Tag Archiv für Medizin

Mal wieder Kontakt mit dem NHS

Eine meiner größten Bedenken vor dem Umzug nach Großbritannien war die medizinische Versorgung. Was habe ich mir nicht alles an Warnungen anhören müssen über den National Health Service (NHS). Nachdem ich ja schon vor einem Jahr das besondere Vergnügen hatte, ein NHS-Krankenhaus eine Woche lang von innen zu begutachten, hatte ich heute mal wieder Kontakt mit dem britischen Gesundheitssystem.
Mir geht es seit einer Woche nicht so richtig gut und ich kränkele vor mich hin. Nachdem nachts nun auch noch Bauchkrämpfe hinzu kamen, dachte ich, ich muss nun doch mal zu meinem Hausarzt (GP).

Nun weiß ich, dass wir hier im Greenwich Millenium Village relativ priviligiert sind: Wir haben eine super moderne Praxis – mit Labor und allem Schnickschnack. Ich habe also um 10 Uhr heute morgen dort angerufen und gesagt, ich würde gerne einen Arzt sehen. Um 12 Uhr hatte ich einen Termin und musste 5 Minuten warten. Bislang war ich immer bei einer Hausärztin, aber die war heute nicht da und so lernte ich ihren Mann kennen. Auch sehr nett und sehr bemüht, mir zu helfen.

Die Praxis ist super barrierefrei mit barrierefreier Toilette und viel Platz überall. Ich habe heute das erste Mal in meinem Leben in einer Arztpraxis eine Urinprobe abgegeben, ist mir aufgefallen. Weil die Arztpraxen in Deutschland mehrheitlich keine barrierefreie Toilette haben, musste ich immer nach Hause fahren, dort die Urinprobe abgeben und dann wieder zurück. Heute ging das ratzfatz und vor Ort. Der Arzt hat den Urin auch sofort untersucht.

Mit einem Rezept über drei Medikamente hat er mich dann nach Hause geschickt. 21 Pfund haben die mich gekostet, weil man pro Medikament 7 Pfund Eigenanteil zahlen muss, außer man ist von der Zuzahlung befreit. Dass ich eine Infektion habe, konnte der Arzt im Labor sofort sehen. 4 von 5 Werte sind nicht in Ordnung.

Viel anders wäre das in Deutschland auch nicht abgelaufen und ich habe zunehmend den Eindruck, dass der NHS weit besser ist als sein Ruf.

Katie darf erwachsen werden

Katie, die fast zum Ashley X-Fall Englands geworden wäre, wird ihre Gebärmutter behalten. Das hat ein Gremium der NHS entschieden. Viele Behindertenverbände jubeln und beispielsweise beim BBC Ouch!-Forum gibt es Einträge wie diesen:

„Personally speaking, and from a severely disabled woman’s point of view who had a life-time of monthlies, I am greatly relieved to see common sense prevail.“

Ich muss sagen, ich bin auch erleichtert. Es hätte mein Bild von Großbritannien sehr ins Wanken gebracht, wenn das genehmigt worden wäre. In einem Land, in der die Selbstbestimmung behinderter Menschen nicht nur auf dem Papier steht, sollte doch auch die körperliche Unversehrtheit behinderter Menschen etwas zählen. Schön, dass das wohl wirklich so ist.

Arzt von Ashley nimmt sich das Leben

Der Arzt, der die operativen Eingriffe bei dem behinderten Mädchen Ashley in den USA zu verantworten hat und deshalb im Zentrum einer weltweiten ethischen Debatte stand, hat sich das Leben genommen, berichtet MSNBC.

Ashley X in England

England hat seinen eigenen Ashley X-Fall. Eine Mutter möchte die Gebärmutter bei Ihrer Tochter entfernen lassen, damit diese ihre Periode nicht bekommt. Das Mädchen ist 15 und ist von Geburt an behindert. Sie hat Cerebralparese und benötigt rund um die Uhr Assistenz. Kaum eine Sendung im Radio oder Fernsehen, die das Thema nicht behandelt. Seit Sonntag laufen die Call-In-Sendungen zu dem Thema auf allen Kanälen.

Ich habe mehrere Interviews mit der Mutter gehört und verstehe ihre Beweggründe nicht. Sie sagt, sie möchte ihre Tochter vor Menstruationsbeschwerden schützen. Sie möchte nicht, dass sie leidet. Nun hat die Tochter aber wohl ihre Periode noch gar nicht, wenn ich das richtig verstanden habe. Man weiß also gar nicht, ob sie wirklich Menstruationsbeschwerden bekommen wird und wie diese ausfallen. Zudem sind Menstruationsbeschwerden heutzutage ja ganz gut in den Griff zu kriegen und es gibt auch Pillen, die die Periode einfach abschaffen. Kann sie die Pille nicht schlucken, gibt es auch die Möglichkeit, ein kleines Teil unter die Haut zu setzen, dass die Hormone abgibt. Und wahrscheinlich gibt es noch viele andere Möglichkeiten, die ich gar nicht kenne. Das alles steht jedenfalls in keinem Verhältnis zu einer Totaloperation und den Folgen. Auf die Frage, ob sie den Pflegeaufwand runterschrauben will, sagte die Mutter im Interview, da die Tochter sowieso inkontinent sei, mache das keinen Unterschied. Sie sagt selbst, es gebe keinen medizinischen Nutzen. Es gehe darum, ihrer Tochter eine bessere Lebensqualität zu geben. Die Tochter könne zudem nicht mit der Periode umgehen.

Die Behindertenverbände, vor allem Scope, ein Verein für Leute mit Cerebralparese, sind auf den Barrikaden. Ein Gericht muss jetzt entscheiden, ob das Mädchen ihre Gebärmutter behält oder nicht. Scope sagt, auch eine Frau mit Behinderung habe ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Risiken (frühzeitige Menopause, Osteoporose) stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen.

Warum also, frage ich mich, will die Mutter unbedingt verhindern, dass das Mädchen in die Pubertät kommt? Ich bin sehr gespannt, wie das Gericht entscheidet. Die Anrufer in den Sendungen unterstützen übrigens mehrheitlich die Mutter. Die Begründung ist, dass Eltern alleine entscheiden sollten, was mit ihren Kindern passiert und was nicht. Dieser Meinung bin ich übrigens so ohne jede Einschränkung nicht.

Zum Zahnarzt

Ich schleppe mich schon seit Tagen mit Zahnschmerzen durchs Leben. Heute habe ich es nicht mehr ausgehalten und bin endlich zum Zahnarzt. Meine Selbstdiagnose war richtig: Mir war ein Weisheitszahn abgebrochen. Das heißt, der Zahn musste gezogen werden. Ich war bei einer sehr hübschen Praxis mit deutschem Zahnarzt, der sehr nett war. Mit den Ärzten ist das ja so eine Sache. Nun kann ich ja ganz gut Englisch und trotzdem war mir ein deutscher Zahnarzt lieber. Seine Arzthelferin erzählte mir, dass sie Polin sei und dass die Polen in London auch ihr eigenes Ärztenetzwerk haben.

Ich habe während der Behandlung sogar deutsches Fernsehen schauen können. Man glaubt gar nicht, wie das ablenken kann. Das Ziehen des Zahns ging ruckzuck und ich gehe beim nächsten Mal schneller zum Arzt. Jetzt sitze ich hier mit Eisbeutel auf der Wange und bin froh, dass es vorbei ist. Die Nachwirkungen halte ich auch noch aus.

Recht auf Wachstum

Es gibt ja viele Dinge, für die mal als Mensch mit Behinderung kämpfen muss. Dass es bald auch um ein Recht auf Wachstum gehen könnte, war mir bislang neu: In den USA bekommt ein mehrfach behindertes Kind seit einem Jahr Medikamente verabreicht, damit es nicht mehr wächst, berichtet Reuters. Dadurch soll den Eltern und anderen Pflegern die Pflege des Kindes und späteren Erwachsenen dauerhaft erleichtert werden. Aber hat nicht auch ein mehrfach behindertes Kind ein Anrecht auf eine normale körperliche Entwicklung? Sachen gibts…