Der Einzelhandel und die Barrierefreiheit

Es kommt wirklich selten vor, aber heute war ich richtig wütend. Auf die Strukturen in diesem Land und in Hamburg im besonderen. Ich wollte Passfotos machen lassen. Schon vor Indien war das ein Akt, weil ich keine mehr hatte und das indische Konsulat für das Visum aber mehrere haben wollte. Damals war ich schon auf der Suche nach einem barrierefreien Fotoladen – ohne Erfolg. Also hatte ich unter akrobatischen Anstrengungen mich in einen Fotoautomaten bemüht, konnte mich kaum auf dem winzigen Hocker halten und habe Fotos gemacht, die der indische Beamte gerade noch so als okay befand. Mein Gesicht war zwar schief, aber komplett drauf. Immerhin.

Jetzt wollte ich doch mal auf die Suche nach einem Fotostudio gehen und mir die Bilder digital speichern lassen fürs nächste Mal. Den ganzen Morgen habe ich rumtelefoniert, Qype befragt, ohne Ergebnis. Alle sagten, ihr Studio sei im Keller, unterm Dach oder sonst irgendwo. Irgendwann bin ich auf die Idee gekommen, bei Saturn anzurufen. Nicht, dass ich „Geiz ist geil“ so super fände, aber barrierefrei sind sie nunmal. Und tatsächlich, sie hätten auch ein Fotostudio, sagte mir die Dame am Telefon. Direkt im Erdgeschoss.

Ich fuhr also extra zu Saturn, musste in der Fotoabteilung lange warten und kam dann endlich dran. „Wir machen Fotos nur bis 18 Uhr“, sagte mir der Mitarbeiter um 18:10 Uhr. Ich: „Entschuldigen Sie, ich habe extra vorher angerufen und gefragt. Von 18 Uhr hat mir niemand was gesagt.“ Er: „Das tut mir leid, aber wir können Sie jetzt nicht bedienen.“ Ich hatte Mühe, meine gutes Benehmen beizubehalten. Drehte mich um und ging zum Kundenservice, um mich zu beschweren. Nicht weil ich dachte, dass das irgendwas bringt, aber ich wäre sonst geplatzt. Die Dame sagte, ihr sei ebenfalls nicht bekannt, dass die Mitarbeiter nur bis 18 Uhr Fotos machen und sie hätte mit mir auch nicht gesprochen. Ich war noch gelandener als vorher und ging ziemlich sauer aus dem Laden.

Dann fiel mir ein, dass es ein großes Fotogeschäft Richtung Rathaus gibt. „Ältestes Fotofachgeschäft Hamburgs“ wirbt die Firma Wiesenhavern. Einen Fahrstuhl haben sie auch. Aber: „Nein, Passfotos machen sie schon seit drei Jahren nicht mehr“, belehrte mich die Frau an der Kasse. Klar, hat ja auch was mit Dienstleistung zu tun. Ist ja nicht mehr so angesagt heutzutage.

Einen letzten Versuch, unternahm ich noch: Karstadt Mönckebergstraße. Was ich vorher nicht wusste: Karstadt ist eine Großbaustelle derzeit. Man betritt den Laden über ziemliche wackelige und unebene Bretter, es funktioniert nur ein Fahrstuhl, in diesem aber die Taste „EG“ nicht geht und überhaupt wurden gewisse Erinnerungen an meine Indienreise wach – ich hatte den Eindruck, man wusste nicht so recht, ob man renovierte oder Kunden empfangen wollte. Ich wartete nur darauf, dass mir jemand einen Bauhelm reichte und Handschuhe, um mir dann zu sagen, dass die Fotoabteilung nur über das die Leiter am Baugerüst zu erreichen ist.

Offene Decken mit Baustelle bei Karstadt

Der freundliche Karstadt-Mitarbeiter empfahl mir stattdessen, den Automaten zu nutzen, sie hätten keinen Fotografen mehr. Aber genau das wollte ich ja gerade nicht. Als ich gerade beschlossen hatte, meine Suche nach einem barrierefreien Fotografen in der zweitgrößten Stadt Deutschlands zu beenden, bemerkte ich, dass ich mir auf den Brettern einen Holzsplitter ins Fingernagelbett gerammt hatte, der wohl am Rad hängen geblieben war. Ich war endgültig bedient.

Und wenn mir jetzt noch mal ein Vorstand eines Einzelhandelverbandes begegnet, der über die schlechte Lage der Branche weint, dem werde ich sagen, dass ich gerne mein Geld ausgegeben hätte: 1. In einem Fotoladen, der stufenlos zu erreichen ist, mit kompetentem Personal. Dafür zahle ich auch wirklich gerne mehr als am Automaten. Und 2., dass ein Kaufhaus durchaus während des laufenden Betriebes renoviert werden kann – aber nur ohne Leib und Leben der Kunden zu gefährden. Meine Abenteuer suche ich mir selbst, das muss nicht Karstadt für mich tun.

P.S.:
Barrierefreie Fotoläden dürfen sich gerne bei mir melden, hilfreiche Tipps diesbezüglich werden mit Kaffee trinken auf meine Kosten belohnt. Barrierefrei natürlich.

11 Kommentare

  1. outsider sagt:

    Vor dem gleichen Problem stehe ich jetzt auch gerade. Nur, ich wohne in einer Kleinstadt und kann auch hier keine Passbilder machen lassen. Zum Glück ist Berlin nicht weit. Meine letzten Passbilder habe ich in Strausberg bei Wegert machen lassen. Das ging aber auch sehr primitiv vor sich. Man mußte sich im Verkaufsraum vor eine Tür stellen. Das ist kundenfreundlichkeit und Service in Deutschland! Und nun gibt es Wegert auch nicht mehr.

  2. Mela sagt:

    Hm, soweit ich weiss gibt es einige Fotografen die sich darauf spezialisiert haben professionelle Promotionsfotos im Arbeitsumfeld der Kunden zu machen, die also zu einem nach Hause oder ins Büro kommen. Vielleicht so einen mal fragen? Ein Passfoto ist um Unterschied zum normalen Foto ja nur eine Frage von Kopfhaltung und Bildbeschneidung.

  3. suz sagt:

    Mag jetzt aus der Tastatur eines nicht-Rollstuhlfahrers doch ziemlich naiv klingen – aber für Kaffee tu ich ja viel ;-) und biete mich als manuellen Türöffner für einen Besuch beim wohl nicht barrierefreien Photo Dose an. Die machen ihre Passfotos aber in ihren Geschäftsräumen, ebenerdig. Zumindest der in der Grindelallee. Ein Kompromiss zwischen Profi und Automaten?

  4. Christiane sagt:

    @suz
    Ich ruf da morgen mal an. Vielen Dank für den Hinweis! Wenn es klappt, hast Du Dir den Kaffee verdient. Brauchst auch keine Tür aufhalten. ;-)

  5. Nadine sagt:

    Ich wüsst hier noch einen, wenns den noch gibt, falsdu solange warten kannst und dann Zeit genug hast.
    LG

  6. outsider sagt:

    Ich gehöre aber auch zu den Menschen die ganz normal einen Fotografen aufsuchen wollen. Nicht mit hineinziehen, nicht mit Hausbesuch. Ist das zuviel verlangt? Ich mache weite Reisen, aber zu Hause kann ich nicht mal zum Fotografen. Und das ist nur ein Beispiel.

  7. Dorothea sagt:

    ja outsider, es ist offensichtlich „zu viel verlangt“. Unsereins hat lieb lächelnd im betreuten Wohnen oder Heim zu hocken und sich vom Pfleger durch die Öffentlichkeit schieben zu lassen.

    Und wenn man ganz „lieb“ ist, gibts sogar Hausbesuche bei den armen Gehandicapten, getarnt als Professionalität.

    Echt suuupiiii.

  8. Carola sagt:

    Oh ja, Dienstleistungen …
    Deine Wut kann ich zu gut nachempfinden, denn ich bin vorhin schlicht und ergreifend explodiert, als ich einen Brief von BASE bekam, in dem die sich freuten, dass wir doch BASE-Kunde bleiben wollen. Dazu muss ich sagen, dass ich seit knapp einem Jahr vergeblich darauf hinweise, dass wir keinen BASE-Vertrag wollen, wollten, oder jemals wollen werden. Leider hat das niemanden beeindruckt. BASE-Rechnungen, Mahnungen, Abgabe an ein Inkassobüro, gerichtlicher Mahnbescheid und obwohl wir auch dem fristgemäß widersprochen haben, wurde ein Rechnungsbetrag von über 200 Euro bei der Schufa eingemeldet.
    Den Eintrag konnten wir durch das Einschalten des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wieder löschen lassen.
    BASE hat auf Schreiben, Anrufe, Faxe und Einschreiben nie reagiert und nun geht die Formbriefhölle scheinbar erneut los. Sie freuen sich, dass wir uns entschlossen haben, BASE Kunden zu bleiben, steht in dem Formschreiben und ich kann auf den nächsten Schwung Rechnungen, Mahnungen etc gespannt sein, ohne jemals BASE gewollt, beantragt oder irgendwie genutzt zu haben. Und bei der Schufa kann e-plus wohl einmelden, was immer sie wollen ohne irgendeinen Vertrag nachweisen zu müssen oder den Umstand, dass wir die Forderung bestritten haben, beachten zu müssen.
    Gut ja, hat rein gar nichts mit Deinen Passbildern zu tun, aber dürfte so etwa Deinen Pegel an wütender Fassunglosigkeit angesichts solcher Ignoranz erreichen.

    Nicht mehr aus Köln, sondern aus Hohenwestedt grüßend,
    die Carola

  9. Christiane sagt:

    @Carola

    Ich verfolge Deine BASE-Geschichte schon länger. Aber immerhin: In den E-Plus-Laden in der Innenstadt kommt man aber stufenlos, nur die machen bekanntlich keine Passfotos. ;-)

  10. lachgas sagt:

    welch ein Glück das mein Freund gleich beim ersten Anruf einen stufenfreien fotografen in Mannheim fand (wobei er auf dem Foto schief sitzt, lt fotograf wäre er aber gerade … naja … beim nächsten mal suchen wir wohl auch)

  11. Bibri sagt:

    Ein Freund von mir macht sehr gute Passfotos in Hamburg. Er hat Zugang zu einem Studio in Altona, welches im EG ist. Um hereinzukommen muss man eine Stufe überwinden. Eine Alternative wäre auch, dass er zu euch kommt und die Photos vor Ort macht, sozusagen ein mobiler Photograph.