Tag Archiv für Gesellschaft

Bald nur noch barrierefreie Wohnungen und Häuser?

In England sollen ab 2010 nur noch altersgerechte Häuser und Wohnungen gebaut werden. Das ist jedenfalls der Plan der Regierung. Neue Wohnungen und Häuser sollen 16 Punkte erfüllen, um sicherzustellen, dass die Menschen auch im Alter in ihren Wohnungen bleiben können. Dazu zählt, dass es im unteren Geschoss ein Bad geben sollte, in das ein Rollstuhl passt und die Treppe breit genug für einen Treppenlift ist.

Das ist doch mal ein weiser Plan. Es ist mir ein Rätsel, wie Deutschland in 20 Jahren damit umgehen will, dass so viele Leute im Alter nicht mehr in ihrer Wohnung bleiben können. Ich kann auch Leute nicht verstehen, die sich in ihrer zweiten Lebenshälfte Wohneigentum anschaffen, das nur über Stufen zu erreichen ist und definitiv im Alter zum Problem wird.

Behinderte Menschen profitieren natürlich auch von dieser Regelung, denn sie finden leichter Wohnraum und können ihre Freunde besuchen. Ich kenne die Wohnungen der meisten Freunde in Deutschland nicht. In England ist das schon jetzt anders, weil die bauliche Situation ein wenig günstiger ist als in Deutschland. Viele Leute wohnen in Häusern mit maximal einer Stufe. Ein Problem sind und bleiben aber die viktorianischen Häuser, wobei ich auch da schon ganz pfiffige Lösungen gesehen habe.

Zurück in London

Ich bin zurück von meinem kurzen Tripp nach Good Old Germany und habe gestern abend noch ein paar schöne Abenteuer erlebt. Als ich endlich in London ankam, fand ich mich in einem Rollstuhl mit gebrochenem und verbogenen Hinterrad wieder. Ich kümmere mich gerade um die Ersatzbeschaffung und die Kostenübernahme.

Überhaupt waren die beiden Tage in Frankfurt ganz interessant und eine Herausforderung. Ich stand ständig vor defekten oder besetzten Fahrstühlen, diskutierte ständig mit irgendwem rum. Sehr bezeichnend war die Situation abends an der Hauptwache. Ich wollte zur Hauptwache, aber dort war der Fahrstuhl bei der S-Bahn defekt. Also musste ich weiter bis Konstablerwache fahren und dann über die Zeil zurück zur Hauptwache rollen. Es war schon nach 20 Uhr und wenig Autos unterwegs und ich hatte es ja eilig. Extratouren hatte ich nicht eingeplant. Also bin ich bei Rot über die Ampel. Da plärrt eine Frau hinter mir her: „Dass Sie in Ihrer Situation auch noch bei Rot über die Ampel müssen. Das muss doch wohl nicht sein.“

Im Supermarkt belehrten mich Kunden „Nicht, dass Ihnen das vom Schoss fällt“ und ein Bahnmitarbeiter antwortete auf meine Frage, warum man während der mehrmonatigen Schließung und Umbau des Regionalbahnhofs Frankfurt-Flughafen nicht auch gleich einen ebenerdigen Einstieg ermöglicht hat: „Das ist zu teuer.“ Als ich ihm sagte, dass es doch auch teuer ist, dass er mich jetzt zur S-Bahn bringen muss, sagte er: „Das stimmt. Und der Servicepoint ist währenddessen auch zu. So viele Menschen die wegen Ihnen keine Auskunft bekommen.“ Ich habe ihm dann versucht zu erklären, dass die nicht „wegen mir“ keine Auskunft bekommen, sondern weil die Bahn nicht in der Lage ist, Zug und Gleis auf eine Höhe zu bringen und genügend Personal zu stellen.

Und so führte ich eine Diskussion nach der anderen, rechtfertigte mich hier und dort für mein ansich normales Verhalten und als ich am Dienstag im Flieger saß, war ich sooooo müde. Und hatte ganz stark das Gefühl, ich fliege nach Hause. Als ich zu Hause ankam, sagte ich zu meinem Freund „Ich glaube, ich werde alt. Ich steck diese dummen Kommentare und nervigen Menschen nicht mehr so gut weg.“ Darauf meinte er: „Nee, Du bist die nur nicht mehr gewöhnt.“

Wie die Taliban behinderte Attentäter rekrutieren

Die kanadische Zeitung „Globe and Mail“ hat einen interessanten Artikel veröffentlicht. Darin geht es um behinderte Selbstmordattentäter in Afghanistan und wie die Taliban diese rekrutieren. Sehr lesenswert!

via BBC Ouch Blog

Nachtreten

Dieses Interview in der Netzeitung kann man wohl als „Nachtreten“ bezeichnen. Da legt jemand aus Krankheitsgründen sein Amt nieder und der Herr Politologe Diederich hat nix besseres zu tun als zu Protokoll zu geben:

„Platzeck war von Anfang an nicht der Richtige.“

Außerdem schreibt die Netzeitung: „Für Diederich ‚deutet die Krankheit darauf hin, dass Platzeck sich überfordert‘ hat.“ Achso, Politiker dürfen nie krank werden und wenn, sind sie natürlich überfordert und deshalb krank geworden.

Ich saß mal vor ein paar Jahren in einem Restaurant neben zwei Abgeordneten. Sie ignorierten uns und dachten wohl, wir wüssten nicht, wer sie sind. Die eine erzählte, sie habe Krebs, könne sich aber erst nach dem Wahlkampf operieren lassen – wegen Terminen und wenn das jemand merkt und so… Ihr Arzt würde ihr schon in den Ohren liegen, aber ihre Berater hätten davon abgeraten.

Es kann doch nicht sein, dass sich Krankheit und Politik nicht vereinbaren lassen. Ich kenne noch andere Fälle, die mit auftretender Krankheit nicht mehr angetreten oder in Pension gegangen sind. Alle mit der Ansage: „Das kann gegen mich verwendet werden.“ Klar, Fälle wie dieser in der Netzeitung zeugen nicht gerade von Mitmenschlichkeit. Aber ich habe doch noch so viel Vertrauen in die Gesellschaft, dass Angriffe unter der Gürtellinie nicht ohne Folgen bleiben – für den Angreifer. Für mich disqualifizieren sich solche Leute.

Ich habe aber Respekt davor, wenn jemand wie Platzeck aus gesundheitlichen Gründen zurück tritt. Es ist seine freie Entscheidung. Ich würde mir aber wünschen, wenn mal mehr darüber gesprochen würde, dass nicht alle Politiker quitschfidel und gesund sind und vielleicht dennoch einen guten Job machen. Dann machen sich so genannte Experten und Berater irgendwann lächerlich, wenn sie die Krankheit mit Qualität der Arbeit gleichsetzen.

Die Spitze des Eisbergs

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt einen derart beachtlichen Text gelesen habe – weder in einem Weblog noch in den klassischen Medien. Meinen Respekt!

Zitate aus dem Weblog Gedankenträger – bitte unbedingt den ganzen Beitrag im Original lesen:

„Es besteht durchaus ein Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass wir allgemein immer weniger Kinder bekommen und der Tatsache, dass wir immer weniger behinderte Kinder bekommen. Letzteres ist der Fall, weil wir uns immer weniger in der Lage sehen, diese Kinder in unser Leben und unsere Gesellschaft zu integrieren. Das ist eine Extremausprägung der Tendenzhaltung gegenüber Kindern allgemein. „

(…)

„Wenn wir den Kindermangel hinterfragen, dann müssen wir auch die unangenehme Frage nach der Humanität stellen. Bevor wir nach mehr Kindern rufen und damit nur gesunde Kinder meinen, sollten wir nach all den Kindern fragen, die wir töten, weil sie nicht in die Gesellschaft passen. (Ganz abgesehen davon: wenn wir behinderte Kinder nicht mehr bekommen, dann wirft das auch ein Licht auf diejenigen Behinderten und ihre Angehörigen, die schon da sind, nämlich ein Licht darauf, wie unerwünscht sie sich eigentlich fühlen müssen. Mich als Angehörige trifft das durchaus sehr schmerzhaft.)“

(…)

„Jedes Leben ist einmalig und besonders, so banal das klingen mag, und um gleich eine weitere Banalität hinzuzufügen: Umwege führen zu mehr Ortskenntnis. Wir sollten durch Vielfalt und Ambivalenz lernen und mit ihnen persönlich wachsen.“

(via Haltungsturner)