Mir sind schon viele lustige Dinge erzählt worden, seit ich zur arbeitenden Bevölkerung gehöre. Einige Zeitgenossen glauben, behinderte Menschen können gar nicht arbeiten, andere denken, sie arbeiten nicht auf dem 1. Arbeitsmarkt und wenn, dann nicht in meinem Beruf.
Eine Legende habe ich allerdings noch nie gehört: Behinderte Arbeitnehmer müssen mit anderen behinderten Kollegen mit der gleichen Behinderung in einem Raum sitzen. Da muss man erst einmal drauf kommen! Bei Siemens in Amberg scheint das aber so zu sein. Die Mittelbayerische Zeitung zitiert die Betriebsärztin:
„Außerdem ist wichtig, dass Menschen mit gleicher Behinderung im gleichen Raum sitzen und miteinander sprechen können – so können auch Probleme bei der Arbeitsorganisation viel schneller und besser bewältigt werden.“
Dann heißt es demnächst im Bewerbungsgespräch: „Sie haben MS? Nein, dann können wir Sie leider nicht einstellen. Aber im Zimmer von den Blinden wäre noch ein Schreibtisch frei. Falls Sie da jemanden kennen, der in Frage käme…“. Und muss dann der blinde Buchhalter seinen Schreibtisch in der Fertigungshalle aufstellen, nur weil da ein blinder Kollege Teile fertigt? Und was ist, wenn ein Rollstuhlfahrer in die Geschäftsführung aufsteigt? Muss der dann dennoch in der Poststelle sitzen, weil da jemand mit der gleichen Behinderung Briefe sortiert? Und nach welchen Gesichtspunkten werden eigentlich die Schreibtische der nicht behinderten Angestellten vergeben? Ich tippe auf Haarfarbe und Schuhgröße.
Und noch eine Anmerkung: Wie kann man einen Bericht über behinderte Arbeitnehmer in einem Unternehmen schreiben, ohne diese ein einziges Mal zu Wort kommen zu lassen? Stattdessen sprechen der Personalleiter, die Schwerbehindertenbeauftragte und die Betriebsärztin über die Mitarbeiter.
GRINS … und bei den Gehörlosen (GL) ist das genau umgekehrt. Da habe ich mir mal von einem Personalverantwortlichen einer der großen Autokonzerne erzählen lassen, dass sie genau darauf achten, bloß keine GL in einer Abteilung zusmmen zu bringen. Zusammen ‚plaudern‘ sie nur. Getrennt (quasi isoliert) sind sie die besten, da konzentriertesten Mitarbeiter. Trau, schau wem!
Bei einer solchen Aussage der Betriebsärztin ist höchstwahrscheinlich der Gehörlose als Behinderter gemeint. Der Gedanke „miteinander sprechen können“ suggeriert hier eine Kommunikationsbehinderung zwischen zwei Menschen. Da sind Hörende schon erstaunt, wenn zwei Gehörlose fröhlich und frei in ihrer Gebärdensprache unterhalten können.
@ Knut
Es geht in dem Artikel vor allem um blinde Angestellte.
Upss. Stimmt. Den Artikel habe ich erst nachträglich ausfindig machen können. Schlecht recherchiert. Danke für den Hinweis.
Die Sprachverwirrung ist typisch – wenn verschiedene Menschen unter dem Begriff „Behinderte“ subsummiert sind, die ganz unterschiedlich leben und arbeiten, dann wird eben aus dem Blinden, der Gehörlosen und dem Rollifahrer ein grundsätzlich „Behinderter“ – zu Menschen (?), die keinerlei individuelle Ausdifferenzierung mehr erfahren, denen einfach ein „Manko“ eignet, das sie bestimmt – eben da, nicht „Gesuuuund“ zu sein.
Dass es bei „Behinderten“ natürlich auch nicht mehr zur (nicht nur) sprachlichen Differenzierung von Männern und Frauen kommt, sei nur am Rande erwähnt (s. Dr. Sigrid Arnade: Geschlecht: Behindert, besonderes Merkmal: Frau)
Zu deiner Anmerkung, Christiane:
Es haben doch die erwachsenen Dudiduzidus gesprochen. Was muss der kleine „Betroffene“ denn dann noch rumpäpen? Käme doch eh nur unverständliches Geseier bei rum. (/sarkasmus)
Behinderte Menschen gehören in unsere Gesellschaft eingebunden.Sie zeigen uns wie es über Nacht leicht anders werden kann.