Diskussion, Upgrade, investigative Recherche

Alles begann mit einem wortgewaltigen und gestenreichen Ausbruchs eines Flughafenangestellten, der für die Assistenz behinderter Passagiere am Flughafen Barcelona zuständig ist. Ich kann kein Spanisch, aber ein wenig Portugiesisch – dank meines angetrauten angelachten portugiesischen Familienclans. Ausbrüche dieser Art sind mir jedenfalls nicht fremd. Was wir in Deutschland als aufbrausend oder gar tiefen Streit empfinden würden, gilt auf der iberischen Halbinsel als bestimmt vorgetragene Meinungsäußerung.

Soweit es mein Kombinationsgeschick zuließ, verstand ich, dass der Assistenzmensch mit der Lufthansa eine Grundsatzdiskussion darüber eröffnete, warum behinderte Passagiere denn in Reihe 6 sitzen müssen, wenn es noch zwei weitere Eco-Reihen weiter vorne gibt und noch 3 Business-Reihen, die leer sind. Es war ein großartiges Schauspiel, denn eine für mich nachvollziehbare Begründung (zumindest was die Eco-Sitze angeht) dafür habe ich bislang noch nicht gehört und die Mitarbeiter hatten auch keine parat.

Das Problem ist, dass die Gänge bekanntlich sehr schmal sind (mit der neuen Bestuhlung noch einmal schmaler) und der Bordrollstuhl gerade so durchpasst, was sowohl für die Assistenzleute als auch für den Passagier mehr als anstrengend ist und blaue Flecken verursacht. Bei dieser Prozedur zählt jede Reihe.

Die Frau am Gate wollte nicht entscheiden, mich umzusetzen, und rief ihre Supervisorin. Die war Deutsche und kam mit dem emotionalen Ausbruch des Spaniers weit weniger klar als ihre spanische Kollegin, die ihn abwimmelte. Ich fragte immer zu „What’s the problem?“. Keiner reagierte. Die Supervisorin wollte auch keine Grundsatzdiskussion führen und gab das Problem an den Kapitän weiter. Es war ein großartiges Schauspiel und ein Lehrstück interkultureller Kommunikation. Der Kapitän beendete diesem Theater ein Ende und sagte: „Setzen Sie die Passagierin auf 1A.“ Ende der Ansage. Ich empfand das als durchaus weise Entscheidung und freute mich über das Upgrade in die Businessclass. Zudem passt im Airbus 321 mein Rollstuhl bis vor die erste Reihe. Ich brauchte also keinen Bordrollstuhl mehr, um ins Flugzeug zu gelangen. Der streikende Flughafenangestellte hatte sein Ziel erreicht und ich war völlig selbstständig, um nicht zu sagen barrierefrei, ins Flugzeug gekommen.

Kurz vor der Landung, sagte der Flugbegleiter das Umsteigegate nach Hamburg an. Es war genau das gleiche Gate, an dem wir ankommen sollten und ich kombinierte, dass diese Maschine weiter nach Hamburg flog. Ich wagte zu fragen, ob ich wirklich aus der Maschine müsse und auch diesmal reagierte der Kapitän sehr pragmatisch und ließ mich sitzen. Als die Putzkollone kam, musste ich die Füße heben, ich bekam das Briefing der Crew mit. Ich bedankte mich tausend Mal für diese fürstliche Behandlung und wünschte mir, dass es noch mehr so pragmatisch denkende Menschen überall geben würde. Es würde mir im Leben einiges erleichtern.

Die Passagiere nach Hamburg stiegen ein. Neben mich setzte sich ein Herr, der, wie sich später herausstellte, bei einem großen Internetprovider arbeitete. Woher ich das weiß? Er hat es mir nicht erzählt, aber er studierte die Strategie des Unternehmens während des Fluges auf gut lesbaren (ich bin stark kurzsichtig!) Unterlagen, an denen man als Sitznachbarin und Journalistin nicht vorbei schauen konnte. Irgendwie meinen manche, sie sitzen alleine im Flugzeug. So manche Meldungen mit Quelle „gut unterrichte Kreise“ oder “ uns vorliegenden Informationen“ könnten im Flugzeug neben oder hinter einem arbeitswütigen Manager recherchiert worden sein. So spannend wars dann aber doch nicht, was ich dort lesen konnte. Aber unterhaltsam.

Disclaimer: Ich habe einen Trainervertrag mit Lufthansa Flight Training, bin aber bei Lufthansa auch nur ganz normale Kundin.

6 Kommentare

  1. Alexander sagt:

    Allerdings lautet die korrekte Nebelkerze dann „wie aus den Reihen des Managements zu erfahren war“.

  2. Christiane sagt:

    @Alexander
    Stimmt. Wobei mit „Reihen“ die Reihen im Flugzeug gemeint sind…

  3. bp sagt:

    Die nachvollziehbare Begründung für Sitz 6F bei allen (?) Lufthansa A319/A320/A321 und B737 ist einfach: Dort hat Lufthansa die Rollstuhlsymbole an der Bordwand angebracht. Vielleicht mag es auch damit zusammen hängen, daß sich in Reihe 6 (DEF) die Armlehne zum Gang hoch klappen lässt. Obwohl: Es sind mir immer wieder Personen (Flugbegleiter, Betreungsdienste der Flughäfen, Piloten, …) begegnet, die fest vom Gegenteil überzeugt waren.

    Mir fällt noch auf, daß in vielen dieser Maschinen der Weg von Sitz 6F zum nächsten (Not-)Ausgang eher weit ist. Ich weiß nicht, ob das die Motivation für die Wahl von 6F war. Ist mir auch egal, da ich nicht glaube zu überleben wenn etwas halbwegs ernsthaftes mit dem Flugzeug passiert, unabhängig davon ob ich auf 6F oder z.B. 1C sitze oder mit welcher Fluggesellschaft ich fliege.

  4. Mit der hochklappbaren Armlehne hat bp recht.
    Der Weg zum Notausgang in Reihe 10 (9 oder 11, je nach Flugzeugtyp) ist nicht weiter als zu den anderen Ausgängen. Warum der Fensterplatz? Ganz einfach, damit andere Passagiere an einer Flucht im Notfall nicht gehindert werden.
    Im Falle des Falles wird das Flugzeug nach Passagieren abgesucht, die durch Verletzungen oder aus anderen Gründen nicht in der Lage sind, dieses zu verlassen. Sollte der Unfall sehr heftig sein, ist auch nicht gesagt, dass das Personal die Maschine zu verlassen im Stande ist.

    Besser ist natürlich, wenn unbürokratisch gehandelt werden kann. Allerdings ist auch Personal an gewisse Vorschriften gebunden, deren Hintergrund versicherungstechnischer Natur ist.

  5. Christiane sagt:

    Das Armlehnen-Problem hat sich mit der neuen Bestuhlung bei Lufthansa Gott sei Dank erledigt. In jeder Reihe gehen die Armlehnen hoch (außer in Reihe 1, glaube ich). Der Hebel zum Klappen der Armlehne ist erreichbar, wenn man die Rückenbespannung des Sitzes etwas entfernt.

    Ich habe folgende Theorie zu 6F und den anderen so genannten H-Plätzen gehört: Wenn etwas passiert sind statistisch nicht alle Ausgänge erreichbar. Deshalb liegen die H-Plätze meist genau zwischen zwei Notausgängen, damit statistisch gesehen der Weg dann dennoch kürzer ist als wenn man am Notausgang A ist aber zu B muss, weil A versperrt ist.

    Mit der neuen EU-Richtlinie werden diese Bestimmungen aufgehoben. Die Fluggesellschaften müssen ab 2008 behinderten Fluggästen die gleiche Platzwahl geben wie nicht behinderten. Die Regelung, dass behinderte Fluggäste nicht am Notausgang sitzen dürfen, wird davon aber nicht berührt.

  6. Mela sagt:

    Für investigative Recherche eignen sich auch die Tischsitze bei der Bahn. (Alle anderen auch, aber dort ist die Wahrscheinlichkeit am Höchsten)

    Schon merkwürdig das manche den öffentlichen Raum selbst bei internen Papieren denken sie befänden sich in einem Büro…