Tag Archiv für Blind

Was siehst Du? Was hörst Du?

Ich bin seit langem der Meinung, dass behinderte Menschen oft genug in den Medien vorkommen. Das Problem ist nur wie sie darin vorkommen. DIE ZEIT hat jetzt eine blinde Frau und einen gehörlosen Mann gemeinsam interviewt und fand das offensichtlich sehr originell. Ich habe mich beim Lesen des Artikels dabei erwischt, wie ich die Augen verdreht habe. Über die Fragen und eigentlich die ganze Inszenierung. Auch wenn die ZEIT-Redaktion sich sicher auf die Schulter geklopft hat, dank der „genialen Idee“, eine Blinde und einen Gehörlosen an einen Tisch zu setzen – ich kann mir die Redaktionskonferenz gut vorstellen -, ich glaube, Applaus werden sie dafür nicht so sehr von behinderten Menschen bekommen.

Über die Rolle der Dolmetscherin hat schon Jule was geschrieben. Mich stören in erster Linie diese typischen Klischeefragen wie „Ist es besser blind oder gehörlos zu sein?“, „Wie träumen Sie?“, „Wären Sie gerne nicht behindert?“ „Wie schauen Sie Fernsehen?“ und „Was bedeutet Musik?“. Vielleicht kann das mal jemand in einer FAQ zusammen fassen, dann lesen sich das alle mal durch und dann ist das ein für alle Mal geklärt und muss nicht ständig neu abgehandelt werden. Ich dachte, wir wären weiter…

Es wird zudem der Eindruck vermittelt, Blinde und Gehörlose lebten nebeneinander her, könnten nie miteinander in Kontakt treten (Nur die ZEIT macht’s möglich!). Das ist totaler Unsinn. Die Zusammenarbeit zwischen den Vereinen könnte besser sein, aber es ist keineswegs so, dass man ahnungslos nebeneinader her lebt. Ich habe schon sehr sehr lustige Abende gemeinsam mit meinem Freund, der ja blind ist, und gehörlosen Freunden erlebt. Ich habe mehrfach erlebt, dass blinde und gehörlose Menschen gemeinsam Politik gemacht haben, in Gremien gemeinsam saßen und befreundet waren – sowohl in Deutschland als auch in England.

Letztendlich wird das Interview beiden nicht gerecht. Denn dieser ständige Vergleich „Blind oder gehörlos? Was ist besser? Was ist schlimmer?“ ist totaler Quatsch. Die Lebenssituation blinder Menschen ist völlig anders als die der gehörlosen Menschen. Man hätte genauso gut einen Rollstuhlfahrer und einen Gehörlosen an einen Tisch setzen können. Aber das hätte man sicher für nicht so originell gehalten. Wenn ich in der Redaktionssitzung gewesen wäre, hätte ich gefragt: „Was ist die Story?“ Die Welt hat sich verändert. Das nehmen auch gehörlose und blinde Menschen wahr. Jaaaa? Und weiter?

via Not quite like Beethoven

Die Wissenslücken des Herrn Glos

Da lese ich gerade die Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums und mir wird ganz anders:

„Anlässlich des gestern von der Europäischen Kommission vorgelegten fünften Richtlinienentwurf zur Antidiskriminierung erklärt der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos: „Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aus dem Jahr 2006 wurden die bisherigen vier EU-Richtlinien zur Allgemeinen Gleichbehandlung umgesetzt und alle zur Diskussion stehenden Diskriminierungssachverhalte in Deutschland aufgegriffen. Der jetzt vorliegende fünfte Richtlinienentwurf geht weit über den bislang schon bestehenden Diskriminierungsschutz in Europa hinaus. Es steht zu befürchten, dass Bürgerinnen und Bürger sowie insbesondere auch die mittelständischen Unternehmen in Deutschland durch die geplanten Regelungen aus Brüssel in unvertretbarem Umfang eingeengt und belastet werden.“

So weit so gut. Diese Meinung teile ich zwar nicht, aber damit könnte ich leben. Aber dann lese ich weiter unten die Begründung.

„Die von der EU-Kommission geplante Richtlinie würde viele Bereiche des täglichen Umganges und der sozialen Kontakte der Menschen überregulieren und Freiräume unnötig einengen. Denkbar wäre zum Beispiel, dass jeder Gastwirt an der Ecke zukünftig seine Speisekarten auch in Blindenschrift und eine behindertengerechte Toilette vorhalten müsste.“

Ich hätte jetzt riesen Lust sarkastisch zu sein, aber ich glaube, dem Herrn Bundeswirtschaftsminister fehlen ein paar Fakten, die ich gerne beitrage: Zum Beispiel was eine Braillekarte so kostet. Im teuren England, erster Treffer bei Google, 10 Pfund pro DIN A4-Seite (500 Wörter). Das kann man keinem Gastwirt an der Ecke zumuten? Mit Verlaub, wenn es der deutschen Gastronomie so schlecht geht, dass sie sich das nicht mehr leisten kann, dann hat Deutschland noch ganz andere Probleme als die Braillekarten. Aber dass mit zwei Abendessen eines blinden Gastes der Preis der Braillekarte schon wieder drin ist, hat man wohl übersehen. Und vielleicht kommt der sogar in Begleitung, dann hat man sogar Gewinn gemacht.

Und zu den Toiletten sage ich nur eines: Meine Lebensqualität in England ist unter anderem deshalb so viel besser als in Deutschland, weil ich wie jeder andere Mensch auch dann zur Toilette gehen kann, wann ich möchte und muss. Ich dachte eigentlich, das sei ein Menschenrecht. Deutschland hat kein Problem den Gastwirten nach Männlein/Weiblein getrennte Toiletten aufzubrummen, selbst in der kleinsten Location, aber sobald es um behinderte Menschen geht, ist das alles ne Zumutung.

Dann zur Toilette gehen zu können, wann man möchte, ist ein Menschenrecht. Es ist mir ein Rätsel, warum das so schwer zu verstehen ist. Dass die Wirtschaft dennoch nicht stirbt trotz vieler Antidiskriminierungsrichtlinien zeigt Großbritannien wunderbar. Hier herrscht eigentlich Kapitalismus pur, aber wenn es um Diskriminierung geht, gibt es auch hier Grenzen und ich habe nicht den Eindruck, dass das Land darunter leidet, dass ich dann auf die Toilette gehen kann, wenn ich es möchte. Selbst das 250 Jahre alte Pub bei uns um die Ecke hat eine barrierefreie Toilette. Es ist mir unbegreiflich, warum sich Deutschland so schwer damit tut, wenigstens dort wo es möglich ist, was zu machen. Und letztendlich muss man auch mal sehen, dass es um die Gäste geht. Lokale, die barrierefrei sind, bekommen behinderte Gäste als Kunden. Es geht ja nicht nur um Almosen, sondern es geht auch darum, einen Kundenkreis zu bedienen. Der Bundeswirtschaftsminister müsste das aber eigentlich wissen.

Mit dem Fake-Blindenhund auf Reisen

Ich bin ja einiges gewöhnt, was Spam angeht, aber die Mail, die mich vorhin erreichte, die musste ich zwei Mal lesen, um zu glauben, was da steht. Sie war an meinen Freund gerichtet. Lest selbst:
Sehr geehrter Herr A.,

Sie werden sich sicher wundern, von mir (unbekannterweise) zu hören. Im Internet sind wir durch Zufall auf Sie gestoßen. Wir haben eine ganz ungewöhnliche Bitte und wenden uns deshalb vertrauensvoll an Sie.

Wir wollen ganz offen und ehrlich zu Ihnen sein. Mit unserer ganz lieben Golden Retriever Hündin planen wir eine
Übersiedlung nach Costa Rica. Unserer größtes Problem ist dabei der Transport unseres Tieres im Flugzeug. Da für uns der Transport im Frachtraum unmöglich erscheint, haben wir schon an den Transport per Schiff usw. gedacht. Doch alles war bisher
erfolglos. Bitte verstehen Sie uns jetzt nicht falsch. So haben wir auch bereits überlegt, einem sehbehinderten Menschen eine
Reise nach Costa Rica zu finanzieren, um es unserer Hündin zu ermöglichen, im Flieger oben im Flugzeug bei uns in einer Box
untergebracht zu sein. Dazu hatten wir uns auch bereits mit einem Blindenverein des Ortes in Verbindung gesetzt. Diese hatten Verständnis für unsere Situation und vermittelten auch einen Kontakt. Leider wurde aber trotzdem nichts daraus.

Da wir jedoch nichts unversucht lassen wollen, hier nun unsere Bitte. Wüssten Sie eventuell jemanden, der sich auf so ein Abenteuer einließe. Sie würden uns damit überaus behilflich sein. Jeder kleinste Hinweis würde uns helfen.

In der Hoffnung, von Ihnen zu hören, verbleibt
mit freundlichen Grüßen
(Name gelöscht)

Blindenführhunde und andere Assistenzhunde dürfen oben in der Kabine mitfliegen, weil sie speziell trainierte Hunde sind. Die Regelung heißt nicht „Jeder Blinde darf einen Hund mitbringen.“ Ich finde das ein ziemlich unmoralisches Angebot und verstehe nicht, warum dieser Hund nicht wie alle anderen auch unten im Gepäckraum mitfliegen kann. Die Ausnahme, dass Blindenhunde und andere Assistenzhunde oben mitfliegen dürfen, hat ihren Sinn und wird von den Fluggesellschaften akzeptiert. Sie zu missbrauchen gefährdet diese Regelungen. Und wer sagt mir, dass dieser Hund nicht vollgepumpt mit Drogen ist oder sonst irgendwas nicht mit ihm stimmt?

Aber ich bin sicher, gegen Geld werden sie jemanden finden, der das macht. Und die Fluggesellschaften werden, wenn sich die Geschichte rumspricht, künftig Papiere verlangen, die nachweisen, dass es sich um einen Blindenhund handelt.

Abnormally accessible

Am Freitag waren wir im Soho Theatre bei den Abnormally Funny People. Das Soho Theatre hatte mich im Vorfeld schon mit ihren Informationen zur Barrierefreiheit beeindruckt. So kann man zum Beispiel Karten per SMS bestellen, was nicht nur für gehörlose Theaterbesucher ziemlich praktisch ist.

Als wir ankamen, war der Saal noch nicht geöffnet und wir warteten vor der Tür. Der Produzent kam zu Artur (er hatte seinen Blindenstock gesehen) und fragte ihn, ob er schon mal reinkommen wolle, dann könnten sich die Comedians vorstellen und beschreiben, wie sie aussehen. Das fand ich schon sehr nett und aufmerksam. Wir gingen also gemeinsam rein und jeder stellte sich vor und beschrieb sich. Dann kam ein Beauftragter für Barrierefreiheit zu uns und fragte Artur, ob er einen MP3-Player haben möchte, auf dem beschrieben ist was gerade passiert. Er könne von Sketch zu Sketch vorspulen.

Ich fand das richtig klasse, dachte mir aber „Okay, das ist ein Kabarett von behinderten Comedians, ist klar, dass die auf Barrierefreiheit achten“. Wir wurden dann aber eines besseren belehrt. Am Ende kam die Frau zu uns, die die Audiodiskription produziert hatte, und fragte, ob alles okay gewesen sei. War es natürlich. Und dann sagte sie uns, dass jedes Stück, das im Soho Theatre aufgeführt wird, mindestens einmal mit Gebärdensprachdolmetscher und mit Audiodiskription aufgeführt wird. Im großen Saal mache man die Beschreibung live über eine Kopfhöreranlage, im kleinen Saal ginge das aber nicht und so teste man gerade die MP3-Player.

Die Aufführung war übrigens spitzenmäßig. Ich liebe britische Comedy, aber das war einfach großartig. Einer der Comedians war Paul Betney, den man unter anderem in dieser Werbekampagne sehen kann:

Mehr Videos mit Abnormally Funny Comedians gibt es hier.

Die Paralympics sind out

Der Leichtathlet Oscar Pistorius erhält keine Starterlaubnis für die Olympischen Spiele in Peking. Pistorius ist unterschenkelamputiert und wollte bei den regulären Olympischen Spielen starten, nicht bei den Paralympics. Die Sporthochschule in Köln hat festgestellt, dass er durch die Prothese Vorteile gegenüber den anderen Sportlern hätte.

Wenn ich von etwas überhaupt keine Ahnung habe, dann ist es vom Laufen. Ich kann nicht beurteilen, ob das schlüssig ist, was die Sporthochschule da behauptet. Dass das Gutachten aber aus einem Land kommt, in dem sich behinderte Sportler einklagen müssen, wenn sie zum Sportstudium an einer normalen Hochschule zugelassen werden wollen, lässt mich ein wenig zweifeln. Aber nun gut…

Offensichtlich haben einige behinderte Menschen keine Lust mehr auf die Paralympics. Ich kann das gut verstehen. Ich habe als Jugendliche Leistungsschwimmen gemacht und habe irgendwann damit aufgehört, weil das der einzige Lebensbereich war, bei dem ich nur mit behinderten Leuten zu tun hatte. Und ich kam mir isoliert vor. Ich hatte mehrheitlich nicht behinderte Freunde und wollte lieber mit denen ins Kino oder Schwimmen gehen als meine Bahnen mit Menschen zu ziehen, mit denen ich nichts gemein hatte außer eine Behinderung.

Es gibt im Behindertensport so genannte Schadensklassen (ja, was ein Wort!). Also wenn jemand blind ist, startet er in einer anderen Klasse als jemand, dem beide Beine fehlen. Das führte dazu, dass ich teilweise in meiner Klasse ganz alleine angetreten bin. Ich hatte eine nicht so gut besetzte Klasse, ich war weiblich und sehr jung. Da blieben nicht viele Konkurrenten.

Irgendwann bin ich bei einem Wettkampf gestartet, in dem es keine Klassen gab und keine zehn Sieger. Man hatte sich ein Bonus- und Malussystem ausgedacht. Es gab nur einen Sieger und seitdem frage ich mich, warum man bei den Wettkämpfen nicht grundsätzlich so ein System einführt. Das geht vielleicht nicht immer, aber bei vielen Sportarten. Schwimmen ist da so ein Beispiel und wahrscheinlich auch Laufen. Und wenn das nicht geht, könnte man die Paralympics und die Olympischen Spiele dennoch zusammen legen und die Wettkämpfe abwechselnd abhalten. Mal startet eine Gruppe behinderter Sportler, mal eine Gruppe nicht behinderter Sportler. Die Spiele zeitlich zu trennen, macht für mich keinen Sinn und ist nichts anderes als Ausgrenzung.

Dann wäre auch das Problem mit den leeren Rängen und des schlechten Sponsorings ein wenig kleiner. Ich finde die Paralympics haben sich überholt. Sonderveranstaltungen für behinderte Menschen sind sowas von out. Und wenn der Behindertensport attraktiver werden will, müssen sie diese Klassen abschaffen. Da blickt doch der Zuschauer gar nicht mehr durch, wenn es x Sieger gibt.

Ich kann Oscar Pistorius verstehen, dass er bei den Olympischen Spielen starten will. Und er hat sicherlich nicht nur finanzielle Gründe.

Auch blinde Menschen dürfen Lehrer werden – selbst in Bayern

Weil sie das Kultusministerium in Bayern nicht zum Referendariat zugelassen hat, musste eine blinde Frau, die Lehrerin werden möchte, gegen das Land Bayern klagen. Das Ganze spielte sich nicht etwa kurz nach dem Krieg ab, sondern ist eine nagelneue Gerichtsentscheidung.

Sie hat den Gerichtsprozess gewonnen und muss so schnell wie möglich ein Referendariat zugelassen werden. Die Richter sahen durch das Verhalten des Landes ihr Grundrecht auf freie Berufswahl beeinträchtigt. Ihr Anwalt sagte, seit 1973 habe es einen derartigen Rechtsstreit nicht mehr gegeben. In Deutschland gebe es mindestens 20 bis 30 blinde Lehrer an Regelschulen.

Blinde willkommen, Rollstuhlfahrer müssen draußen bleiben

Ich habe noch nie verstanden, warum das gerade einmal 10 Jahre alte Cinemaxx am Bahnhof Dammtor in Hamburg nicht komplett barrierefrei ist. Ich verstehe auch nicht, warum einige Behindertenverbände in Deutschland so wenig auf Barrierefreiheit achten, wenn es gerade nicht um ihr eigenes Klientel geht. Deshalb verstehe ich auch nicht, warum mein Partner, der blind ist, vom Blinden- und Sehbehindertenverein in Hamburg eine Einladung ins Cinemaxx bekommt, um Harry Potter mit Audiodeskription (Bildbeschreibung für blinde Zuschauer) zu sehen (Anmerkungung zur Klarstellung: Der BSVH ist nicht der Veranstalter, sondern hat nur die Mail verschickt – siehe Kommentare). Ich könnte ihn nicht begleiten, denn die Vorführung findet in einem nicht barrierefreien Kinosaal statt, wie man der Ankündigung ebenfalls entnehmen kann („nicht für Rollis geeignet“).

Wie kann man eigentlich so ignorant sein? Es gibt auch blinde und sehbehinderte Menschen, die zusätzlich eine Gehbehinderung haben oder im Rollstuhl sitzen. Ich erwarte von jedem Veranstalter, dass er auf Barrierefreiheit achtet – bei Veranstaltungen, die sich an behinderte Menschen richten, sowieso. Wie muss man eigentlich ticken, wenn man eine Veranstaltung nur für blinde Menschen macht und Menschen mit anderen Behinderungen ausschließt?

Kein Alien mehr

Ich gehe fast jeden Mittag in einem Café auf dem BBC-Gelände Mittagessen. Das Café ist im Erdgeschoss des Television Centre und nur Mitarbeiter (und wenige Gäste) haben Zugang. Also nicht die Besuchergruppen normalerweise. Und dennoch bin ich sehr selten der einzige Gast mit einer sichtbaren Behinderung. Es ist immer mindestens noch ein anderer Rollstuhlfahrer da oder Kollegen, die zwar laufen, aber stark gehbehindert sind. Auch auf den Fluren begegne ich anderen Leuten im Rollstuhl. Auch blinde und gehörlose Kollegen habe ich schon getroffen. Und das sind keineswegs immer nur die gleichen Leute. Ich habe in dem Café bislang nur wenige behinderte Kollegen zwei Mal getroffen. Es waren immer andere. Die meisten von ihnen tragen einen Presseausweis, das heißt sie arbeiten im redaktionellen Bereich und nicht in der Poststelle oder an der Pforte. Ich schreibe das, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass in vielen deutschsprachigen Medienunternehmen behinderte Mitarbeiter – wenn überhaupt – da anzutreffen sind.

Für mich ist das eine völlig neue Erfahrung. Ich bin nicht mehr der Alien. Nicht mehr die einzige Rollstuhlfahrerin und niemand zweifelt an, dass ich meinen Job genauso gut mache wie alle anderen auch. Und ich merke immer noch, was Sozialisierung ausmacht, auch bei mir selbst: Ich habe vor kurzem einen blinden Kollegen kennengelernt, der mir erzählte, dass er Parlamentskorrespondent in Millbank ist. Ich bin selbstverständlich davon ausgegangen, dass er fürs Radio arbeitet und habe gar nicht mehr nachgefragt. Als ich beim Mittagessen saß und News24 schaute, sah ich den Kollegen, der aus dem Parlament berichtete. Und natürlich hatte das Thema nichts mit Behinderung zu tun. Es ging um innenpolitische Themen wie die Sicherheitslücken bei der Onlineregistrierung von jungen Ärzten. Es war offensichtlich, auch für Zuschauer die ihn nicht kennen, dass er blind ist. Aber bei einer Schalte kommt es ja nicht darauf an, ob der Korrespondent die Kamera sieht, sondern ob die Zuschauer ihn sehen können, was definitiv der Fall war. :-)

Defekte Kegel melden

Seit ich weiß, dass die Londoner Ampeln alle Kegel haben, die sich drehen, wenn es grün ist, um blinden Menschen einen Hinweis zu geben, wann es grün ist, checke ich jetzt immer, ob die Dinger auch funktionieren oder überhaupt noch da sind. Gerade in Touristenecken sind sie oft abgerissen. Das Schöne ist, dass man in London solche Defekte online melden kann, eine Nummer bekommt und checken kann, ob die Ampel bereits repariert ist. Ich werde berichten, ob das in der Praxis auch so gut funktioniert wie es im Internet aussieht. Als erstes habe ich mal die Ampel vor meiner Haustür gemeldet. Da dreht sich der Kegel nicht mehr.

Kampf ums Augenlicht

Ich habe gerade ARD Exclusiv „Kampf ums Augenlicht“ gesehen. Die Reportage zeigt wie Leuten mit Retinitis Pigmentosa erstmalig Chips ins Auge eingesetzt werden, in der Hoffnung, sie wieder sehend zu machen. Surprise, surprise, am Ende des Filmes sieht natürlich keiner der Probanden. Nur einer kann eine Lichtquelle orten. Das ist aber etwas, was viele Leute mit RP noch können: Hell und dunkel von einander unterscheiden und Lichtquellen finden. Eine Information, die in dem Film schlicht und einfach fehlt. War das nun also der Chip oder konnte das der Proband sowieso?

Der Film ist nichts für schwache Nerven. Da wird genau gezeigt, wie ein Kabel zwischen Ohr und Auge verlegt wird und wie das Auge aufgeschnitten wird, um den Chip einzusetzen. Auch dass es den Probanden nach der OP nicht so besonders geht, wird gezeigt. Einer hat ein riesiges blutunterlaufenes Auge wie nach einem Boxkampf. Während des Filmes verlässt einen dann auch noch die Freundin. Überhaupt sind das ziemliche Strapazen, die die Leute da auf sich nehmen. Das Prozedere dauert Wochen und ich frage mich, ob die denn psychologisch betreut wurden während des ganzen Theaters. Auch die Familien? Ich glaube, sogar der Autor des Films hat am Anfang geglaubt, von einer Heilung berichten zu können. Im Film kippt das dann aber. Die Ärzte haben den Leuten Hoffnungen gemacht, die sie nicht erfüllen können – und wenn ich mal eine Prognose abgeben darf, auch nicht werden. Alle zwei Jahre, wenn die Fördergelder wieder auslaufen, wird das Thema Retina Implant in den Medien gehypt. Die EU hat bereits 10 Millionen Euro in das Projekt gesteckt. Davon hätte man ganz Deutschland mit Blindenampeln ausstatten können, an besseren Orientierungssystemen arbeiten können oder was auch immer. Ich bin wirklich nicht technologiefeindlich, aber ich glaube die sind einfach auf dem Holzweg.

Die Sendung wird am Montag um 18 Uhr auf 3sat wiederholt.