Tag Archiv für NHS

Nicht wert, gerettet zu werden

Wer einen Krankenwagen ruft, geht davon aus, dass die Sanitäter alles tun werden, um das Leben des Menschen zu retten. In England gibt es gerade Entsetzen darüber, dass eine Krankenwagenbesatzung bei Ankunft wohl entschieden hat, der Mann sei nicht wert, gerettet zu werden. Der Mann war behindert, sein Haus in ungepflegtem Zustand. Er hatte noch selber 999 angerufen, weil er glaubte einen Herzinfarkt zu haben. Der Mensch in der Leitzentrale unterhielt sich mit ihm bis zum Eintreffen der Sanitäter. Inzwischen war der Mann ohnmächtig geworden, aber die Telefonverbindung stand noch. Und so konnte die Zentrale mit anhören, wie die Sanitäter sich über den Zustand des Hauses unterhielten und den Mann sterben ließen anstatt ihm zu helfen. Sie sollen auch gesagt haben, man werde später angeben, der Mann sei bei Eintreffen schon tot gewesen. Da es sich um einen Anruf bei 999 handelte, ist das Gespräch aufgezeichnet worden. Nun ermittelt die Polizei.

Seit Monaten kann man keine Zeitung aufschlagen ohne irgendetwas pro aktive Sterbehilfe bei behinderten und kranken Menschen zu lesen. Radiomoderatoren verkünden, sie wollten lieber sterben als behindert zu sein. In solch einem Klima glaubt vielleicht der ein oder andere, er sei auf der richtigen Seite, wenn er einem „sowieso schon behinderten und alten Mann“ nicht mehr hilft. Liz Carr hat einen sehr guten Artikel im Guardian dazu geschrieben, wie behinderte Menschen derzeit in den Medien dargestellt werden – als Superhelden bei den Paralympics oder als lebensmüde Sterbehilfeaktivisten.

Mal wieder Kontakt mit dem NHS

Eine meiner größten Bedenken vor dem Umzug nach Großbritannien war die medizinische Versorgung. Was habe ich mir nicht alles an Warnungen anhören müssen über den National Health Service (NHS). Nachdem ich ja schon vor einem Jahr das besondere Vergnügen hatte, ein NHS-Krankenhaus eine Woche lang von innen zu begutachten, hatte ich heute mal wieder Kontakt mit dem britischen Gesundheitssystem.
Mir geht es seit einer Woche nicht so richtig gut und ich kränkele vor mich hin. Nachdem nachts nun auch noch Bauchkrämpfe hinzu kamen, dachte ich, ich muss nun doch mal zu meinem Hausarzt (GP).

Nun weiß ich, dass wir hier im Greenwich Millenium Village relativ priviligiert sind: Wir haben eine super moderne Praxis – mit Labor und allem Schnickschnack. Ich habe also um 10 Uhr heute morgen dort angerufen und gesagt, ich würde gerne einen Arzt sehen. Um 12 Uhr hatte ich einen Termin und musste 5 Minuten warten. Bislang war ich immer bei einer Hausärztin, aber die war heute nicht da und so lernte ich ihren Mann kennen. Auch sehr nett und sehr bemüht, mir zu helfen.

Die Praxis ist super barrierefrei mit barrierefreier Toilette und viel Platz überall. Ich habe heute das erste Mal in meinem Leben in einer Arztpraxis eine Urinprobe abgegeben, ist mir aufgefallen. Weil die Arztpraxen in Deutschland mehrheitlich keine barrierefreie Toilette haben, musste ich immer nach Hause fahren, dort die Urinprobe abgeben und dann wieder zurück. Heute ging das ratzfatz und vor Ort. Der Arzt hat den Urin auch sofort untersucht.

Mit einem Rezept über drei Medikamente hat er mich dann nach Hause geschickt. 21 Pfund haben die mich gekostet, weil man pro Medikament 7 Pfund Eigenanteil zahlen muss, außer man ist von der Zuzahlung befreit. Dass ich eine Infektion habe, konnte der Arzt im Labor sofort sehen. 4 von 5 Werte sind nicht in Ordnung.

Viel anders wäre das in Deutschland auch nicht abgelaufen und ich habe zunehmend den Eindruck, dass der NHS weit besser ist als sein Ruf.

Die vielen Seiten des NHS

Nachdem ich umgezogen bin, haben wir jetzt auch einen neuen NHS-Hausarzt. Der Hausarzt vorher war ja unterirdisch schlecht und ich hätte gerne seine Praxis mal mit einem Kärcher-Hochdruckreiniger geputzt. Die Praxis in Greenwich Millenium Village ist das absolute Gegenteil. Hochmodern, eigenes Labor, acht Hausärzte in einer Praxis, mehrstöckig mit Fahrstuhl und Behindertentoilette, man muss nicht warten, wenn man einen Termin hat, und den bekommt man sofort.

Ich war jetzt zum zweiten Mal da (ich huste immer noch) und habe schon den dritten Termin. Jedesmal am Tag darauf. Das faszinierende am NHS finde ich diese vielen Seiten, die das System hat. Auf der einen Seite Praxen, die aussehen wie jahrelang nicht geputzt mit Personal, das schlecht Englisch spricht (ebenso der Arzt), und dann so Inseln der Gesundheitsglückseligkeit wie diese Praxis oder auch das Krankenhaus, in dem ich war.

Gestern habe ich das erste Mal auf NHS-Kosten Medikamente bekommen. Sechs Pfund kostet das für mich und funktioniert ähnlich wie in Deutschland. Dafür gibt es keine Praxisgebühr. Es ist wirklich interessant zu sehen, was ich in Deutschland so über NHS gehört habe und wie die Realität aussieht. Und eines finde ich wirklich hervorragend, das in diesem Land wirklich jeder krankenversichert ist. Man muss nur hier leben und wird behandelt.

In der NHS-Augenklinik

Am Donnerstag war ich mit meiner besseren Hälfte in der Augenklinik. Bei Augenkliniken in Deutschland habe ich immer den Eindruck, der Archtitekt hat gedacht, die Patienten sehen eh nicht, dass das Gebäude hässlich ist. Augenkliniken sind immer hässlich. So auch in England. Artur ist blind und muss in eine NHS-Augenklinik, um ein CVI, ein Certificate of Visual Impairment, zu bekommen. Nur damit ist er gesetzlich blind in England.

Wir waren in der größten Augenklinik der Welt (laut Wikipedia), dem Moorfields Eye Hospital. Die Beschilderung war schon für mich lediglich Kurzsichtige ein Graus, aber mit Durchfragen fanden wir die richtige Abteilung. Alles war in hässlichem Braun gehalten, die einzelnen Abteilungen hatten unterschiedliche Farben. Warum man ausgerechnet in einer Augenklinik auf die Farben Rot und Grün zur leichteren Orientierung setzt, wird das Geheimnis des Architekten bleiben.

Artur meldete sich also in der Abteilung an und eine hochschwangere Mitarbeiterin führte ihn ins Behandlungszimmer. Dass das nicht so ihr Tag war, sah man ihr an. Sie forderte Artur auf, sich auf den Untersuchungsstuhl zu setzen und ließ ihn beim Hinsetzen gegen die Apparatur knallen. Er schlug sich die Nase auf, es blutete und er sollte eine schöne Wunde mitten im Gesicht mit nach Hause nehmen. Die Szene war filmreif. Wie man einen blinden Patienten führt, hatte die Mitarbeiterin offensichtlich nicht gelernt. Und dann stand sie da und sagte nichts, schaute ihn nur hilflos an wie er da so blutete. Artur sagte: „Ich denke, wir müssen das mal desinfizieren und etwas drauf machen.“ Die Mitarbeiterin ging also an den Erste-Hilfe-Kasten, der an der Wand hing und einen ähnlich schäbigen Eindruck machte, wie der Rest des Behandlungszimmers. Und, oh Wunder, der Verbandskasten war leer. Irgendwo fand sie aber doch noch etwas, um ihn zu verarzten.

Als sie Arturs Augen untersuchte, tupfte sie zwischendurch immer das Blut aus seinem Gesicht. Sehr schöne Szene! Dann wollte sie den Augeninnendruck messen. In Deutschland wird das seit Jahrzehnten mit einem Gerät gemacht, das kurz in die Augen pustet. Die Mitarbeiterin nahm aber ein Gerät, das ich in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen habe, und drückte auf Arturs Augen. Keine angenehme Prozedur…

Dann war er fertig und wir warteten auf den Augenarzt. Wir mussten nicht lange warten. Der Arzt saß in einem moderneren Raum und machte einen kompetenten Eindruck. Er stellte die richtigen Fragen und war sehr bemüht. Bei Augenärzten ist nicht immer sichergestellt, dass sie sich auch mit Blindheit auskennen. Wir hatten in Hamburg mal die Situation, dass ein Augenarzt nachdem (!) Artur sagte, was er hat, ihn aufforderte, die Buchstaben auf der Karte vor ihm vorzulesen. Aber der Augenarzt hier war kompetenter und beließ es bei den nötigsten Untersuchungen.

Und dann passierte etwas, was den schlechten Start am Anfang wieder ausglich. Der Arzt brachte uns zum Social Service des Krankenhauses. Diese sollten uns über alle Rechte informieren, die blinde Menschen in England haben. Wir bekamen stapelweise Unterlagen und Telefonnummern und alles war sehr lebensnah organisiert. Man machte uns verschiedene Angebote zur Unterstützung etc. Weder Artur noch mich hat in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland irgendwer mal über meine Rechte aufgeklärt. Das muss man sich alles selber zusammen suchen. Ich finde auch super, dass die Leute noch gleich im Krankenhaus, also bei vielen direkt nach der Diagnose mit dem Social Service sprechen können. Ich habe immer mehr den Eindruck, dass in diesem Land einige Dinge sehr schlecht und einige Dinge super gut laufen und man sich fragt „Warum gibts das eigentlich in Deutschland nicht?“. Einen guten sozialen Dienst mit Rechtsberatung in großen Augenkliniken einzurichen kostet nicht die Welt, ist aber für Leute, die gerade erfahren haben, dass sie erblinden werden, unheimlich wichtig.

Krank auf Deutsch

So, morgen werde ich das erste Mal den deutschen Hausarzt in London aufsuchen müssen. Es gibt in London wirklich alles, was das deutsche Herz begehrt: Deutsche Zahnärzte, deutsche Bäcker, deutsche Metzger, einen deutschen Supermarkt, Bratwurststand, Biergarten, eine deutsche Schule und eben auch deutsche Hausärzte.

Ich wäre wirklich bereit, mit meinem Husten, der langsam beängstigende Formen annimmt, zu einem britischen Arzt zu gehen, aber leider hat mir NHS einen Hausarzt zugewiesen, dessen Praxis seit Monaten keine Putzfrau gesehen hat etwas ungepflegt wirkt und auch ansonsten ziemlich überfordert ist. Und man kann sich seinen NHS-Arzt ja nicht aussuchen, aber ich will meinen Husten wegkriegen. Ich hatte schon einmal eine Lungenentzündung. Nun werde ich mich morgen in die deutsche Enklave Richmond im Süden Londons begeben und zum ersten Mal meine private Krankenversicherung in Anspruch nehmen.

Inside Hospital

Alles fing am Sonntag an. Ich fühlte mich nicht besonders, vor allem konnte ich nichts essen. Ich hatte aber so viele Verabredungen in Hamburg, dass ich das einfach ignorierte. Als ich abends nach Hause kam, musste ich mich übergeben, hatte auch Fieber und schlief einfach ein. Am Montag war alles weg, ich hatte nur leichte Bauchschmerzen. Nachmittags wurde es dann schlimmer. Ich wollte aber um 18 Uhr den Flieger nach London nehmen. Also ging ich in eine Apotheke und fragte nach etwas gegen Magenschmerzen. Die Apothekerin schaute mich schon skeptisch an und meinte, wenn es mit den Tropfen nicht umgehend wegginge, solle ich zum Arzt gehen.

Kurz vor dem Abflug nahm ich die Tropfen. Während des Fluges wurde es dann richtig schlimm. Mir war klar, dass mich mein erster Weg in London in die Ambulanz führen würde. Als ich in London ankam, fuhr ich nach Hause, stellte meine Tasche ab und fuhr in das Krankenhaus hier um die Ecke. Das Central Middlesex Hospital sieht schon von außen super modern aus und war mir irgendwie sympathisch.

Ich ging in die Notaufnahme und sagte, dass ich Schmerzen habe und es mir sehr schlecht ginge. Ich musste ungefähr eine Stunde warten. Meine Unterlagen waren aus Versehen in der Kinderabteilung gelandet. Die meisten Wartenden hatten irgendwelche Rückenprobleme, Hexenschuss oder schlimmeres.

Die erste Untersuchung machte ein Pfleger. Er schloss mich an so ein Gerät an, dass die Körperwerte misst und kontrollierte meine Körpertemperatur. Als das Gerät Alarm schlug, dachte ich noch, das misst noch gar nicht oder es handele sich um einen Fehler. Mein Puls war auf fast 150, mein Blutdruck hoch wie nach einem Marathon. Und ich hatte 39 Grad Fieber. Ich gab noch eine Urinprobe ab und er sagte mir, dass sie mich erstmal da behalten und jetzt einige Tests machen. Er brachte mich in einen großen Raum, der sich als Mischung aus Erstaufnahme und Intensivstation herausstellte. Ich war der erste Gast des Abends.

Ich kletterte auf das Bett und man schloss die Vorhänge um mich rum. Überhaupt fiel mir gleich auf, wie sehr man auf meine Intimsphäre achtete. Dann schlossen sie mich an ein EKG an und an ein anderes Gerät, das Blutdruck und Puls kontrollierte. Natürlich fragten sie, warum ich Rollstuhlfahrerin bin. Ich wurde geröngt, um auszuschließen, dass ich keine Fremdkörper im Bauch hatte. Dann sollte mir ein Zugang für den Tropf gelegt werden. Ein ziemlich schwieriges Unterfangen, weil meine Venen durch andere Krankenhausaufenthalte nicht mehr die besten sind. Der Arzt war super bemüht und total nett. Ich vertraute ihm absolut. Alle drei Versuche, in meine Venen zu kommen, machten wir Pause. Irgendwann klappte es und er konnte mir einen Zugang legen. Da die Schmerzmittel oral nicht wirkten, gaben sie sie mir intravenös. Zudem viel Flüssigkeit. Drei Mal zwei Liter sollten in der Nacht noch durch meine Adern fließen. Die Schmerzen gingen aber nie ganz weg und auch die Körperwerte normalisierten sich nicht. Gegen 6 Uhr entschied man sich, mich stationär aufzunehmen.

Ich wurde in ein 4-Bett-Zimmer gelegt. Die anderen Frauen waren filmreif. Ich war die einzige Weiße und wurde mit den Worten begrüßt: „I think she is a jew. She has a jewish accent.“ Ich war rund 45 Jahre jünger als meine Zimmergenossinnen und dachte, dass das eine sehr interessante Zeit werden könnte. Doch nach 10 Minuten kam die Stationsleiterin und sagte mir, ich müsse in Isolation. Ich kam in den Genuss eines Einzelzimmers. Sie vermuteten, dass ich einen Virus habe, den ich besser nicht an den Rest des Krankenhauses weitergeben sollte. Diese Isolation bedeutete, dass jeder, der zu mir wollte, eine Schürze und Handschuhe tragen musste. Ich durfte das Zimmer nicht verlassen.

Das Zimmer war total barrierefrei und modern. Ich hatte eine für mich zugängliche Dusche, eine Toilette und ein Waschbecken. In diesem Zimmer verbrauchte ich drei Tage.

Die Ärzte:

Alle Ärzte waren relativ jung und machten einen netten und kompetenten Eindruck. Sie sagten mir gleich, dass sie nicht viel für mich tun können, außer die Schmerzen zu stillen und mir intravenös Flüssigkeit zuzuführen, da ich total dehydriert war.

Die Schwestern:

Alle, aber wirklich alle, super nett, obwohl ich anfangs bei jedem Gang zur Toilette wegen des Tropfs Hilfe brauchte und sie sich jedesmal dafür anziehen mussten. Die Übergabe (nachmittags und nachts) funktionierte reibungslos. Jedes neue Team wurde darüber informiert, was für eine Behinderung ich habe und dass ich ansich selbstständig bin, aber wegen der Nadel in meinem Arm nun Hilfe benötigte.
Allerdings gingen sie auch nicht wirklich zimperlich mit mir um. Die Nadel tat mir weh bei jeder Berührung weh, weil sie nicht optimal lag. Man musste schon was aushalten können.

Es gab ein, wie ich finde, sehr eindrucksvolles Qualitätsmanagementsystem. Es herrschte grundsätzlich Vier-Augen-Prinzip. Ich bekam kein Medikament bevor es nicht eine andere Schwester oder ein Arzt gesehen hatte. Die Medikamente, die ich regelmäßig nehmen musste, waren in einem Spint am Bett eingeschlossen. So wurde die Verwechslungsgefahr reduziert. Über alles, was passierte, wurde genau Buch geführt. Wann ich wie starke Schmerzen hatte, wie oft ich zur Toilette musste, etc.

Das Essen:

Zum Frühstück gab es Cornflakes oder Porridge. Nachmittags eine Suppe und Sandwichs. Abends merkwürdige Kombinationen wie Cracker und Reis. Magenfreundliches Essen sieht anders aus. Aber ich konnte eh kaum etwas essen. Ich habe mich dann später von Salzstangen ernährt, was sowieso gut für meinen Magen war.

Besuchszeiten:

Supernervig fand ich die Besuchszeiten. Die haben wir dann auch gleich mal ignoriert. Ich lag ja sowieso in Isolationshaft und habe niemanden gestört.

Das Haus:

Ich habe von dem Haus ja tagelang nichts mitbekommen, weil ich nicht raus durfte. Bei der Abreise war ich aber sehr angetan von der Architektur. Das Central Middlesex Hospital sieht ein wenig skandinavisch aus. Es gibt Dachterrassen. Am Eingang gibt es eine Caféteria und einen Laden. Von beidem hatte ich aber natürlich nichts, weil ich nicht raus durfte. Auch das fahrende Kiosk durfte nicht zu mir. Aber die Schwestern hätten mir sicher etwas gekauft, wenn ich etwas gewollt hätte.

Zusammenfassung:

Ich kenne viele deutsche Krankenhäuser. Ich habe noch keines gesehen, das so modern ausgestattet ist. Die Geräte waren alle neu und von Siemens. Ich hatte von Anfang bis Ende das Gefühl, die wissen, was sie tun. Man war sehr bemüht, mir die Bauchschmerzen zu nehmen und mir den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Das ganze Theater hat mich zudem keinen Penny gekostet. Die Laboruntersuchungen waren umfangreich. Ich habe bei der Entlassung einen Beutel mit Medikamenten bekommen (in erster Linie Schmerzmittel). Auch dafür musste ich nichts zahlen. Ich muss sagen, was bleibt ist ein sehr angenehmer Eindruck von NHS. Wer hätte das gedacht…

Im Krankenhaus

Wer sich gewundert hat, wo ich war, warum keine E-Mails beantwortet wurden, Kommentare nicht aus dem Spamfilter gefischt wurden und ich einfach so abgetaucht war: Ich habe die letzten Tage im Central Middlesex Hospital verbracht. Seit heute bin ich wieder zu Hause und auf dem Weg der Besserung. Meine Meinung über den NHS war vorher schon nicht so schlecht, hat sich jetzt aber noch verbessert. Sie haben sich perfekt um mich gekümmert – von der Notaufnahme bis zur Entlassung heute. Ich habe wohl eine blöde Virusinfektion in Magen und Darm. Das hat mich für ein Einzelzimmer qualifiziert. Erst dachten sie, ich hätte eine Lebensmittelvergiftung. War keine schöne Woche, aber es hätte schlimmer kommen können. Die medizinische Versorgung war jedenfalls super. Später schreib ich mal mehr über das Leben und Sein in britischen Krankenhäusern.

Nein, ich schlafe nicht im Rollstuhl

Wenn man sich bei einem Hausarzt registriert, um über den National Health Service versichert zu werden, muss man danach zu einer Untersuchung bei der Arzthelferin. Dafür bekommt man einen eigenen Termin. Nachdem mein erster Termin wegen eines Unfalls von Seiten der Praxis abgesagt wurde, hatte ich die Untersuchung heute. Untersuchung ist übrigens bei weitem übertrieben. Die „Nurse“ geht mit einem den Fragebogen über Vorerkrankungen durch und misst Blutdruck. Mich würde wirklich mal interessieren, ob der NHS das einzeln bezahlt oder die Ärzte quartalsweise pro Patient bezahlt werden. Wenn das einzeln bezahlt wird, würde ich das sofort abschaffen – reine Zeit- und Geldverschwendung. Aber okay. Ich musste da nunmal hin.

Ich kam also da an und mich begrüßte eine Arzthelferin im fortgeschrittenen Seniorenalter, die irgendjemand vergessen haben muss, in Rente zu schicken. Ich wollte gerade zum „Good morning and happy new year“ ausholen, da blaffte sie mich an „Why you are in a wheelchair?“. Ich: „I’am paraplegic.“ Sie: „Parapleeeeeegic. You must say parapleeeegic, not paraplegic.“ Ich musste irgendwas falsch betont haben und sie machte mich in einer ziemlich herablassenden Art darauf aufmerksam. Dabei hatte ich gerade in so einem „Hilfe, ich bin in England und nun?“-Buch gelesen, dass die Briten sehr tolarant gegenüber Ausländern sind und es als unhöflich gilt, Ausländer im Mitten im Gespräch auf ihre falsche Aussprache anzusprechen. „Toll, kann die sich bitte auch ans Drehbuch halten?“, dachte ich mir. Ich fand das alles ziemlich merkwürdig und beschloss noch heute, den Antrag auf eine private Krankenversicherung abzuschicken, was ich auch getan habe.

Irgendwo muss sie aufgeschnappt haben, dass Querschnittgelähmte Spezialbetten brauchen und so fragte sie mich, ob ich ein Pflegebett habe. Ich sagte ihr, dass dem nicht so sei und dass ich keines benötige. Und ihre Antwort ließ mich fast aus dem Rollstuhl kippen: „Ah, you sleep in your wheelchair!?“ Diese Frage hat mich dann endgültig aus der Bahn geworfen. Ich musste lachen, aber das wäre ja unpassend gewesen. Also erklärte ich ihr, dass ich ein ganz normales Bett habe und damit gut zurecht komme.

Dann ging sie mit mir diesen Fragebogen durch und nach 10 Minuten war ich fertig – aber da war ja noch das Formular für die Stadt, für das ich einen Stempel des GP brauche. Ich ging also nach vorne und bat um einen Stempel, der bestätigt, dass ich querschnittgelähmt bin. Nach ausführlicher Studie des Formulars sagte man mir, man werde mich anrufen, wenn man wisse, wann das Papier gestempelt sei. 15 Pfund werde man dafür in etwa berechnen. Ich glaube, ich brauche noch viele Stempel bis ich hier alles Bürokratische hinter mir habe. Ob es da wohl Mengenrabatt gibt?

Es geht aufwärts

Juhu, ich bin jetzt stolze Besitzerin einer Telefonleitung und kann damit immerhin per „Pay as you go„- Internetleitung surfen. Es ist etwas anachronistisch, denn ich surfe schließlich mit einer 56k-Verbindung, aber es geht. Breitbandanschluss ist bereits beantragt. Eigentlich hatte ich gestern einen Termin mit einem British Telecom-Techniker, der zwischen 8 und 13 Uhr in die Wohnung müsse, um die Leitung zu installieren. Als um 12 Uhr noch keiner da war, rief ich mal an und man sagte mir, er käme um 13.30 Uhr. Aber auch bis dahin war niemand da. Ich rief wieder an und die freundliche Dame sagte mir, ich solle mal mein Telefon in die Dose stecken und testen, ob ich einen Freiton habe. Tatsache, ich hatte eine Leitung. Ganz ohne Techniker und nach drei Wochen Wartezeit hatte irgendjemand irgendwo den Schalter umgelegt. Halleluja!

Außerdem bin ich unterdessen hier krankenversichert. Das geht relativ problemlos und ohne hohe Hürden. Das finde ich an dem viel gescholtenen NHS-System hier wirklich gut. Man muss sich nur bei einem Hausarzt in seiner Region (in meiner gibt es nur einen – da fiel die Wahl leicht) registrieren und zu einer Grunduntersuchung antanzen. Registriert bin ich, Untersuchung folgt nach Weihnachten. Man muss nicht arbeiten, um krankenversichert zu sein. Jeder, der hier wohnt, ist versichert sobald er sich registriert. Eine Zusatzversicherung schließe ich trotzdem ab, damit ich auch in Deutschland zum Arzt kann.

Ich habe den Rat eines Lesers in den Kommentaren beherzigt und habe mir einen anderen Handyprovider als T-Mobile zugelegt. Diese Entscheidung wurde umso mehr unterstützt, nachdem mir die Hotline mitteilte, dass T-Mobile in UK keine deutschen Kreditkarten akzeptiert, um das Guthaben aufzufüllen. Ich bin irgendwie im Geiste zu sehr Europäerin als dass ich für so ein Verhalten Verständnis hätte – und dass auch noch von einem deutschen Unternehmen.

Also ich komme langsam voran. Was mir noch fehlt ist eine National Insurance Number (Termine für Interviews hierfür gibt es erst wieder im neuen Jahr) und halt ein Bankkonto. Achja, und auf meinen Arbeitsvertrag warte ich immernoch, aber das macht nichts. Ich fühle mich unterdessen sehr wohl hier und lerne, weniger deutsch zu denken, auch wenn es mir schwer fällt. :-)