Archiv für Christiane

Jahresendfragebogen 2013

Ich gebe zu, ich habe mich vor 2013 etwas gefürchtet. Wie ich vor einem Jahr schrieb, war die Gefahr einer Post-Olympia-Depression schon sehr groß. 2012 war einfach zu besonders. So schlimm war 2013 aber dann doch nicht, finde ich. Hier mein Jahresendfragebogen.

Vorherrschendes Gefühl für 2013?
Weitermachen!

2013 zum ersten Mal getan?
In den berühmten Abbey Road Studios ein Lied aufgenommen.

2013 leider gar nicht getan?
In Hamburg gewesen.

Wort des Jahres?
Legacy.

Getränk des Jahres?
Rekorderlig Strawberry & Lime Cider

Essen des Jahres?
Käsefondue an Silvester.

Meistangerufene Person?
Artur

Die schönste Zeit verbracht mit?
Artur und Mercer

Die meiste Zeit verbracht mit?
Mit Schreiben – Artikel, Papiere, Beschwerdebriefe, Stellungnahmen, E-Mails, Rechnungen – und dem Einsetzen für einen barrierefreien öffentlichen Nahverkehr in London mit Transport for All.

Song des Jahres?
Mr. Blue Sky und Something inside so strong – Rockchoir (das ist mein Chor)

CD des Jahres?
Twelve Stops and Home – The Feeling

Buch des Jahres?
Schatzfinder: Warum manche das Leben ihrer Träume suchen – und andere es längst leben

Erkenntnis des Jahres?
Mein Bauchgefühl hat so gut wie immer recht.

Drei Dinge auf die ich gut hätte Verzichten können?
Die Entzündung im Bein in einer Wunde, die auf Antibiotikum nicht ansprach.
Die Ignoranz und Dummheit mancher Mitbürger.
Eine saublöder Brief einer Versicherung an meinem Geburtstag.

Beste Idee/Entscheidung des Jahres
Einen Auftrag aufzugeben, weil der Kunde eine andere Agenda verfolgte als ich.

Schlimmstes Ereignis?
Das mit dem Bein war schon nicht so lustig.

Schönstes Ereignis?
Entspannter Urlaub in Barcelona.

2013 war mit einem Wort?
Eine Herausforderung.

RIP Nelson Mandela

Mandela-Statue und KindRuhe in Frieden, Nelson Mandela! Er war ein wichtiger Unterstützer der Behindertenbewegung weltweit. In einem seiner Bücher schrieb er:

  • Wir möchten ein Gehalt bezahlt bekommen und eine Arbeit verrichten, für die wir geeignet sind und keine Arbeit tun, von der der Staat meint, dass sie für uns geeignet ist.
  • Wir wollen da leben, wo wir möchten und nicht woanders, weil wir in der Region nicht geboren sind.
  • Wir wollen nicht gezwungen sein, in gemieteten Häusern zu wohnen, die wir niemals unser Eigen nennen können.
  • Wir möchten Teil der normalen Bevölkerung sein und nicht gezwungen sein, in unseren eigenen Ghettos zu leben.
  • Wir möchten, dass es uns erlaubt ist, auch nach 11 Uhr abends aus dem Haus zu gehen und nicht in unseren Zimmern zu sitzen wie kleine Kinder.
  • Wir möchten in unserem eigenen Land reisen können.
  • Wir möchten einen gerechten Teil des ganzen Landes haben; wir wollen Sicherheit und einen Anteil an der Gesellschaft.
  • Vor allem möchten wir gleiche politische Rechte, denn ohne sie werden unsere Behinderungen dauerhaft sein.

Mandela schrieb nicht von behinderten Menschen. Es liest sich nur so. Zum ersten Mal habe ich von Mandelas Rolle in der Behindertenbewegung 2004 in Oslo gehört, in einer Rede von Lars Odegard, die ich immer noch für eine der besten Reden zu Teilhabe behinderter Menschen halte, die ich je gehört habe. Ich habe sie damals übersetzt. Hier ist das Original in Englisch.

Mandela war und ist ein wichtiges Vorbild für alle Menschen, die gegen Ausgrenzung, Erniedrigung und Exklusion kämpfen. Die Behindertenbewegung in Großbritannien aber auch in anderen Ländern ist stark beeinflusst durch ihn und die Geschichte Südafrikas. Vielleicht ist das der Grund, warum Großbritannien das beste Anti-Diskriminierungsgesetz in der EU hat, was einen großen Einfluss auf meinen Alltag hat. Danke, Madiba!

Dann mach ich’s eben selber

UpDownLondonAls ich vor einiger Zeit in Wien war, zeigte mir Martin Updownvienna.com. Das ist eine Webseite, mit der man auf einen Blick sehen kann, welche Fahrstühle im Wiener U-Bahn-Netz kaputt sind.

Ich wollte so etwas auch für London haben und fing an, Transport for London damit zu nerven. Ich weiß, dass TfL alle seine Lifts überwacht und die Informationen vorliegen hat. Sie lassen sie sogar auf ihre Webseite fließen, aber versteckt in viel Text und schon gar nicht so, dass man es auf einen Blick sieht. Zudem twittert TfL wenn ein Lift außer Betrieb ist, allerdings auch nur versteckt zwischen anderen Tweets. Aus Gründen, die mir bislang verborgen geblieben sind, twittern sie sogar mehr Liftstörungen als sie auf ihrer Webseite erwähnen.

Zu wissen, welche Lifts nicht gehen, ist als Rollstuhlfahrer oder gehbehinderter Passagier bei der Routenplanung extrem wichtig, sonst bleibt man irgendwo vor einem defekten Lift stehen statt einfach eine andere Route nehmen zu können. In London muss TfL zudem ein Taxi zahlen, wenn es keine direkte Buslinie zur Station mit dem defekten Lift gibt. Wenn man also weiß, wo ein Lift kaputt ist, kann man das mit dem Taxi schon gleich an der ersten Station organisieren.

Ein Jahr lang bat ich immer wieder darum, diese Informationen auf der Webseite doch übersichtlicher zugänglich zu machen. Ich sprach mit Managern, Direktoren und alle lächelten mich immer freundlich an „Jaja, machen wir“. Irgendwann lud man mich zu einem Termin ein, die Beta-Version ihrer neuen Webseite anzuschauen. Voller Vorfreude suchte ich nach Liftinformationen und sie waren noch bescheuerter zu finden als zuvor. Wer es mal ausprobieren möchte: Hier klicken und dann jede einzelne Stationsinformation durchlesen. „Auf einen Blick“ geht anders.

Nach einer abendlichen Facebook-Diskussion zu dem Thema dachte ich mir „Dann mach ich’s halt selber“. Ich fing erst an, mit Yahoo Pipes rumzuspielen. Es musste doch möglich sein, die Daten zusammenfließen zu lassen. Das ging auch, aber TfL hat auch einen Open Data-Feed. Nur ich hatte keine Ahnung davon, wie man auf die Daten zugreift und sie auswertet.

Aber ich bin gut vernetzt in London, kenne sehr viele Menschen im Bereich Verkehr, darunter auch ein paar richtige Geeks. Ich mailte meine Transport-Geek-Freunde an und fragte, ob jemand jemanden kennt, der sich damit auskennt. Es dauerte nur wenige Stunden, da meldete sich Kirk bei mir, ein Transport- und Open-Data-Entwickler, der sofort bereit war, mir zu helfen.

Innerhalb von 24 Stunden setzten wir die Webseite UpDownLondon.com auf – in Ahnlehnung und mit freundlicher Genehmigung von UpDownVienna. Er schrieb ein Programm, um die offiziellen Daten auszuwerten und zusätzlich überwacht das Programm die Twitter-Accounts von Transport for London. Uns entgeht so also nichts.

Nach zwei Wochen Probelauf waren wir sicher, dass die Software ordentlich läuft und ich fing an, die Seite zu bewerben. Unser Glück war, dass Londonist die Geschichte aufgriff, ein sehr beliebtes Nachrichtenportal für London. So war es einfach, ganz schnell viele Leute zu erreichen. UpDownLondon läuft jetzt seit ein paar Wochen einwandfrei und die Reaktionen waren ganz toll. Wir bekommen E-Mails von Rollstuhlfahrern, die uns für den Service danken und ich bin zur Stammnutzerin meiner eigenen Seite geworden und stehe seitdem vor keinem defekten Lift mehr. Man muss Dinge einfach manchmal selber machen statt darauf zu warten, dass sie passieren.

Behinderte Frauen und häusliche Gewalt

Warnung: Dieser Blogeintrag behandelt das Thema Gewalt gegen Frauen. Wer sich damit lieber nicht beschäftigen möchte, sollte nicht weiterlesen. Da ich auch nicht weiß, was es zu dem Thema groß zu diskutieren gibt, habe ich die Kommentare geschlossen.

Jemand postete den Buchtipp auf Facebook und ich kannte zufällig eine der Autorinnen. „Disabled Women and Domestic Violence“ heißt das Buch. Es war eigentlich nicht das, was ich gerade lesen wollte, aber da ich, wie gesagt, eine der Autorinnen persönlich kenne, war ich neugierig.

Es ist ein Sachbuch, das eine neue britische Studie zu eben diesem Thema auswertet und auf alte Studien zurückgreift. Ich gehe zu Amazon, lade mir das Buch auf mein iPad und fange an, zu lesen und kann gar nicht mehr aufhören. So unfassbar sind die Erkenntnisse aus den Befragungen von behinderten Frauen, die Gewalt durch ihre Partner und Partnerinnen erfahren haben. Es geht um behinderte Frauen, die eine Mobilitätseinschränkung oder eine sensorische Behinderung haben. Auch wenn es sich um eine britische Studie handelt, ich bin mir sehr sicher, die Erfahrungen lassen sich sehr gut auf andere Länder wie Deutschland übertragen.

Den ersten Hammer finde ich gleich auf den ersten Seiten: „Es gibt Forschungsindizien, die dafür sprechen, dass behinderte Frauen in UK, unabhängig vom Alter, der sexuellen Orientierung, der Ethnie oder Klasse, doppelt so häufig misshandelt oder vergewaltigt werden wie nicht behinderte Frauen.“

Die Studie untersuchte auch, wieso diese Frauen so häufig in Partnerschaften bleiben, wenn der Partner gewalttätig ist. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Untersuchung: Sie haben oft kaum eine andere Wahl, vor allem wenn der Partner / die Partnerin gleichzeitig Assistenzleistungen übernimmt und wenn sie sich Hilfe holen, hat kaum jemand Verständnis für ihre Bedürfnisse.

In dem Buch ist ein Fall dokumentiert von einer Frau, die in ihrer Not die Polizei anrief. Die Polizei kam, wollte den gewalttätigen Mann eigentlich mitnehmen, dann fragte man sie, ob ihr Partner sie denn pflegen würde. Als sie das bejahte, sagte der Polizist zu ihr, dass man ihn dann ja wohl schlecht mitnehmen könne. Die Polizei zog wieder ab und die Frau blieb mit dem gewalttätigen Mann alleine.

Manche Hilfseinrichtungen signalisierten den behinderten Opfern häuslicher Gewalt, dass ihre Hilfsangebote nicht für sie sind, sondern eigentlich nur für nicht behinderte Frauen. Umgekehrt waren kontaktierte Behindertenorganisationen auch oft überfordert.

Ein weiteres Problem sind Frauenhäuser, die gar nicht barrierefrei sind. Und selbst wenn sie es sind, reicht das vielen behinderten Frauen nicht. Sie brauchen nicht nur eine barrierefreie Umgebung, sie brauchen auch Assistenz. Welches Frauenhaus hat aber einen angeschlossenen Assistenzdienst, der sie ins Bett hebt oder zur Toilette bringt?

In dem Buch kommt auch zur Sprache, dass die Gewalt an Frauen häufig zunimmt, wenn die Behinderung fortschreitend ist. Je stärker der Hilfebedarf der Frauen wurde, desto gewalttätiger wurden teilweise ihre Partner und Partnerinnen. Vor allem wenn der Partner oder die Partnerin auch gleichzeitig für die Pflege / Assistenz zuständig war, wurde das gegen die Frauen benutzt, in dem man eben diese Leistungen verweigerte oder die Behinderung ausnutzte, um die Frau zu demütigen. So beschreibt eine Frau wie ihr Partner den Stecker zur Batterie ihres E-Rollstuhls abzog und sie so stundenlang festsaß, ohne sich wegbewegen zu können.

Das größte Hindernis, den / die gewalttätige Partner / Partnerin zu verlassen sind organisatorische Barrieren wie barrierefreier Wohnraum, Organisation von Assistenz, Verfügbarkeit von Hilfsmitteln aber auch finanzielle Barrieren, die dadurch entstehen, wenn man den Wohnort wechseln will und deshalb ein anderer Kostenträger zuständig wird.

Ein weiteres Hindernis ist vielfach die Einstellung der Umgebung, also dass den Frauen signalisiert wird, sie sollen doch dankbar sein, überhaupt einen Partner zu haben – „in ihrer Situation“. Sie werden oft als asexuell angesehen, was es nicht einfacher macht, beispielsweise eine Vergewaltigung anzuzeigen, und sie werden vielfach nicht als vollwertige erwachsene Persönlichkeiten wahrgenommen. Bei der Einrichtung von Hilfsangeboten werden sie daher teilweise völlig übersehen.

In dem Buch wird sehr gut beschrieben, wie Hilfsangebote aussehen müssen, um für behinderte Frauen zugänglich zu sein. Dabei geht es gar nicht so sehr um bauliche Barrieren (die gibt es natürlich auch), sondern um ein ganzheitliches Konzept. Das Buch endet mit den Worten: „Dieses Buch war sicherlich sehr erschütternd zu lesen, aber es schließt mit einer hoffnungsfrohen Botschaft ab – es gibt klare und optimistische Wege, um endlich den Bedürfnissen behinderter Frauen gerecht zu werden, die Missbrauch erfahren haben. Wir wissen, was hilfreich ist und wir wissen, was getan werden kann. Alles, was wir tun müssen, ist folgendes zu beachten: – Es darf keine Angebote zu häuslicher Gewalt geben, die nicht das Thema Behinderung beachten. – Es darf keine Angebote für behinderte Menschen geben, die nicht auch geschlechtsspezifische Belange berücksichtigen und Missbrauch beachten.

P.S.: Wer in Deutschland Hilfe benötigt, kann sich an das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen wenden. Für gehörlose Menschen gibt es dort ebenfalls ein Angebot.“

20 Dinge über mich

Mich hat auch niemand gefragt, aber ich habe dieses Blogstöckchen dennoch aufgehoben und 20 Dinge über mich aufgeschrieben. Genauso wie Felix, DasNuf, Kaltmamsell und viele andere zuvor.

1. Ich wollte schon immer Journalistin werden.

2. Als ich neun Jahre alt war, bekam ich einen Tag beim ZDF geschenkt – als Belohnung für eine Operation – danach wollte ich dann noch mehr Journalistin werden.

3. Ich hatte schon in der Grundschule Französischunterricht, weil ich in der Nähe der französischen Grenze wohnte. Später ging ich in eine Schule mit Intensivunterricht Französisch. Meine Eltern sind jedes Jahr mit uns nach Frankreich in Urlaub gefahren und wir fuhren oft nach Frankreich zum Einkaufen. Ich war auch zum Schüleraustausch in Frankreich. Ich spreche aber immer noch nicht gut Französisch.

4. Meine Englischlehrerin sagte mal zu mir „Du wirst diese Sprache nie lernen.“ Ich muss da immer dran denken, wenn ich wieder etwas für die BBC mache und durch den Haupteingang gehe. Ich antworte jedes Mal im Geiste „Naja, aber für die BBC reicht es.“

5. Ich bin ganz schlecht im Promis erkennen, selbst wenn ich mit ihnen rede. Ich könnte nie für die BUNTE oder so arbeiten. Ich würde an Schauspielern, Sängern, Popstars etc. einfach vorbeigehen. Allein im vergangenen Jahr habe ich es zwei Mal geschafft, prominente Persönlichkeiten zu fragen, was sie denn eigentlich so beruflich machen.

6. Ich habe es auch geschafft, in meinen ersten Tagen bei BBC, die Moderatorin des BBC-Frühstücksfernsehens zu fragen, was sie denn bei BBC so macht.

7. Ich hasse Rotwein.

8. Ich wollte als Kind eine Carrera-Bahn haben, die ich aber nicht bekommen habe.

9. Bis zu meinem 19. Lebensjahr bin ich im Durchschnitt alle vier Jahre umgezogen. Ich war in drei weiterführenden Schulen und zwei Kindergärten.

10. Ich habe 10 Jahre lang in Hamburg gewohnt – nirgendwo habe ich länger gewohnt bislang.

11. Als ich 18 war, bin ich vom katholischen zum evangelischen Glauben konvertiert.

12. Ich habe mal Leistungsschwimmen gemacht, bin auch Deutsche Meisterschaften geschwommen, aber ich mochte es nicht sonderlich, weil da nur andere behinderte Jugendliche waren und ich bei Wettkämpfen kaum Konkurrenz hatte (zu jung, weiblich, zu behindert).

13. Ich hatte mal Angst vor Spinnen – bis ich mir selber damit so auf die Nerven ging, dass ich zum Londoner Zoo in einen Anti-Arachnophobie-Kurs gegangen bin. War furchtbar, aber hat geholfen.

14. Ich bin nicht geizig, aber ich liebe Rabattkarten und freue mich, wenn ich den 10. Kaffee kostenlos bekomme.

15. Ich arbeite gerne in wuseliger Umgebung. Deshalb habe ich mein Büro aufgegeben und bin in einen Co-Working-Space gezogen.

16. Weil ich nicht gerne länger als 12 Stunden sitze, arbeite ich morgens oft vom Bett aus.

17. Ich habe seit mehr als 20 Jahren keine Krankengymnastik mehr gemacht. Alle Horrorszenarien, die mir prophezeit wurden, sind nicht eingetreten. Dafür habe ich eine Menge Zeit sinnvoll genutzt.

18. Nachdem ich bei den beiden Eröffnungszeremonien für London2012 mitgemacht habe, habe ich kaum noch Lampenfieber.

19. Ich hasse Ungerechtigkeit und Diskriminierung aller Art.

20. Ich bin ein Geek.

Die Alibi-Falle des deutschen Fernsehens

Gestern gab es eine Veranstaltung der Grimme-Akademie zu behinderten Menschen in den Medien. So gut es ist, über das Thema zu diskutieren, aber leider läuft es immer nach dem gleichen Schema ab: Es wird ein Problem benannt (zu wenig behinderte Menschen in den Medien oder wenn, dann falsch dargestellt), alle bedauern das und einzelne Sender verweisen auf irgendwelche Einzelsendungen wie „Menschen, das Magazin“ oder „Selbstbestimmt“ beim MDR oder Nischenprojekte, die sicher lobenswert sind, aber eben Nischenprojekte.

Die BBC hat ein ähnliches Format wie die Sonderprogramme in deutschen Sendern, „Does he take sugar?“ auf Radio 4 bereits 1998 eingestellt, weil sie behinderungsbezogene Themen in die regulären Programme bekommen wollten statt sie in ein Sonderprogramm abzuschieben. Wenn die Sender sich nun also darauf berufen, sie hätten doch so schöne Programme für behinderte Menschen, dann ist das nur ein Beweis mehr, dass diese Programme de facto eine Alibifunktion erfüllen. Haben wir was „für behinderte Menschen gemacht“? Ja.

Mainstream nicht Sonderprogramme

Nur im Mainstream-Programm fehlen die Themen und behinderte Menschen teilweise völlig oder werden völlig schräg dargestellt. Sendungen wie Wiso, Monitor, Frontal21, Panorama und jede dieser drölfzig Talksshows haben Jahre an Sendezeit, um Belange behinderter Menschen zu behandeln und die Themen mal auf eine politische Ebene zu heben.

Hinzu kommen die x Serien. Eine Freundin von mir, Liz Carr, spielt seit kurzem in der BBC-Serie „Silent Witness“ die Laborassistentin Clarissa Mullery. Das ist eine der Hauptrollen der Serie. Die Rolle erinnert übrigens sehr stark an die von Christine Urspruch im Münsteraner Tatort. Dass Clarissa Mullery Rollstuhlfahrerin ist, wird de facto nicht thematisiert. Sie ist es einfach. Und genau das ist es, was im deutschen Fernsehen fehlt. Die Normalisierung von Behinderung.

Ein anderes Beispiel ist Julie Fernandez, eine Rollstuhlfahrerin, die schon als Teenager in diversen britischen Serien mitspielte, darunter „The Office“. Außerdem trat sie in Sendungen auf, darunter Spiel- und Comedyshows. Im Kinderprogramm der BBC moderiert eine Moderatorin, die nur einen halben Arm hat. Auch beim Programm für kleine Kinder, Cbeebies, lernen die Kinder mit Mr. Tumble, wie man gebärdet. Vor Downing Street No.10 steht ganz oft der blinde BBC-Reporter Gary O’Donoghue. Ade Adepitan ist unterdessen ein bekannter Fernsehmoderator und „The Last Leg“ wird von zwei behinderten und einem nicht behinderten Comedian moderiert und zur Primetime auf Channel4 ausgestrahlt und die Nation schaut sich das an.

Es geht, aber man muss es wollen

Die Liste ist ziemlich lang und das sind nur die Leute, die mir spontan einfallen. Es zeigt, es geht also, man muss aber ein bisschen mutig sein und mal etwas neues ausprobieren. Die BBC macht sich dabei übrigens auch ihre eigenen behinderten Mitarbeiter zu nutze. Als ich bei BBC arbeitete, bekam ich eine Einladung zu einem Workshop der Comedy-Redaktion, die mit behinderten Kollegen über neue Produktionen sprechen wollten und wie man behinderte Menschen besser in Comedy-Programme integrieren kann. Die BBC hat allerdings erheblich mehr behinderte Mitarbeiter als alle Radio- und Fernsehsender, die ich so von innen erleben durfte. Das verändert dann auch ganz schnell den Umgang mit den Themen. Vielleicht sollte man da mal anfangen…

Wer braucht schon behinderte Wähler?

Als ich gestern die Wahlarena in der ARD mit dem SPD-Spitzenkandidaten Steinbrück sah, saß ich irgendwann wirklich verärgert vor dem Fernseher. Um es vorweg zu sagen, ich bin mit keiner Partei verheiratet, bin klassische Wechselwählerin und das hier soll kein Angriff gegen eine bestimmte Partei sein. Im Gegenteil. Ich halte den Auftritt von Steinbrück und den Dialog mit dem Rollstuhlfahrer für symptomatisch dafür, wie die deutsche Politik mit ihren behinderten Wählern umgeht. Sie ignoriert ihre Anliegen, hat null Ahnung, was den Leuten am Herzen liegt, weil sie glaubt es handele sich um eine kleine Minderheit.

Es meldete sich in der Wahlarena also ein Rollstuhlfahrer, der sich darüber beschwerte, dass er zwar jahrzehntelang in die Kranken- und Rentenversicherungssysteme eingezahlt hat, aber Probleme hat, einen Rollstuhl finanziert zu bekommen. Wer es sich noch einmal anhören möchte, das Video gibt es in der Mediathek, besagte stelle findet sich in Minute 57. Es geht bei Rollstühlen keineswegs um Zuzahlungen, sondern um die volle Kostenübernahme. Ein angepasster Rollstuhl kostet mehrere tausend Euro, ein elektrischer Rollstuhl das Doppelte.

Ahnungslos

Zusammenfassend: Steinbrück zeigt sich ziemlich ahnungslos bei dem Thema, verweist auf die Belastung der Kassen, meint ein Gesundheitsminister müsse sich des Themas mal annehmen und hofft, dass die Verantwortlichen bei den Krankenkassen die richtigen Entscheidungen treffen.

Ernsthaft? Und das nachdem der Moderator ihn noch darauf hingewiesen hat, dass jedes dritte Hörgerät in Deutschland erst einmal abgelehnt wird. Nun ist Steinbrück kein Sozialpolitiker, aber genau darum geht es: Solche Themen müssen mal raus aus der „Gedöns“-Ecke. Denn es ist auch ein volkswirtschaftliches Problem, behinderte Menschen auszugrenzen. Und genau das passiert, wenn ein beschäftigter Rollstuhlfahrer keinen Rollstuhl mehr bekommt. Er kann nicht mehr arbeiten gehen, nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen und seine Zeit mit Rumärgern mit der Krankenkasse verbringen statt Geld auszugeben und Steuern zu zahlen.

Was kümmert mich mein Gesetz von gestern?

Es ist wirklich zum Volkssport von Leistungs- und Kostenträgern geworden, behinderten Menschen jeden Stein in den Weg zu legen, den es gibt, statt ihnen Teilhabe zu ermöglichen, wie es das Gesetz von ihnen verlangt. Wieso macht der Gesetzgeber eigentlich Gesetze, wenn es ihm anschließend egal ist, ob diese von den Trägern eingehalten werden?

Wenn Steinbrück mal in sein eigenes Wahlprogramm geschaut hätte, dann hätte er gelesen, dass die SPD einen Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik anstrebt. Ich zitiere: „Wir wollen ein für alle Sicherungssysteme und Leistungsträger einheitliches Bedarfsermittlungssystem schaffen. Damit sollen individuelle Beeinträchtigungen von Menschen erkennbar und tatsächliche Hilfebedarfe ermittelt werden. Problematische Schnittstellen zwischen Trägern von Sozialleistungen müssen zugunsten einheitlicher Verfahren abgebaut werden. Der Anspruch auf Hilfe zur Inklusion wird nicht mehr als Fürsorgeanspruch, sondern als Anspruch zum Ausgleich von Nachteilen ausgestaltet.“

Nicht so im Thema drin

Und was sagt der Kanzlerkandidat? Er sei nicht so im Thema drin. Es geht ja nur – ich zitiere das Statistische Bundesamt – um 7,3 Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland. Das sind fast 9 Prozent der Bevölkerung. Die Menschen wiederum haben Angehörige, die unmittelbar davon betroffen sind, wenn ihr behinderter Angehöriger nicht die optimale Hilfsmittelversorgung erhält, dadurch vielleicht den Job verliert etc. Die Bundesregierung geht übrigens von tatsächlich doppelt so vielen behinderten Menschen aus und spricht von 20% der Bevölkerung.

Nicht auf dem Zettel

Die Parteien haben die Belange von behinderten Menschen nur überhaupt gar nicht auf dem Zettel. Sie versäumen es, 20% der Bevölkerung anzusprechen. Das kann man auch noch einmal schwarz auf weiß nachlesen. Die Deutsche Gehörlosen-Zeitung hatte Parteien einen Fragekatalog mit für gehörlose Wähler relevante Fragen zukommen lassen. Vor Redaktionsschluss nicht geantwortet haben die AfD (geschenkt!) und die SPD (Wie bitte?).

Die CDU hat zwar geantwortet, aber die Antworten sind, wenn man nur ein bisschen Ahnung vom Leben behinderter Menschen hat, teilweise fast komisch. Frage 6 zum Beispiel behandelt die Frage nach dem Zugang zu Gebärdensprachdolmetschern: Sollen alle Behörden, Krankenhäuser, Frauenhäuser und andere wichtige Dienstleister schnell und ohne komplizierten Papierkrieg auf Gebärdensprachdolmetscher zugreifen können, wobei die Kosten automatisch durch neue Finanzierungsstrukturen übernommen werden würden?

Die CDU verweist in ihrer Antwort auf nicht weniger als auf das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz (BGG). Naaaaa? Richtig bemerkt. Krankenhäuser, Frauenhäuser und die meisten anderen Dienstleister sind keine Einrichtung des Bundes. Das Gesetz gilt hier gar nicht. Setzen sechs.

Die FDP hat bei zwei der Antworten einfach mal Copy/Paste gemacht und zeugt auch ansonsten nicht wirklich von Kompetenz bei dem Thema. Merkt ja keiner!

Und die LINKE und die Grüne haben zwar interessante Antworten, aber in ihrem Wahlkampf finden sich die Themen so gut wie nicht wieder. Die LINKE hat ihrem einzigen rollstuhlfahrenden Abgeordneten Ilja Seifert, einer Galionsfigur der deutsche Behindertenbewegung, einen so schlechten Listenplatz verpasst, dass er nur schwer wiedergewählt werden wird.

Die PIRATEN-Antworten zeugen immerhin davon, dass viele behinderte Menschen bei ihnen aktiv sind. Das hat sie aber nicht davon abgehalten, ihr Konzept zur Behindertenpolitik nicht rechtzeitig vor den Wahlen in ihr Programm zu schreiben, sondern einen völlig verunglückten Satz reinzudrücken, weil andere Themen auf dem Parteitag irgendwie wichtiger waren.

Nicht sehr schlau

Ja, man kann so Politik machen, es ist nur nicht besonders schlau. Denn wem 20% der Bevölkerung zu wenig sind, sich wirklich mal damit zu befassen, was die Leute bewegt und was geändert werden muss, der darf sich über eine gewisse Politikverdrossenheit behinderter Menschen nicht wundern. So lange alle Parteien das so machen, macht das im Wahlergebnis nichts, aber die erste Partei, die sich wirklich profiliert, könnte meines Erachtens wirklich punkten.

Geht zu den Veranstaltungen!

In diesem Sinne war es gut und wichtig, dass der Rollstuhlfahrer im Publikum saß und eine Frage gestellt hat. Dann wird es schwieriger, behinderte Menschen politisch zu ignorieren. Ich möchte das immer und überall sehen, dass behinderte Menschen zu politischen Veranstaltungen gehen. Schon die Anwesenheit schärft manchmal das Bewusstsein, aber eine Frage zu stellen ist natürlich perfekt.

Behinderte Menschen müssten viel öfter ihre Abgeordneten nerven, auf allen politischen Ebenen. Wenn es normal wird, dass behinderte Menschen an der Politik teilhaben, dann wird es auch nicht mehr so einfach, behinderte Menschen von solchen und anderen Veranstaltungen einfach auszuschließen.

Journalismus, James Bond und ich

Als ich vor fast 7 Jahren nach London ging, habe ich weder damit gerechnet, an der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele teilzunehmen noch damit, nach den Spielen einmal für die BBC in James-Bond-Manier die öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt zu testen. Aber genau das habe ich im Juli gemacht. Der Film lief vergangenes Wochenende im Frühstücksfernsehen bei BBC One und in der Sendung BBC Fast Track auf BBC World News.

Das Konzept des Films: Ex-Paralympics-Sportler Ade Adepitan und ich rasen von einer ehemaligen Olympiastätte zu einer London2012-Olympiastätte – er mit dem Handbike, ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Politik betont immer wieder die Nachhaltigkeit der Spiele und wie viel sich seitdem in London geändert hat. Das haben wir getestet. Das Ergebnis seht Ihr hier:

Ade brauchte rund 30 Minuten weniger als ich. Ich war bei 30 Grad und einer irren Hitze in der U-Bahn fast zwei Stunden unterwegs, musste zwei Busse und zwei U-Bahnen nehmen um barrierefrei von A nach B zu kommen – eine Strecke für die man als nicht behinderter Passagier rund 45 Minuten gebraucht hätte.

Das Team

Um diesen Film machen zu können, hatten wir eine Armee an Leuten um uns herum. Ich habe schon viel fürs Fernsehen gearbeitet, in Deutschland und in UK, aber das war wirklich auch für BBC-Maßstäbe ziemlich cool. Wir hatten mehrere Kameraleute und Producer. Vor Ade fuhr ein Team mit einem Audi, in dessen Kofferraum eine Kamera und ein Kameramann saß. Außerdem hatte Ade eine James-Bond-mäßige Kamera an seinem Bike und ein Mikrofon.

Die Gadgets

Ich hatte ebenfalls eine Kamera am Rollstuhl. Die war kaum größer als ein Daumennagel. Die hatten wir mit Black Tack (das ist so schwarzes Kaugummiband) auf Kniehöhe meines Rollstuhls festgemacht. Zudem hatte ich ein Mikrofon auf der Brust. Ein Kameramann hatte ein Hemd mit einem Knopf, in den eine winzige Kamera eingebaut war. Die Kabel waren unter dem Hemd, der Kontrollmonitor in einer Umhängetasche. Eine Producerin hatte eine Kamera, die ungefähr so groß war wie eine übergroße Streichholzschachtel in der Hand. Und es gab auch normal große Kameras.

Der Grund für unser James-Bond-Auftreteten war, dass die BBC von den Verkehrsbetrieben niemals eine Drehgenehmigung für so einen Film bekommen hätte und es natürlich möglichst authentisch sein sollte. Kein Mitarbeiter hätte mich einfach stehen lassen, wie es in dem Film zu sehen ist, wenn sie gewusst hätten, sie werden gefilmt. Und bestimmt hätten sie kein ungeschultes Personal da hingestellt.

Journalismus zum Thema Barrierefreiheit mit richtig coolen Gadgets, bei strahlendem Sonnenschein und einem klasse Team – das hat richtig Spaß gemacht und ich glaube, das merkt man dem Film auch an.

Griff ins Klo

Der Zweck heiligt die Mittel muss sich die Agentur Karmacom gedacht haben, als sie eine Kampagne kreierte, die junge Leute davon abhalten soll, betrunken Auto zu fahren. Wenn man nämlich betrunken Auto fährt, dann droht einem ein Leben im Rollstuhl, erzählt die Agentur den Leuten. Dafür haben sie Rollstuhlräder bei einem Festival in Freiburg neben die Toiletten montiert und werben auch ansonsten recht bedrohlich mit dem fahrbaren Untersatz Rollstuhl. Der Slogan: „Lass Dein Auto stehen, wenn Du gehen willst.“ Unterstützt wird die Kampagne von Fudder und dem Freiburger Sanitätshaus Pfänder.

Manchmal bin ich echt fassungslos über so viel soziale Inkompetenz, Ignoranz und vor allem Ausgrenzung. Wie Werben & Verkaufen schon richtig bemerkte, sitzt die Mehrheit der jungen Rollstuhlfahrer keinesfalls im Rollstuhl, weil sie betrunken waren. Sie haben Cerebralparese, Muskelschwund, Glasknochen oder eine Querschnittlähmung zum Beispiel. Um die Querschnittlähmung geht es hier wohl auch, denn die kann man sich bei einem Autounfall durchaus zuziehen. Allerdings kenne ich Hunderte junge Rollstuhlfahrer, aber nur eine einzige Rollstuhlfahrerin, die ich kenne, hatte einen alkoholbedingten Unfall. Und sie selbst war weder Unfallverusacherin noch betrunken! Ich selber bin durch einen ärztlichen Kunstfehler querschnittgelähmt und so gibt es ganz viele verschiedene Ursachen und Geschichten, warum Menschen nicht laufen können.

Was mich aber am meisten ärgert, ist die Drohung mit dem Rollstuhl und wie das Leben damit dargestellt wird. Was erlauben die sich eigentlich? Da kämpfen behinderte Menschen in Deutschland für Inklusion und gegen Ausgrenzung und eine Agentur hat nichts besseres zu tun als ihre Kreativität dafür zu verwenden, der Welt mitzuteilen, wie schlimm das Leben im Rollstuhl ist und den Rollstuhl als Fortbewegungsmittel zu verteufeln. Was kommt als nächstes? Eine Kampagne für Verhütung, in der die Lebensqualität von Alleinerziehenden angezweifelt wird? Oder eine Kampagne für gesundes Essen, bei der man sich über dicke oder magersüchtige Menschen lustig macht?

Und noch etwas verstehe ich nicht: Wieso richtet sich die Kampagne nur an nicht behinderte junge Leute? Erwartet man auf dem Festival keine behinderten Teilnehmer? Die werden sich von dieser Aktion aber wohl kaum angesprochen fühlen, fahren aber auch Auto. Sind die den Kampagnenmachern egal?

In Österreich gab es 2006 eine ganz ähnliche Kampagne, die gestoppt wurde, nachdem die Werbung in einem Schlichtungsverfahren als diskriminierend eingestuft wurde. Der Auftraggeber der Werbung, das Verkehrsministerium, zahlte damals 400 Euro Schmerzensgeld an einen Rollstuhlfahrer, der sich durch die Werbung diskriminiert fühlte.

Man kann nicht für eine Sache kämpfen, in dem man eine andere Gruppe benutzt und deren Leben degradiert. Das gibt ganz schnell Abzüge beim Karma, liebe Agentur Karmacom. Hört auf mit dem Unsinn, aber ganz schnell!

Ist wirklich jeder behindert?

An welchem Satz merkt man ganz schnell, dass jemand es sicher ganz nett meint, aber im Grunde null Ahnung hat, wovon er redet? Auf meiner Hitliste weit oben steht der Satz: „Im Grunde ist ja jeder irgendwie behindert.“ Dieser Satz wird so gut wie immer nur von nicht behinderten Menschen benutzt und ich hasse ihn. Ich schreie innerlich, wenn zu mir jemand diesen Satz sagt und gerade ist der Satz irgendwie wieder voll in Mode. Warum ich den Satz hasse? Er ist einfach falsch und er negiert völlig die Diskriminierung, die behinderte Menschen erfahren.

Zum einen steckt dahinter der Wunsch nach Gleichmacherei. Alle sind ja irgendwie gleich, alle machen die gleichen Erfahrungen. Das ist sicher sehr nett gemeint, aber nein, mit Verlaub, das ist nicht so. Nicht behinderte Menschen machen nicht die Erfahrungen, die behinderte Menschen machen. Nicht einmal behinderte Menschen machen die gleichen Erfahrungen die andere behinderte Menschen machen, weil sie andere Bedürfnisse haben.

Nicht behinderte Menschen müssen sich nicht bei der Bahn 24 Stunden vorher anmelden, wenn sie reisen wollen. Die können einfach in den Zug steigen. Die dürfen auch auf den Berliner Fernsehturm und ins Kino wann und wo sie möchten, die können auch jede Sendung im Fernsehen sehen und nicht nur die wenigen, die man untertitelt, um mal nur ein paar Beispiele zu nennen.

Meine Behinderung definiert sich für mich darüber, wie barrierefrei mein Alltag ist. In einer barrierefreien Umwelt fühle ich mich nicht behindert. Leider ist die Umwelt aber so, dass behinderte Menschen an sehr viele Barrieren stoßen. Das schließt sie von vielen Lebensbereichen aus: öffentliche Verkehrsmittel, Bildung, Beruf, Kultur, Medien. Die Liste ist ewig lang. Behinderte Menschen machen also tagtäglich die Erfahrung, dass sie ausgegrenzt werden. Sie werden behindert. Das zu ändern ist eine Frage von Menschenrechten und dem Bekämpfen von Diskriminierung.

Wenn man das ändern möchte (was ich schwer hoffe), muss man als erstes einmal den Umstand anerkennen, dass es Diskriminierung und Ausgrenzung gibt und auch, dass Behinderung kein allein individuelles Problem eines einzelnen ist, sondern ein gesellschaftliches Problem.

Diese oben beschriebene Gleichmacherei macht aber genau das Gegenteil. Es erkennt nicht die Bedürfnisse einer bestimmten Minderheit an, die die Gesellschaft vielfach nicht berücksichtigt, sondern tut so als seien die Erfahrungen im Alltag für alle gleich. Das ist aber nicht so.

Diese Definition von Behinderung übrigens ist auch der Grund, warum es im britischen Englisch „disabled people“ und nicht „people with disabilities“ (oder wie im Deutschen „Menschen mit Behinderungen“) heißt. „Disabled people“ geht davon aus, dass behinderte Menschen behindert werden nicht eine Behinderung haben, es ein gesellschaftliches Problem ist und fokussiert nicht auf eine rein medizinische Diagnose. Die Diagnose nennt man „impairment“ nicht „disability“.

Dahinter stehen zwei verschiedene Denkweisen über Behinderung. Das „medizinische Modell“ und das „soziale Modell“ von Behinderung. In Deutschland definiert man Behinderung danach, was jemand nicht kann und sieht das als alleinige Ursache für die Behinderung. Zum Beispiel: Ich komme in das Gebäude nicht rein, weil ich nicht laufen kann. Das „soziale Modell“ geht davon aus, dass die äußeren Umstände die Behinderung sind. Also: Ich komme in das Gebäude nicht rein, weil da fünf Stufen vor der Tür sind.

Zukunftsweisender ist sicher das „soziale Modell“, denn ein Gebäude kann man ändern, aber es wird immer Menschen geben, denen fünf Stufen Probleme bereiten. Darauf zu hoffen, dass sich das individuell oder medizinisch löst, ist ziemlich unwahrscheinlich und führt zu weiterer, andauernder Ausgrenzung – eben so lange wie das Gebäude nicht geändert ist.

Also nein, im Grunde ist nicht jeder behindert, nur ein Teil der Bevölkerung. Aber jeder kann etwas dafür tun, dass die Barrieren weniger werden. Dazu gehört auch, solche Sprüche zu überdenken.