C’est la vie

Ich erwähnte ja bereits, dass bei mir derzeit nichts so funktioniert, wie ich das plane. Heute war schon wieder so ein Tag.

Ich wollte von London aus mit dem Auto nach Hamburg fahren. Eigentlich wollte ich fliegen, aber bekam für heute keinen preiswerten Flug und dachte, ich fahre einfach mit dem Auto. Ich wollte sowieso ein paar größere Einkäufe machen, Leute besuchen und so weiter.

Ich weiß nicht mehr, was mich geritten hat, die Fähre zu buchen statt den Eurotunnel. Und dann auch noch mit Seafrance. Ich hatte Seafrance schon bei der Anmeldung mitgeteilt, dass ich Rollstuhlfahrerin bin. Das ist insofern wichtig, weil die Fährgesellschaften dann darauf achten, einen Autostellplatz in der Nähe des Fahrstuhls und mit genügend Platz zu geben. Vor der Einfahrt auf die Fähre kam sogar noch ein Mitarbeiter zu mir und fragte mich, auf welcher Seite des Autos ich denn Platz brauche. Ich dachte noch „Klappt ja super“, wurde aber auf der Fähre eines besseren belehrt. Ich bekam einen Stellplatz ohne Platz an der Fahrertür, konnte meinen Rollstuhl nicht ausladen. Und man muss bei der Überfahrt das Auto verlassen.

Also sagte ich dem Einweiser bescheid und diverse Autos mussten wieder rückwärts aus der Fähre rausfahren – so auch ich.
Ich hatte dann einen Platz in der Nähe der Fahrstuhltür, ging nach oben und freute mich auf Hamburg. Dort sollte ich nie ankommen.

In Calais angekommen fuhr ich von der Fähre und guter Dinge etwa zwei Kilometer weiter bis ich plötzlich fast die Kontrolle über mein Auto verlor. Ich wusste sofort, dass mir ein Reifen geplatzt ist und schaffte es gerade noch, das Auto auf den Standstreifen zu befördern – oder besser gesagt, auf das, was die Franzosen dafür halten. Das Hauptproblem war zu bremsen, ohne die Kontrolle über das Auto zu verlieren. Ich fuhr etwa 90 km/h als der Reifen platzte. Zudem endete der Standstreifen an der Stelle und verlief spitz zu. Ein Teil des Autos stand also auf der Fahrbahn, nicht viel, aber die LKW und Autos mussten schon etwas nach links ziehen, um an mir vorbeizukommen. Kurzum: Ich stand da saugefährlich und hatte richtig Angst.

Aufgeschlitzter Reifen

Da ich ja nicht so einfach aus dem Auto komme, sondern meinen Rollstuhl ausladen muss, was auf der Autobahn wenig ratsam ist, rief ich die Polizei an. Ich gebe zu, ich musste erst einmal überlegen, was denn in Frankreich die Notrufnummer ist. Da fiel mir ein, dass ich in meiner eigenen Zeitung mal eine Meldung hatte, dass es jetzt einheitliche europäische Notrufnummer gibt: 112. Da rief ich also an und es lief ein Band mit einer Ansage, die ich nicht verstand. Ich war mir nicht einmal sicher, ob das wirklich der Notruf ist. Es hörte sich eher an wie die Warteschlange eines Telefonanbieters. Aber es meldete sich eine Frau, die mir sagte, ich sei richtig. Ich erklärte ihr halb in Französisch, halb in Englisch meine missliche Lage und dass ich Rollstuhlfahrerin bin und dringend Hilfe brauche, weil ich mich nicht in Sicherheit bringen kann.
Sie schaltete mich in eine Dreierkonferenz mit der Polizei und erklärte der Polizei das Problem, erwähnte auch, dass ich behindert bin und mein Auto nicht verlassen kann, um mich in Sicherheit zu bringen.

Und dann denkt man als deutsch-britisch sozialisierter Mensch, da kommt jetzt gleich die Polizei mit Martinshorn und alles wird gut. Nicht so in Frankreich. Es kam erst einmal niemand. Ich rief in meiner Not den ADAC an, die auch in Frankreich ein Callcentre haben. Der Mann sagte mir, es würde in Frankreich lange dauern bis man auf der Autobahn Hilfe bekommt. Ich solle mich in Sicherheit bringen. Ich erklärte ihm, dass ich das nicht kann und er riet mir, nochmal bei der Polizei Druck zu machen.

Nach 45 Minuten rief ich also wieder an und sagte, ob ihnen klar sei, dass das lebensgefährlich ist, wie ich da stehe. Und siehe da, da kam dann doch mal ein Streifenwagen. Aber die sicherten nicht die Unfallstelle, sondern stellten sich ähnlich doof wie ich auf den Seitenstreifen – ohne Blaulicht, ohne Warndreieck. Keiner der beiden Polizisten sprach ein Wort Englisch. Und ich hatte zwar im Französischunterricht das Lied „Sur le pont d’Avingon“ gelernt und konnte beschreiben wie Madame Leroc Kuchen backt, aber leider nicht, wie man sich im Notfall verständigt. Wir verständigten uns mit Zeichensprache und ich verstand, dass ein Abschlepper bestellt wurde.

Der kam auch irgendwann und der durchaus kompetente Mensch machte den Polizisten klar, dass sie doch mal die Unfallstelle absichern sollten. Prima Idee! Da stand ich schon über eine Stunde auf der Autobahn.

Das Absichern der Unfallstelle sah dann so aus, dass die Polizistin sich ohne Warnweste, Kelle oder sonst was auf die Fahrbahn stellte und den Fahrern in ihrer weißen Bluse zuwinkte, die Spur zu wechseln. Vive la France! Allerdings stand unterdessen der Abschlepper hinter mir und so war ich etwas abgesichert.

Obwohl der ADAC noch sagte, dass man in Frankreich keine Reifen auf der Autobahn wechseln dürfe, begann der Mann den Reifen zu wechseln. So musste ich wenigstens nicht in irgendeine Werkstatt. Ich wär auch gar nicht in den LKW reingekommen und da die Polizei in einem Kleinwagen rumfuhr, wäre ich auch da eher schlecht reingekommen.

Nach der Aktion hielt ich es für keine gute Idee, weiter nach Hamburg zu fahren, zumal ich nicht wusste, in welchem Zustand das Ersatzrad ist, auch wenn mir der Techniker versicherte, ich solle ruhig damit fahren – nur mit dem Luftdruck wisse er nicht genau bescheid.

Ich fuhr also zurück – diesmal durch den Eurotunnel, nicht mit der doofen Fähre. Ich vermute, dass ich mir das Rad bei der Rückwärtsfahraktion auf der Fähre aufgeschnitten habe. Ist auch egal. Ich bin heilfroh, dass nichts passiert ist und ich noch lebe.

Und weil ich ja schon stur bin, fliege ich morgen trotzdem nach Hamburg. Mit der Swiss, auch wenn die gerade mal wieder nicht so genau weiß, ob sie mich als behinderte Passagierin mitnehmen möchte – ich hätte mich ja nicht 48 Stunden vorher angemeldet. Meine hellseherischen Fähigkeiten sind leider nicht so gut, dass ich gestern schon wusste, was mir heute passiert.

14 Kommentare

  1. Andrea sagt:

    Was für ein Pech Das ist ja unglaublich. Und was für ein Glück, dass dir nichts passiert ist. Bewundere dich, dass du nach all den Strapazen gleich noch mal aufbrechen willst und drücke dir alle verfügbaren Daumen.

  2. Felios sagt:

    Puh, was für eine Nervenkitzel-Geschichte.

  3. Mia sagt:

    Klingt unglaublich, gut, dass Du dann trotzdem noch Glück im Unglück hattest …

    Mit Swiss haben mein Freund und ich keine guten Erfahrungen gemacht. Bisher gab es jedes Mal Probleme, und das Personal ist furchtbar schlecht geschult, was Reisende mit Rollstühlen betrifft. Ich hoffe, dass es bei Dir besser laufen wird!

  4. Christopher sagt:

    Das ist Frankreich wie es leibt und lebt… Die Organisation von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst ist eine ganz andere als in Deutschland oder beispielsweise auch im UK. Zwar haben auch die Franzosen ihre guten Seiten im Rettungswesen, aber vieles ist einfach unsinnig und teilweise sogar haarsträubend.
    Im Departement 66, ganz im Süden an der spanischen Grenze, kann auf der Rettungsleitstelle anscheinend keiner richtig Englisch. Das berichteten mir zumindest mehrere Feuerwehrleute bei Fototerminen auf diversen Feuerwachen. Dennoch kann ich mir das ganz gut vorstellen und das in einem Departement welches im Sommer vor allem durch Touristen lebt…
    Etwas anderes ist der Wahn mit verschiedenen Blaulichtern und Signalhörnern. Da gibt es in Frankreich verschiedenste Prioritäten, von „Macht mir sofort Platz“, bis „Ich mache zwar tatütata, aber macht mir nicht unbedingt Platz“. Während man in Deutschland mittlerweile LED-Leuchten als Blaulicht nutzt, bei denen alle Module gleichzeitig aufblitzen, um das Beste aus der Leuchte heraus zu holen, setzt man in Frankreich auf LED-Leuchten welche den „Effekt“ einer Kennleuchte mit einem drehenden Spiegel und einer Glühlampe nachahmen. Das mindert den Effekt der Kennleuchte enorm…

    Aber zurück zum Thema, normal ist in Frankreich auf Autobahnen echt schnell Hilfe da. Die privaten Autobahnbetreiber wollen ja viel verdienen und wenn Stau ist, dann verdient man weniger. Also rücken deren Hilfsfahrzeuge eigentlich sehr schnell an, teilweise sogar auch mit Blaulicht und Horn, um Hindernisse zu beseitigen. Warum das in diesem Fall nicht so war… Typisch hingegen sind wieder die Polizisten. In Frankreich sind Police National und Gendarmerie so was wie bei uns die Bundespolizei, also eine Polizei für den ganzen Staat. Das heißt im Umkehrschluss das viele Polizisten fernab ihrer Heimat eingesetzt sind. ALso wie wenn man in der Touristenhochburg Berlin einen Bundespolizisten aus dem tiefsten Bayern trifft. Der wird dann vielleicht ebenso gut motiviert sein und genauso gut Englisch sprechen wie sein französischer Kollege.

    Mir wäre bei dieser Aktion auf jeden Fall ordentlich „die Klammer gegangen“. Nach zwei Unfällen auf der Autobahn habe ich in meinem Auto nun eine stattliche „Notfallausrüstung“. Nothammer in der Mittelkonsole, gelbe Blitzkennleuchte mit Magnetfuß und Zigarettenanzünderstecker auf dem Rücksitz und im Kofferraum ein Warnzelt (Zeltförmiges großes „Warndreieck“) und einen Euro Blitz (Gelbe Stroboskopblitzlampe mit Batterie). Das ist glaube ich sogar mehr als mancher Streifenwagen der Polizei in meiner Gegend dabei hat.

    Grüße von einem deutschen Feuerwehrmann mit Grenznähe.

    Was nicht unbedingt veröffentlicht werden muss:
    Evtl wäre eine solche Blitzkennleuchte wie ich sie habe eine Investition wert. Die Leuchte von der Firma Hänsch hat in Deutschland eine Zulassung nach §53 StVZO, also zu Absicherung von Gefahrenstellen im Stand. Sie kann bequem aus dem Auto heraus auf das Dach gesetzt werden, das ist für den Fall ganz nett in dem man das Auto nicht verlassen kann. Die Leuchte ist zwar kein Ersatz für das Warndreieck, aber in einem solchen Fall besser als nichts. Und wenn man ein Warndreieck hat, dann ist es eine gute Ergänzung. ABer langer Rede, kurzer Sinn:
    http://www.fg-haensch.de/produkte/effekta-magnetleuchten/effekta_comet-e/effekta_comet-e.html
    Und das ist das Teil im Einsatz (Auf dem hinteren der beiden PKW aufgesetzt):
    http://www.youtube.com/watch?v=b1PdtIiCeG8
    Man müsste sich jetzt nur noch erkundigen wie die rechtliche Lage aussieht, wenn das Auto im UK zugelassen ist. Ich nehme mal an, dass in diesem Fall das Auto mit einem UK-Kennzeichen zugelassen ist…

  5. Tanja sagt:

    Was für eine geschichte. Da hast du ja wirklich noch einmal Glück im Unglück gehabt. Ich hoffe wenigstens, dass mit Swiss noch alles geklappt hat.

  6. Melly sagt:

    Na das war aber wirklich Glück im Unglück. Wie ist es denn nun ausgegangen???

  7. Dieter sagt:

    Das ist ja eine Story wie aus einem schlechten Film… Ein Glück, dass Ihnen nichts passiert ist. Dass die Polizisten nicht mal eine Unfallstelle absichern können, ist ja erschreckend…

  8. Hans sagt:

    Das ist ja mal eine geschichte. Das erlebt man auch nicht jeden Tag. Zum Glück! :)
    Ich muß aber auch sagen das der „Kommentar“ von Christopher auch der wahnsinn ist nur allein schon wegen der länge. Das ist kein Kommentar, das ist ja schon ein eigener Artikel! :D

  9. Hallo Christiane,

    Bin beim Surfen durchs Web auf deiner Seite hängen geblieben und musste beim lesen echt mir dir mitzittern – bin selber bei der Freiwilligen Feuerwehr und musste mal einen Freund aus einem Unfallauto befreien, der sich nicht mehr bewegen konnte!

    Die 45 Minuten müssen für Dich eine Ewigkeiten gewesen sein und Du hast da wirklich ein paar Glücksengel gehabt! Oder wie heisst es so schön auf Französisch: „un ange gardien“!

    PS: Ich betreibe selber eine Parken Seite (zum Flughafen München) und würde mich freuen Dich da auch mal Gastauthor zu haben oder vielleicht kannst Du mir Erfahrungen mitteilen, sodass ich diese auf meiner Seite platzieren kann – speziell Flughäfen sind ja nochmals ein eigenes Kapitel mit Rollstuhl, oder?

    Beste Grüsse aus München,

    Fritz

  10. Paula sagt:

    Was für ein Horrorurlaub. Hoffe Du bist wieder gut in Hamburg angekommen und genießt das „Wetter“. Toller Blog übrigens.

    Lg

    Paula

  11. […] gibt Dinge im Leben von denen wird man völlig überrumpelt. Wir hatten das Thema ja schon ein paar Mal in diesem Blog. Und ich muss wirklich sagen, das Jahr 2011 lässt wirklich nichts aus. Diese Woche: Krawalle in […]

  12. Was für eine Geschichte. Hoffe Du konntest das Erlebte inzwischen gut verarbeiten. Meine Erfahrungen mit Fähren (Griechenland) sind leider auch nicht grad die besten. Falls möglich, versuche ich immer Fähren zu vermeiden …

    Viele Grüße

    Tom

  13. Robert sagt:

    Oh mann. Das ist einfach nur pech. Zum Glück ist dir dabei nichts weiter passiert. Ich hatte vor ein paar Wochen ein ähnliches Pech mit meinem Reifen. Er ist mir zwar nicht so geplatzt, aber hat langsam die Luft verloren. Nur merkt man das auf Autobahn nicht sofort. Erst, wenn man die Spur ein bisschen wechseln möchte. Es ist so oder so nicht schön. Hoffentlich passiert das nicht so oft.

  14. Steffi sagt:

    Krasse Geschichte…Wirklich Glück im Unglück gehbt….Hoffe auch du konntest das ganz gut verarbeiten:)