Im Ausland

Ich war mal wieder zwei Tage beruflich in Frankfurt und habe jedesmal mehr das Gefühl, ich fahre ins Ausland. Dabei ist das ja eigentlich meine Heimat. Dieses Mal stand ich bereits am Beginn der Reise vor der Herausforderung, mir eine Fahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr ziehen zu müssen. Das habe ich noch nie in meinem Leben in Deutschland gemacht, denn als deutsche Rollstuhlfahrerin hat man ja eine Wertmarke, mit der man kostenlos fahren kann. Ich habe aber keine deutsche Wertmarke mehr und so machte ich Bekanntschaft mit Frankfurter Ticketautomaten und Zonenkarten. Wie das ein Ausländer ohne Deutschkenntnisse verstehen soll, ist mir völlig schleierhaft. Dass Rollstuhlfahrer eine Karte ziehen müssen, ist auch nicht vorgesehen. Fahren ja alle kostenlos und deshalb kommt man kaum an die Schlitze und Knöpfe dran. Gleiches Problem stellte sich dann später beim Busfahren. Wie soll ich vorne eine Fahrkarte ziehen, wenn ich hinten einsteigen muss? Ich habe mir dann gleich eine Tageskarte gekauft.

Das Hotel, in dem ich sonst wohne, wird gerade renoviert und es gab keine barrierefreien Zimmer. Also musste ich mir ein anderes Hotel in der Nähe des Flughafens suchen. Meine Wahl fiel auf das Intercity Hotel am Flughafen. Doch leider war die Dame am Telefon nicht in der Lage, mir eine adäquate Auskunft darüber zu geben, ob der Shuttle zwischen Hotel und Flughafen für mich zugänglich ist. „Das wird schon irgendwie gehen“, sagte sie mir. Ich habe dann zu ihrer großen Überraschung nicht gebucht.

Ich habe mir dann ein Hotel in der Bürostadt Niederrad gebucht, nicht wissend, dass dieser Stadtteil nach 20 Uhr völlig ausgestorben ist. Mein Zimmer war im Souterrain mit Blick auf die Unterböden der Autos auf der A5. Obwohl es ein nagelneues Hotel war und es offiziell ein barrierefreies Zimmer war, konnt man sich weder im Zimmer noch im Bad im Rollstuhl ordentlich bewegen. Im E-Rollstuhl hätte man überhaupt keine Chance gehabt. Ist die hessische Bauordnung wirklich so schlecht oder war die Bauaufsicht bestochen? Keine Ahnung.

Ich bin abends noch in die Stadt gefahren, nur eine Station mit der S-Bahn bis Hauptbahnhof und barrierefrei. Auf der Rückfahrt habe ich aber einen entscheidenden Fehler gemacht. Ich bin zwar in die S-Bahn in Richtung Wiesbaden gestiegen, aber nicht in die, die Richtung Niederrad fährt, sondern die, die über Griesheim fährt. Da fühlte ich mich dann wirklich wie im Ausland, denn ich war hoffnungslos verloren. Ich hatte keine Ahnung, welche der folgenden Stationen barrierefrei sind, damit ich wieder zurückfahren konnte. Denn die Frankfurter Verkehrsbetriebe weisen das natürlich nicht auf ihrem S-Bahnplan in den Zügen aus, wie das Hamburg oder London macht. Auf den jeweiligen Bahnsteigen waren auch keine Hinweisschilder für Fahrstühle zu sehen. Ich wusste nur, dass Wiesbaden einen Sackbahnhof hat und ich dort auf alle Fälle rauskomme. Also fuhr ich durch bis Wiesbaden – eine fast einstündige Fahrt. In Wiesbaden wartete ich dann weitere 30 Minuten auf die S-Bahn zurück nach Frankfurt. Gegen 0.30 Uhr kam ich dann in Niederrad an.

Da die Bürostadt Niederrad in der Nacht durchaus als Ökoprojekt durchgehen könnte, was die Beleuchtung angeht, war der Rückweg umso mühseliger. Ich sah meine eigene Hand vor Augen nicht und blieb prompt mit dem Vorderrad in einem Schlagloch hängen. Das Vorderrad war völlig verbogen und fuhr nicht mehr. Also fuhr ich hochgekippt auf den zwei Hinterrädern im Dunkeln ins Hotel. Ich war bedient.

Am nächsten Tag hat mir aber ein Lufthansa-Techniker den Rollstuhl repariert. Und ich habe mir fest vorgenommen, auswendig zu lernen, welche der Stationen im Rhein-Main-Gebiet barrierefrei sind. Viele scheinen das ja nicht zu sein.

13 Kommentare

  1. Julian sagt:

    Hallo,

    Du schilderst in der Tat eine sehr unangenehme Situation. Bemerkenswert scheint mir, dass Du in der Situation mit der „falschen“ Bahn so ruhig bleiben konntest, um mit kühlem Kopf zu überlegen, wie Du wieder aus dieser Lage herauskommst.
    Ich erlebe es selbst ja schon als unangenehm, wenn man sich plötzlich in einer fremden Stadt nicht mehr auskennt. Das diese Alltagssituation aber für eine Rollstuhlfahrerin bedeuten kann, plötzlich „in der Falle“ zu sitzen, war mir nicht bewusst. Die Episode unterstreicht die Bedeutung von Barrierefreiheit.

    Schöne Grüße
    Julian

  2. Oh mein Gott! Ich wäre vor Angst sicher gestorben. Alles dunkel, das Vorderrad kaputt und hochgekippt ins Hotel fahren.

  3. Tobias sagt:

    Hallihallo aus München,
    so – jetzt kann ich das endlich mal anbringen, wenn auch nicht in meinem eigenen Blog wie zuerst geplant, aber gerne auch bei Dir: Ich war Mitte Oktober vergangenen Jahres sehr überrascht, als ich in der Frankfurter Rundschau lesen durfte, dass der RMV (der dortige Verkehrsverbund) einen Preis für besonders behindertengerechtes Verhalten und Gestaltung der Bahnhöfe bekommen hat (müsste sich über die Ticker noch finden lassen, war am 19. oder 20. Oktober in den Zeitungen). Ich habe selbst ein Jahr in Frankfurt und Offenbach gelebt und ärgere mich bis heute über die Tatsache, dass auf den S-Bahnsteigen im Hauptbahnhof zwar ein Netzplan zwischen den Gleisen hängt, der kurzsichtige Mensch von heute aber keinen auch noch so kleinen, gut beleuchteten (!) Plan in irgendwelchen Glaskästen findet, vor denen man stehen könnte. Wie man für sowas noch Auszeichnungen bekommen kann, ist mir schleierhaft. Von der Kompliziertheit des Verbundsystems hast Du ja schon berichtet – das gibt sich übrigens nichts mit anderen Großstädten und Ballungsräumen.
    Liebe Grüße nach UK,
    Tobias

  4. Christiane? Ich bin entsetzt: „Ich habe mir dann ein Hotel in der Bürostadt Niederrad gebucht, nicht wissend, dass dieser Stadtteil nach 20 Uhr völlig ausgestorben ist.“
    1. Es heisst „Bürostadt“ Niederrad
    2. Jemals von Qype gehört? :-)
    3. Frag bitte bei der nächsten Reise ein paar Frankfurter Blogger, die können was zu den Locations sagen..
    4. Der RMV war schon immer schlecht in allem

  5. Denn die Frankfurter Verkehrsbetriebe weisen das natürlich nicht auf ihrem S-Bahnplan in den Zügen aus, wie das Hamburg oder London macht.

    In Berlin schaffen das sogar die BVG (U-Bahn, Fähren, Bus, Straßenbahn) und die S-Bahn auch. Und es sind nicht wenige Stationen, die zugänglich sind. Bei der U-Bahn sind es die Mehrheit, glaube ich. Und bei den Straßenbahnen sind fast alle Linien jetzt „rollstuhlgerecht“, und auf den Fahrplänen sind die Fahrten, die nicht barrierfrei sind (es gibt noch einige Hochflurstraßenbahnen), extra markiert.

    Schon etwas von Virgin Trains gehört? Und hast du dein Brief an deinem MP kopiert, sowie auch an „Passenger Focus“, der Regulierungsbehörde zuständig für Fahrgastbeschwerden? (siehe FAQ Nr. 1. bei der Oberbahnregulierungsbehörde: http://www.rail-reg.gov.uk/server/show/ConWebDoc.5770 )

  6. Ina sagt:

    Ich würde ja sagen, schade, dass du nicht in Griesheim ausgestiegen bist und uns besucht hast :)

    Da wärst du aber leider noch totaler aufgeschmissen gewesen, denn die Station ist, zumindest von der Stadt aus kommend, die „unbarrierefreiste“ überhaupt.

  7. Christiane sagt:

    Die Zahl der behinderten Reisenden ist relativ groß. Das Bundeswirtschaftsministerium hat dazu vor einiger Zeit eine Studie in Auftrag gegeben.

    Die Bauaufsicht überprüft die Einhaltung der Bauordnung. Da gibt es in den meisten Bundesländern auch Auflagen für Hotels etc. Bei einigen sind konkrete Maße angeben, wie beispielsweise der Bewegungsradius.

    Die barrierefreien S-Bahnstationen brauche ich nicht sammeln, die kann man sicher auf irgendeiner Webseite der Verkehrsbetriebe finden. Das nutzt mir nur nix, wenn ich mich verfahren habe und meine Route unterwegs planen muss.

    Und noch ein Kommentar zu Deinem Blogeintrag, den man nicht kommentieren kann: Es gibt Sensoren für automatische Türen, die erkennen, ob da jemand steht oder nicht. Das Öffnen der Tür in die falsche Richtung ist nämlich nicht nur für Kinder ein Problem, sondern auch für behinderte Menschen selber, weil sie unter Umständen nicht so schnell aus dem Weg gehen können, wenn die Tür auf sie zu kommt. Deine „Lösung“ des gesonderten Eingang für behinderte Menschen, löst das Problem also überhaupt nicht.

  8. Dorothea sagt:

    Genau – „wir“ schaffen SONDEReingänge für sog. „Behinderte“.

    Warum auch sollen Gebäude und ihre Zugänge für ALLE geschaffen werden – lebt der Behindi doch sowieso in einer SONDERwelt mit Transitvisum durch die Umwelt (möglichst nur für medizinische oder therapeutische Zwecke, möglichst nur in Begleitung eines Pflegers/Therapeuten/Zivis/der Eltern).

    Und berufliches Reisen? Für BEHINDERTE? Die sind doch sowieso fast alle in SONDERwerkstätten oder in Einrichtungen – die paar in „freier Wildbahn“, nu, für die noch was Extras machen, sogar GELD in die Hand nehmen – nö, das lohnt doch nicht.

    Sind doch sooooo wenige.

  9. Wolfgang sagt:

    Hallo Christiane

    > Das Öffnen der Tür in die falsche Richtung ist nämlich nicht nur für Kinder ein Problem, sondern auch für behinderte Menschen selber, weil sie unter Umständen nicht so schnell aus dem Weg gehen können, wenn die Tür auf sie zu kommt.

    Da sagst du was. Damit ist die Türe im Grunde unbrauchbar. Sie ist aber ausgezeichnet worden. Die Türe gehört mit zu dem Konzept „geeignet für alle Behinderungen“.

    Vielleicht reist mal ein Behinderter hin und stellt ein paar dumme Fragen?

    Herzliche Grüße
    Wolfgang

  10. Wolfgang sagt:

    Dorothea zu bist ein wenig ungerecht. Dieses Fahrzeug hat auch einen eigenen Eingang für Behinderte.

    Du solltest einmal genau lesen, was ich geschrieben habe und dann würdest du mitbekommen, dass wir im Grunde schon das Gleiche meinen.

    Ich habe mich nur dagegen geäußert, dass eine Türe durch einen behindertengerechten Ausbau offenbar nun für Kleinkinder nicht mehr geeignet ist. Daran habe ich Kritik geübt, denn das halte ich für problematisch.

    Herzliche Grüße
    Wolfgang

  11. Aimée sagt:

    Liebe Christiane,

    Das Navibil (lustig: zunächst hatte ich in dem TV-Beitrag Navi-Wheel verstanden) ist zwar nur ein Experiment und bislang lediglich in Koblenz zum Einsatz gekommen – aber doch ein bemerkenswerter Anfang. Vielleicht ist in ein paar Jahren für Sie (und andere Rollstuhlfahrer) der Besuch in einer fremden Stadt nicht mehr voller Unüberwindbarkeiten!

    Herzliche Grüsse aus Hamburg,
    Aimée R.

    http://www.christoffel-blindenmission.de/artikel/Artikel_193354.html

  12. karl_altoetting sagt:

    Hi,ich kann mir vorstellen dass das ein ungeheurer Aufwand ist alle relevanten Informationen für Rollstuhlfahrer in ein Online-Adressverzeichnis zu packen. Adressdatenbanken wie beispielsweise von der Stiftung MyHandcap können helfen. Im Einzelfall kommts aber immer darauf an, wie gut und vollständig die Daten für den betreffenden Wunschort sind. Warum können denn Kommunen wie die bayerische Stadt Freising (Lob!) nicht alle Ihre Barrierefrei-Adressen in dieser Qualität liefern? siehe: http://myhandicap.de/myadress_adressen_barrierefrei.html
    Grüsse. Karl.

    Eine große Hilfe wäre es allerdings wenn die Kommunen Ihrer Verpflichtung

    iner Adressenverzeichnis bei der Stifung „My Handicap“ sehr hilfreiche Barrierefrei-Informationen bekommen. Mein Besuch in der Stadt Freising konnte ich somit ohne