Die Komiker des Deutschen Bundestages

Ich muss gestehen, so viel Sinn für Humor hätte ich den Damen und Herren des Deutschen Bundestages gar nicht zugetraut. Ich habe schallend gelacht als ich die Nachricht las: Der Deutsche Bundestag sagt die Veranstaltung zum Welttag der Menschen mit Behinderungen ab, weil sich zu viele behinderte Menschen angemeldet haben – genauer gesagt zu viele Rollstuhlfahrer.
Ja, wer rechnet denn mit sowas? Da macht man eine Veranstaltung zum Thema Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und die Leute, die teilhaben sollen, kommen auch noch? Loriot hätte seine Freude daran gehabt. Ich auch, aber ich habe ja auch leicht lachen. Ich lebe ja nicht mehr in Deutschland, sondern genieße „den deutschen Humor“ und seine Blüten nur noch etwa einmal im Monat und in kleinen Dosen, wenn ich geschäftlich in Deutschland bin.
Die Komiker des Deutschen Bundestages haben sich offensichtlich nicht überlegt, welches Signal sie mit der Absage der Veranstaltung aussenden: Wenn Ihr über Eure eigenen Belange mitreden wollt, sagen wir die Veranstaltung eben ab – aus Sicherheitsgründen natürlich. Ist für die Politik vielleicht wirklich sicherer, nicht mit den Betroffenen selbst zu reden. Da kann man dann schön weitermachen wie bisher, was im Falle des Deutschen Bundestages bedeutet, wenig bis nichts zu tun, was das Leben von Menschen mit Behinderungen wirklich ernsthaft verbessern würde.
Und selbst wenn es keine politischen Bezug zur Absage gibt, muss sich der Deutsche Bundestag zumindest den Vorwurf gefallen lassen, zu doof zu sein, solch eine Veranstaltung zu organisieren. Ich weiß nicht, was besser ist.
Und wer jetzt meint, das Ganze betreffe ihn nicht, der sollte auf der Hut sein. Ich bin sicher, den Komikern vom Deutschen Bundestag fallen noch mehr Gelegenheiten ein, uns zum Lachen zu bringen: Man könnte den autofreien Sonntag abschaffen – zu viele Fahrradfahrer. Oder die Familienfeste der Parteien – zu viele Kinder. Oder den Karneval der Kulturen – zu viele Ausländer. Und wenn sie nicht aufpassen, wird bald auch der Deutsche Bundestag zum Sicherheitsrisiko – zu viele Politiker.
Nach und nach trudeln die Stellungsnahmen der behindertenpolitischen Sprecher ein. Man bedauert die Absage, es soll für nächstes Jahr eine Lösung gefunden werden. Aber keiner sagt, was alle denken: Wie peinlich!
Und bevor jetzt wieder alle schreien, wie gefährlich es wäre, 100 Rollstuhlfahrer zur gleichen Veranstaltung zu lassen: Genau das passiert im sicherheitsverrückten London nächste Woche. Der Bürgermeister hat, wie in jedem Jahr, zur Disability Capital Conference geladen. Ich war da schon mehrmals und schätze, da sind auch mindestens 100 Rollstuhlfahrer. Und beim Liberty Festival in London sind es sogar noch mehr. Ich bin sicher, die Briten erzählen Euch gerne, lieber Bundestag, wie man mit 100 Rollstuhlfahrern sicherheitstechnisch fertig wird. Nur Mut, Ihr schafft das!

28 Kommentare

  1. bp sagt:

    Ich bin mir nahezu sicher, dass man jetzt noch für den 2./3.12.2011 einen Veranstaltungsort in Berlin (notfalls auch Deutschland) anmieten kann, welcher mit 300 Teilnehmer, inkl. 100 Rollstuhlfahrer zurecht kommt. Wenn das eigene Haus zu klein ist, dann mietet halt was anderes an!

    Viel erschreckender finde ich aber, was ich hier (http://bit.ly/reOpRj) gerade lese:

    „Die Veranstaltung soll nun im Oktober 2012 stattfinden, wobei diesmal dafür gesorgt werden soll, dass die Zusammensetzung der einzuladenden Personen den Gegebenheiten der Räumlichkeiten im Bundestag entspricht. “

    Jemand hat sich also Gedanken gemacht, mit welchen Personen man ein Thema sinnvoll behandeln könnte. Jetzt stellt sich heraus, dass darunter 100 Rollstuhlfahrer sind und somit der geplante Veranstaltungsort nicht geeignet ist. Gut, ist peinlich und die Veranstaltung wird 10 Monate nach hinten verlegt.

    Die Lösung soll nun aber nicht sein einen passenden Veranstaltungsort zu finden, sondern die Zahl der Rollstuhlfahrer zu reduzieren. Es wird also nicht mehr nach fachlicher Kompetenz eingeladen, sondern aufgrund einer, und nur aufgrund einer, Behinderung ausgeladen [sic!]. Komiker.

  2. Felios sagt:

    Nach der Argumentation des Bundestags dürften die Paralympics gar nicht stattfinden.

  3. Sascha Stoltenow sagt:

    Bitte nicht falsch verstehen, aber offenkundig sind im Bundestag Menschen mit erheblichen Lernschwierigkeiten überrepräsentiert ;-)

  4. Wolf sagt:

    Warum sie nicht einfach eine grosse Turnhalle fuer den Anlass nehmen, wo man mit oder ohne Rollstuhl kein Risiko fuer den Brandschutz darstellt, ist nicht verstaendlich, finde ich auch. – Aber das ist nicht der einzige Aspekt. Man muss dazu sagen, dass auch z.B. im Behindertensport wie in der Oeffentlichkeit die Rollstuhlfahrer allerbestens organisiert, aufgestellt und vertreten sind, das Lobbying ist sicher sehr eindrucksvoll. Andere Behinderte sind da nicht so zahlreich und massig unterwegs, und das ist dann entsprechend nicht immer ganz so lustig, das wuerde ich hier jedenfalls anfuegen. Ich selbst finde es nicht richtig, wenn dauernd „Behinderung“ mit „Rollstuhlfahrer“ gleichgesetzt wird – was v.a. ja deswegen der Fall ist, weil Rollstuhlfahrer ja eine der lautesten und sicher auch groessten und best organisierten Gruppen sind. So steht denn da oben der Satz „Da macht man eine Veranstaltung zum Thema Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und die Leute, die teilhaben sollen, kommen auch noch? “ – ehm also Dings also, wie sage ich das jetzt – Rollstuhlfahrer haben eine Behinderung aber „Menschen mit Behinderungen“, da gibts noch andere. Der Umstand *dass* das hier gleichgesetzt wird *entspricht* Erfahrungen mit Rollstuhlfahrern, die tatsaechlich ausser ihrer eigenen Behinderung nichts sehen oder gelten lassen. Daher ist dieser Satz in seiner Klarheit auch so wichtig – er erklaert, warum andere da gar nicht erst hingehen. Wenn ein Anlass etwa wie der obige dann droht, einseitig ueberschwemmt zu werden – ich geh da dann auch nicht hin, ganz ehrlich, sowas dreht einem die Neugierigkeit ab. Man darf sich auch nicht wundern, dass das so ist. Armamputierte kann man gar nicht so organisieren – wenn geschaetzt 1/5 bis 1/3 des eh schon extrem kleinen Kollektivs in einer Dauerdepression steckt und gar nicht aus sich herauskommt, ist auf Ebene Lobbying und Versammlung tatsaechlich nicht viel los. Ausserdem sind die Alltags-Probleme genauer betrachtet vollkommen anders, je nach Behinderungsgruppe. Dass das Lobbying und einfahrende Hundertschaften allenfalls den gesuchten Dialog etwas verzerren, duerfte den Veranstaltern wohl auch erst zu spaet aufgefallen sein. Da war die Feuerpolizei wohl eher eine Ausrede. Also wenn *ich* das lese, weiss jetzt auch nicht ob der Blogpost zu dieser Veranstaltung die Zwischentoene alle aufgreift, die da wohl doch noch eine Rolle gespielt haben. Waere da zurueckhaltend und vorsichtig.

  5. Da bin ich aber beruhigt, dass ich all die Jahre auf der Rehacare immer nur knapp einer Totalkatastrophe entgangen bin. So viele Rollifahrer auf einmal und dann noch die ganzen Blinden, die dauernd mit ihren Stöcken dazwischenfuchteln …

  6. Der Michael sagt:

    Hmmm… warum gibt es immer diese separaten Veranstaltungen ganz speziell für Behinderte? Warum ist es nicht selbstverständlich, in dieser Richtung überhaupt keine Unterschiede zu machen und nur noch Veranstaltungen für ALLE anzubieten???
    Z.B.: Paralympics sollte es in der Tat keine geben. Warum nicht die Wettkämpfe in die Olympischen Spiele inkludieren?
    Die Herren Bundestagler sollten sich mal mehr mit dem Thema Inklusion beschäftigen und was es eigentlich bedeutet!

  7. Beobachter sagt:

    Das gemeine Volk muß aber auch ständig die Abläufe im Bundestag stören…

  8. […] Link reagiert in ihrem Blogbeitrag “Die Komiker des Deutschen Bundestages” auf die Absage der Veranstaltung zum Welttag der Menschen mit Behinderungen “Ich muss […]

  9. Dat binchen sagt:

    Kann dann bitte auch der CSD abgeschafft werden, weil da immer so viele Homosexuelle sind?

    Man, man da kann man sich nur schämen wie viele Intelligenzphobiker in der Politik vertreten sind.

  10. Martin sagt:

    Ich hoffe, dass die Veranstalter bis zur nächsten Veranstaltung mehr Beweglichkeit im Kopfe zeigen können. Um als MdB mit einer Gruppe in einen Dialog zu kommen, muss es nicht das Bundestagsgebäude sein und früher als bis zum nächsten Oktober geht es auch.

  11. Franz Kehr sagt:

    @Der Michael
    Ich denke, dass es schon Veranstaltungen geben kann, wo man nur (oder hauptsächlich) eine bestimmte Gruppe einläd. Wenn ein Politiker erfahren will, wie es einer bestimmten Gruppe von Menschen im Alltag geht, dann muss er mit genau diesen Leuten sprechen.

    Der größte Skandal ist aber auch für mich, dass man jetzt nicht überlegt, wie (oder besser wo) man die Veranstalltung mit den Gästen durchführen kann, sondern lieber die Gäste dem Ort anpasst. In der Konsequenz also Rollstuhlfahrer ausläd – ein toller Dialog!

  12. Wolf sagt:

    Armes Deutschland!

  13. Da kommt man aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Wie konnte das nur passieren?

  14. […] Christiane vom Behindertenparkplatz sieht es von der lustigen Seite Oktober 12th, 2011 in Fundstücke | tags: Behinderte, Grundrechte, Menschenrechte […]

  15. […] Die Komiker des Deutschen Bundestages Der Deutsche Bundestag sagt die Veranstaltung zum Welttag der Menschen mit Behinderungen ab, weil sich zu viele behinderte Menschen angemeldet haben – genauer gesagt zu viele Rollstuhlfahrer. […]

  16. […] nischenThema und Behindertenparkplatz Schlagworte: Behinderung, bloggen, engagement, Veranstaltung, verantwortung, […]

  17. […] Siehe auch: Die Komiker des Deutschen Bundestages […]

  18. Jo sagt:

    Es sollte wohl mit entsprechendem Konzept und Personalseinsatz machbar sein, 100 Rollstuhlfahrer im Bundestag zu empfangen.
    Und wenn man sich jetzt so dämlich angestellt hat, sollte man die Veranstaltung irgendwann später ermöglichen, um sich nicht vollends zu blamieren.
    Stattdessen passt man nächstes Jahr den Personenkreis an, dazu fehlen mir die Worte.

  19. […] Link: Die Komiker des Deutschen Bundestages (via +vera bunse […]

  20. Thomas sagt:

    Traurig,einfach nur traurig! So einen pieppp können nur Politiker erzählen.

  21. hinkel: sagt:

    Falls es beruhigt: Ich hatte jetzt Gelegenheit, mich über die Organisation der Jahresversammlung der Behinderten hier in Augsburg zu ärgern. Der Behindertenbeirat selbst (!!) wählt einen Veranstaltungsort im 1. Stock des Rathauses, der über einen kleinen Aufzug (oder für Fußgänger über die Treppe) zu erreichen ist; Kapazität also 2 Leute mit Rollator oder 1 Rolli. Ich bin zehn Minuten vor Beginn dort und 5 Minuten nach Soll im Saal gewesen. Entsprechende Verzögerung also durch ein Dutzend Rollis, was der Moderator später (bei den Anträgen) zum Drängeln und als Vorwurf nutzt. Dann fehlt ein zweites Mikrofon, nicht zu reden von zu kleiner Leinwand und zu kleiner Schrift bei den Präsentationen … einfach lieblos.

  22. Dorothea sagt:

    @ Wolf (Posting Nr. 4)

    Wenn der Bundestag sogenannte „Behinderte“ einlädt, soll die Veranstaltung in einer _Turnhalle_ statt finden? Geht es noch unwürdiger? Wie wäre es „auf der grünen Wiese“, in einer Pommesbude oder einer Hundehütte? Eine AusSONDERungsanstalt wäre auch hübsch – und irgendwie passend …

    Was du bzgl. RollstuhlfahrerInnen anführst, ärgert mich (selbst Rollstuhlfahrerin) genau so: Der „ideelle Gesamtbehinderte“ ist Rollstuhlfahrer (Behindert = Rollstuhl und/oder kognitive Einschränkung)

    Da, wo es angebracht wäre, „RollstuhlfahrerInnen-„Irgendwas zu sagen, heißt es: „Behinderten-…“ – „Behinderten“-Toilette, „Behinderten“-freundlich, „Behinderten“-Waschraum etc.

    Ich frag mich dann immer, wofür z.B. Blinde oder Gehörlose ein extra Klo brauchen – sind die nicht auch „behindert“?

    Des weiteren ist der Begriff „behindert/Behinderter“ einfach schlicht eine Nullaussage – es sei denn, er dient der Ausgrenzung. Wie du schon schriebst – was haben Armamputierte, RollstuhlfahrerInnen, Gehörlose oder kognitiv eingeschränkte Leute begrifflich miteinander zu tun, was macht sie so „gleich“, dass sie in _einen_ Begriff passen? Nichts, außer der Tatsache, dass sie aus Normaloland ausgegrenzt werden.

    Der Begriff „Behinderter“ ist mindestens irreführend, meistens sogar diskriminierend.

    Nein, die „euphemistische Tretmühle“ will ich nicht befeuern – es nützte rein gar nix, „Menschen mit Beeinträchtigungen“ zu sagen oder ähnlichen „lieb“-gemeinten Unfug.

    Das _Konzept_ von sogenannten „Behinderungen“ gilt es anzugreifen – sowohl inhaltlich als auch sprachlich.

  23. Felios sagt:

    ‚Menschen mit Behinderung‘ gefällt mir am besten. Da kommt zuerst der Mensch, dann die Behinderung.

  24. Martin Berger sagt:

    Extra 3 hat sich des Themas auch angenommen:

    http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/extra_3/videos/extradrei825.html

  25. […] Behindertenparkplatz.de: “Der Deutsche Bundestag sagt die Veranstaltung zum Welttag der Menschen mit Behinderungen ab, weil sich zu viele behinderte Menschen angemeldet haben – genauer gesagt zu viele Rollstuhlfahrer.” November 30, 2011 | abgelegt unter Panorama  […]

  26. gehörlose Leser sagt:

    Es ist lustig hier zu lesen. Stell Euch mal vor, der Kulturtage der Gehörlosen 2012 in Erfurt muss abgesagt werden, weil zu viele Hörende bzw. Gebärdensprachunkundige angemeldet haben, die keine ausreichende Versorgung von Gebärdensprach-DolmetscherInnen garantieren kann.

    Aber das ist lustig und auch grenzwertig. Man muss nur einfach mal das Gegenteil denken.

    Da reicht für die Hörenden nur ein Dolmi aus, er übersetzt die Gehörlosengebärden ins Mikrofon oder Megaphon. Ist eigentlich viel billiger als die gehörlose Version.

  27. Petra sagt:

    Ich muss sagen ich bewundere diese Leute die ihren Alltag doch ihres Handicaps selbtständig und zum großteil allein meistern können ich glaube viele Menschen die gesund sind schätzen dies nicht so wie sie sollten