Tag Archiv für Frankfurt

Mein Recht auf Kino oder „Isch protestiere“

Seit Wochen habe ich mich darauf gefreut, in Frankfurt ins Kino zu gehen. Ich wollte unbedingt Hape Kerkerlings neuen Film „Horst Schlämmer – Isch kandidiere“ sehen. Ich bin gerade für zwei Tage in Frankfurt und hatte das fest eingeplant.

Ich fuhr also zur Hauptwache mit dem Ziel Kino. In Frankfurt ins Kino zu gehen ist als Rollstuhlfahrerin sowieso eine kleine Mission. Es gibt nicht so viele barrierefreie Kinos, das weiß ich noch aus Jugendzeiten als ich mit Freunden öfter nach Frankfurt gefahren bin.
Jemand empfahl mir das CineStar-Kino am Eschenheimer Turm. Es ist ein relativ modernes Kino in einem alten Gebäude. Ich kam dort an und es war Kinotag. Dementsprechend war der Andrang. Aber die Anzeige sagte mir, es seien noch 107 Karten für Horst Schlämmer verfügbar. Ich war also optimistisch, noch eine zu bekommen.
An der Kasse angekommen, fragte mich die Kinokassenfrau, ob ich alleine ins Kino ginge. Ich sagte „Ja“ und sah an ihrem Gesicht, dass das ein Problem war.

Sie sagte mir, alle Kinos, in denen der Film laufe (an dem Abend gab es vier Vorstellungen) seien nicht barrierefrei – mit einer Ausnahme. Ein Saal sei zugänglich. Dort gebe es nur einen Rollstuhlplatz und der sei vergeben an einen anderen Rollstuhlfahrer. Mit Begleitung sei es aber kein Problem. Ich ahnte schon, dass es weniger ein Platzproblem als irgendeine bescheuerte Vorschrift war und sagte ihr: „Wissen Sie, ich lebe in England. Dort läuft der Film nicht. Ich habe mich seit Wochen darauf gefreut, den Film zu sehen, wenn ich für zwei Tage in Frankfurt bin.“ Ihre Antwort: „Schauen Sie doch einen anderen Film.“ Ich: „Ich glaube, Sie haben mich nicht verstanden. Ich möchte diesen und keinen anderen Film sehen und verstehe nicht, warum ich mit Begleitung plötzlich Platz da wäre. Sie murmelte irgendwas von Sicherheitsvorschriften.

Aha, wieder was gelernt: Ich darf also in Deutschland Alkohol trinken, Auto fahren, an den Wahlen des Deutschen Bundestags teilnehmen und mich wählen lassen. Ich könnte sogar Bundeskanzlerin werden. Aber ich darf in Frankfurt nicht alleine ins Kino. Ja nee, is klar.

Meine Empörung erweichte die Frau und sie sagte, sie würde mir eine Karte verkaufen, aber sie glaube nicht, dass mich die Security in den Saal lassen würde. Sie kenne aber die Regeln nicht so ganz genau.

Ich habe zwar nur ein paar Semester Jura im Nebenfach studiert, aber ich wusste, ich hatte gewonnen. Kam doch mit dem Verkauf der Karte ein Vertrag zustande. Soviel wusste ich. Und selbstverständlich nahm ich mir vor, auf Vertragserfüllung zu bestehen und den Aufstand des Jahrhunderts zu machen, sollte man mich nicht in den Saal lassen.

Als ich bei der Security ankam, interessierten die sich gar nicht für mich. Fragten mich nur, ob sie mir die Tür zum Saal aufmachen sollten.

Als ich reinkam, traute ich meine Augen nicht: Es gab überhaupt keinen Rollstuhlplatz. Nicht einen einzigen. Auch die andere Rollstuhlfahrerin stand mitten im Gang zwischen den zwei Notausgängen. Es war einfach eine leere Reihe, in die 10 Rollstühle gepasst hätten. Hätte ich übrigens eine nicht behinderte Begleitung gehabt, hätte diese weit über- oder unterhalb in einer anderen Reihe Platz nehmen müssen, so wie jetzt der Mann der Rollstuhlfahrerin neben mir.

Aber am Ende zählt ja – frei nach Helmut Kohl – was hinten raus kommt und ich habe ich den Film gesehen. Horst Schlämmer wäre stolz auf mich. Weisse bescheid!

Im Ausland

Ich war mal wieder zwei Tage beruflich in Frankfurt und habe jedesmal mehr das Gefühl, ich fahre ins Ausland. Dabei ist das ja eigentlich meine Heimat. Dieses Mal stand ich bereits am Beginn der Reise vor der Herausforderung, mir eine Fahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr ziehen zu müssen. Das habe ich noch nie in meinem Leben in Deutschland gemacht, denn als deutsche Rollstuhlfahrerin hat man ja eine Wertmarke, mit der man kostenlos fahren kann. Ich habe aber keine deutsche Wertmarke mehr und so machte ich Bekanntschaft mit Frankfurter Ticketautomaten und Zonenkarten. Wie das ein Ausländer ohne Deutschkenntnisse verstehen soll, ist mir völlig schleierhaft. Dass Rollstuhlfahrer eine Karte ziehen müssen, ist auch nicht vorgesehen. Fahren ja alle kostenlos und deshalb kommt man kaum an die Schlitze und Knöpfe dran. Gleiches Problem stellte sich dann später beim Busfahren. Wie soll ich vorne eine Fahrkarte ziehen, wenn ich hinten einsteigen muss? Ich habe mir dann gleich eine Tageskarte gekauft.

Das Hotel, in dem ich sonst wohne, wird gerade renoviert und es gab keine barrierefreien Zimmer. Also musste ich mir ein anderes Hotel in der Nähe des Flughafens suchen. Meine Wahl fiel auf das Intercity Hotel am Flughafen. Doch leider war die Dame am Telefon nicht in der Lage, mir eine adäquate Auskunft darüber zu geben, ob der Shuttle zwischen Hotel und Flughafen für mich zugänglich ist. „Das wird schon irgendwie gehen“, sagte sie mir. Ich habe dann zu ihrer großen Überraschung nicht gebucht.

Ich habe mir dann ein Hotel in der Bürostadt Niederrad gebucht, nicht wissend, dass dieser Stadtteil nach 20 Uhr völlig ausgestorben ist. Mein Zimmer war im Souterrain mit Blick auf die Unterböden der Autos auf der A5. Obwohl es ein nagelneues Hotel war und es offiziell ein barrierefreies Zimmer war, konnt man sich weder im Zimmer noch im Bad im Rollstuhl ordentlich bewegen. Im E-Rollstuhl hätte man überhaupt keine Chance gehabt. Ist die hessische Bauordnung wirklich so schlecht oder war die Bauaufsicht bestochen? Keine Ahnung.

Ich bin abends noch in die Stadt gefahren, nur eine Station mit der S-Bahn bis Hauptbahnhof und barrierefrei. Auf der Rückfahrt habe ich aber einen entscheidenden Fehler gemacht. Ich bin zwar in die S-Bahn in Richtung Wiesbaden gestiegen, aber nicht in die, die Richtung Niederrad fährt, sondern die, die über Griesheim fährt. Da fühlte ich mich dann wirklich wie im Ausland, denn ich war hoffnungslos verloren. Ich hatte keine Ahnung, welche der folgenden Stationen barrierefrei sind, damit ich wieder zurückfahren konnte. Denn die Frankfurter Verkehrsbetriebe weisen das natürlich nicht auf ihrem S-Bahnplan in den Zügen aus, wie das Hamburg oder London macht. Auf den jeweiligen Bahnsteigen waren auch keine Hinweisschilder für Fahrstühle zu sehen. Ich wusste nur, dass Wiesbaden einen Sackbahnhof hat und ich dort auf alle Fälle rauskomme. Also fuhr ich durch bis Wiesbaden – eine fast einstündige Fahrt. In Wiesbaden wartete ich dann weitere 30 Minuten auf die S-Bahn zurück nach Frankfurt. Gegen 0.30 Uhr kam ich dann in Niederrad an.

Da die Bürostadt Niederrad in der Nacht durchaus als Ökoprojekt durchgehen könnte, was die Beleuchtung angeht, war der Rückweg umso mühseliger. Ich sah meine eigene Hand vor Augen nicht und blieb prompt mit dem Vorderrad in einem Schlagloch hängen. Das Vorderrad war völlig verbogen und fuhr nicht mehr. Also fuhr ich hochgekippt auf den zwei Hinterrädern im Dunkeln ins Hotel. Ich war bedient.

Am nächsten Tag hat mir aber ein Lufthansa-Techniker den Rollstuhl repariert. Und ich habe mir fest vorgenommen, auswendig zu lernen, welche der Stationen im Rhein-Main-Gebiet barrierefrei sind. Viele scheinen das ja nicht zu sein.

No step-free access

Ich schimpfe ja, wie alle Londoner, des öfteren über die U-Bahn hier. Ich muss aber sagen, ich bin in meinem Leben noch nie so oft U-Bahn gefahren wie im Moment. Seit dem Umzug nach Greenwich kann ich die Jubilee Line nutzen, die immerhin von Westminster bis Stratford nur barrierefreie Stationen hat und die mich in 3 Minuten zur Docklands Light Railway (DLR) bringt, die komplett barrierefrei ist. Der Osten Londons ist definitiv barrierefreier als der Westen. Man denkt, man wäre in einer anderen Stadt.

Gestern abend ist mir zum zweiten Mal eine Anzeige auf der Hinweistafel, auf der der nächste Zug angezeigt wird, aufgefallen. Dort stand, dass in Southwark der Lift derzeit nicht geht, weil er repariert wird. Die Lifte funktionieren hier so gut wie immer. Es gibt offizielle Statistiken dazu, in denen man nach U-Bahnlinie und Station sehen kann, wie oft der Lift außer Betrieb war. Diese Plakate hängen in den Stationen und alle Statistiken, die ich bislang gesehen habe, bewegen sich im 99%-Bereich. Wenn ein Fahrstuhl defekt ist, ist er wirklich innerhalb weniger Stunden repariert, außer man wartet auf ein Ersatzteil.

Gestern sah ich dann diesen Hinweis und dachte „Wie genial“. Das müsste man überall machen. Hamburg hat diese Anzeigen über den Bahnsteigen auch. Da wird irgendwas eingeblendet, aber nie welcher Fahrstuhl defekt ist. In Frankfurt sind die Fahrstühle ständig defekt. Ich war noch nicht ein einziges Mal in Frankfurt ohne dass ich nicht irgendwann vor einem defekten Fahrstuhl in der S- oder U-Bahn stand. Hinweise habe ich noch nie gesehen. In San Francisco habe ich gesehen, dass es in den Fahrstühlen aktuelle Hinweise gibt, an welcher Station die Fahrstühle gerade nicht gehen (mit Angabe der Uhrzeit). Hier wird es also über die Anzeige auf über dem Bahnsteig bekannt gegeben. Wenn denn mal wirklich ein Fahrstuhl nicht geht…

In London bekommt man übrigens auch relativ gute Informationen darüber, welche Rolltreppen gehen und welche nicht. Zum einen wird das in den Stationen durchgesagt und man findet es auf der Webseite von Transport for London.

Zurück in London

Ich bin zurück von meinem kurzen Tripp nach Good Old Germany und habe gestern abend noch ein paar schöne Abenteuer erlebt. Als ich endlich in London ankam, fand ich mich in einem Rollstuhl mit gebrochenem und verbogenen Hinterrad wieder. Ich kümmere mich gerade um die Ersatzbeschaffung und die Kostenübernahme.

Überhaupt waren die beiden Tage in Frankfurt ganz interessant und eine Herausforderung. Ich stand ständig vor defekten oder besetzten Fahrstühlen, diskutierte ständig mit irgendwem rum. Sehr bezeichnend war die Situation abends an der Hauptwache. Ich wollte zur Hauptwache, aber dort war der Fahrstuhl bei der S-Bahn defekt. Also musste ich weiter bis Konstablerwache fahren und dann über die Zeil zurück zur Hauptwache rollen. Es war schon nach 20 Uhr und wenig Autos unterwegs und ich hatte es ja eilig. Extratouren hatte ich nicht eingeplant. Also bin ich bei Rot über die Ampel. Da plärrt eine Frau hinter mir her: „Dass Sie in Ihrer Situation auch noch bei Rot über die Ampel müssen. Das muss doch wohl nicht sein.“

Im Supermarkt belehrten mich Kunden „Nicht, dass Ihnen das vom Schoss fällt“ und ein Bahnmitarbeiter antwortete auf meine Frage, warum man während der mehrmonatigen Schließung und Umbau des Regionalbahnhofs Frankfurt-Flughafen nicht auch gleich einen ebenerdigen Einstieg ermöglicht hat: „Das ist zu teuer.“ Als ich ihm sagte, dass es doch auch teuer ist, dass er mich jetzt zur S-Bahn bringen muss, sagte er: „Das stimmt. Und der Servicepoint ist währenddessen auch zu. So viele Menschen die wegen Ihnen keine Auskunft bekommen.“ Ich habe ihm dann versucht zu erklären, dass die nicht „wegen mir“ keine Auskunft bekommen, sondern weil die Bahn nicht in der Lage ist, Zug und Gleis auf eine Höhe zu bringen und genügend Personal zu stellen.

Und so führte ich eine Diskussion nach der anderen, rechtfertigte mich hier und dort für mein ansich normales Verhalten und als ich am Dienstag im Flieger saß, war ich sooooo müde. Und hatte ganz stark das Gefühl, ich fliege nach Hause. Als ich zu Hause ankam, sagte ich zu meinem Freund „Ich glaube, ich werde alt. Ich steck diese dummen Kommentare und nervigen Menschen nicht mehr so gut weg.“ Darauf meinte er: „Nee, Du bist die nur nicht mehr gewöhnt.“

Ab nach Indien

Flugzeug

Faulheit behindert

Ich schimpfe ja durchaus manchmal auf den Flughafen Hamburg, aber so langsam glaube ich, Hamburg ist gar nicht so schlecht im Umgang mit behinderten Reisenden – zumindest bei der Sicherheitskontrolle haben sie mittlerweile mit mir Routine. Ich gebe zu, sie hatten auch genug Gelegenheiten zum Üben mit mir.

Nachdem ja die Flughäfen Düsseldorf und Tegel den Rollstuhlfahrern die Rollstühle derzeit am Check-In unter dem Hintern wegreißen, kann Frankfurt natürlich nicht zurück bleiben: Als ich gestern an die Sicherheitskontrolle kam, forderte man mich auf, meinen Rollstuhl zu verlassen. Dank einem sehr konstruktiven Briefwechsel mit der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, Karin Evers-Meyer, wegen der Behandlung in Düsseldorf, weiß ich aber, dass das Innenministerium „Richtlinien zur Behandlung behinderter Personen bei der Luftsicherheitskontrolle“ erlassen hat. Dort kann man unter Punkt 3.1 lesen:

„Weitergehende Maßnahmen, z.B. die Aufforderung zum Verlassen des Rollstuhls, sind nach Entscheidung des Kontrollstellenleiters nur bei besonderem Verdacht oder dem Vorliegen sonstiger besonderer Gründe vorzunehmen.“

Einen besonderer Verdacht oder Grund lag aber bei mir definitiv nicht vor. Ich habe mich dann mal auf die Richtlinien bezogen und habe mich geweigert, den Rollstuhl zu verlassen. Rollstuhl verlassen ist nicht so einfach wie Schuhe ausziehen – und selbst da murren die Leute ja. Man erklärte mir, dass man zwar schon eine Staubprobe des Rollstuhls nehmen könne (genau das steht übrigens in der Anweisung!), aber das Gerät sei am regulären Eingang (ca. 10 Meter weiter). Ich war am Sondereingang für behinderte Fluggäste.

Wenn es schon einen Sondereingang gibt, wäre es vielleicht nicht das Dümmste, die Staubprobenutensilien auch dahin zu stellen, dachte ich mir. Da müsse jetzt also jemand rüberlaufen, sagte man mir als würde ich verlangen, dass jemand bis zum Ende der Welt läuft. Ich hatte noch genug Zeit und hatte keine Probleme, dass jemand das Staubtuch für die Probe holt. Aber mir dämmerte langsam, dass die aus eigener Faulheit verlangten, dass ich mich auf einen Stuhl umsetze. Es kam dann tatsächlich jemand mit einem Tuch. In zwei Minuten war die Sache erledigt – ganz ohne Umsetzen.

Die Mitarbeiterin vom Betreuungsdienst, die mich begleitete, erzählte mir dann noch, dass sie bei Umsteigern teilweise das Theater drei bis vier Mal haben, bis sie am Umsteigegate ankommen. Manchmal würden die Sicherheitsleute sogar verlangen, dass Leute in Sitzschalen – das sind oft Leute mit Mehrfachbehinderungen, mit starken Spastiken etc. – mehrfach aus dem Rollstuhl gehoben werden.

Liebe behinderte Fluggäste, liebe Sicherheitsleute, es gibt für diese Behandlung, keine rechtliche Grundlage und auch keine Notwendigkeit. Ganz im Gegenteil, die Sicherheitsleute übergehen mit derartigem Verhalten die Anweisungen des Bundesinnenministeriums.

Ich hatte den Sicherheitsleuten übrigens auch gesagt, sie könnten sich unter meinen Rolli legen. Ich sitze nämlich auf einer Art Netz. Da kann man mir von unten unters Rollikissen schauen. Das war ihnen dann aber doch zu umständlich.

Ab nach Frankfurt

Flugzeug

Ab nach Frankfurt

…aber nicht so lange kein Flugzeug da ist.
Fluggastbrücke ohne Flugzeug