, wenn es in politischen Verhandlungen nicht weitergeht. Dabei können gehörlose Menschen mit niemandem besser kommunizieren als mit jemandem, der auch Gebärdensprache kann. Es müsste also ein besonders konstruktives Gespräch sein, das da beschrieben wird. Das ist aber nicht gemeint.

Man sollte wirklich öfter mal darüber nachdenken, welche Bilder man verwendet, wenn man etwas beschreibt. Oft resultieren sie aus Vorurteilen, haben aber mit der Realität nichts zu tun.

Zeitschriftensterben

Mein Lieblingsmedienmagazin V.i.S.d.P. gibts nicht mehr, jedenfalls nicht gedruckt. Ich war von der ersten Ausgabe an treue Leserin, später sogar Abonenntin (ja, ich war das), mehrfach wurde mein Weblog dort erwähnt und zuletzt druckte man sogar einen Leserbrief von mir. Warum müssen die Guten immer so früh sterben?

P.S.: Falls es doch noch Hoffnung gibt, ich würde auch zwei Abos nehmen…

Persönliche Assistenz

Viele behinderte Menschen greifen zur Unterstützung auf persönliche Assistenz zurück. Ich habe auch jemanden, die mir einmal in der Woche gegen Geld zur Hand geht und all das macht, was ich nicht kann oder mir zu mühsam ist. Hin und wieder muss man sich auch neue Assistenten suchen. Wenn der Assistenznehmer allerdings Stephen Hawking heißt, ist das den Medien schon mal eine Meldung wert.

Und diese Meldung kann man dann auch nicht schreiben, ohne den Lesern mitzuteilen, dass „der Geistesgigant“ „von einer schweren Krankheit gezeichnet“ ist und „seit Jahrzehnten“ im Rollstuhl sitzt (danke, dass wenigstens die „an den Rollstuhl gefesselt“-Floskel weggelassen wurde). Weiter erfahren wir, dass er seit einem Luftröhrenschnitt nicht mehr sprechen kann und sich „über einen Sprachcomputer verständigen muss“. Kann man nicht einfach schreiben, dass er im Rollstuhl sitzt und einen Sprachcomputer nutzt? Diese Dramatisiererei nervt und hat nur einen Zweck: Mitleid erzeugen.

Die wichtigste Information fehlt übrigens in dem Text: Wer sich bewerben will, die Stellenanzeige ist online abrufbar. ;-)

Glückwunsch, Nachtmagazin

Eben habe ich im Nachtmagazin der ARD einen Bericht über die Fußball-Weltmeisterschaft der Menschen mit Behinderung gesehen. Hat mir ziemlich gut gefallen: Der Sport stand im Vordergrund, die Spieler wurden interviewt, Guildo Horn sagte, er sei da weil er guten Fußball sehen will, das habe für ihn nichts karitatives, die Stimmung kam rüber und es wurde berichtet, wie man über ein Fußballspiel eben so berichtet. Kommt ja leider nicht so oft vor, dass in Deutschland so über Menschen mit Behinderungen berichtet wird, deshalb finde ich das erwähnenswert. Die ARD hat sogar eine eigene Seite zur WM. Sehr löblich! Beim ZDF finde ich online nur eine Mini-Meldung, in der schlicht und einfach vergessen wurde die Protagonisten, nämlich die Spieler selbst, zu befragen. Schweres journalistisches Foul! Beobachte ich aber auch öfter. Wenn in Hamburg über behinderte Bettler gestritten wird, ist die Bischöfin scheinbar eine bessere Interviewpartnerin als jemand, der selbst behindert und vielleicht Jurist ist. Und wenn man über die WM schreibt, vergessen manche Journalisten offensichtlich auch die Spieler zu befragen. Ich könnte jetzt viel dazu schreiben, was die Ursache dafür ist.

Eines stört mich aber auch bei der ARD: Die Sprache auf der dazugehörigen Webseite. Während der Fernsehbeitrag sprachlich und auch sonst völlig in Ordnung war und mir Spaß gemacht hat, ist das online leider nicht durchgehalten worden. Schon in der URL steht Behinderten-WM. Dann im Text wieder Behinderten-WM, Behinderten-Elf, Behinderten-Team, Behinderten-Nationalmannschaft…

Ich freue mich auch schon auf die Nichtbehinderten-EM. ;-) Mit dem Nichtbehinderten-Team, der Nichtbehinderten-Nationalmannschaft, der Nichtbehinderten-Elf. Sorry, Substantive sind einfach hässlich.

Journalistische Krüppel

„Dann gibt es aber auch die Frau Martine Wells, die an jenem Morgen ebenfalls beide Beine eingebüßt hat und, da sie nicht mehr so gut laufen kann, wie sie möchte, gerade ihren Flugschein macht. Andere finden sich noch kaltblütiger ab mit ihrem neuen Zustand als amtliche Krüppel; einer hat gerade eine kurze Anleitung veröffentlicht, was Krückenträger beim Besuch eines Restaurants beachten sollten: ‚Toiletten im Keller sind ein Graus (Treppen!)‘.“

FAZ vom 07.07.2006, Nr. 155 / Seite 5 in einem Bericht über die Opfer der Anschläge von London

Es ist kaltblütig, Tipps zu geben, worauf man achten muss, wenn man an Krücken geht? Das ist nicht kaltblütig, das ist realitätsnah. Die Menschen sind „amtliche Krüppel“? Selber Krüppel, wer sowas schreibt.

David Brooks in Philadelphia

David Brooks

David Brooks ist Kolumnist der New York Times. Er spricht über seine politische Einstellung und seine Bücher.

Über den neuen Hauptbahnhof

„Statt eines neuen Wahrzeichens wird nun ein Contergan-Bau eröffnet, der jedem Gefühl für Proportion und Eleganz spottet.“ Der Leiter des ZDF-Kulturmagazin „Aspekte“, Wolfgang Herles, in der Welt

„Falls das Unheil seinen Lauf nehmen und der Lehrter Bahnhof in seiner gegenwärtigen Form beendet werden sollte, wird er dennoch als ein architektonisches Meisterwerk gefeiert werden, und Fotografen werden geeignete Perspektiven finden, um die falschen Proportionen zu überspielen. Aber alle Lobredner und Bildbeschöniger werden nicht vergessen machen können, daß sie einen Krüppel gesundbeten.“ FAZ am 17.11.2005

„Menschen mit Contergan Schädigungen haben sich empört an mich gewandt und sich dagegen verwahrt, als Vergleichsobjekte herabgewürdigt zu werden, die – folgt man dem Bedeutungsgehalt Ihres Satzes – offenbar ebenfalls ‚jedem Gefühl für Proportion und Eleganz spotte(n)‘. Ich kann diese Empörung sehr gut nachvollziehen. Ihre Formulierung hat mich sehr bestürzt. Die Metapher vom Hauptbahnhof als ‚Contergan-Bau‘ empfinde ich als veritable Entgleisung.“ Der behindertenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Markus Kurth, in einem offenen Brief an Wolfgang Herles

Senfparkplatz

Dieses und andere Blogs werden in wenigen Jahren in die Eigentümerschaft von Ehrensenf übergehen. Behindertenparkplatz heißt dann Senfparkplatz- so jedenfalls die Vision von Wortfeld. Respekt, richtig klasse gemacht!

Film und Text: Alexander Svensson
Sprecher/Ton: Jo Larsson

Inspiriert durch EPIC