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Warum ich Newham mag

So, ich muss nun endlich mal wieder dieses Blog beleben. Ich brauchte mal Zeit zum Durchatmen. Ich war fast zwei Wochen in Portugal und habe dann die vierte Ausgabe von „The German Link“ fertig gestellt. Es ist einiges passiert in der Zwischenzeit: Ich habe SWR3 ein recht ausführliches Interview gegeben. Dann habe ich erfahren, dass mich das Newham College überraschenderweise zum „Female Entrepreneur of the Year“ gewählt hat. In dem Business Centre, in dem ich mein Büro habe, hatte mich jemand vorgeschlagen, ohne dass ich das wusste und nun gehe ich am Mittwoch zur Preisverleihung. Ich freue mich natürlich sehr.

Ich bin ja erst seit Ende April mit meiner Firma in Newham und fühle mich dort sehr willkommen. Newhams Bevölkerung ist mehrheitlich nicht-weißer Herkunft und ich bin sehr beeindruckt, welche Geschichten die Leute, denen ich dort begegne, zu erzählen haben. Mein Büro ist in einem Gründerzentrum und ich bin dort eine der wenigen Weißen. Ich habe dort zum Beispiel eine Frau getroffen, die bis vor 10 Jahren Analphabetin war und unterdessen ein Unternehmen zur Weiterbildung von Lehrern hat. Sie hat zudem vier Kinder groß gezogen, hat ihren Mann verloren und hatte diverse Herzinfarkte. Oder eine indische Frau, die mir erzählte, dass sie erst seit kurzem Bücher liest, weil das in ihrer Familie nicht üblich gewesen sei. Oder ein Grafikdesigner, der seit dem 14. Lebensjahr obdachlos war und dann mit 18 angefangen hat, wieder in die Schule zu gehen und sich eine Wohnung gesucht hat. Aber alle haben ihre eigenen Unternehmen oder sind gerade dabei, es zu gründen. Ich mag das Umfeld dort sehr, weil mich die Kraft und der Wille dieser Menschen sehr beeindruckt. Und jedesmal, wenn mich jemand fragt: „Was? Sie sitzen in Newham? Wieso das denn?“, erzähle ich die Geschichten der Leute, von der Power, die in diesem Stadtteil steckt, wenn man den Leuten nur ein bisschen Unterstützung und Bildungsmöglichkeiten gibt und dass in Newham die Olympischen Spiele 2012 stattfinden. Außerdem bekommt man in Newham eine Schale Obst für 1 Pfund. Wer sich also gesund ernähren will, muss unbedingt nach Newham.

An manchen Tagen

…hat man einfach nur Glück. Heute war so ein Tag. Es fing damit an, dass ich heute morgen einen Anruf bekam, dass ich das Office, um das ich mich beworben habe, bekomme. Es ist ein kleines Office zu einem ziemlich günstigen Preis in einem Gründerzentrum einer Uni. Ich habe unterdessen so viele Anfragen nach einem Praktikum, dass es schade wäre, die ganzen Leute einfach abzuwimmeln, weil ich keinen Platz habe, die Leute unterzubringen – zumal es den Praktikanten hier sicher nicht langweilig wird und ich jede Unterstützung gebrauchen kann. Also eventuell ziehe ich nächste Woche schon in das Büro. Juhu!

Nachmittags bekam ich dann einen Anruf, dass eine Gemeinde im Norden Londons gerne in allen ihren Bibliotheken meine Zeitung haben möchte – zehn Bibliotheken auf einen Streich…

Und dann bekam ich heute abend eine Mail von der London Development Agency, dass ich in ein Förderprogramm aufgenommen wurde, das Gründer unterstützt mit Kursen, Coaching etc. Londonweit wurden zehn förderungswürdige Unternehmen gesucht und mein Unternehmen ist jetzt eines davon. Ich freue mich natürlich sehr. Der Bewerbungsprozess war fast rein schriftlicher Art und ich bin nicht sehr selbstbewusst, was mein Schriftenglisch angeht, aber scheinbar ist es doch nicht so schlecht. Die Mehrzahl meiner Mitbewerber sind schließlich Muttersprachler und jetzt bin ich für ein Jahr in diesem Programm. Was das Programm alles beinhaltet, erfahre ich Ende April, aber ich freue mich jetzt schon wie verrückt.

Learning by doing

Nachdem die erste Ausgabe meiner Zeitung verteilt ist, habe ich ein bisschen Zeit, Resumee zu ziehen. Ich habe noch nie zuvor in meinem Leben so viel gelernt wie in den letzten Monaten. Über Geschäfte machen, England, Deutschland und über mich selbst. Ich bin im Frühjahr letzten Jahres auf die Idee gekommen, diese Zeitung zu gründen. Damals war ich noch bei BBC. Es gibt in London für jede Community eine Zeitung, nur die Deutschen, Österreicher und Schweizer haben keine, dabei ist die Gruppe relativ groß (ca. 200 000 im ganzen Land) und es gibt diverse Geschäfte, die sich nicht zuletzt an deutschsprachige Kunden richten.

Wenn man im Jahr 2008 eine Zeitung gründet, ist die Anzahl der Menschen, die einen nicht für verrückt halten, relativ überschaubar. Umso wichtiger war es, selbst an das Projekt zu glauben und sich sehr darauf zu besinnen, was man wirklich will. Ich habe mir mal eine Liste mit Dingen zusammen geschrieben, die ich jedem raten würde, der sich selbstständig machen will und die mir sehr geholfen haben.

  • Glaub an Dich selbst und an Dein Produkt. Es gibt keinen wichtigeren Ratschlag.
  • Sei realistisch. Klein anfangen ist oftmals das Beste.
  • Gib alles ab, was andere besser können als Du, aber behalte die Kontrolle.
  • Man muss nicht alles können, aber man kann vieles lernen.
  • Sammele Leute um Dich herum, die Dich unterstützen. Leute, die Dir alles madig machen, helfen Dir nicht.
  • Vermeide Zeitdiebe. Man trifft sie überall, sie machen sich wichtig und am Ende kommt nichts dabei raus.
  • Man kann nicht jeden glücklich machen, auch nicht alle Kunden.
  • Hör auf Dein Bauchgefühl, inbesondere wenn Du Leute einstellst oder Verträge schließt.
  • Rede mit Deiner Zielgruppe. Früh, immer und kontinuierlich.
  • Lass Dir Ratschläge geben, aber entscheide selbst.
  • Jeder Mensch macht Fehler. Am Ende ist alles gar nicht so schlimm.
  • Hab Spaß daran, was Du tust.

Existenzgründung in England

Ich koche derzeit zwar nur auf Sparflamme, weil mich meine Bronchitis so quält, ich habe mich aber gestern dennoch aufgerafft und bin zum einem Informationstag der Steuerbehörde gegangen. Mehrmals im Jahr veranstaltet die Steuerbehörde an verschiedenen Orten einen Business Advice Day. Zum einen stellen sich dort verschiedene Organisationen vor, zum anderen gibt es Vorträge und Beratungsmöglichkeiten. Das ganze ist zudem kostenlos.

Ich habe endlich meine Fragen zur Umsatzsteuer und zum Handel mit EU-Ländern beantwortet bekommen und habe auch sonst viel gelernt und nette Leute getroffen. In einem meiner Seminare saß jemand, der gehörlos war. Später habe ich in einer Broschüre einen Artikel über ihn gelesen. Business Link (das ist eine Organisation, die Seminare anbieten und Selbstständigen helfen, staatlich finanziert) hat ihn dabei unterstützt, sich als Designer selbstständig zu machen. Sie haben ihm die Dolmetscher bei den Weiterbildungsseminaren gestellt, die sie selber anbieten. Business Link war auch die Organisation, die mich gestern sofort ansprach als ich ankam. Sie haben mir ohne Nachfrage gesagt, dass alle ihre Seminare barrierefrei sind und ich ihnen nur sagen muss, welche Assistenz ich benötige. Ich musste spontan an die Handelskammern denken, die man immerhin noch mit Beiträgen finanziert als Unternehmer. Ob die wohl Dolmetscher stellen und auf Barrierefreiheit achten?