Tag Archiv für Berlin

Barrierefreiheit für Mega-Fernseher

Gestern abend hat sich bei einer Party auf der IFA jemand von einem Fernsehhersteller darüber beklagt, dass die Messegelände von heute nicht barrierefrei seien – für die Fernseher. Man müsste die Geräte der Superlative (Gewicht: 500 kg) mit einem Kran zur Pressekonferenz schaffen, weil Gabelstapler in manchen bereichen nicht zugelassen seien. Kollegen einer Wirtschaftszeitung hätten sich dieser Problematik bereits angenommen. Ich habe mir verkniffen, ihn nach der Barrierefreiheit seines Messestandes zu fragen – für mich, nicht für die Fernseher.

Willkommen in Berlin

Plakat der IFA

Um mal das Positive vorweg zu sagen: Ich bin heil in Berlin angekommen, die Ein- und Ausstieghilfe war da. Allerdings hat der ICE eine nervige Macke: Wenn der Rollstuhlplatz besetzt ist, geht die Tür zum Flur ständig auf, wenn man sich bewegt. Ergebnis: Ich habe mir einen Zug im Zug geholt – haha! Ich habe Rückenschmerzen und so führte mich mein erster Weg in die Apotheke. Ich hatte gehofft, dass mein Hotelzimmer schon frei ist. Dem war aber nicht so. Und da das Hotel in der Lobby keine Behindertentoilette hat, musste ich erstmal auf die Messe, um mich mit Thermosalbe zu versorgen.

Ich wohne in einem Hotel direkt an der Messe. Es gibt nur einen Haken: Man kann das Hotel zu Fuß eigentlich nur über einen Fußgängertunnel erreichen. Überirdisch kommt man nur mit dem Auto oder als Fahrradfahrer dorthin. Ich muss nun also wohl oder übel den Fahrradweg nutzen, was ein wenig tückisch ist, weil die Ampelphasen für Fahrradfahrer ja erheblich kürzer sind als für Fußgänger. So kann ich mich jetzt jeden Mal auf dem Weg von oder zum Hotel sportlich betätigen, um noch einigermaßen rechtzeitig auf der anderen Straßenseite anzukommen.

Ganz toll ist auch, dass es ununterbrochen regnet. Nachdem ich letztens Jahr fast eingegangen bin vor Hitze und ich Blasen an den Fingern hatte, regnet es dieses Jahr. Das zwang mich dazu, den Presseshuttle zu nutzen, der nicht barrierefrei ist. Aber nette Kollegen vom rbb (Kameramänner sind was praktisches!) haben mich in den Bus gehoben. Fürs Protokoll: Ich hasse das eigentlich. Aber Rückenschmerzen und Regen sind einfach zu viel. Der Presseshuttle ist ein Niederflurbus ohne Kneelingfunktion, Rampe oder Stellplatz. Mir hat das letztes Jahr schon gestunken, dieses Jahr rede ich mal mit der Messeleitung. Die Busse sind nämlich nicht etwa alt, sondern sehen aus als seien sie frisch angeschafft.

Die Bahn und ihre Vorstellungen über behinderte Kunden

Ich fahre am Mittwoch auf die Internationale Funkausstellung nach Berlin. Beruflich und mit der Bahn. Da die Züge bekanntlich nicht barrierefrei sind, muss ich mich bei der Bahn voranmelden. Seit geraumer Zeit geht das sogar im Internet (Liebe Fluggesellschaften, ausnahmsweise könntet ihr das der Bahn mal nachmachen! Es gibt ja ansonsten wenig, was man sich da abgucken sollte.).

Das Formular zu eben dieser Voranmeldung sieht so aus (Ausschnitt):

Formular

In den Vorstellungen der Deutschen Bahn über ihre behinderten Kunden scheinen Berufstätige nicht vorzukommen. Auch wenn mein Arbeitgeber weder eine Schule, noch ein Verband und schon gar kein Rehazentrum ist, ich habe mir erlaubt den da jetzt mal hinzuschreiben.

Über den neuen Hauptbahnhof

„Statt eines neuen Wahrzeichens wird nun ein Contergan-Bau eröffnet, der jedem Gefühl für Proportion und Eleganz spottet.“ Der Leiter des ZDF-Kulturmagazin „Aspekte“, Wolfgang Herles, in der Welt

„Falls das Unheil seinen Lauf nehmen und der Lehrter Bahnhof in seiner gegenwärtigen Form beendet werden sollte, wird er dennoch als ein architektonisches Meisterwerk gefeiert werden, und Fotografen werden geeignete Perspektiven finden, um die falschen Proportionen zu überspielen. Aber alle Lobredner und Bildbeschöniger werden nicht vergessen machen können, daß sie einen Krüppel gesundbeten.“ FAZ am 17.11.2005

„Menschen mit Contergan Schädigungen haben sich empört an mich gewandt und sich dagegen verwahrt, als Vergleichsobjekte herabgewürdigt zu werden, die – folgt man dem Bedeutungsgehalt Ihres Satzes – offenbar ebenfalls ‚jedem Gefühl für Proportion und Eleganz spotte(n)‘. Ich kann diese Empörung sehr gut nachvollziehen. Ihre Formulierung hat mich sehr bestürzt. Die Metapher vom Hauptbahnhof als ‚Contergan-Bau‘ empfinde ich als veritable Entgleisung.“ Der behindertenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Markus Kurth, in einem offenen Brief an Wolfgang Herles

Hören ist nicht immer Wissen

Ich mag den Deutschlandfunk und ich mag auch das Deutschlandradio Kultur. Ehrlich. Deshalb hatte ich mich ja bei den Redaktionsbesuchen zum Kongress Besser Online für dradio.de entschieden. Aber nicht, ohne vorher eine mir bekannte freie Mitarbeiterin der Sender zu kontaktieren und zu fragen, ob das Gebäude einigermaßen barrierefrei sei. Sie meinte, es sei alt, hätte 1000 Eingänge, aber durch den Keller und über ein paar Umwege käme man ins Gebäude.

Irgendwann rief mich der DJV Berlin an und sagte mir, Deutschlandradio habe sich bei ihnen gemeldet, nachdem sie wussten, dass ich Rollstuhlfahrerin bin und meinten, sie seien nicht barrierefrei und es gebe da Schwierigkeiten. Nun muss ich sagen, ich habe ja so meine Erfahrungen, was die Einschätzung von Barrierefreiheit durch Fremde angeht. Während der freundliche Restaurantbesitzer meint, die 15 Stufen vor seiner Tür gingen noch als „rollstuhlfreundlich“ durch, meinen die anderen eine 85 Zentimeter breite Tür könnte mir Probleme machen.

Ich vertraute da eher auf die Aussage meiner Bekannten, die sowohl mich als auch das Gebäude kannte und ich verblieb mit dem DJV so, dass ich mich selbst mit dem Deutschlandradio in Verbindung setzen werde. Dort sagte man mir, es gebe da 1000 Probleme, wenn ich komme – ein anderer Pförtner müsse informiert werden und es müssten Türen aufgeschlossen werden. Aber genau wisse sie nicht, wie ich ins Haus komme. Es habe da schon öfter Probleme mit den Besuchergruppen des Bundestages gegeben, die regelmässig auch das Deutschlandradio besichtigen. Da seien ja auch mal ältere Menschen im Rollstuhl dabei. Die Dame am Telefon war sich sicher nicht darüber bewusst, wie sehr sie mich mit diesen Aussagen geradezu aufforderte, genau diese Besichtigung zu machen und nicht auf das durchaus nette Angebot des DJV zurück zu greifen, an einer alternativen Besichtigung teilzunehmen.

Wir kamen also beim Deutschlandradio an und ich fand einen Nebeneingang mit Rollstuhlrampe. Ich war mir nicht sicher, ob es sich um den besagten Eingang handelte. Man muss wissen, das Deutschlandradio sitzt in einem sehr alten verwinkelten Gebäudekomplex in Schöneberg, im ehemaligen Rias-Gebäude. Die Pförtnerloge war nicht besetzt. Auf mein Klingeln bei der Gegensprechanlage reagierte niemand. Also suchten wir weiter und fanden den Haupteingang: 15 Stufen ohne Gegensprechanlage. Ich schickte A. nach oben, um den Pförtner zu holen. Der kam auch und schickte mich einmal ums Gebäude rum. Ich sagte ihm, wir hätten an einem anderen Eingang geklingelt. „Ja da ist ja auch keiner“, antworte er. Auf der anderen Seite des Komplexes gab es eine Autozufahrt und noch einen Pförtner. Auf dem Weg dorthin rannte uns die Dame hinterher, mit der ich telefoniert hatte. Der Pförtner hatte sie von unserem Eintreffen informiert. Sie erzählte mir noch einmal wie umständlich alles sei und dass sie das Gebäude auch nicht wirklich kenne. Sie habe nochmal den Hausmeister befragt. Der habe ihr versichert, man käme stufenlos ins Haus. Die freie Mitarbeiterin sollte recht behalten.

Das ist der barrierefreie Eingang zum Deutschlandradio:

Eingang ohne Stufen

Durch den Keller kamen wir stufenlos, zu ebener Erde zum Fahrstuhl und damit zu den Konferenzräumen – es gibt Häuser, die sind weit problematischer. Also, liebe Rollstuhlfahrer, bitte besucht doch öfter Deutschlandradio in Berlin. Irgendwann bekommt der Besucherdienst dann Routine und lernt ein bißchen besser das eigene Gebäude kennen. Oder noch besser: Bitte bewerbt Euch doch dort um Stellen. Ich glaube, da fehlen einfach behinderte Mitarbeiter, damit die Leute die Scheu verlieren. Hauptproblem im Vorfeld waren eher die Barrieren in den Köpfen als die baulichen.

Ach, und nochwas: Abgesehen davon, dass der Werbeslogan des Deutschlandfunks „Hören ist Wissen“ eher nach dem Berufsverband der Hörgeräteakustiker klingt und gehörlose Menschen keinesfalls per se dumm sind, trifft er wohl offensichtlich auch nicht auf jeden beim Deutschlandradio zu: Das Gebäude ist für Besucher zugänglich – man muss nur wissen wie.

Schiff mit Werbeslogan Hören ist Wissen

Warum ich die Berliner mag

Wir haben in Sydney in einem Restaurant richtig gut thailändisch gegessen und hatten Lust, auch in Hamburg thailändisch essen zu gehen. Nun gibt es in Hamburg nicht so wahnsinnig viele thailändische Restaurants, aber am Gänsemarkt wurden wir fündig. Leider war das Restaurant schon relativ voll und auf diversen freien Tischen standen Reservierungsschilder.

Zuerst ignorierte man uns als wir reinkamen. Dann irgendwann erbarmte sich doch jemand, und fragte, ob wir reserviert hätten und sagte dann, als wir die Frage verneinten, es sei nichts mehr frei. Ich hatte in dem Moment schon eine leise Vorahnung, dass irgendwas nicht stimmte. Aber okay, wir wollten schon den Rückzug antreten als ein Mann mit starkem Berliner Dialekt sagte: „Sie können sich zu uns setzen, wenn sie wollen.“ Wir nahmen das Angebot gerne an.

Es war das erste Mal, dass mir das in Hamburg passierte – und ich lebe jetzt 10 Jahre hier. Ich habe sehr schnell gelernt, dass es in Hamburg nicht üblich ist, sich zu fremden Leuten an den Tisch zu setzen – zumindest nicht im Restaurant. In Süddeutschland geht das eher. Und in Berlin offensichtlich auch.

Am Gesicht der Bedienung war geradezu abzulesen, was sie von dem Berliner Angebot an uns hielt: Nichts. Und mein komisches Gefühl verwandelte sich in Gewissheit als sie dem Paar, das direkt hinter uns wartete sagte, sie hätte einen Tisch für sie. Und auch die blockierten Tische wurden an dem Abend nicht alle besetzt. Wir ließen uns aber gar nicht verunsichern und bestellten. Das Berliner Paar hatte schon vor unserer Ankunft bestellt, was aber nicht dazu führte, dass sie ihr Essen eher bekamen als wir. Im Gegenteil. Als wir schon bei der Hauptspeise waren, warteten die Berliner noch auf ihre Vorspeise. Die Bedienung strafte uns auch den ganzen Abend mit Nichtbeachtung. Es gipfelte dann aber darin, dass die Berlinerin einen Nachtisch bekam, bei dem die Soße sauer war.

Wir hatten jedenfalls einen großen Spaß mit unseren netten Nachbarn. Wenn doch nur mehr Hamburger öfter mal einen Platz an ihrem Tisch anbieten würden, wenn nichts mehr frei ist (oder so getan wird).

Achja, und wer einen gutes thailändisches Restaurant (in Hamburg und anderswo) kennt, darf es mir gerne verraten. Ich möchte die Besitzer nicht ein weiteres Mal mit meiner Anwesenheit belästigen.

Ab nach Berlin

Bahnhof Hamburg