Es macht richtig Spaß zwischen Deutschland und England hin- und herzupendeln. Man entdeckt da Dinge, die in einem der Länder normal sind und im anderen nicht einmal angedacht sind – klimatisierte Busse zum Beispiel sind in London Mangelware, in Deutschland zumindest in den Städten, in denen ich in den letzten Monaten war, üblich. Hier fangen sie gerade erst an, sich über heiße Busse aufzuregen und zu überlegen, was man den tun könne und wie man sicherstellen kann, dass die Fahrer nicht aus Versehen auch noch die Heizung anmachen. Heute nachmittag lief dazu eine Talksendung im Radio. Nunja….
Dann wiederum gibt es hier Kampagnen, da denke ich, das wird es in Deutschland in 20 Jahren noch nicht geben. „Changing Places“ ist so ein Beispiel. „Changing Places“ setzt sich dafür ein, dass barrierefreie Toiletten auch für Menschen mit Mehrfachbehinderungen und anderen Bedürfnissen zugänglich sind. Das heißt, dass es einen Lifter gibt, Wickelmöglichkeiten, mehr Platz etc. In Deutschland wird immer noch darüber diskutiert, ob man hier und dort überhaupt eine Behindertentoilette braucht.
Die Kampagne macht darauf aufmerksam, dass Menschen mit Mehrfachbehinderungen derzeit teilweise auf dem Fußboden versorgt werden müssen, weil ansonsten kein Platz ist. Hier erzählen Leute von ihren Erfahrungen, wie sie mit der Situation umgehen und was es für sie bedeutet, wenn mehr Behindertentoiletten nicht nur auf den 08/15-Rollifahrer zugeschnitten wären. Es gibt auch eine Suchmöglichkeit nach Toiletten, die die Anforderungen bereits erfüllen.
Außerdem bin ich jedesmal begeistert, wie professionell solche Kampagnen hier durchgezogen werden. Hinter dieser steckt unter anderem die Organisation Mencap, die größte Organisation für Menschen mit Lernschwierigkeiten in Großbritannien.
Tag Archiv für Toiletten
Changing places
Satlav – per SMS zum nächsten Klo
City of Westminster, also die Innenstadtgemeinde von London, in der Big Ben und hunderte andere Sehenswürdigkeiten stehen, bietet seit kurzem einen Dienst an, mit dem man sich per SMS den Standort der nächstgelegenen Toilette zuschicken lassen kann. Satlav nennen die das. Man muss einfach eine SMS an 80097 mit dem Wort TOILET schicken und das System schickt dann eine Adresse mit Öffnungszeiten zurück.
Nun habe ich das gestern mal ausprobiert, das hat auch wunderbar geklappt, aber war für mich wertlos. Denn die Information, ob es sich um eine barrierefreie Toilette handelt und wenn nicht, wo die nächste barrierefreie Toilette ist, fehlt. Ich habe Westminster jetzt mal kontaktiert und um Erweiterung des Dienstes gebeten. Mal sehen, was sie antworten…
Schlüsselerlebnis
Update: Da über diesen Beitrag viele Anfragen dazu kommen: Den Schlüssel kann man auf meiner Seite London Barrierefrei bestellen.
Seit einigen Jahren gibt es in Europa eine sehr schlaue Einrichtung: Den so genannten Euroschlüssel. Mit diesem Schlüssel, den sich jeder behinderte Mensch, der auf Behindertentoiletten angewiesen ist, besorgen kann, lassen sich in vielen Ländern Europas Behindertentoiletten öffnen.
Euroschlüssel
Man hätte sich eigentlich denken können, dass bei dem Namen EUROschlüssel die Briten nicht mitmachen. Heute stand ich vor einer öffentlichen Behindertentoilette und kam nicht rein. Ein Schild informierte mich darüber, dass ich einen RADAR-Schlüssel brauche. Ich dachte erst, das Ding heißt hier RADAR bis ich merkte, dass mein Euroschlüssel nicht auf das RADAR-Schloß passt. Unverrichteter Dinge bin ich wieder abgezogen und konnte kaum glauben, dass die Briten nicht nur beim Euro, sondern auch beim Euroschlüssel ihr eigenes Süppchen kochen.
Doch tatsächlich, im Internet wurde ich fündig. Der RADAR-Schlüssel ist ein anderer Schlüssel als der unter anderem in Deutschland, Österreich, Frankreich, der Schweiz und Italien eingesetzte Euroschlüssel. Also habe ich mir jetzt den RADAR-Schlüssel bestellt.
RADAR-Schlüssel
Wer als Rollstuhlfahrer durch die Welt reist, wird über kurz oder lang mit einem dicken Schlüsselbund unterwegs sein. Ich rechne fest mit dem „Freedom-Key“ der Amerikaner, dem „Kangooro-Key“ der Australier, dem „IncredibleToilet-Key“ der Inder, dem „Carioca-Key“ der Brasilianer und dem „NiHao-Key“ der Chinesen.
Accessible UK
Die britische Regierung hat einen Dienst im Internet gestartet, der wohl weltweit einmalig ist: Touristen und Einheimische können sich online auf die Suche nach dem nächsten Behindertenparkplatz in 64 Städten des Königreichs begeben. Über die Postleitzahl oder den Orts- und Stadtteilnamen wird man fündig. Der Kartendienst zeigt zudem barrierefreie Tankstellen an (sogar, ob es dort eine barrierefreie Toilette gibt!), wie lange man auf dem welchem Behindertenparkplatz parken darf und wo sich die nächste öffentliche Toilette befindet. Deutschland, bitte nachmachen!
Politik und Alltag
Dass die Politik durchaus Einfluss auf den Alltag der Menschen haben kann, ist nicht neu. Die Grünen in Hamburg versuchen gerade mit einem Antrag in der Bürgerschaft meinen Alltag zu ändern. Und den von anderen rollstuhlfahrenden Hamburgern natürlich auch.
Mein Alltag besteht nämlich unter anderem darin, mir genau zu überlegen, wie ich meinen Tag um Toilettengänge herum strukturiere. Der Grund ist ganz einfach: Weil es in Hamburg (und anderswo) so wenig Behindertentoiletten gibt, muss ich mir gut überlegen, wann ich wie lange wohin gehe, damit ich in angemessenen Abständen ein Klo finde. Ich weiß, für die meisten Menschen, die sich zu Fuss fortbewegen, ist das undenkbar. Wer es mal ausprobieren will, kann sich ja mal einen Tag vornehmen, nur dann zur Toilette zu gehen, wenn eine Behindertentoilette in der Nähe ist.
Jedesmal, wenn ich aus den USA zurück komme und ein paar Wochen von dieser Planerei Urlaub hatte, weil es in den USA erheblich mehr Behindertentoiletten gibt als hier, merke ich, wie sehr mich das in Deutschland nervt und Plattenplatz meines Gehirns kostet.
Aber zurück zur Politik: Die GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Martina Gregersen hat jetzt einen Antrag in der Bürgerschaft gestellt, bei der Neuausschreibung der Stadtmöblierung (Haltestellen, Mülleimer etc.) doch bitte auch 40 Behindertentoiletten auszuschreiben. Dann wäre das so wie in Berlin: In vielen Gegenden gibt es dort vollautomatische öffentliche Toiletten, die auch noch barrierefrei sind und optisch ins Stadtbild passen. In Hamburg gibt es auch vollautomatische Toiletten (z.B. am Jungfernstieg und an den Landungsbrücken, aber die sind nicht barrierefrei angeschafft worden). Wenn schon die öffentlichen Gebäude nicht immer und Restaurants selten eine Behindertentoilette haben, wäre es hilfreich, wenigstens in der Nähe eine öffentliche Toilettenanlage benutzen zu können. Wenn ich das Konzept der Stadtmöblierer richtig verstehe, kostet die Städte das wenig bis nichts, weil sie mit Werbung auf den Anlagen Geld verdienen.
Wenn Hamburg 40 dieser Toiletten bekäme, würde sich mein Alltag teilweise ändern: Ich könnte länger als drei Stunden in einem Restaurant sitzen und müsste weit weniger planen. Mir fallen auf Anhieb diverse Standorte ein, wo diese Toiletten wirklich nützlich wären – nicht nur für Rollstuhlfahrer.
Aber die Politik entscheidet selten nach Kategorien wie „nützlich“ oder „nicht nützlich“. Insofern rechne ich nicht damit, dass sich mein Festplattenplatz im Kopf demnächst weniger belegt sein wird.
Via hh-heute