Ich hatte gerade ein sehr merkwürdiges Erlebnis. Ich habe gestern abend einen Kurs entdeckt, den ich gerne besuchen würde. Er wird von einer lokalen Bücherei angeboten, die ein umfangreiches Weiterbildungsangebot hat. Vielleicht vergleichbar mit der deutschen Volkshochschule, auch staatlich finanziert.
Ich rief da also an und fragte, ob noch ein Platz frei sei. Der Kurs startet schon morgen. Zu meiner großen Überraschung war ein Platz frei. Dann verlief die Konversation wie folgt:
Mitarbeiterin: Darf ich Sie fragen, ob Sie schon länger als drei Jahre in Großbritannien leben?
[Das fand ich schon einen interessanten Einstieg in das Gespräch!]
Ich: Nein, ich lebe seit einem Jahr in London. Ich komme aus Deutschland.
Mitarbeiterin: Dann müssen Sie einen Aufpreis zahlen. Das Seminar kostet dann 190 Pfund, da ihr Platz nach britischen Bildungsrichtlinien nicht subventioniert wird, sondern Sie Studiengebühren zahlen müssen.
[Das waren dann etwa 150 Pfund mehr als für die Briten.]
Ich: Es kann sich doch wohl nur um einen Scherz handeln. Das ist gegen das Gesetz, was Sie da machen. Ich bin Bürgerin eines EU-Mitgliedstaates und darf zu den gleichen Bedingungen in England studieren und Kurse belegen wie britische Staatsbürger. Kann ich bitte mit Ihrem Vorgesetzten sprechen?
Mitarbeiterin schaltet mich in die Warteschlange. Nach 2 Minuten ist sie wieder dran.
Mitarbeiterin: Sie haben recht, sie müssen nur die normale Kursgebühr zahlen.
Ich: Alles andere würde auch gegen das Gesetz verstoßen.
Mitarbeiterin: Gut. Ich muss zu statistischen Zwecken einen Fragebogen ausfüllen. Ist das in Ordnung?
Ich: Ja.
Mitarbeiterin: Welcher ethnischen Gruppe würden Sie sich zurechnen?
Ich: White Other. [Ich kenne die ankreuzbaren Antworten bei diese Fragebögen schon]
Mitarbeiterin: Würden Sie sich selber als behindert bezeichnen?
Ich: Ja. Ich bin Rollstuhlfahrerin.
Mitarbeiterin: Wie bitte? Was sind Sie?
Ich: Rollstuhlfahrerin.
Mitarbeiterin: Achso, normalerweise sagen die Leute auf diese Frage immer „Nein“.
Stöhnen und Kopfschütteln bei mir. Nachdem ich mich wieder gefangen hatte…
Ich: Sehen Sie mal wie ich Ihre Statistik aufpoliere. Ausländerin und behindert. Dafür müsste ich eigentlich Rabatt kriegen.
Ich hab jetzt irgendwie nicht so ein richtig gutes Gefühl bei dem Kurs…
Das erinnert mich an meinen Versuch, ein Auto mit deutschem Fuehrerschein zu mieten. Die DVLA (Zulassungsbehoerde in England) sagt eindeutig, dass ein EU Fuehrerschein entweder drei Jahre oder bis zum 70. Lebensjahr (und zwar was laenger ist) in England gueltig ist. Diese Formulierung haben zahlreiche Autovermieter nicht verstanden und mir erklaert, dass ich nach fuenf Jahren in England nicht Autofahren darf. Sogar mein MEP war zuerst dieser Ansicht, hat dann allerdings bei der DVLA nachgefragt und zum Schluss dafuer gesorgt, dass ich doch mein Auto bekomme …
Auslaender sind halt doch etwas seltsames, oder?
Tja. Das trifft den Nagel auf den Kopf: In Deutschland findet man das traurig, tragisch, schlimm. Hier in England lacht man eben leichter ueber sich selbst, und findet das lustig.
Ich finde das auch lustig. Es hat namlich nix mit Diskreminierung zu tun, sondern mit Ignoranz – in diesem Fall eben die ueberfordete Dame bei Deiner Library.
Genau das isses was das Leben hier in England menschlicher macht als das in Deutschland. Fuer mich jedenfalls. Seit ueber elf Jahren.
@w7
Ignoranz kann aber auch eine Form von Diskriminierung sein. Und ich bin ziemlich sicher, dass ihr Arbeitgeber sie so nicht geschult hat. Der lacht da sicher nicht drüber, wenn er es wüsste.
Meine Erfahrung ist übrigens eine ganz andere: Die Leute sind hier viel sensibilisierter (die Frau ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt) und verstehen sehr wohl, was Diskriminierung bedeutet. Eine der ersten Sätze, die ich hier nach meiner Ankunft aufgeschnappt habe war „Some people might find this offensive.“ Und ich finde das auch nicht schlimm, denn es ist eine Frage des Respekts, wie man miteinander umgeht. Dieser Respekt hat mir in Deutschland oft gefehlt.
Dass ich über die Frau lache und mich indirekt über sie lustig gemacht habe, ist eine andere Sache. Ich fürchte nur, sie hat es nicht verstanden. :-)
[…] war ja heute bei dem Kurs, den ich ja trotz einiger Unwegsamkeiten gebucht habe. Im Weiterbildungszentrum habe ich folgendes Dekorationsstück an der Wand […]
Hihi, das ist ja Comedy-reif, du hättest aber nicht „white other“ sagen sollen, sondern „I do not know, I am not a rascist“. Und du hättest fragen sollen, ob sie auch die sexuelle Orientierung wissen wollten.
Moment mal, auch wenn die Bibliothekarin Dich am Telefon zuerst falsch informiert hatte, war sie nicht ganz falsch. Die Regelungen sind unfair, aber auch verständlich, und die Libraries Department in deinem Bezirk können auch nichts dafür… Auf jeden Fall hätte sie dich fragen müssen, ob du EU-Bürgerin bist, und dann ob Du ohne Unterbrechung in den letzten 3 Jahren in der EU bzw. EWR (oder auch einige ex-Kolonien/Commonwealth-Länder) gelebt hast (ja=“Inländer-Preis“); und wenn nicht, ob du als nicht EU-Bürgerin/Ausländerin (etc.) in den letzten 3 Jahren ohne Unterbrechung in der EU bzw. EWR gelebt hast (schon=“Inländer-Preis“); und wenn nicht, ob Du in den letzten 3 Jahren ohne Unterbrechung in Großbritannen bzw. Nordirland steuerpflichtig warst, trotz Aufenthalt anderswo (doch=“Inländer-Preis“). Und wenn nochmal „nein“, dann 150 Pfund mehr, denn die Zentralregierung bezuschußt der Kurs wohl mit 150 Pfund pro KursteilnehmerIn, der/die wohl als „Inländer“ gilt, und die Nicht-Inländer gar nicht. Und deswegen teuerer.
Die Frau an sich hatte recht, war aber nicht genau informiert darüber, was in dieser Hinsicht als „Ausländer“ gilt…
Die Regelungen gelten auch für die britische Fernuniversität – nachlesen kann man sie hier http://www3.open.ac.uk/our-student-policies/pdf/termscond.pdf auf Seite 4, ab Absatz 3.3 „UK fees apply if…“
Ähnliche Regelungen gibt es hier in Deutschland auch. Und so viele Beamte wollen nicht glauben, dass Großbritannien in der EWG/EU ist, und das schon seit 1973… „Ihr habt doch keinen Euro“ hört man etc. Trotzdem bin ich hier „Bildungsinländer“, wie es so schön auf Amtsdeutsch heißt.
Und Burkhard, solche Fragebögen fragen auch öfters nach wegen „Gender“, was wohl nicht „Sex“ heißt, aber manche wollen nicht „Sex“ schreiben. Trotzdem kann man i.d.R. nur „Male“ oder „Female“ ankreuzen.
@ Gunter: wie lange her war das? Hier in Deutschland galt genau das auch, aber andersherum (sprich: für andere ausländische Führerscheine, auch aus andere EU-Staaten). Es gab zumindest noch vor ca. einige Jahren schöne Faltblätter darüber vom Bundesverkehrsministerium. Die Regelungen haben sich schon vor kurzem verändert.
Trotzdem: „Die Anerkennung des Führerscheins in Staaten außerhalb der EU und des EWR hängt davon ab, welchen Führerschein Sie besitzen (grau oder rosafarbenes Muster, Scheckkarte oder internationaler Führerschein) und welchem internationalen Abkommen der jeweilige Staat beigetreten ist.“
http://www.bmvbs.de/artikel-,302.1491/Gueltigkeit-deutscher-Fahrerla.htm
Der Abkommen darüber ist aus dem Jahr 2000, wurde aber sicherlich erst viel später (wie so oft) durchgesetzt…
@ D.Z. Bodenberg
Mir ist klar, dass sie mich nicht anlügt, sondern einfach uninformiert ist. Dass die Regelungen für Nicht-EU-Bürger so sind, finde ich übrigens alles andere als gut. Zumindest Zentren, die Volkshochschulcharakter haben, sollten für alle Bürger gleichermaßen offen stehen, zum gleichen Preis. Das ist keine Hochschule, sondern eine Art Stadtteilzentrum und da sollte wirklich jeder das selbe zahlen.
Eigentlich geht es aber auch nicht um „AusländerInnen“ oder nicht-EU-Bürger, sondern um Menschen, die in den letzen 3 Jahre keine Steuern in Großbritannien bezahlt haben. Das gilt wohl auch nur für EU-Bürger, weil die Regierung das angleichen mussten…
Ich bin der Meinung, dass Bildung für alle umsonst (auf Englisch: „free at the point of use“, es ist mir klar, dass das Geld durch Steuern reinkommen müsste) sein sollte. Egal wer das ist und egal wo. Auch an Hochschulen, die in GB sich über Nicht-EU-Ausländer hauptsächlich finanzieren. Dabei habe ich kein Mitleid mit den „Neuen Russen“ oder Chinas Oberschicht, die es leisten können, 10.000 Pfund oder mehr pro Jahr für die Bildung ihrer Kinder locker leisten können….
Wie findest Du eigentlich die Bibliotheken etc. in London? In Berlin sind sie wirklich recht schlecht im Vergleich dazu, allerdings es kommt in London darauf an, in welchem Bezirk man wohnt… (während hier heißt es wirklich überall „abbau“).