Tag Archiv für Arbeit

Learning by doing

Nachdem die erste Ausgabe meiner Zeitung verteilt ist, habe ich ein bisschen Zeit, Resumee zu ziehen. Ich habe noch nie zuvor in meinem Leben so viel gelernt wie in den letzten Monaten. Über Geschäfte machen, England, Deutschland und über mich selbst. Ich bin im Frühjahr letzten Jahres auf die Idee gekommen, diese Zeitung zu gründen. Damals war ich noch bei BBC. Es gibt in London für jede Community eine Zeitung, nur die Deutschen, Österreicher und Schweizer haben keine, dabei ist die Gruppe relativ groß (ca. 200 000 im ganzen Land) und es gibt diverse Geschäfte, die sich nicht zuletzt an deutschsprachige Kunden richten.

Wenn man im Jahr 2008 eine Zeitung gründet, ist die Anzahl der Menschen, die einen nicht für verrückt halten, relativ überschaubar. Umso wichtiger war es, selbst an das Projekt zu glauben und sich sehr darauf zu besinnen, was man wirklich will. Ich habe mir mal eine Liste mit Dingen zusammen geschrieben, die ich jedem raten würde, der sich selbstständig machen will und die mir sehr geholfen haben.

  • Glaub an Dich selbst und an Dein Produkt. Es gibt keinen wichtigeren Ratschlag.
  • Sei realistisch. Klein anfangen ist oftmals das Beste.
  • Gib alles ab, was andere besser können als Du, aber behalte die Kontrolle.
  • Man muss nicht alles können, aber man kann vieles lernen.
  • Sammele Leute um Dich herum, die Dich unterstützen. Leute, die Dir alles madig machen, helfen Dir nicht.
  • Vermeide Zeitdiebe. Man trifft sie überall, sie machen sich wichtig und am Ende kommt nichts dabei raus.
  • Man kann nicht jeden glücklich machen, auch nicht alle Kunden.
  • Hör auf Dein Bauchgefühl, inbesondere wenn Du Leute einstellst oder Verträge schließt.
  • Rede mit Deiner Zielgruppe. Früh, immer und kontinuierlich.
  • Lass Dir Ratschläge geben, aber entscheide selbst.
  • Jeder Mensch macht Fehler. Am Ende ist alles gar nicht so schlimm.
  • Hab Spaß daran, was Du tust.

Streik

Nun wollen die deutschen Lokführer diese Woche also streiken. Damit haben sie mir prompt die Entscheidung abgenommen, ob ich zur Rehacare nach Düsseldorf fahre oder nicht. Mit dem Eurostar liegt das Rheinland von London aus ja fast um die Ecke, allerdings nur, wenn keiner streikt. Also bleibe ich hier und habe auch gleich eine Verabredung zum Abendessen angenommen.

Die Briten würden sich wahrscheinlich freuen, wenn nur ab und an mal ihre Lokführer streiken würden. Hier streikt ja ständig irgendwer. Ich wage zu behaupten, dass ich in Deutschland in den vergangenen 10 Jahren weniger Streiks erlebt habe als in England in den vergangenen 10 Monaten. Diese und nächste Woche streikt mal wieder die Post – vier Tage lang. Dann haben vor kurzem die U-Bahntechniker gestreikt. Da ging tagelang nichts mehr. Die U-Bahn nicht wegen des Streiks und Auto fahren auch nicht, weil alle auf das Auto umstiegen. Vergangene Woche haben die U-Bahnfahrer einiger Linien gestreikt, weil irgendwas mit den Sicherheitssystem der alten Züge nicht in Ordnung sein soll und das von den Verantwortlichen ignoriert wurde. Und es gibt wahrscheinlich noch viel mehr Streiks, die ich gar nicht mitbekommen habe.

Da weiß man es zu schätzen, wenn alle U-Bahnlinien benutzbar sind und jeden Tag ein Brief im Briefkasten liegt. Und zur Rehacare fahre ich dann vielleicht nächstes Jahr wieder.

Großbritannien schließt Behindertenwerkstätten

An Nachrichten wie dieser kann man sehr schön sehen, dass Großbritannien im Bezug auf behinderte Menschen anders tickt als Deutschland: Remploy, der Betreiber von 83 Behindertenwerkstätten im Land, schließt mehr als die Hälfte seiner Werkstätten. Mehr als 2270 behinderte Menschen und 280 nicht behinderte Menschen sollen künftig auf dem ersten Arbeitsmarkt statt in einer Werkstatt arbeiten. Dafür hat Remploy ein Mamutprogramm aufgelegt. Während sechs große Behindertenverbände die Entscheidung begrüßen, protestiert die Gewerkschaft.

In Deutschland hingegen werden Werkstätten eröffnet statt geschlossen. Es gibt kaum erfolgreiche Programme zur Integration behinderter Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt. Ich bin gespannt, ob die Integration in Großbritannien dann so klappt, wie das jetzt angedacht und versprochen ist. Aber die Grundrichtung gefällt mir schon mal ziemlich gut.

Gesunde Mitarbeiter – gesunde Unternehmen

Das Programm „Job ohne Barrieren“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ist mir seit seiner Geburt suspekt. Da werden viele Laberveranstaltungen gemacht, aber ich ich würde gerne mal wissen, wie viele behinderte Menschen der dank „Job ohne Barrieren“ einen Arbeitsplatz gefunden haben. Es scheint mir als sei das eher ein Projekt, um die üblichen Verdächtigen zu finanzieren. Das BMAS hat jetzt eine Liste mit abgeschlossenen Projekten veröffentlicht. Da heißt doch tatsächlich das erste Projekt „Gesunde Mitarbeiter – gesunde Unternehmen“. Es dabei um das Eingliederungsmanagement kleiner und mittelständischer Unternehmen. Eine tolle Einstellung wird da den Unternehmen vermittelt. Nur ein gesunder Mitarbeiter ist ein guter Mitarbeiter. Und das mit meinen Steuergeldern…

Schnee in London

Verschneite Landschaft

Es ist schon faszinierend: Wenn es ist London schneit, bricht hier das absolute Chaos aus. Dabei sprechen wir nicht von meterhohen Schneedecken, sondern von ein paar Zentimetern. Aber ich beginne langsam, mich auf mich auf diese Schneegepflogenheiten einzustellen. So habe ich mir heute morgen ganz früh den Wecker gestellt, um zu sehen, ob wirklich Schnee liegt. Es lag Schnee und ich habe mir den Weg nach Willesden Junction gespart. Ich kenne meine Schergen von Silverlink ja langsam. Die habe schon bei Sonnenschein Probleme, den Laden am Laufen zu halten. Also habe ich umgehend das Taxiunternehmen angerufen und für 7 Uhr (!) ein Taxi bestellt. Es kam dann um 8.45 Uhr (!) und das war genauso geplant. Ich war pünktlich um 9.15 Uhr bei meinem Seminar. Man muss einfach für alles mehr Zeit einplanen und darf sich auf nichts verlassen.

Ich habe heute auch gleich die nächste Herausforderung angenommen und habe bei dem Seminar für meine Gruppe unser Projekt präsentiert, was von einer Jury beurteilt wurde. Ich musste eine Webseite präsentieren. Jeder musste mit einem Medium arbeiten, dass er sonst bei BBC nicht produziert. Da ich ja unter „Radio“ laufe, hat man mich in „Online“ gesteckt. Wer mich kennt weiß, dass mir das nicht unrecht war. Hat super Spaß gemacht. Überhaupt war der ganze Kurs richtig klasse und ich habe ganz nette Leute kennengelernt – vom Buchhalter bis zum Studiomanager. Amazing!

Wirklich willkommen

Ich bin für zwei Tage nicht in der Redaktion, weil ich an einem Willkommensseminar für neue BBC-Mitarbeiter teilnehme. BBC Upfront heißt das und ich muss sagen, ich bin schwer beeindruckt. Ich sitze mit 50 anderen neuen Mitarbeitern im Schulungszentrum und staune und freue mich, dass ich das erleben kann. Das Programm ist richtig gut und wir schauen viele Filme über die BBC – Geschichte, Porträts über Mitarbeiter, Ethik etc. Zwischendurch diskutieren wir viel und hören Vorträge von unterschiedlichen Leuten. Bei den Filmen war ich zwischendurch sprachlos. Der erste Film startete mit einer Sequenz, bei der Rollstuhlfahrer zu sehen waren. Im Interview waren dann verschiedene Mitarbeiter zu sehen, die erzählen, was ihnen an BBC gefällt. Darunter ein blinder Producer und ein gehörloser Mitarbeiter. Und das in einem Imagefilm, den jeder neue Mitarbeiter sieht! Ich habe mich sehr gefreut darüber. Die Filme sind zudem untertitelt und haben teilweise Gebärdenspracheinblendungen. Überhaupt ist der Kurs super barrierefrei.

Die Schulung findet in einem BBC-Gebäude in der Innenstadt statt – uralt, aber total barrierefrei. Von Türöffnern bis zu Schildern in Braille ist alles da. Bei allen Anmeldeformularen wird man gefragt, ob man besondere Anforderungen an die Barrierefreiheit hat. Ich gebe immer an, dass ich Rollstuhlfahrerin bin. Als ich heute ankam, sass meine Gruppe, der ich zugeteilt war, direkt am Eingang. Ein Stuhl war schon entfernt. Das fand ich fast so beeindruckend wie die Filme. Da gibt es keine Diskussion, ob das wirklich sein muss. Es wird einfach gemacht. Und das ist nicht das erste Mal, dass mir das auffällt. Ich muss nicht rumdiskutieren und nicht einmal wirklich etwas organisieren. In Deutschland diskutiert und rechtfertigt man ständig, wenn es um Barrierefreiheit geht und die Organisation kann man ganz oft auch noch übernehmen. Hier wird das von anderen Mitarbeitern erledigt, die das als Teil ihrer Aufgabe ansehen. Man nennt seine Anforderungen und jemand anderes kümmert sich darum, das umzusetzen. Was für eine Entlastung und man fühlt sich wirklich willkommen.

Kulturpflege und Alltag

Ich hätte ja nie gedacht, dass man die deutsche Kultur schon ein wenig vermisst, wenn man länger im Ausland ist. Heute habe ich die Karten für mein erstes Konzert in London bestellt: Es ist das Konzert der Wise Guys in der deutschen Schule. Ich höre die Wise Guys sowieso schon jeden Morgen auf meinem iPod auf dem Weg zur Arbeit.

Heute abend war ich auf dem Stammtisch der Deutschen in London. War sehr nett und ich kann jetzt wirklich nachvollziehen, wieso bei uns jede Ausländergruppe ihr eigenes Kulturzentrum hat. Wenn man die ganze Woche Englisch spricht und sich den britischen Gepflogenheiten anpasst, dann tut es auch mal wieder gut, Deutsch zu sprechen und sich mit Leuten auszutauschen, die ähnlich sozialisiert sind wie ich und hier mit dem gleichen Dingen zu kämpfen haben. Es war jedenfalls sehr nett.

Meine Arbeit macht mir übrigens sehr viel Spaß. Ich recherchiere viele politische Themen, aber auch mit der Sendung Big Brother habe ich mich in den letzten Wochen schon befasst. Da wir viele Hörer in Afrika haben, spielt der Kontinent eine ziemlich wichtige Rolle in unserem Programm und es ist etwas ganz anderes als die Themen, mit denen ich in Deutschland zu tun hatte. Trotzdem überlege ich mir immer, wen man aus Deutschland zu bestimmten Themen befragen könnte. Das ist irgendwie so drin und auch ganz nützlich. Ich finde es jedenfalls großartig, jeden Tag mit Leuten auf der ganzen Welt zu sprechen und zum Beispiel die Meinung zum Irakkrieg von jemandem aus Südafrika zu bekommen. Und andererseits einen Amerikaner zu einem EU-Thema zu finden. Oder jemandem aus Bahrain zu Rassismus zu befragen. Das ist wirklich eine einmalige Erfahrung, die ich gerade mache. Und ich weiß auch morgen noch, mit wem ich heute gesprochen habe. Es ist ein weniger schnellebiges Arbeiten als bei einer Nachrichtenagentur und am Ende steht auch noch ein Ergebnis: Die Sendung samt Feedback der Hörer.

Erstaunliche Stellenanzeige

Als ich vorhin auf den Bus wartete, habe ich mir die Stellenanzeigen einer privaten Jobagentur im Schaufenster durchgelesen. Da wurde ein Sicherheitsmensch für ein Hotel gesucht. Bedingung: Britische Staatsangehörigkeit. Ich musste das zwei Mal lesen, um zu glauben, was da stand. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Stellenanzeigen dieser Art nicht nur in Deutschland unterdessen untersagt sind, sondern hier ebenfalls.

Es gibt kein Formular, das ich bislang in England ausgefüllt habe, wo nicht mindestens die ethnische Herkunft und die Hautfarbe abgefragt wurde. Damit will man Diskriminierungen vorbeugen, indem Statistiken über den Erfolg von Bewerbern, Anträgen etc. geführt werden. Ich kreuze immer „White other“ an.

Ich bin schon sehr überrascht, so eine Stellenanzeige hier zu lesen, wo ich eigentlich wirklich den Eindruck habe, die Briten gehen gelassen mit den vielen Menschen aus aller Welt um, die hier leben. Davor habe ich großen Respekt. Wenn ich etwas nicht verstehe, wiederholen die Leute es ohne Murren und in vielen Lebensbereichen treffe ich auf Menschen, die erheblich schlechter Englisch sprechen als ich. Auch das wird hingenommen und ich gewöhne mich auch daran. Mit Händen und Füßen geht es dann doch irgendwie. Es geht hier einfach etwas gelassener zu als in Deutschland und da passt so eine Stellenanzeige so gar nicht ins Bild.

Wohnungssuche erfolgreich

Es war ein denkbar ungünstiger Tag, um auf Wohnungssuche zu gehen: Es regnete in Strömen, die Busfahrer streikten und die U-Bahn fuhr wegen Signalfehlern nicht oder verspätet.

Abendzeitung Lite mit Schlagzeile zum Streik

Trotzdem haben wir es geschafft, heute drei Wohnungen anzusehen und – oh Wunder – alle drei Wohnungen kommen in Frage und sind weniger als 15 Minuten mit dem Bus von meinem neuen Arbeitsplatz entfernt. Alle Wohnungen sind für mich barrierefrei und zudem bezahlbar. I am really surprised! Das ging schneller als ich dachte. Wenn jetzt noch der Arbeitsvertrag kommt, kann ich eine der Wohnungen mieten. Dann schreibe ich auch, was ich in London mache…

Europäischer Protesttag

Heute ist der Europäische Protesttag für die Gleichstellung behinderter Menschen. Jedes Jahr am 5. Mai versuchen die Behindertenverbände das mediale Interesse auf ihre Forderungen zu lenken – meist mit mässigem Erfolg. Zudem erheben sich dann auch Politiker aus den hinteren Bänken, um wenigestens einmal im Jahr ihr behindertenpolitisches Engagement auf der To-Do-Liste abzuhaken.

Ich halte mich durchaus für behindertenpolitisch gut informiert, aber dass es einen „Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion für Menschen mit Behinderungen und Sozialhilfeempfänger“ (das ist der offizielle Titel!) gibt, war mir bislang neu. Schön auch, dass man Synergieeffekte nutzen möchte und Jörg Rohde – so heißt der Volksvertreter – behinderte Menschen und Sozialhilfeempfänger gleich gemeinsam betreut. Behinderte Menschen arbeiten ja eh nicht und kriegen Geld vom Staat – oder was soll dieser Titel aussagen?

Da passt es auch ganz gut, dass Herr Rohde zum 5. Mai fordert, den Kündigungsschutz für behinderte Arbeitnehmer abzuschaffen. Über den Kündigungsschutz kann man ja diskutieren. Aber vielleicht besser in einem anderen Rahmen? Und nicht, ohne sich vorher ausgiebig informiert zu haben. Darüber zum Beispiel, ob der Kündigungsschutz nicht doch wichtig ist, wenn Menschen erst im Laufe ihres Berufslebens behindert werden und jemand nach einer Krankheit oder einem Unfall weiter beschäftigt werden möchte. Nicht alle Arbeitgeber empfangen den ehemals nicht behinderten Arbeitnehmer wieder mit offenen Armen, wenn er plötzlich blind, gehörlos, chronisch krank oder im Rollstuhl sitzt. Und Herr Rohde sollte sich auch darüber informieren, dass der Kündigungsschutz in erster Linie besagt, dass behinderte Arbeitnehmer nicht ohne Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt werden dürfen. Das heißt aber im Umkehrschluß, behinderte Menschen dürfen sehr wohl gekündigt werden. Das Integrationsamt stimmt in der großen Mehrheit der Fälle der Kündigung sogar zu – und zwar laut Gesetz innerhalb eines Monats. Wenn man sich überlegt, dass diese Kündigungsregelung vielleicht dazu führt, dass ein Dachdecker, der vom Dach fällt und anschließend querschnittgelähmt ist nach Rücksprache mit dem Integrationsamt weiter im Büro der Firma arbeiten kann, regt mich die Regelung nicht wirklich auf.

Ich hätte mir von der FDP gewünscht, dass sie mal die wirklichen Einstellungsbarrieren behinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt diskutiert: Bauliche Barrieren und Barrieren in den Köpfen potenzieller Arbeitgeber. Der Kündigungsschutz wird häufig vorgeschoben, wenn man nicht zugeben will, dass man Berührungsängste oder Vorurteile hat und sich deshalb gegen den behinderten Bewerber entscheidet. Schafft man den Kündigungsschutz ab, erreicht man vielleicht, dass die Ausreden blöder werden. Nur damit ist ja niemandem gedient.