Hilfe, die Oberheiligen kommen!

Das Letzte was man auf dem Weg zu einer Beerdigung eines sehr netten ehemaligen Kollegen braucht, der an Krebs gestorben ist, ist eine Frau, die einen belehren möchte, dass, wenn man nur fest genug an Gott glaubt, bald sehen bzw. gehen zu können. Das Problem ist, das interessiert diese „Oberheiligen“, wie ich sie nenne, natürlich nicht. Sondern die folgen nur ihrer Mission und glauben, behinderte Menschen möchten gerne von ihnen bekehrt werden – immer und überall. Da können 100 Leute in der U-Bahn stehen, die Oberheiligen gehen zu behinderten Fahrgästen und labern sie zu. Ich hasse das wie die Pest! Zum einen weil ich ziemlich wenig davon halte, anderen Leuten meinen Glauben aufzuquatschen und weil sie meist ein Bild von Behinderung haben, das so alt ist wie die Bibel selbst.

Und so sprach uns die Frau in einer S-Bahnstation natürlich doch an und wollte uns ein Buch über Krankheit und Gott schenken. Ja danke auch! Artur wies sie darauf hin, dass ihre Anwesenheit nicht erwünscht ist und sie uns belästigt – allerdings nicht so höflich wie ich das hier jetzt schreibe. Ihr müsst Euch vorstellen, die treten auf wie Sektenanwerber und glauben, in uns geeignete Opfer gefunden zu haben. Nur mit dem Unterschied, dass sie angeblich im Auftrag des Christentums unterwegs sind und nicht für Scientology.

Ich sagte noch empört, dass mir das in London noch nie passiert ist, aber mir diese „Oberheiligen“ immer mehr auf die Nerven gehen. Schon am Montag wurde ich eines besseren belehrt. Ich wartete wieder an einer U-Bahnstation auf Artur – diesmal in London – als mich ein Mann ansprach und mich fragte, warum ich nicht laufen könne. Mich auf dieses Blog zurück besinnend sagte ich ihm, ich hätte eine Querschnittlähmung. Er wusste nicht, was das ist. Sondern fragte, ob ich damit schon im Krankenhaus gewesen sei. Ich ahnte, das wird eine interessante Konversation werden und erzählte im die Version, die ich sonst Kindern erzähle, wenn sie die gleiche Frage stellen.

Da ich aber eh nichts besseres zu tun hatte, ließ ich mich auf die Diskussion ein und es stellte sich heraus, es war auch ein „Oberheiliger“, der mich darüber aufklären wollte, dass ich nur fest genug an Gott glauben müsse, dann könne ich wieder gehen und würde geheilt. Jesus habe in der Bibel ja alle Behinderten geheilt. Er würde für mich beten, damit Gott mich erlöst.

Dieses Mal war ich in besserer Verfassung und dachte mir, ich schlag ihn mal mit seinen eigenen Waffen. War ich doch als ehemalige Klosterschülerin gut gerüstet. Ich fragte ihn zuerst, warum er davon ausgehe, dass ich nicht an Gott glaube. Sagte ihm, ich sei auf einer katholischen Schule gewesen und früher in der evangelischen Kirche aktiv und dann sagte ich ihm, ich fühle mich von ihm beleidigt, weil er mein Leben beurteilt, ohne mich zu kennen, sondern nur mit dem Wissen, dass ich im Rollstuhl sitze. Ob er das als christlich empfindet, ein Leben zu beurteilen, das er gar nicht kennt, fragte ich ihn. Und ob er wirklich meint, es sei in Gottes Interesse Rollstuhlfahrer zu belästigen, denn genau das sei es, was er macht. Er erzähle mir, es sei meine eigene Schuld, dass ich im Rollstuhl sitze, weil ich nicht genug an Gott glaube. Ich sagte das ganz ruhig und ergänzte, dass ich ein sehr glückliches Leben führe, einen Beruf habe, einen netten Partner und nette Freunde. Was an meinem Leben denn falsch sei? Ich fühlte mich sehr reich beschenkt und es gebe in London wirklich Menschen denen es weit schlechter gehe als mir. Warum er denen nicht helfe statt Leute zuzuquatschen.

Er schaute mich völlig verwundert an. Dann sagte er, bislang hätten die Rollstuhlfahrer immer gesagt, sie glaubten nicht an Gott. Ich sagte ihm, dass das vielleicht eine Lüge war, um seiner Belästigung aus dem Weg zu gehen. Ich wolle aber, dass er das künftig unterlässt und keine behinderten Menschen mehr belästigt. Und dann fragte ich ihn, was er denn genau tue, um anderen Menschen zu helfen? Nächstenliebe würde in der Bibel gepredigt, nicht in U-Bahnstationen Leuten erzählen, dass ihr Leben nicht lebenswert sei und sie erlöst werden müssten. Ich weiß nicht, was der Typ in dem Moment dachte. Wahrscheinlich dass Gott ihm gerade ne Standpauke hält.

Dann ist er gegangen, hat sich bei mir bedankt und ich habe mich beim lieben Gott bedankt, dass mir das alles im richtigen Moment eingefallen ist.

14 Kommentare

  1. Nicola in London sagt:

    Halleluja! Ich wünschte, ich hätte Deine Engelsgedult. Mich wollen die entsprechenden Kandidaten immer vom Lesbischsein gesundbeten. Hat aber bisher noch nicht so ganz geklappt…

  2. Puh! Zum Glück kann mir das als Gehörloser so gut wie nicht passieren, weil man mir meine „Erlösung“ nicht ansieht ;-) Und wenn man mich gebärden sieht, weiß man ja dann auch nicht, wie man mich „bekehren“ kann, weil die Kommunikation nicht klappt. So gesehen kann eine „Behinderung“ auch von Vorteil sein, weil man nicht „belästigt“ wird ;-)

  3. Mein Lieblingssatz im Bericht: „Wahrscheinlich dass Gott ihm gerade ne Standpauke hält.“

    Ich ändere ihn in: „Wahrscheinlich dass Gott ihm durch @christiane gerade ne Standpauke hält.“

  4. Yon sagt:

    „Er erzähle mir, es sei meine eigene Schuld, dass ich im Rollstuhl sitze, weil ich nicht genug an Gott glaube.“
    Nerv. Wenn so Typen dann nichtmal die Heilungsgeschichten richtig kennen… Ich sag nur mal Joh 9.
    Fein auch die Frage nach dem Krankenhaus. „Hey, nein, als ich plötzlich nicht mehr laufen konnte, hab ich mir halt einfach n Rollstuhl gekauft! Hier ist dein Schild…“ *facepalm*

  5. mattieu sagt:

    Diese Gotteslästerung finde ich nicht gut. Gerade Behinderte sind die Kinder Gottes, die von ihm besonders geprüft, aber auch geschütt werden.

  6. Julian sagt:

    Da hast Du wieder einmal super reagiert. Und es sieht so aus, als habe der Mann tatsächlich etwas dabei gelernt.

    Mir ist ähnliches mal zusammen mit einem blinden Mitstudenten mitten auf dem Uni-Campus passiert, als Mitglieder einer evangelikalen Studentengruppe diesem plötzlich die Hand auflegten…
    Nie wurde deutlicher, wie hier ein Mensch zum Objekt selbsternannter Erlösungsapostel wurde. Statt eine befreiende Botschaft zu verkünden, verstärken sie Abhängigkeit.
    Leider hatte ich nicht die Geistesgegenwart und die Geduld, ihnen die Wirkung ihres Handelns aufzuzeigen.

    Umso schöner, dass es Dir hier gelungen ist.

  7. Dorothea sagt:

    @5:
    Nein, sogenannte „Behinderte“ sind KEINE armen oder bewundernswerte Hascherln, die „beshonders geprüft“, „geschützt“, „geliebt“ oder sonstwie „anders“ sind.

    Sogenannte „Behinderte“ sind NORMALE MENSCHEN. Keine „Kinder“, keine Mitleidsopfer.

    Was Du in deinem Post tust, ist genau das, was oben beschrieben und kritisiert wird – du machst „Behinderte“ zu Objekten deiner Projektion. Du missionierst nicht – aber du streichels dem armen Behindi-Kindi sprachlich übers Köpfchen.

    Das ist bigott, ablehnenswert und nebenbei einfach ekelerregend klebrig.

  8. Mo sagt:

    @Nicola: Ja mich auch! Aber sie scheinen keinen guten Draht zu Gott zu haben. Eshat noch nicht gewirkt.

    @Christiane: Ich bewundere deine Geduld. Mich nerven die Geistlichen in Krankenhäusern. Sie gehen davon aus, dass jung sein automatisch bedeutet nicht an Gott zu glauben.
    Wenn es mir zu bunt wird und ich einfach nicht in der Lage bin zu diskutieren weil mich grad irgendwelche Schmerzen quälen, sage ich diesen Geistlichen gerne, dass ich an Satan glaube und gere schwarze Messen feiere.
    Der Gesichtsausdruck ist jedes mal so wunderbar schockiert, dass ich lachen muss und meien SChmerzen fast darüber vergesse.
    (Ich glaube an Gott und bin bereits mit 3 Jahren in eine katholische Religionsgruppe für Kleinkinder gegangen, das war in Polen damals so übich)

  9. In allen Religionen gibt’s es „Oberheilige“ die einen
    spenden TROST, den keiner braucht und andere haben wirklich Verständniss für Behinderte und können auch gezielt helfen. Die Gesellschaft ist sehr vielfältig daran werden wir nicht so schell etwas ändern können.

  10. Mia sagt:

    Ich habe gerade mit meinem Freund darüber diskutiert, was er in entsprechenden Situationen antwortet.

    Er hat da mehrere Versionen. Als ihm mal ein jüdischer „Missionar“ erklärt hat, dass er als gläubiger Mann viel glücklicher sein wird, hat er ihn gefragt, wann er denn zum letzten Mal eine rollstuhlgängige Synagoge, eine rollstuhlgängige Mikwe und ein rollstuhlgängiges Rabbinat gesehen habe.

    Einem anderen Missionaren, der gesagt hat, dass er, wenn er an Gott glaube, geheilt würde, hat er entgegnet, dass es seine eigene Entscheidung war, nicht zu glauben und dafür im Rollstuhl zu sitzen.

    In beiden Fällen wurden die Missionsversuche nicht fortgesetzt. ;-)

    (Ich habe meinem Freund empfohlen, ein Buch über seine Erfahrungen zu schreiben. „100 dumme Fragen und passende Antworten für Rollstuhlfahrer“ oder so.)

  11. Daniel sagt:

    Schweiner.. sowas. Die wollen einem mit allen Tricks nur das Geld ausm Kreuz leiern.

  12. Lily sagt:

    Gut reagiert! Ich tue mir immer wieder schwer mich bei solchen „Oberheiligen“ zurückzuhalten…

  13. vered sagt:

    Auch mein Mann wurde gelegentlich von „oberheiligen Zecken“ belästigt. Seine Antwort „Mit dem Schöpfer der Welt komme ich gut aus. Aber ich habe oft Mühe mit seinem Bodenpersonal“ befreite ihn zuverlässig von ihnen.

  14. Icks Ypsilon sagt:

    Lustige Geschichte. Warum nimmst du diese armen Irren denn ernst? Wenn jemand nervt, der nicht wirklich wichtig ist (wie irgendein Passant), dann versuch das schöne Mittel: Ironie und Spaß.

    Passende Antwort: „Oh, ich spreche täglich zu Gott und er antwortet mir. Er sitzt selbst im Rollstuhl, wussten Sie das etwa nicht? Soso, er spricht also nicht ehrlich mit Ihnen. Was machen Sie falsch?“

    Damit treibst du sie in den Wahnsinn … und hast deinen Spaß.