Tag Archiv für Bahn

Mit dem Taxi auf Kosten der Bahn

Gestern war ich zum einem Abschiedsumtrunk in der Nähe von Kings Cross eingeladen. Hin fuhren wir bis Waterloo und dann mit dem Bus bis Russell Square. Es war relativ weit zu laufen und es regnete irgendwann auch, so dass wir beschlossen auf dem Rückweg mit dem Zug von Kings Cross St. Pancras nach London Bridge zu fahren. Kings Cross lag um die Ecke.

Als wir in St. Pancras ankamen, empfangen uns schon Schilder, dass der Zug am Wochenende wegen Bauarbeiten nicht fahre. Ich ging zu den zahlreich versammelten Mitarbeitern, die alle Leute auf die U-Bahn verwiesen. In die U-Bahn komme ich aber nicht rein, jedenfalls nicht um nach Hause zu fahren. Aber der Mitarbeiter sagte sofort, er werde mir ein Taxi rufen. Das werde First Capital Connect, die Zuggesellschaft, bezahlen. Ich hatte schon öfter in den „Disability Policies“ der Verkehrsgesellschaften gelesen, dass sie bei Bauarbeiten oder nicht barrierefreien Stationen das Taxi bis zum nächsten zugänglichen Haltepunkt zahlen müssen. Ich war relativ skeptisch, wie das in der Praxis funktionieren soll, aber gestern war es dann soweit: Ich fuhr tatsächlich mit dem Taxi nach London Bridge. Wir mussten auch nur 10 Minuten auf das Taxi warten, was für Londoner Verhältnisse sehr wenig ist. Ich konnte später auf dem Display des Fahrers lesen, dass das Taxiunternehmen einen „Urgent, Urgent“-Aufruf an alle Fahrer geschickt hatte. Ein Großkunde benötige dringend einen Wagen.

Super Service, finde ich, und es motiviert die Unternehmen, auf Barrierefreiheit zu achten. Ansonsten muss das Taxi bezahlt werden.

Die Bahn kommt… richtig gut

Ich sitze gerade im ICE von Hamburg nach Berlin und muss sagen, die Bahn überrascht mich seit ich angefangen habe, diese Reise zu planen. Alles fing damit an, dass ich gestern festgestellt habe, dass man jetzt stündlich mit dem ICE nach Berlin fahren kann. Als ich noch in Hamburg wohnte, ging das nur alle zwei Stunden.

Dann habe ich die Mobilitätszentrale der Bahn angerufen. So heißt die Hotline, bei der man als Rollstuhlfahrer Assistenz beim Ein- und Aussteigen anfordern kann. Ich hasse diese Anrufe, denn als ich dort zuletzt angerufen habe, saß dort unfreundliches und unflexibeles Personal, man musste teilweise ewig warten bis einer dran ging und das Gespräch dauerte ewig. Jetzt ging das plötzlich alles ratzfatz. Die Frau war super nett, änderte in Windeseile meine Daten und bedauerte, dass ich mit einem „Nutella-Ticket“ (das ist so ne Promotionaktion, bei der man 25% beim Fahrschein spart, wenn man ein Nutellaglas kauft) die Fahrkarte leider nicht telefonisch buchen kann.

Ich kam dann heute morgen am Servicepoint an. Ein total netter Mitarbeiter brachte mich zum Bahnsteig und wir unterhielten uns über die Bahn und die Barrierefreiheit. Er erzählte mir, dass ab 2010 die ersten ICEs mit fahrzeuggenbundener Einstieghilfe eingesetzt werden. Das heißt, der Zugbegleiter ist in der Lage, die Einstieghilfe zu leisten und man braucht kein Personal mehr auf den Bahnsteigen und eine Hebebühne, die umständlich an den Zug geschoben wird. Dann muss man sich theoretisch auch nicht mehr anmelden, denn der Zugbegleiter läßt einen dann einfach mit der Einstieghilfe in den Zug.

Ich habe dann noch mit zwei weiteren Mitarbeitern gesprochen und ich bin ziemlich sicher, die hatten alle eine Serviceschulung für den Umgang mit behinderten Kunden. Alle waren sehr freundlich, haben mich mit Namen angesprochen, informierten mich über meine Zugfahrt und vor allem, nahmen sie mich als Kundin wahr und nicht als Problem. Mein größter Hassfaktor beim Bahn fahren in Deutschland bislang waren immer die Mitarbeiter. Es verging kaum eine Zugfahrt, bei der ich nicht angeblafft wurde oder man mich behandelte wie ein IC-Kurierpaket und nicht als Mensch. Ein Servicemitarbeiter schrie mal über den ganzen Bahnsteig zum Zugbegleiter: „Hey, wir haben hier noch zwei Probleme: Ein IC-Kurierpaket und den Rollstuhl da.“ „Der Rollstuhl“ war natürlich ich.

Dann fuhr der Zug ein. Der Servicemitarbeiter kam mit dem Hublift und sagte noch, ich soll nicht zu früh drauf fahren. Die Dinger seien ja wir Käfige. Der ICE würde schon warten und ich müsse mich nicht beeilen. „Serviceschulung“, dachte ich wieder. Früher wollten die Mitarbeiter meist, dass man schon 10 Minuten vor Abfahrt des Zuges auf die Hebebühne fährt. Vielleicht, damit man nicht wegläuft? Keine Ahnung.

Im Zug angekommen staunte ich nicht schlecht. Die Rollstuhlplätze sind jetzt in der 1. Klasse. Wie oft wollte ich schon 1. Klasse fahren und konnte nicht, weil es dort keine Rollstuhlplätze gab. Und jetzt kann ich 1. Klasse fahren und zahle aber nur 2. Klasse. Ich sehe das als Wiedergutmachung für die letzten 15 Jahre schlechten Service an.

Eben kam dann noch eine Mitarbeiterin vorbei und fragte mich, ob ich etwas aus dem Bistro haben möchte. Ob das wohl die Vorzeichen für den Börsengang der Deutschen Bahn sind?

Alles wie gehabt

Ich bin gestern zum ersten Mal richtig Bahn gefahren in Großbritannien. Um es vorweg zu sagen: Es war ziemlich enttäuschend. Alles lief fast genauso ab wie bei der Deutschen Bahn – ziemlich nervtötend.

Ich hatte mich entschieden, zu einer Veranstaltung der Deutsch-Britischen Handelskammer nach Birmingham zu fahren. Morgens vermeldete der Verkehrsfunk aber bereits Staus überall und dann entschied ich mich, mit VirginTrains nach Birmingham zu fahren anstatt mit dem Auto. Auf der Internetseite wurde ich schon darüber aufgeklärt, dass man sich als Rollstuhlfahrer 24 Stunden vorher anmelden sollte. Das ist bei der Deutschen Bahn auch so und ich finde das eine Zumutung. Es sollte doch im Jahr 2008 möglich sein, auch als behinderter Reisender mal spontan von A nach B zu fahren.

Ich rief die Hotline trotz 20-stündiger Verspätung dennoch an. Dort blaffte man mich sofort an, dass ich eigentlich 24 Stunden vorher anmelden müsse. „Und was ist, wenn ich vor 24 Stunden noch nicht wusste, dass ich mit Ihnen fahren möchte?“, fragte ich die Dame. „Ja, dann nehmen wir Ihre Anmeldung dennoch entgegen. Aber ich kann für nichts garantieren.“ Welches Bahnunternehmen garantiert denn irgendwas? Das war mir neu. Naja egal, sie nahm meine Anmeldung auf. War dabei sehr nett und sagte mir dann noch, wo Behindertenparkplätze bei den Bahnhöfen sind etc. Das fand ich einen ganz guten Service.

Am Bahnhof angekommen, kaufte ich mir eine Fahrkarte für den Zug um 15:10 Uhr und ging zur Customer Information, um Assistenz zu bekommen. Und schon wieder blaffte mich ein Mitarbeiter an, ich habe mich nicht rechtzeitig angemeldet. Ich erklärte ihm, dass ich eigentlich mit dem Auto fahren wollte und sie sich doch mal freuen sollten, eine Neukundin gewonnen zu haben. Er hatte meine Anmeldung vorliegen, es gab gar keinen Grund mich anzublaffen, alle Angaben waren korrekt und ich wartete auf den Menschen mit der Rampe. Der kam auch und sagte: „Ich habe schlechte Nachrichten: Ich Zug wurde gecancelt.“ Sie würden mich auf den nächsten Zug umbuchen. Damit war die Anmeldung also sowieso für die Katz.

Wie an den Flughäfen werden die Abfahrtsgleise an Sackbahnhöfen immer erst kurz vor Abfahrt bekannt gegeben, damit die Leute nicht auf den Bahnsteigen rumstehen, sondern in der Wartehalle. Das hat für mich den Vorteil, dass ich ohne Eile einsteigen kann, denn die Assistenzleute wissen die Gleisnummer natürlich schon vorher. Der Einstieg der Fernzüge ist ähnlich bescheuert wie in Deutschland: Zwei hohe Stufen. Dafür ist er Einstieg per Rampe erheblich besser. In jedem Wagen, in dem es einen Rollstuhlplatz gibt, gibt es in einem Schrank eine Rampe, die man an die Treppe anlegen kann. Die ist stabil und es geht ruckzuck. Ich war also als Erste im Zug bis die Horden einfielen. Da der Zug davor ja nicht fuhr, waren also doppelt so viele Menschen im Zug wie Plätze da waren. Aber ich konnte nicht meckern, ich hatte ja einen Platz.

In einer Broschüre las ich dann, dass ich viel zu viel für mein Ticket bezahlt habe. Rollstuhlfahrer, die keinen Sitzplatz benötigen, zahlen nur einen reduzierten Fahrpreis. Hat mir natürlich niemand gesagt. In der Broschüre stand auch, dass Rollstuhlfahrer den Schaffner darauf hinweisen sollen, dass er am Ankunftsbahnhof Assistenz anfordert. Aber von einem Schaffner war angesichts der Überfüllung des Zuges nichts zu sehen.

Und so war ich dann auch wenig überrascht, dass in Birmingham niemand war, um mir die Rampe an den Zug anzulegen. Aber in solchen Fällen, ist ja auf die Briten Verlass: Die Leute, die einsteigen wollten, haben sofort einen Virgin-Mitarbeiter auf dem Bahnsteig gesagt, er soll eine Rampe holen und das ging ruckzuck.

Die Rückfahrt verlief anfangs problemlos. Der Zug war fast leer, die Leute am Customer Service in Birmingham sehr nett, aber wieder war kein Schaffner zu sehen. Wie kamen also in London Euston an und keiner war da. Ich schaffte noch, einem der wenigen Mitreisenden aufzutragen, im Bahnhof bescheid zu sagen, dass ich aus dem Zug will. Aber der Zug stand an der Endhaltestelle und nichts passierte. Kein Personal weit und breit und ich war relativ weit hinten im Zug, so dass ich auch den Lokomotivführer nicht erreichen konnte. Ich hatte dann nach 20 Minuten Angst, dass irgendwann jemand die Türen schließt und den Zug ins Depot fährt, es war ja schon spät. Auch vom Putzpersonal war nichts zu sehen. Ich stellte mich also an die Tür, eine Hand an der Wagentür, um das Schließen zu verhindern. Die andere am Handy. Es gelang mir nicht, die Telefonnummer des Bahnhofs rauszukriegen und so entschloss ich mich, 999 zu wählen. Die würden mich schon aus dem Zug holen. Dazu kam es aber gar nicht, weil plötzlich am Ende des Bahnsteigs ein kleiner Wagen auftauchte. Die Mitreisenden hatten wohl doch bescheid gesagt.

Die Leute von Nationalrail sagten, ihnen habe niemand etwas gesagt und die Leute von VirginTrains seien vor 30 Minuten nach Hause gegangen. Der Bahnhof war total ausgestorben als ich in der Halle ankam und die Mitreisenden hatten sicherlich einige Probleme, jemanden zu finden, dem sie sagen können, dass ich noch im Zug bin.

Ja, natürlich beschwere ich mich bei VirginTrains. Nur ich fürchte, das wird auf so unfruchtbaren Boden fallen wie bei der Deutschen Bahn. Transportunternehmen sind in vielen Bereichen nicht verpflichtet, das DDA umzusetzen, was mich tierisch ärgert. Ich habe in Deutschland Bahn fahren gemieden und werde das wohl hier auch so handhaben. Aber ich werde jetzt jeden Abgeordneten, dem ich begegne damit nerven, endlich die Transportunternehmen zur Barrierefreiheit nach DDA zu verpflichten und zwar umfassend.

1. April im Dezember

Also, ich musste gerade erst einmal auf dem Kalender schauen, um sicherzugehen, dass nicht der 1. April ist. Da bekomme ich eine Pressemitteilung von Transport for London (das sind die mit den etwas schwierigen Busfahrern), dass sie den „Independent Living Award“ gewonnen haben. Dann dachte ich, sie haben den Preis gewonnen, weil ihre Busfahrer tun und lassen können, was sie wollen – das ist ja auch irgendwie „Independent Living„. Aber nein, sie haben den Preis für ihre Arbeit bekommen, die öffentlichen Verkehrsmittel für alle Londoner barrierefrei zu machen. „We are impressed by the leadership and commitment Transport for London has shown„, lese ich da.

Also, ich bin jedes Mal beeindruckt, wenn ich mitgenommen werde, der Busfahrer ohne Murren die Rampe ausfährt, diese funktioniert und beim Aussteigen dies ebenfalls so gut geht. Ich bin deshalb beeindruckt, weil das ja nicht immer der Fall ist. Und ich wäre auch beeindruckt, wenn mal nur eine einzige U-Bahnstation in der Nähe der Oxford Street barrierefrei wäre.

London hat so viele Bereiche, die wirklich barrierefrei und vorbildlich sind. Aber die öffentlichen Verkehrsmittel gehören jetzt wirklich nicht dazu.

Dafür sind wir nicht zuständig

Ja, ich weiß, einige haben die Geschichten von Silverlink schon vermisst. Heute war ich mal wieder in Willesden Junction, aber um die U-Bahn zu nutzen. Die Silverlink-Züge und die U-Bahn fahren vom gleichen Gleis. Der einzige Unterschied ist, dass man bei den Silverlink-Zügen eine Stufe nach oben überwinden muss und bei der U-Bahn eine riesen Stufe (ich schätze über 30cm) nach unten steigen muss. Nun weiß ich ja, dass es in Willesden Junction eine Rampe gibt. Ich hatte diese Rampe auch schon mal für die U-Bahn genutzt. Das war kein Problem. Die U-Bahnmitarbeiter haben sie in den Zug gelegt und alles war okay.

Also bin ich heute wieder zu den U-Bahnmitarbeitern. Die saßen in ihrem Aufenthaltsraum. Vier an der Zahl. Und hatten nichts zu tun. Ich bat sie, mir die Rampe an die U-Bahn zu legen. Die schauten sie mich ungläubig an. Die Rampe gehöre Silverlink und die Station sei offziell nicht mit Personal ausgestattet. Sie seien nur dafür da, die Züge in Empfang zu nehmen, wenn die in Willesden enden. Natürlich überzeugte mich diese Argumentationskette nicht wirklich. Da waren in einem Raum vier Mitarbeiter und eine Rampe und keiner wollte sie anlegen. Das nächste Argument war: Die Station gehöre Silverlink und die seien auch für die Rampe verantwortlich.

Der Mitarbeiter sagte, er wisse, dass sich das alles merkwürdig anhören muss, aber er dürfe die Rampe nicht nutzen. Nur Silverlink dürfe die Rampe nutzen, weil denen die Station gehöre, aber die seien nicht für die U-Bahn verantwortlich. Es sei also fraglich, ob sie das für die U-Bahn machen würden. Ich habe ihm dann gesagt, dass das ja Regelungen seien, von denen ich ausgegangen sei, dass sich nur deutsche Beamte ausdenken können. Aber bei Transport for London sei man ja offensichtlich auch sehr kreativ und ab September gehöre doch Silverlink sowieso zu Transport for London.

Mit Deutschen wollte er natürlich nicht verglichen werden. Er rief Silverlink an. Und tatsächlich der Mitarbeiter von Silverlink erschien. Sagte noch, dass die Rampe nicht für die U-Bahn gedacht sei und legte dann die Rampe an den U-Bahnzug an. Ich werde mich jetzt mal vertrauensvoll an Transport for London wenden und fragen, wieso Rampen, wenn sie eh schon vorhanden sind, nicht genutzt werden dürfen.

Post von Silverlink

Ich weiß noch nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Silverlink hat endlich – nach mehr als vier Wochen – meinen Brief beantwortet. Mit einem Standardschreiben für Beschwerden über das Personal! Meine Lieblingsstelle ist diese: „I trust that this was an isolated incident, and hope that all your future dealings with any Silverlink Team are far more pleasant.“

Ich habe ihnen natürlich geschrieben, dass das ein andauerndes Problem seit Wochen ist. Dafür hatten sie aber wohl keinen Textbaustein. Sie schreiben mir, die Station Manager in Willesden Junction würden sich dem Problem annehmen. Das sind aber genau die Personen, über die ich mich beschwert habe. Ich habe heute wieder den Zug verpasst, weil keiner da war. So viel zum Thema „isolated incident“. Ich habe den Fahrer heute morgen gebeten, die Zentrale anzufunken oder die Rampe zu holen. Der hat einfach „No, I can’t“ gesagt und hat die Tür zugemacht.

Nun gehe ich einen Schritt weiter. Ich werde mich an die aufsichtsführende Behörde / Organisation wenden. Welche das ist, muss ich noch recherchieren. Das Problem dabei ist, dass Silverlink die Strecke nur noch bis Herbst betreiben wird. Einerseits natürlich ganz gut, denn dann sind die endlich weg. Es kann aber sein, dass sich niemand mehr für Silverlink interessiert, weil sie sowieso bald Geschichte sind. Aber vielleicht schaffe ich es ja zu verhindern, dass die unmöglichen Mitarbeiter übernommen werden.

Silverlinks Tagebuch

Natürlich hat heute bei Silverlink alles geklappt. Das war einfach ne Nummer zu heftig gestern. Heute morgen fragte mich die Stationmanagerin, die Dienst hatte, ob ich wisse, was gestern abend passiert sei. Sie hätte da einen Vermerk im „Station’s Diary“ gelesen. Da würden besondere Zwischenfälle eingetragen. Und von ihrem Kollegen sei ein Bericht angefordert worden wegen einer Rollstuhlfahrerin. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und erzählte ihr, dass ich den Zug gestoppt habe, weil ihr Kollege mal wieder nicht da war. Sie war sichtlich überrascht und fragte mich, wie ich geschafft hätte, die Türen beim Schließen zu stoppen. Ich habe ihr gesagt, dass sie sich gar nicht vorstellen kann, welche Kräfte ich habe, wenn ich sauer bin.

Während der Stationsmanager gestern gegenüber dem U-Bahnmitarbeiter behauptet hat, Euston hätte ihm nicht gesagt, dass ich komme, hörte sich die Geschichte heute morgen ganz anders an. Die Stationsmanagerin erzählte mir, ein Zug auf dem Gleis oben nach Richmond sei verspätet gewesen (ich tippe mal auf einen anderen Rollstuhlfahrer, der vergessen wurde ;-) ). Darüber habe er vergessen, mich aus dem Zug zu holen. Sie völlig von den Socken: „The train was really delayed. And also the tube trains in West London.“ Klar, Willesden Junction ist der Hauptknotenpunkt für Bahn und U-Bahn im Westen. Und ich glaube, der Manager hat ziemlich Ärger gekriegt. Aber ich kenne dieses Unternehmen unterdessen gut genug um zu wissen, dass das nicht heißt, dass sich etwas ändert. Ich habe deshalb heute einen Antrag auf „Access to work“ gestellt. Das ist das Taxicardprogramm für behinderte Arbeitnehmer. Und wie es aussieht, fahre ich demnächst nicht mehr mit Silverlink, jedenfalls nicht so oft.

Mit Gewalt zum Ziel

Als ich heute morgen im Zug nach Euston saß, dachte ich noch, ich müsse mal darüber bloggen, wie gut das derzeit mit Silverlink klappt. Zwar hat noch niemand wirklich auf mein Beschwerdeschreiben reagiert, außer dass mir Silverlink immerhin nach zwei Wochen den Eingang desselben bestätigt hat. Aber ich hatte in den vergangenen Tagen keine Probleme und es war auch immer jemand da. Aber bekanntlich soll man denn Tag nicht vor dem Abend loben. Ich wollte ja noch zurück heute abend.

In den vergangenen Tagen schien morgens immer die Sonne und abends war ich oft irgendwo anders und bin nicht über Willesden Junction nach Hause gefahren. Wenn die Sonne scheint ist das Rampe aufs Gleis bringen auch nicht so unangenehm als wenn es regnet. Und heute abend regnete es. Und wie! Ich hatte schon eine leise Vorahnung, dass in Willesden niemand sein wird. Trotz Voranmeldung. Ich hab das langsam im Gefühl. Und prompt als der Zug einfuhr, war weit und breit niemand da. Es war für mich unmöglich mit dem gebrochenen Rad aus dem Zug zu springen und auch Tragen war mir zu riskant. Es war durch den Regen spiegelglatt und ich hatte Angst um das Rad, wenn die mich nicht wirklich sanft absetzen. Und zudem war ich richtig sauer. Diese Wut nutzte ich, um zu verhindern, dass der Fahrer die Türen schloss. Das versuchte er mehrmals. Aber ich hielt gemeinsam mit einer Frau die Türen offen. Ich wollte ja raus und nicht weiter nach Watford fahren. Ich schaffte es, Leute zu überreden zum Fahrer zu gehen und zu sagen, dass er jemanden mit Rampe herbeitelefonieren soll. Die Briten sind wirklich ein hilfsbereites Volk. Währenddessen hielt ich die Tür gewaltsam offen. Es war ein großartiges Schauspiel.

Eine Silverlinkmitarbeiterin war unter den Fahrgästen und sie versuchte panisch mit ihrem Handy jemanden in der Station zu erreichen. Es ging auch jemand ans Telefon. Der fühlte sich aber nicht zuständig. Natürlich! Mir fielen die schönsten britischen Schimpfwörter ein, die ich aber für mich behielt. Eine Frau sagte mir, dass sich zudem die Mitarbeiter, die eben noch auf dem Gleis standen, verdrückt hätten. Ich hatte plötzlich Unmengen an Kraft diesen Zug anzuhalten. Ich war einfach stinksauer.

Irgendwann kam der Fahrer herbeigeeilt. Er konnte ja nicht fahren mit den von uns blockierten Türen. Dann versuchte er auch per Handy jemanden zu erreichen. Und dann kam endlich der Stationsmanager, der bislang immer Dienst hatte, wenn irgendwas schief ging. Zufall? Wohl kaum. Er war ganz überrascht, dass ich es geschafft hatte, den Zug zu stoppen. Der hat immernoch nicht begriffen, dass ich das Spiel in jedem Fall gewinne. Der Fahrer diskutierte mit ihm rum. Ich war längst draußen. Als ich am Fahrstuhl wartete, hörte ich wie ein Mitarbeiter der U-Bahn empört angerannt kam. Auf dem gleichen Gleis fahren nämlich die Züge der U-Bahn ein – jedenfalls dann, wenn da kein Zug von Silverlink dauerparkt. Durch die nicht vorhandene Rampe waren also nicht nur die Züge von Silverlink verspätet, sondern auch die der Bakerloo Line. Das roch nach Ärger, der weit über Silverlink hinausgehen könnte. Und ich war darüber nicht wirklich unglücklich. Ich konnte sie noch schimpfen und diskutieren hören als ich oben ankam. Und ich bin mir sicher: Morgen steht da jemand mit Rampe – morgens und abends.

Silverlink und Hanna Reitsch

Als ich heute morgen zum Bahnsteig kam, wartete schon ein Mitarbeiter mit Rampe auf mich. Ich kannte ihn nicht. Er stellte mir, als wir auf den Zug warteten, 1000 Fragen. Wo ich wohne, warum ich immer nach Euston fahre etc. und wo ich herkäme. Ich habe ihm das alles freundlich beantwortet. Als ich ihm sagte, dass ich aus Deutschland komme, war er voll in seinem Element. Ob ich Hanna Reitsch kenne, fragte er. Ich musste schon sehr in meinem Gedächtnis graben, aber der Name sagte mir etwas und ich brachte ihn mit dem Dritten Reich in Verbindung.

She was a friend of Hitler“ strahlte mich der Mitarbeiter an. Er habe nach dem Zweiten Weltkrieg in Ghana bei ihr Flugstunden gehabt. Wikipedia hat mir dann später auf die Sprünge geholfen. Hanna Reitsch war Testpilotin im Dritten Reich. Sie ist nach dem Krieg nach Ghana gegangen und hat dort wohl den heutigen Silverlink-Mitarbeiter kennengelernt. Seine Augen strahlten als er über sie sprach. Und dann passierte etwas, das durchaus Filmqualitäten hatte. Hanna Reitsch hätte ihm auch ein deutsches Lied beigebracht, erzählte er mir stolz. Und er begann zu singen: „Schwarzbraun ist die Haselnuß, Schwarzbraun bin auch ich. Schwarzbraun muss mein Madel sein…“ Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er keine Ahnung hatte, was er da sang. Dass der Mitarbeiter schwarz ist, muss ich wohl nicht erwähnen…

Rampe und strahlende Mitarbeiter

Als ich am Freitag in Willesden Junction ankam, hatte ich mir eine neue Strategie überlegt: Ich gehe an den Mitarbeitern vorbei, sage „Schicken Sie bitte jemanden mit der Rampe“ und verschwinde. So dachte ich, können Sie nicht mit mir diskutieren und ich erhöhe den Druck. Diese Strategie wäre aber gar nicht nötig gewesen, denn als ich unten ankam stand dort schon die Stationsmanagerin mit der Rampe und strahlte mich an. Ich sagte ihr, dass ich sehr froh sei, dass das heute mal geklappt hat und dann habe ich sie über den grünen Klee gelobt. Ich dachte nämlich, sie habe von sich aus eingesehen, dass das so nicht geht. Ich fand das ganz großartig, wünschte ihr ein schönes Wochenende und fuhr problemlos nach Euston.

In Euston verlief wie immer alles wunderbar. Als ich an der Ticketkontrolle ankam, grinste mich einer der Mitarbeiter, der mir auch schon oft geholfen hat und dem ich mein Leid mit Willesden Junction geklagt hatte, strahlend an. „Na, hat heute alles geklappt?“, fragte er mich als könne er hellsehen. „Ja, alles wunderbar“, antwortete ich. „Wir hatten gestern abend ein Gespräch mit Willesden Junction,“ verkündete er mir verheißungsvoll. Der Stationsmanager von Euston habe seine Kollegen angerufen, nachdem nicht nur ich, sondern auch ein blinder Mann mit Führhund regelmäßig völlig entnervt in Euston ankam, weil sie ihm in Willesden Junction nicht behilflich sein wollten und auch er den Zug mehrmals verpasste. Das Theater wollte sich der Stationsmanager nicht mehr länger ansehen und hat seine Kollegen zurecht gewiesen. Ich habe den Mitarbeiter dann noch gefragt, ob ich dennoch den Beschwerdebrief absenden soll. Er meinte: „Unbedingt.“ Wenn „Transport for London“ Silverlink Ende des Jahres übernimmt, soll doch klar sein, welche Mitarbeiter übernommen werden sollen und welche nicht, meinte er scherzend. Ich bin gespannt, ob ich nach dem Donnerwetter aus Euston und meinem Brief künftig problemlos fahren kann.