Herzlichen Dank und Willkommen

Vielen herzlichen Dank für die vielen Glückwünsche, die mich erreichen, per Telefon, E-Mail, IM, Trackback etc. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Hier verirren sich gerade Tausende Menschen am Tag her, was sicherlich der Medienberichterstattung geschuldet ist, die unterdessen auch in den deutschen Medien stattfindet.

Allen, die neu hier sind, ein herzliches Willkommen. Ich habe dieses Blog vor ein paar Jahren gestartet, weil ich dachte, ich müsse mal aufschreiben, was mir so passiert und was mich so umtreibt. Und weil ich mich mit anderen darüber austauschen wollte. Das hat ganz gut geklappt. Dass ich dafür jetzt einen Preis bekomme, freut mich sehr, weil das Thema Barrierefreiheit in die Öffentlichkeit getragen wird. Ich bekomme oft Mails, in denen mir Leute sagen, sie hätten sich noch nie Gedanken darüber gemacht, über das was ich so schreibe. Mich überrascht das nicht, denn das ist genau meine Erfahrung. Nicht behinderte Menschen in Deutschland wissen viel zu wenig über behinderte Menschen. Weil behinderte Menschen noch lange nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Wie auch, wenn man meist schon im Kindergarten von einander getrennt wird, spätestens aber in der Schule und man sich aufgrund der schlechten Beschäftigungsquote behinderter Menschen in Deutschland auch im Berufsleben nicht mehr wiedertrifft? Ich weiß, dass das nicht immer so ist, ich bin ja selbst die Ausnahme, die die Regel bestätigt, aber ich halte es für eine Ursache des Problems.

Ich habe, als ich bei BBC war, mal eine kleine Studie unter meinen Kollegen gemacht. Viele meiner Kollegen, die in England zur Schule gegangen sind, hatten behinderte Klassenkameraden. Die waren gewöhnt, auf Barrierefreiheit zu achten und Fragen zu stellen, wenn sie etwas nicht wussten. In Deutschland sind behinderte Menschen in vielen Lebensbereichen nicht sichtbar, was dazu führt, dass man sich ständig in einer Grundsatzdiskussion wiederfindet, ob Gebäude x oder y wirklich barrierefrei sein muss, „da arbeiten ja eh keine Behinderten.“

Wenn es in Deutschland einen gesellschaftlichen Konsens darüber gebe, dass behinderte Menschen die gleichen Teilhabechancen wie der Rest der Bevölkung haben sollten, dann dürfte in diesem Land nicht mehr darüber diskutiert werden, ob ein neues Gebäude barrierefrei wird, wieviel Prozent des Fernsehprogramms untertitelt wird, ob wir wirklich barrierefreie Webseiten brauchen, ob man wirklich den behinderten Bewerber einstellt und und und…

Derzeit werden diese Diskussionen aber tagtäglich geführt (nicht nur in Deutschland) und fallen nicht immer pro Barrierefreiheit und Teilhabe aus. Und das wiederum hat mit dem Denken über Behinderung zu tun. Wenn man davon ausgeht, dass der behinderte Mensch „das Problem“ ist und nicht die fehlende Rampe, dann wird man sich nie veranlasst fühlen, eine Rampe anzuschaffen.

12 Kommentare

  1. „Tja, und wenn etwas nicht in Ordnung ist, mit dem Baby, wenn es behindert ist — dann haben Sie ein Problem.“

    — „Irrtum: Dann haben wir ein Baby.“

    (Gesprächsfetzen beim Frauenarzt)

  2. Frank sagt:

    Ja, ich habe auch schon öfters gedacht als „Ehemann einer behinderten Frau“ ein Blog zu machen, denn das was auch wir seit 1995 so erleben, schlägt dem Fass den Boden aus. Viele haben mir schon gesagt, ich solle das mal irgendwo niederschreiben.
    Ob es das Behindertenwohnheim war, dass meiner Frau rechtlich den Auszug (und Zusammenzug mit mir) verbieten wollte, Ärzte im Krankenhaus die meine Frau aufs übelste vernachlässigt haben und einen niemals vorhanden Fantasie-Hirntumor gefunden haben oder Firmen, die bei der behindertengerechten Gestaltung unserer Wohnung die Kostenträger um einige tausend DM übers Ohr hauen wollten, bis zu der Krankenkasse die im Jahre 2006 einen Fragebogen schickt, indem gefragt wird ob meine Frau wirklich einen E-Rollstuhl benötigt (sie sitzt seit über 20 Jahren in einem E-Rolli!) und nicht doch zu Fuß (!) gehen könnte. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs…

    liebe Grüße
    Frank

  3. Chrizzo sagt:

    Hm, vielleicht ist dann die Trennung in der deutschen Gesellschaft ein Selbstläufer geworden?
    Ich kenne einige Behinderte, die an einer „normalen“ Schule begonnen haben und dann nach einigen Jahren und Kämpfen zu einer körperbehinderten Schule gewechselt sind und dort nie wieder weg wollen.

  4. Christiane sagt:

    @Chrizzo
    Die kenne ich auch, aber das kann ja nun nicht die Lösung sein. Denn irgendwann müssen sie raus ins „richtige Leben“. Außer sie gehen von der Sonderschule gleich in die nächste Behinderteneinrichtung. Die Schule war für mich die beste Vorbereitung fürs spätere Leben und ein gutes Training, wie man mit Nichtbehinderten umgeht. Das muss man auch lernen. Und auch wenn es manchmal hart ist, ich möchte diese Erfahrung nicht missen.

    Und wenn es normaler wäre, dass behinderte Kinder integrativ beschult werden, dann würde sich auch das Verhalten des Umfeldes (Lehrer / Schüler) verändern. Wobei ich sagen muss, mein Hauptproblem in der Schulzeit waren immer die Lehrer, selten die Schüler.

  5. Chrizzo sagt:

    Ja, mein Eindruck ist auch, dass das Problem meist die Lehrer sind, aber die sind nun mal sehr wichtig (Notengebung etc.).
    Und möchtest Du wirklich allen behinderten „Kindern“, die Verantwortung auftragen, jahrzehntelange fehlgeleitete Politik in diesem Feld auszubaden?
    Das geht doch auch schon mal so weit, dass Kinder im _Grundschulalter_ schon mit Bauchschmerzen in die Schule gehen und irgendwann vielleicht mal vor den Eltern stehen, weinend, diese hätten ihnen verschwiegen, dass sie auch eine geistige Behinderung hätten! Das kann es doch nicht sein! (Hintergrund ist meist, dass die Kinder eine Schwäche in einem Fach haben, das in der Klasse nicht auch noch offensichtlich werden lassen möchten – neben der körperlichen – und dann schon mal komplett dicht machen können, wenn die Lehrer hier nicht richtig reagieren.)
    Ich weiss ja nicht, aber ich würde eher einen anderen Ansatz vor dem, die behinderten Kinder gehen wieder nur in Regelschulen und dann löst sich das Problem der Akzeptanz schon von allein, sehen wollen.
    Ich fürchte, das hat auch viel mit allgemeiner Rücksichtnahme und Höflichkeit zu tun.

  6. Christiane sagt:

    Natürlich geht es nicht darum, alle Kinder „wild“ zu integrieren. Aber in Deutschland gehen derzeit etwa 10 Prozent aller behinderten Kinder überhaupt in Regelschulen. In England sind es 80 Prozent.

    Je früher man Kinder gemeinsam unterrichtet, desto einfacher fällt die Integration. In der Grundschule war meine Behinderung unter der Kindern überhaupt kein Thema. Ich habe mich die ersten Jahre selber auch gar nicht als behindert wahrgenommen. Und zu den Lehrern kann ich nur sagen, die meisten hatten mit mir kein Problem und die, die eines hatten, waren auch sonst extrem schlechte Lehrer.

    Ich verstehe nicht, warum es daher eine Zumutung für die Kinder sein soll, mit anderen (nicht behinderten) Kindern in die Schule zu gehen. Wenn man nicht irgendwann mal damit anfängt, wird das nie was. Natürlich unter der Voraussetzung, dass Kinder Assistenz und bekommen, die sie benötigen und Bedingungen vorfinden, die in Ordnung sind. Aber Körperbehindertenschulen halte ich nicht für eine Lösung, sondern für ein riesen Problem.

  7. DrNI sagt:

    Was untertiteltes TV angeht usw.: Zwar machen wir an DVB herum und blah und tröt – aber warum macht sich niemand Gedanken, wie man Untertitel (und ggf. zweiter Videostream mit Gebärdensprache) so integrieren kann, daß man sie bei Bedarf ein- und ausschalten kann? Technisch sicherlich nicht sehr schwierig bei Digitalfernsehen, man will nur nicht. Und dann gäbe es keine Ausreden mehr.

  8. Dorothea sagt:

    Wenn man Kinder nicht in Watte packt und hätschelt und tätschelt, weil sie ja „arm dran“ sind, dann packen sie auch eine sogenannte „Normalschule“ – zumindest körper- und sinnens“behinderte“ Kinder. Bgzl. Leuten mit Lernschwierigkeiten hab ich keine Erfahrung, da fuchse/lese/frage ich mich gerade ein, da halt ich besser mal die Klappe.

    Es geht jedoch den allermeisten „behinderten“ Kindern und später Erwachsenen doch so, dass sie aus dem einen Sonder-Sonder(-Kindergarten) über das nächste Sonder-Sonder (-Schule) ins abschließende Sonder-Sonder (-Werkstätte, Heim, Betreuungsmaßnahme) kommen und somit NIE mit der Normalität in Kontakt kommen. Ewig behütet, gehätschelt und getätschelt – aber ja niemals heraus-gefordert. Keine Chance zur Verselbständigung, zur Entwicklung. Ewiges Kindchen bleiben.

    DAS ist das, was sogenannten „behinderten“ Kindern und Erwachsenen in Deutschland blüht, was sein SOLL, sonst wäre es schon längst geändert worden.

    NORMAL ist die NORM, Krüppel stört da nur.

  9. Chrizzo sagt:

    Nein, Dorothea, da kann ich Dir nicht zustimmen. Du unterstellst ja, dass hinter jedem an einer Normalschule gescheiterten behinderten Kind, zu fürsorgliche Eltern stehen, was meiner Erfahrung nach (nur körperbehinderte Kinder)nicht der Fall ist.
    Christiane schreibt ja, dass nur 10 Prozent der behinderten Kinder an einer deutschen Regelschule eingeschult sind. Die Einschulung an einer Regelschule ist allermeistens mal gar kein Zeichen von elterlicher Überbehütung oder gar ein Zeichen von, wir wollen es unserem Kind aber leicht machen. Trotzdem gibt es einige Kinder, die dort scheitern, was sich fatal auf ihren Lebensweg auswirkt (mehrere verlorene Schuljahre wegen Wiederholens, angeknackstes Selbstbewusstsein etc.).
    Mein Standpunk ist, um es einmal ganz deutlich zu formulieren, dass sich an furchtbar vielen, den meisten, vielleicht sogar den allermeisten Regelschulen erst noch viele viele Bedingungen ändern müssen und vor allem auch Einstellungen von Lehrern, die andere Fortbildungen benötigen usw., bevor man guten Gewissens fordern kann, dass einfach nur mehr behinderte Kinder in Regelkindergärten und Regelschulen zu gehen brauchen und dann hat man eine behindertenakzeptierte Gesellschaft. Das ist meines Erachtens zu einfach gedacht und wird sich auch erst in jahrzehnten relevant verändert haben…
    Aber an und für sich, bin ich auch dafür, dass es ganz „normal“ sein werden _muss_, dass man behinderte Kinder wie alle anderen auch an Regelschulen einschulen kann und auch macht.

  10. Christiane sagt:

    Ich bin zwar auch der Meinung, dass sich einiges ändern muss an deutschen Schulen, bin aber weit weniger pessimistisch als Du, Chrizzo. Wenn wir schon wieder von Jahrzehnten sprechen, wird sich nichts, aber auch gar nichts ändern. Die Mehrheit der körperbehinderten Kinder braucht in erster Linie eine barrierefreie Umgebung und Assistenz. Dafür braucht man keine Jahrzehnte, sondern das ist eine Frage der Organisation und des Geldes.

    Und was die Lehrer angeht: Ich hatte x super Lehrer, die auf keiner Weiterbildung waren, und mich trotzdem gut integriert haben, auf mich eingegangen sind etc. Und dann hatte ich Lehrer, die hatten ein Problem mit mir, weil sie überhaupt ein Problem hatten, Lehrer zu sein. Die kannste auf hundert Weiterbildungen schicken ohne Erfolg. Die Behinderung eines Schülers wirkt da nur als Brennglas, um zu zeigen, wer die guten und die schlechten Lehrer sind. Ich erwarte aber von jedem Lehrer, dass er mit der Unterschiedlichkeit seiner Schüler umgehen kann. Das gehört zur Grundqualifikation.

    Ich glaube, viele Eltern sind einfach überfordert, gegen den Willen der Behörden durchzusetzen, das Kind auf eine Regelschule zu schicken. Und das ist kein Vorwurf gegen die Eltern, sondern gegen das System. Und ich habe nicht den Eindruck, dass die behinderten Schüler die Sonderschulen mehrheitlich als selbstbewusste junge Leute verlassen. Ich habe eher den Eindruck, die befinden sich teilweise in einem Schockzustand nach der Schule und müssen sich erst in der „nicht behinderten Welt“ zurecht finden, weil sie vorher relativ behütet aufgewachsen sind und nicht die Übung haben, ihre Ansprüche zu formulieren und mit fremden nicht behinderten Menschen zu interagieren. Ich hatte während meines Studiums viele Gelegenheiten, das zu beobachten. Was man damit den Leuten antut, darüber redet kein Mensch…

  11. Chrizzo sagt:

    Oh, da habe ich mich ungenau ausgedrückt: Ich meinte, es wird Jahrzehnte dauern, bis die behinderten Kinder in die Schule gegangen sind, sie und ihre Eltern dort die Bedingungen und Akzeptanz verbessert haben und diese jungen Erwachsenen dann in die Lehre oder das Studium oder sonst wohin ziehen um dort dieselben Verbesserungen zu bewirken und bis das dann im größten Teil der nichtbehinderten Bevölkerung angekommen ist, sind dann Jahrzehnte herum.

  12. cabronsito sagt:

    Ohne den Austausch mit Chrizzo ungehoerig stoeren oder unterbrechen zu wollen, stelle ich mein „manuelles trackback“ zur leicht verspaeteten Stellungnahme zum BOBsgewinn hier ein:
    Ein Blog wird beruehmt – zu Recht