Gefangen im Linienbus

Der Morgen fing eigentlich ganz vielversprechend an. Die Sonne schien, es war nicht mehr ganz so kalt und ich erreichte den Bus noch pünktlich, obwohl ich ein bisschen getrödelt hatte. Der Busfahrer fuhr die Rampe aus, ich fuhr in den Bus. Der Fahrer fuhr die Rampe wieder ein. Aber auf halbem Weg blieb sie stecken. Es war nichts zu machen. Nicht mit Gewalt, nicht mit Bus neu starten. Nichts half. Da der Gang zur Vordertür zu schmal war, konnte ich auf diesem Weg nicht mehr aus dem Bus. Die hintere Tür war durch die Rampe blockiert. Der Busfahrer ließ alle Leute aussteigen. Die nahmen den nächsten Bus. Nur ich war im Bus gefangen.

Der Fahrer funkte seine Zentrale an. Die sagten, sie schicken einen Techniker, so schnell es geht. Eingesperrte Rollstuhlfahrerinnen sind auch für Transport for London eine ernsthafte Sache. In der einstündigen Wartezeit lernte ich mein Busunternehmen näher kennen. Den Busfahrer, der mich über alles aufklärte, was die Qualitätssicherung anging. Er zeigte mir die Protokolle, die bewiesen, dass der Bus und die Rampe heute morgen noch funktionierte. Und er erzählte mir alles über seinen Alltag – wie er bezahlt wird (nach gefahrenen Kilometern!) und was jetzt in der Zentrale abläuft, wenn so etwas passiert. Ich kam mir schon vor als gehörte ich zum Busunternehmen. Zum Inventar gehörte ich ja bereits gezwungenermaßen.

Nach etwa einer Stunde kam ein Techniker in einem Einsatzfahrzeug. Der war super nett und kletterte unter den Bus, um die Rampe per Hand einzufahren. Keine leichte Aufgabe, wie sich herausstellte. Als er gerade unter dem Bus hervorgeklettert war, gab es einen riesen Knall. Ein LKW war gegen den Bus gefahren. Die Haltestelle ist relativ eng und liegt an einer Schnellstraße (fast schon Autobahn) und der LKW ist einfach zu dicht am Bus entlang gefahren, hat die hintere Ecke mitgenommen und den Spiegel abgerissen. Sowohl Fahrer, Techniker als auch ich waren ziemlich erschrocken. Der Techniker war aber so geistesgegenwärtig und rannte dem LKW hinterher. Der hielt nämlich nicht, sondern fuhr weiter. Es war nicht viel passiert. So ein Bus hält ja was aus und ich habe einen guten Schutzengel.

Der Techniker machte sich anschließend an der Elektronik zu schaffen. Die war auch irgendwie gestört. Die Rampe ließ sich jetzt gar nicht mehr bewegen. Er war aber erfolgreich und reparierte auch den Elektronikschaden. Nach dem Schock mit dem LKW wollten sie mich gar nicht mehr aussteigen lassen, sondern teilten der Zentrale mit, es sei zu gefährlich mich da ein- und aussteigen zu lassen. Sie würden mich zur BBC White City fahren. Von da aus konnte ich einen Shuttlebus in die Innenstadt nehmen. Nach 2 1/2 Stunden kam ich endlich in der Redaktion an. Die hatte ich natürlich angerufen und ihnen mitgeteilt, dass ich leider im Linienbus gefangen bin. Aber die kennen mich unterdessen und wundern sich über nichts mehr.

13 Kommentare

  1. Speedking sagt:

    Hallo und Guten Abend :-)
    Ist immer wieder interessant zu lesen, wie es Dir geht, was Du so erlebst.
    Und ich finde es toll, wie Du in GB behandelt wirst, wie Dir geholfen wir.
    Da können wir in D beim Umgang mit gehandikapten Menschen noch viel von lernen … !!!
    Gruss Norbert

  2. Dorothea sagt:

    Was ich bei aller Liebe zur großen Insel irgendwie erschreckend finde:

    Trotz offensichtlich recht tauglichen Ansätzen und engagierten Leuten scheint es immer wieder zu brachialen Ausfällen in der Technik/Mechanik von „Zugänglichkeitsermöglichern“ aller Art und Güte zu kommen.

    Woran liegt das? Werden die entsprechenden Geräte so selten benutzt, dass eine Fehlfunktion erst auffällt, wenn mensch die Gerätschaft ganz ausnahmsweise mal tatsächlich benutzen will, oder was ist der Hintergrund?

    Bemüht und nett scheinen die entsprechend Zuständigen ja zu sein – von daher wohl kein Ausschluß intentiert.

    Strukturelles Versagen? Verwirrnis der Technik? Oder Seltenheit des Gebrauchs wg. Bequemlichkeit der Sonderexistenz?

    Der Vorhang fällt *sfg*
    D.

  3. Dorothea sagt:

    @Speedking,

    jooo, da können „wir“ hier alle noch viel lernen, wie „Gehandikapten“ „geholfen“ wird, nicht wahr?

    Soooo schöööön, das Christiane so „geholfen“ wird. DAS ist doch das Tolle an der Großen Inseln – allen Behinderten wird ganz lieb „geholfen“. DAS wollen sie doch, und DAS können WIR alle lernen – dass es schön ist, Behinderten, äh, sorry, Gehandicapten, zu HELFEN.

    Bist du Sozialarbeiter oder PÄDagoge?

  4. Solon sagt:

    Mannohmann, da kann man ja bald einen Roman draus stricken aus diesen transporttechnischen Zumutungen. Oder zumindest eine Reportage für die BBC.

    Gut, dass Dir oder dem Techniker und Busfahrer nichts passiert ist!

    Ist die Zuteilung von Schutzengeln auch irgendwo verwaltungstechnisch geregelt? Und wenn ja: Kriegt man beim Einsparen von Taxigutscheinen als Ausgleich mehr Schutzengel-Zeit für Bahn und Bus zugeteilt?…

  5. Suse sagt:

    Hossa! Das sind ja wieder einmal Erfahrungen, auf die Du wahrscheinlich gerne verzichtet hättest.
    Diese Rampen scheinen ja wirklich tückisch zu sein. Entweder sie fahren nicht raus oder nicht rein oder sie bleiben stecken. Dorothea hat schon Recht: Die Ansätze sind gut, aber die Umsetzung hakt….

    Immerhin kein Schnee….?
    Ich schieb´ Dir mal ´nen Tee rüber, nur zur Beruhigung… – der Schreck nach dem Knall muss ja wirklich groß gewesen sein.

    Immer wieder staunende Grüße
    Suse

  6. Christiane sagt:

    @Dorothea
    Ich dachte ja auch die ganze Zeit, dass es daran liegt, dass die Rampen nie ausgefahren werden. Aber der Busfahrer hat mir sein Protokoll gezeigt. Er hatte die Rampe an dem Tag schon drei Mal ausgefahren.

    Ich denke, es sind eher strukturelle Probleme. Hier wird nicht so gewartet wie bei uns. Die Busse sind teilweise in einem schlechten Zustand und zu alt. Ich habe mich mit einer Amerikanerin letztens über die Probleme mit den Bussen unterhalten. Sie meinte, die Engländer reparieren und ändern erst etwas, wenn sie wirklich müssen – per Gesetz oder weil irgendwas vorfällt. Und ich glaube, sie hat recht. Vorausschauendes Planen und Erneuern ist hier nicht so verbreitet. Und dazu gehört auch, einen Bus aus dem Verkehr zu ziehen, wenn er zu alt ist.

  7. Manchmal gibt es wirklich Sachen, die man eigentlich nicht glauben bzw. erleben möchte.

    Lorenz

  8. Wendy sagt:

    Hallo,
    ich lese Dein Blog sehr interessiert und natürlich auch Deine Erlebnisse mit allen möglichen und unmöglichen Transportmitteln. Ich habe den Eindruck, daß einfach eine Erneuerung aller Busse und Bahnen auf „behindertengerecht“ angesichts des großen Streckennetzes so teuer wäre, daß man einfach hofft „brauchen wir so selten….lohnt sich nicht“. Und so wird das ja nicht nur in London gehandhabt. Für viele Dinge ist man wohl weit mehr als bei uns sensibilisiert – aber manches ist – so fies es ist – wohl auch – außer mit gutem Willen und Muskelkraft – gar nicht änderbar. Ich habe mir beim Umsteigen U-Bahn in London an vielen Haltestellen schon gedacht, wie das wohl jemand mit Rolli machen soll – ob das einfach nicht vorgesehen ist?!

    Hier in unserer Stadt gibt es auch enorme und fast nicht lösbare Probleme – zumindest nicht in absehbarer und finanzierbarer Nähe: Gefällestrecken, die selbst Straßenbahnen nicht bewältigen (zumindest nicht jeder Typ). Historische Altstadt mit Kopfsteinpflaster in ganz fiesen Größen (Absatz, Kinderwagen und Rollstuhluntauglich). Behörden in historischen Bauten, die erst nach und nach mit Aufzügen ausgerüstet werden (Zugangstor mit Treppenaufgang – ca. 30 Stufen! Sehr repräsentativ….)

    Ich bewundere jedenfalls Deine Energie, dich mit allem auseinanderzusetzen.

    Viele Grüße

    Wendy

  9. Christiane sagt:

    @ Wendy
    Puh, wo soll ich anfangen. Also, ich gebe Dir recht. Nicht alles geht und nicht alles ist machbar. Aber…. was in Deutschland fehlt ist ein gesellschaftlicher Konsens pro Barrierefreiheit. Zu der Frage, was finanziell zumutbar ist und was nicht gibt es naemlich sehr unterschiedliche Auffassungen. Fuer die einen ist die Rampe fuer 300 Euro schon zu viel. Andere scheuen den Umbau fuer Millionen nicht. Das Problem in Deutschland ist, dass erst ueber das Geld geredet wird und dann erst diskutiert wird, ob es wirklich notwendig ist, behinderte Menschen zu integrieren. Selbst wenn die Antwort „JA“ waere, die finanzielle Entscheidung steht ja zuerst an.

    Aber meistens, und das ist meines Erachtens auch bei den Rampen so, geht es gar nicht ums Geld, sondern um den fehlenden Willen oder einfach um Nachlaessigkeit. In City Thameslink (ein Bahnhof) sind seit Monaten die oeffentlichen Fahrstuehle ausser Betrieb. Man warte auf Ersatzteile. Das ist kein Geldproblem. Sondern da fehlt einfach jemand, der dem Zulieferer in den Hintern tritt. Die Rampen muessen einfach mal ordentlich gereinigt werden. Die Busse uebrigens auch, aber das ist ein anderes Thema.

    Der Unterschied zu Deutschland ist, dass es in UK dann doch sowas wie einen Konsens gibt, dass es gemacht werden muesste. In Deutschland gibt es nicht einmal diesen Konsens. Da findet man sofort Gruende, warum es nicht geht und fuehrt 10 Beispiele an, wo Barrierefreiheit auch nicht erreicht werden konnte. Es liegt meist nicht am Geld. Es liegt am Willen.

  10. mona lisa sagt:

    Es ist ja schier unglaublich, was du so alles erlebst, was dir widerfährt. Wie bleibst du so gelasssen dabei? oder scheint das nur so?

  11. cabronsito sagt:

    Willesden Junction verschwindet im Nebel der Vergangenheit und Bedeutungslosigkeit.
    Irgendwie schade.
    Aber der Ersatz ist auch praechtig.
    Was mir ein wenig fehlt, ist eine Bemerkung zur Reaktion der Leute. Ich aeusserte ja schon einmal irgendwo, dass ich die (fast) unglaubliche Hoeflichkeit der Englaender aehnlich sehe und schaetze wie Du.
    Aber ist da in solchen Faellen wirklich niemand, von dem Du den Eindruck hast, er koennte denken:“ Oh Mann, warum musste die gerade in MEINEN Bus gerollt kommen?!!“

    Protokolle und Statistiken.
    Hmmmm.
    In der heutigen Zeit wuerde ich wahrscheinlich sogar Zweifel haben, wenn man mir ein Video mit dem Ein-und Ausfahren der Rampe als „Beleg“ fuer die vorbildliche Wartung und Kontrolle selbiger zeigen wuerde.

    pd: Hab ich mich eigentlich schon dafuer entschuldigt, dass ich Dich neulich am Telefon so ploetzlich „abgewuergt“ habe? Und dann auch noch aus einem Grund, der nicht das erhoffte Resultat in Deinem Sinne brachte.
    Naja, Montagmorgen in Mexiko. Noch nicht einmal Knopperszeit.
    ;-))))

  12. Wendy sagt:

    Hallo,

    danke für Deine Antwort. Ich gehe mir Dir gedanklich sehr konform. Wobei hier vor Ort ein Teil des Stadtrates immerhin einmal im Jahr ne Stadtbegehung per Rollstuhl macht. Hat natürlich ne nette pressewirksamkeit, hat aber wohl doch etliches bewirkt, wenn die Damen und Herren mal am eigenen Leib – wenn auch nur für einige Stunden – merkten, was für Kleinigkeiten jemandem im Rollstuhl das alltägliche Leben erschweren.

    Und es gibt immerhin nen Behindertenbeirat (ist sowas vorgeschrieben?). Einige Verbesserungen der letzten Jahre sind auch ganz offensichtlich – beim 5-Minutentakt der Straßenbahnen kann man sich immerhin darauf verlassen, daß mind. jede 2. Straßenbahn rollstuhl- und kinderwagenzugänglich ist.

    Man hat gefräste Rillen an den Haltestellen im Boden angebracht, um zu kennzeichnen, wo die vorderste Tür der Straßenbahnen ist. Und das klappt auch ganz gut.

    Aber es bleibt offene oder versteckte Diskriminierung – vieles ist in den USA z.B. besser geregelt (wir waren auf nem Kreuzfahrtschiff, auf eine Gruppe mt etwa 30 Rollifahrer war. Das hat niemanden gestört, interessiert oder sonstwas. Die wenigen Bereiche, die schwer erreichbar waren – da wurde halt sehr unkompliziert improvisiert.

    Ich wünsch Dir was!

    Wendy

  13. Markus Ladstätter sagt:

    Ist mir auch mal passiert dass ich im Bus eingsperrt war, allerdings in New York und da dauerte es zum glück nur ~20 Minuten bis ich wieder aussteigen konnte. So eine Kollision im Bus passierte mir mal in Wien, beides zusammen ist aber ein großer Zufall, zum Glück ist dem Techniker nichts passiert, im Bus selbst ist man ja relativ gut geschützt.

    lg, Markus