Ich gebe zu, mein Verhältnis zu Frankreich ist schon länger nachhaltig gestört. Nicht erst seit Sarkozy. Ich bin an der französischen Grenze aufgewachsen, meine Eltern hielten es für ne prima Idee, jedes Jahr nach Frankreich in Urlaub zu fahren, mich in einen Kindergarten mit Französischangebot zu schicken, gefolgt von einer Grundschule mit Französisch auf dem Lehrplan und einer Orientierungsstufe in der 5. und 6. Klasse mit 7 Stunden Französisch in der Woche. Es hat alles nichts genutzt, Frankreich und ich mögen uns nicht besonders. Und die französische Sprache spreche ich nur, wenn es sein muss und dann sehr schlecht.
Aber ich gebe dem Land immer mal wieder eine Chance. Und ich muss zugeben, gerade im Bezug auf Barrierefreiheit, hat sich in den letzten 20 Jahren echt was getan, wenn man bedenkt, dass es dort selbst in manchen Touristenzentren und an Raststätten lange nicht einmal Behindertenparkplätze gab. Das ist vorbei und man kann mit etwas Abenteuerlust durchaus auch als behinderter Mensch nach Frankreich fahren.
Vor kurzem war ich zum ersten Mal in meinem Leben in Lyon. Um es vorweg zu sagen, Lyon ist eine relativ barrierefreie Stadt, obwohl sie sehr alt und sogar UNESCO-Weltkulturerbe ist. Die U-Bahn ist total barrierefrei, alle Busse, die ich genutzt habe auch. Es gibt überall öffentliche barrierefreie Toiletten und man findet auch zugängliche Restaurants etc. Das Hauptproblem dieser Reise war der Flughafen und sein Personal, was ich wirklich erstaunlich finde, denn immerhin sind die EU-Vorschriften für behinderte Reisende auch für Lyon gültig.
Ich kam mit British Airways in Lyon an und mein Rollstuhl war nicht da. Man hatte ihn statt an die Flugzeugtür zu bringen, aufs Gepäckband gelegt. Das ist kein Platz für einen Rollstuhl. Ich bat also die Mitarbeiter des Flughafens und die Rampenagentin von BA, mir meinen Rollstuhl zu holen. Als Antwort erhielt ich „Es gebe kein Personal.“ Das war umso erstaunlicher als dass nicht weniger als vier Leute gekommen waren, um mich aus dem Flugzeug zu holen. In Frankreich muss Vollbeschäftigung herrschen.
Sie brachten mich also auf dem Bordrollstuhl – weil ich mich weigerte mich in einen anderen Rollstuhl zu setzen – zum Gepäckband, das keine 200 Meter entfernt war. Auf meine Frage hin, warum niemand den Rollstuhl geholt hat, wenn die Wege doch so kurz sind, antwortete der Mensch vom Flughafen: „Das ist nicht mein Job!“ Reisen wie Gott in Frankreich.
Wir wollten mit der Bahn in die Stadt fahren und standen erst einmal vor einem leeren Fahrstuhlschacht. Da der Flughafenbahnhof einem Monumentalbau gleicht und die Wege entsprechend lang sind, hatten die Architekten zwei Fahrstühle vorgesehen. Jeweils einen an beiden Enden. Unserem Ende war wohl der Sparzwang zum Opfer gefallen und so mussten wir etwa 1500 Meter Umweg in Kauf nehmen.
Später traf ich dann einen ebenfalls rollstuhlfahrenden Freund, der mir sagte, er sei nach Genf geflogen. Französische Flughäfen meide er. Ich verstand sofort, warum.
Ich war also nicht sehr begeistert als es wieder Richtung Flughafen ging. Das Personal hatte sich weder durch Freundlichkeit noch Kompetenz hervorgetan. Das sollte auch so bleiben. Aber der Abflug übertraf die Ankunft bei weitem. Ich bekam Kontakt zur französischen Polizei.
Zuerst einmal brachte mich der Flughafenmitarbeiter zu einem falschen Sicherheitsbereich. Das merkte er aber erst als schon Laptop, Taschen, Jacken etc. gescannt waren. Man freut sich ja, wenn man das Prozedere gleich zwei Mal machen darf. Beim zweiten Band legte ich also wieder die Sachen aufs Band, rollte durch den Metalldetektor und werde dann normalerweise per Hand durchsucht. Von meinem Rollstuhl wird dann eine Staubprobe genommen, unter dem Mikroskop untersucht und ich kann gehen. In Lyon passierte gar nichts. Man ließ mich warten ohne mir zu sagen, was das Problem ist. Die Sicherheitsmitarbeiterin fühlte sich nicht für mich zuständig und so stand ich erst einmal dumm rum.
Zu meiner großen Überraschung kam dann die Polizei. Die anderen Passagiere schauten mich an als sei ich eine Terroristin. Hätte ich wahrscheinlich auch so gemacht, das Aufgebot war groß genug, um das zu glauben.
Sie fragten mich nach meiner Staatsangehörigkeit und meinem Wohnort. Ich sagte, ich sei Deutsche, zeigte ihnen meinen Pass und dass ich in London lebe. Dann durfte ich zu meiner großen Überraschung meine Tasche vom Band nehmen. Das darf man normalerweise nicht, wenn man noch nicht untersucht wurde. Man könnte ja einen gefährlichen Gegenstand hinein tun.
Ich nahm meine Tasche mit und sollte der Polizei in einen abgetrennten Raum folgen. Warum und was genau das Problem ist, wurde mir nicht gesagt. Man fragte mich, ob das mein eigener Rollstuhl sei. Auf meine Antwort mit „Ja“ gab man sich grübelnd und hilflos.
Im Raum anwesend waren eine Polizistin und jemand vom Sicherheitsdienst des Flughafens. Dann fragte man mich peinlich berührt, ob sie mal unter meinen Rock schauen dürfen. Ich lachte und hob meinen Rock bis zu den Knien an. Ich wusste immer noch nicht, was das alles soll. Und dann passierte etwas, was mir klar machte, die hatten keine Ahnung, was sie da tun: Man ließ mich einfach gehen.
Niemand hatte mich angefasst oder meinen Rollstuhl untersucht. Man war einfach nur überfordert. Das ist mir zum letzten Mal vor 15 Jahren in Tunesien passiert. Und so kam es, dass ich im Jahr 2010 mitten in Europa ungeprüft in ein britisches Flugzeug steigen durfte. Von wegen Terrorhysterie! Offensichtlich ist der Umgang mit behinderten Menschen noch Angst einflössender bei manchen Menschen als die Angst vor einem Terroranschlag. Das ganze Verhalten ist umso erstaunlicher, hat die EU den Flughäfen doch aufgelegt, ihre Mitarbeiter im Umgang mit behinderten Fluggästen zu schulen. Wenn die Sicherheitsleute nicht geschult werden, wer dann?
Nachdem alle Behinderten die Flughäfen dort in Frankreich meiden, ist es dann schon ungewöhnlich einen zu sehen.
Arge Geschichte. Mein Lieblingssatz: „Von wegen Terrorhysterie! Offensichtlich ist der Umgang mit behinderten Menschen noch Angst einflössender bei manchen Menschen als die Angst vor einem Terroranschlag.“
Unglaublich, echt. Es ist doch statistisch unmöglich, dass die so selten gehandicapte Personen untersuchen müssen… Hm. Ich war mit meinem Bruder vor 2 Jahren in Frankreich, da war man eigentlich sehr nett. Unser Reiseveranstalter von FTI hat uns auch direkt vom Flughafen abgeholt und es war alles barrierefrei, auch der Bus etc. eingerichtet und auch die im Hotel waren gut vorbereitet. So eine Erfahrung wie du sie gemacht hast ist aber natürlich sehr ärgerlich und wird deinem Verhältnis mit diesem Land wohl auch nicht zuträglich sein, oder? :)
Toller Bolg übrigens, weiter so. Liebe Grüße!
[…] Der Beitrag von Christiane zeigte mir, dass ich damals wohl Glück gehabt hab bei meiner Flugreise über einen französischen Flughafen und dass die Nichtkontrolle wohl in Frankreich Methode hat. […]
Hallo,
ich glaube es ist ein allgemeines Problem von Flughäfen das deren Sicherheitsdienste leicht überfordert sind sobald etwas passiert was nicht alltäglich ist. Wobei ich die Aussage gleich noch relativieren muss denke ich.
In Venedig wurde ich am Flughafen z.B. mal heraus gewunken und musste dem Sicherheitsdienst erklären das der etwa 30 cm lange „Metallkolben“ in meiner Tasche ein Objektiv für meine Spiegelreflexkamera ist. Das war den Beamten aber so unverständlich das ich meine Tasche öffnen musste und der gesamte Inhalt einem Sprengstofftest unterzogen wurde. Man hielt meine Objektive für Waffen und ging auch entsprechend grob damit um. Vielleicht jongliert man beim Flughafensicherheitsdienst gerne mit Pistolen, mit Kameraobjektiven macht man das aber defintiv nicht…
Nichts desto trotz glaube ich echt nicht das es eine Seltenheit ist das man beim Sicherheitscheck mit Rollstühlen oder Spiegelreflexkameras zu tun hat. Vielleicht hängt das mit der Abgestumpftheit am Sicherheitscheck zusammen, mit der Lustlosigkeit der Mitarbeiter nach einer 8-Stunden-Schicht oder der schlichten Überforderung des Personals mit den Vorschriften und dem Passagieraufkommen. Vielleicht tue ich den Menschen aber auch unrecht und es ist alles ganz anders.
Was mich mal interessieren würde: Wie verträgt sich eigentlich der neue Körperscanner mit einem Rollstuhl? Ist da das passieren möglich oder probt das Gerät dann den Aufstand? In Hamburg war ich nämlich neulich etwas verstört als mich ein Sicherheitsmann anpflaumte als ich mir vor dem Körperscanner die Nase putzte und das Taschentuch in die Hosentasche steckte. Mit „alles aus den Taschen“ meinte man also nicht wie beim herkömmlichen Metalldetektor alles metallische, sondern wirklich alles! Sogar mein verschnoddertes Taschentuch. Das wäre dann vermutlich als Biowaffe durchgegangen…
Viele Grüße und noch Glückwunsch zu diesem Blog! Ich lese regelmäßig mit und sehe oftmals Dinge mit ganz anderen Augen. Dinge die einem so oft gar nicht auffallen.
Hallöle, kann mir eine(r) von euch sagen, wie behindertenfreundlich Paris ist. Wir wollen es im nächsten Frühjahr in Angriff nehmen. Bisher wurden wir nur gewarnt, besonders vor der Metro. Also meine Frage:
Wie stehen die Chancen für Paris mit Rollstuhl?“
würde mich über Antworten freuen.
Gruss Helga
Hallo Helga, Paris ist sicherlich nicht ganz einfach mit dem Rolli, vor allem natürlich die Metro. Wie möchtest Du denn anreisen? Mit dem Auto?
Paris ist schrecklich mit dem Rollstuhl. War mit meinen Grosseltern dort und es war wirklich eine Qual mit meinem Opa. Ok das Problem gibt es aber leider in vielen Großstädten.
Und in Lyon sind nur außerhalb des Sicherheitsbereiches Behindertentoiletten mit Griffen auf beiden Seiten. Innen war nur ein Griff an der Wand und der Boden klatschnass vom Waschbecken.
Ich habe vor einigen Jahren (wohlgemerkt nach 9/11) mit einem Bekannten in Marseille ganz ähnliche Erfahrungen gemacht und man merkt in solchen Situationen, dass die Mitarbeiter noch so oft geschult werden können – die falschen Berührungsängste im Umgang mit gehandicapten Personen kann man offensichtlich nicht „wegschulen“.
Der richtige Weg ist wohl nur offensiv mit solchen Begegnungen umzugehen und das Bewusstsein in der Gesellschaft zu schärfen. Es würde sicher nicht schaden ruhig auch mal einen Brief an den Flughafenbetreiber zu schicken – vielleicht kann man sich dann eines Tages auch mal „ganz normal“ fühlen.