Die Letzten werden die Ersten sein

Da mein Auto derzeit ja bei Freunden in South Harrow steht, so lange wir noch in dieser Wohnung ohne Parkplatz wohnen, fahre ich jetzt immer mit dem Bus dorthin und hole es ab. Ich habe ja keine Lust, dass es mir nochmal hier aufgebrochen wird.

Der Bus, der dort hinfährt, ist ein kleiner einstöckiger Bus, der alle 20 Minuten kommt oder dann, wann der Fahrer es will. Als gestern der Bus kam, sagte mir der Fahrer, ich könne nicht mit. Es seien bereits zwei Kinderwagen im Bus. Die Regeln sind hier so: So lange kein Rollstuhlfahrer mit will, können die Leute mit Kinderwagen den Stellplatz nutzen. Sobald einer kommt, müssen sie den Kinderwagen falten. Das ist auch überdeutlich in jedem Bus auf Schildern zu lesen.

Hinweisschild fuer Kinderwagen
Buggies can use this area if is not needed by a wheelchair user. Buggies may need to be folded at busy times.

Es gibt hier so viele Kinderwagen, dass ich nie in den Bus käme, wenn es anders wäre. Die Busse kommen sowieso nie, wenn sie kommen sollten, dann ist bei jedem Dritten die Rampe kaputt und wenn ich dann auch noch mit den Müttern um den Stellplatz kämpfen müsste, bräuchte ich das Haus gar nicht verlassen.

Hinzu kam in diesem Fall auch noch, trotz der beiden Kinderwagen, war (wenn auch ziemlich gequetscht) noch Platz für mich. Ich fing also an, mit dem Busfahrer zu diskutieren. Ich erklärte ihm, dass er mich mitnehmen müsse, dass Busunternehmen verpflichtet seien, Rollstuhlfahrern den gleichen Service anzubieten wie anderen Menschen etc. Keine der beiden Mütter wollte den Kinderwagen falten. Ich habe keine Ahnung, warum nicht. Die Kinder waren im lauffähigen Alter. Der Busfahrer hatte aber auch nicht den Mumm, ihnen zu sagen „Falten oder Ihr lauft“.

Ich habe also auf Mitnahme bestanden und dann wurde es ihm doch zu heiß. Er rief seine Leitstelle an und fragte, ob er mich wirklich mitnehmen müsse. Die Leitstelle wollte auch keine richtige Entscheidung treffen, tendierte aber zu „Nein“. Entscheidungen herbeizuführen, ist hier mitunter etwas schwierig. Dann habe ich die Leitstelle angerufen und gefragt, was das solle. Der Bus stand immer noch in der Haltestelle. Die Leitstelle sagte mir, sie reden nicht mit Passagieren. Großartig!

Das ganze Theater dauerte eine ganze Weile. Irgendwann fuhr der Bus doch weg und kurz danach kam der nächste. So lange hatte das gedauert! Also nahm ich den nächsten Bus und nach ein paar Kilometern hatten wir den anderen Bus eingeholt und wenig später überholt. Als ich in South Harrow ausgestiegen bin, kam der andere Bus erst an. Ich habe dem Fahrer dann noch freundlich zugewunken.

12 Kommentare

  1. Philip sagt:

    Wie krass. Das ist doch mal Diskriminierung. Wahrscheinlich hat jeder Idiot den werdenden Müttern einen Sitzplatz angeboten als sie schwanger waren, und jetzt stehen sie da mit den Kleinkindern und wollen keinen Platz machen. Vom Busfahrer ganz zu schweigen.

    Ich glaub ich wäre ausgerastet.

  2. Status6 sagt:

    Respekt!

    So wie Du es beschreibst, hätte ich niemals diese enorme „Ruhe weg“… Ich muss Philip Recht geben – ich hätte mich warscheinlich ebenfalls kaum unter Kontrolle gehabt…

  3. Christiane sagt:

    Nicht die Ruhe zu bewahren, nutzt in solchen Fällen gar nichts. Und sowieso in UK. Direkt zu sagen: „Das geht so nicht. Ich will mit“, ist schon sehr unbritisch. Den Effekt, den man in Deutschland hätte, wenn man ausflippt, hat man hier manchmal schon alleine durch direkte Ansage: „So nicht.“

    Und wenn man jemanden für etwas verantwortlich macht im Sinne von „Du bist schuld dass…“. Das ist hier absolut unüblich und es würde nichts mehr bringen, wenn man auch noch ausflippt. Die Kommunikationskultur ist hier wirklich eine andere. Der Busfahrer war schon geschockt als ich ihm widersprochen habe und auf Mitnahme bestanden habe. Da hätte Ausflippen nix genutzt. Außerdem will ich ja nicht mit 35 einen Herzinfakt kriegen, weil ich mich immer so aufrege. :-)

  4. Agathe sagt:

    Ist schon traurig, wenn man die eigenen Vorschriften nicht kennt…

    Finde Deinen Blog sehr interessant, man wird hier wirklich zum Nachdenken angeregt. Man sieht die Welt dann schon etwas anders, wenn man einen Einblick in das Leben eines Betroffen bekommt.

  5. Markus Ladstätter sagt:

    „Sobald einer kommt, müssen sie den Kinderwagen falten. Das ist auch überdeutlich in jedem Bus auf Schildern zu lesen.“

    Leider gibt es so eine Regel in Wien nicht.

  6. Dorothea sagt:

    @Agathe

    Betroffen? Ich wüsste nicht, dass jemand auf Christine gezielt hätte.

    „Betroffen“ ist noch dämlicher als „behindert“.

    Was ist so schwer daran, zu sagen „… in das Leben einer Rollstuhlfahrerin“? Es ist kein Schimpfwort – wohingegen „Betroffene“ furchtbar – äh, „betroffen“ macht. Oder ist der „traurige“ Effekt gewollt?

  7. Agathe sagt:

    @Dorothea

    Wieso ist „betroffen“ dämlich? Finde ich überhaupt nicht, es ist ein ganz normales Wort. Hier im Blog geht es zwar um eine Rollstuhlfahrerin, aber nicht nur. Es wird auch z.B. über Blinde was gesagt (oh Gott, darf ich blind sagen oder gibt es ein politisch korrektes Wort für diesen Zustand?) Und das Wort betroffen drückt nur aus, das jemand in einer bestimmten Lebenslage ist. Ein bestimmtes Thema betrifft einen einfach und einen anderen eben nicht.

    Übrigens, hätte jemand auf Christine gezielt, wäre sie GEtroffen.

  8. the-sun sagt:

    Mein lieber Schwan, du musst echt Nerven wie Stahlseile haben :-). Ich finde es toll, dass du hartnäckig bleibst bei sowas und nicht entnervt die Brocken hinwirfst.
    Hut ab!.

    Nette Grüsse, Britta

  9. lol genau so muss das sein! Die Briten sind tlws. schon sehr seltsam – und du hast ja völlig recht, wieso kann er dich nicht mitnehmen? In Deutschland hättest ihn wegen Diskriminierung und Mobbing angezeigt – das wäre für ihn richtig übel gekommen. Garantiert nimmt er dich das nächste mal freiwillig mit!
    Weiter so – ich mag Frauen, die sich durchsetzen können! :P

    Viele Grüße aus Stuttgart übern kleinen Teich!

  10. Thomas sagt:

    @Dorothea: versuchs mal mit nem etwas weniger agressiven Ton…

    @Agathe: ich bin selber Rollstuhlfahrer und weiß somit wovon ich rede. „Betroffen“ klingt immer sehr nach „leiden“ (im allgemeinen Sprachgebrauch wird es auch so verwendet). Wir leiden aber nicht! Wir haben ne körperliche Beeinträchtigung und das is alles… So what?! Wir leben unser Leben und sind glücklich dabei und leiden definitiv nicht.

    Ich hab diese Begriffsdiskussionen lange Zeit auch nicht verstanden und fand sie ziemlich albern. Das Problem ist nur, dass ein Wort wie „betroffen“, wenn es häufig genug verwendet wird, eine Einstellung in der Gesellschaft erzeugt, die nur auf Mitleid abzielt. Von daher ist es schon wichtig, mit welchen Begriffen man über etwas redet.

  11. Agathe sagt:

    @Thomas

    OK, ich sehe schon, dass man es negativ auffassen kann. Nur hier habe ich wirklich nicht gemeint, dass die „Betroffenen“ leiden und mit ihrem Schicksal hadern. Ich glaube auch, dass viele wie auch immer Behinderte (nicht nur Rollstuhlfahrer), wahrscheinlich die meisten, ihr Leben geniessen.

    Mit betroffen war hier eigentlich von der Ignoranz der Leute betroffen gemeint. Ich wollte mit meinem Kommentar einfach sagen, dass ich mir vorher keine Gedanken gemacht, wie schwer es sein kann, für mich selbstverständliche Sachen zu bewerkstäligen. Bei uns in der Stadt sieht man keine Rollstuhlfahrer in der Bahn, jetzt weiß ich warum. Man denkt aber erstmal nicht darüber nach. Dann musste ich hier lesen, wieviel Ärger Christiane hat z.B. beim Bus und U-Bahn fahren, oder wie sie zu Veranstaltungen über Hinterhöfe, Tiefgaragen und Keller schleichen muss, weil die Leute zu dämlich sind rechtzeitig mit einer Rampe am Bahnsteig zu sein usw. Ähnliche Probleme stelle ich mir bei Menschen mit anderen Beeinträchtigungen vor.

    p.s. bevor jemand wieder schreibt, wie ich denn schreiben könne, dass wahrscheinlich die meisten Rollstuhlfahrer glücklich sind, ich würde damit unterstellen, dass die anderen schrecklich leiden, möchte ich darauf aufmerksam machen, dass bei Menschen, die gehen, sehen, hören etc. können, auch nicht alle happy sind. Liegt in der Natur der Menschheit.

  12. Netty sagt:

    Busse kann man in England vergessen. Als ich 16 Jahren mit Töchterlein im Kinderwagen zur Stadt wollte während eines England besuches, da bin ich gelaufen um ja keinen Bus nehmen zu müssen. Hält man die Hand nicht hoch, dann fährt der Bus vorbei. Einmal habe ich sogar den falschen Bus angehalten. *groll*