Nachtreten

Dieses Interview in der Netzeitung kann man wohl als „Nachtreten“ bezeichnen. Da legt jemand aus Krankheitsgründen sein Amt nieder und der Herr Politologe Diederich hat nix besseres zu tun als zu Protokoll zu geben:

„Platzeck war von Anfang an nicht der Richtige.“

Außerdem schreibt die Netzeitung: „Für Diederich ‚deutet die Krankheit darauf hin, dass Platzeck sich überfordert‘ hat.“ Achso, Politiker dürfen nie krank werden und wenn, sind sie natürlich überfordert und deshalb krank geworden.

Ich saß mal vor ein paar Jahren in einem Restaurant neben zwei Abgeordneten. Sie ignorierten uns und dachten wohl, wir wüssten nicht, wer sie sind. Die eine erzählte, sie habe Krebs, könne sich aber erst nach dem Wahlkampf operieren lassen – wegen Terminen und wenn das jemand merkt und so… Ihr Arzt würde ihr schon in den Ohren liegen, aber ihre Berater hätten davon abgeraten.

Es kann doch nicht sein, dass sich Krankheit und Politik nicht vereinbaren lassen. Ich kenne noch andere Fälle, die mit auftretender Krankheit nicht mehr angetreten oder in Pension gegangen sind. Alle mit der Ansage: „Das kann gegen mich verwendet werden.“ Klar, Fälle wie dieser in der Netzeitung zeugen nicht gerade von Mitmenschlichkeit. Aber ich habe doch noch so viel Vertrauen in die Gesellschaft, dass Angriffe unter der Gürtellinie nicht ohne Folgen bleiben – für den Angreifer. Für mich disqualifizieren sich solche Leute.

Ich habe aber Respekt davor, wenn jemand wie Platzeck aus gesundheitlichen Gründen zurück tritt. Es ist seine freie Entscheidung. Ich würde mir aber wünschen, wenn mal mehr darüber gesprochen würde, dass nicht alle Politiker quitschfidel und gesund sind und vielleicht dennoch einen guten Job machen. Dann machen sich so genannte Experten und Berater irgendwann lächerlich, wenn sie die Krankheit mit Qualität der Arbeit gleichsetzen.

3 Kommentare

  1. Mag sagt:

    Nun ja, Nachtreten ist wirklich nicht die feine Art…

  2. Angel sagt:

    Volle Zustimmung.
    Es scheint so zu sein, dass heutzutage jeder die Pflicht und Schuldigkeit hat, gesund zu sein. Alles andere wird als Schwäche oder gar ‚Drückebergerei‘ ausgelegt.
    Und das Schlimmste ist, dass man sich selber auch oft bei solchen Gedanken ertappt: ‚Weichei! Das bisschen Erkältung!‘ Oder so. Na, immerhin merke ich das noch.

  3. Claudia sagt:

    Wer krank ist, ist ein schwacher Mensch in unserer Gesellschaft. Ich dachte aber, dass sich die Einstellung dazu in den letzten Jahren bessert. Immerhin gibt es jetzt schon mal einen Fußballnationalspieler, der wegen Depressionen seine Auszeit für die Behandlung genommen hat.
    Dass die Politikerinnen und Politiker in dieser Frage nicht die Vorreiterrolle übernehmen ist ja wohl klar – und nachtreten gehört bei ihnen vielleicht als Reflex dazu?