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Matthias Schweighöfers Meniskus und meine Lebensqualität

Sticker Walking is overratedMatthias Schweighöfer hat Meniskus-Probleme. Das ist sehr bedauerlich. Und weil er ein Meniskus-Problem hat, glaubt er nun, mein Leben und das anderer Querschnittgelähmter beurteilen zu können. Glaubt Ihr nicht? Dann lest mal das hier:

Ich war selbst leidenschaftlicher Läufer, bis mir mein Meniskus einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Wie muss es erst den Menschen gehen, die querschnittsgelähmt sind? Ich würde alles dafür tun, dass man einen Weg findet Querschnittslähmung zu heilen und all diesen Menschen ihr Leben und ihren Lebensmut zurückgeben zu können.

Mit diesem Geschwurbel ruft Schweighöfer dazu auf, die Forschung zur Heilung von Querschnittlähmung zu unterstützen, indem man bei einem Rennen für ihn startet.

Nun ist es Matthias Schweighöfer unbenommen Geld zu sammeln, für was er will. Für die Erforschung von Querschnittlähmung oder was auch immer. Er könnte auch für die Erforschung der Vanilleduft-Extraktion aus Kuhdung oder das Sprachverständnis von Ratten sammeln, nur – Überraschung! – all das hat mit meiner Lebensqualität rein gar nix zu tun. Glaubt Ihr nicht? Ist aber so. Sogar wissenschaftlich bewiesen:

  • Schon 1973 stellten Forscher keinen Unterschied bei behinderten und nichtbehinderten Menschen fest, wenn sie zu ihrer Zufriedenheit, ihrer Laune oder ihrem Frustationsgrad befragt wurden. (P Cameron et al., Journal of Consulting and Clinical Psychology, 1973, vol. 41, 207-214)
  • 1994 gaben 86 Prozent der befragten, hoch querschnittgelähmten Menschen (Tetraplegie) in einer Studie an, ihr eigenes Leben als „durchschnittlich“ oder „besser als durchschnittlich“ zu bewerten. (KA Gerhart et al., Annals of Emergency Medicine, 1994, vol. 23, 807-812).
  • In einer Studie mit älteren querschnittgelähmten Menschen bewerteten diese ihre Lebensqualität sogar höher als nichtbehinderte Menschen der gleichen Altersgruppe. (MG Eisenberg & CC Saltz, Paraplegia, 1991, vol. 29, 514-520).

Und es gibt noch viele weitere Studien dazu, die mehrheitlich alle das Gleiche sagen: Die Fähigkeit, laufen zu können, hat kaum Einfluss auf die Beurteilung der eigenen Lebensqualität. Wenn Matthias Schweighöfer also meint, querschnittgelähmten Menschen „ihr Leben und ihren Lebensmut“ zurückgeben zu wollen, ist er einfach auf dem falschen Dampfer. Danke, haben wir schon!

Sollte Matthias Schweighöfer aber wirklich etwas zur Verbesserung der Lebenssituation querschnittgelähmter Menschen tun wollen, könnte er bei den Sozialhelden eine Rampe spenden. Über jedes Lokal mehr, in das ich hineinkomme, freue ich mich. Oder er könnte dafür sorgen, dass seine Filme nur noch in barrierefreien Kinos laufen.

Nicht das „nicht Laufen können“ ist das Problem, sondern die Barrieren im Alltag, die nicht weggehen, indem man in die Forschung gegen Querschnittlähmung investiert. Zudem ist es ziemlich illusorisch zu glauben, dass die jetzige Generation an Querschnittgelähmten davon noch etwas hat. Seit ich denken kann, höre ich, dass es bald ein Mittel gegen Querschnittlähmung geben wird. Man sei kurz vor dem Durchbruch. Ich bin jetzt 37 Jahre querschnittgelähmt. Wenn ich meine Lebensfreude von dieser Forschung abhängig gemacht hätte, meine Güte…

Kampf ums Augenlicht

Ich habe gerade ARD Exclusiv „Kampf ums Augenlicht“ gesehen. Die Reportage zeigt wie Leuten mit Retinitis Pigmentosa erstmalig Chips ins Auge eingesetzt werden, in der Hoffnung, sie wieder sehend zu machen. Surprise, surprise, am Ende des Filmes sieht natürlich keiner der Probanden. Nur einer kann eine Lichtquelle orten. Das ist aber etwas, was viele Leute mit RP noch können: Hell und dunkel von einander unterscheiden und Lichtquellen finden. Eine Information, die in dem Film schlicht und einfach fehlt. War das nun also der Chip oder konnte das der Proband sowieso?

Der Film ist nichts für schwache Nerven. Da wird genau gezeigt, wie ein Kabel zwischen Ohr und Auge verlegt wird und wie das Auge aufgeschnitten wird, um den Chip einzusetzen. Auch dass es den Probanden nach der OP nicht so besonders geht, wird gezeigt. Einer hat ein riesiges blutunterlaufenes Auge wie nach einem Boxkampf. Während des Filmes verlässt einen dann auch noch die Freundin. Überhaupt sind das ziemliche Strapazen, die die Leute da auf sich nehmen. Das Prozedere dauert Wochen und ich frage mich, ob die denn psychologisch betreut wurden während des ganzen Theaters. Auch die Familien? Ich glaube, sogar der Autor des Films hat am Anfang geglaubt, von einer Heilung berichten zu können. Im Film kippt das dann aber. Die Ärzte haben den Leuten Hoffnungen gemacht, die sie nicht erfüllen können – und wenn ich mal eine Prognose abgeben darf, auch nicht werden. Alle zwei Jahre, wenn die Fördergelder wieder auslaufen, wird das Thema Retina Implant in den Medien gehypt. Die EU hat bereits 10 Millionen Euro in das Projekt gesteckt. Davon hätte man ganz Deutschland mit Blindenampeln ausstatten können, an besseren Orientierungssystemen arbeiten können oder was auch immer. Ich bin wirklich nicht technologiefeindlich, aber ich glaube die sind einfach auf dem Holzweg.

Die Sendung wird am Montag um 18 Uhr auf 3sat wiederholt.

Noch mehr zur Gesundheits-PR

Ich bin erfreut über die vielen Zugriffe auf meinen Beitrag zu den Gesundheitskommunikatoren und die Mails, die ich dazu bekommen habe.

Zwei Links möchte ich weitergeben: Die taz hat im Juni einen Artikel zu dem Thema geschrieben, der sehr lesenswert ist. Ebenso lesenswert ist ein Artikel der ZEIT.

Ein amerikanisches Blog eines Forschungsinstituts hat vergangenes Jahr schon über einen PR-Etat zur Stammzellenforschung geschrieben, der an Edelman ging. Damit ist mir endgültig klar, warum ihnen mein Beitrag zu Michael J. Fox nicht gefallen hat. Es geht nicht um pro oder contra Stammzellenforschung oder Michael J. Fox. Es geht einfach nur ums Geld, aber irgendwie ist das auch nicht so überraschend.

Ich paddel lieber alleine, Edelman

Ich bin schon überrascht, welche Geister man mit einem Blogeintrag über Stammzellenforschung rufen kann. Die in den vergangen Wochen nicht gerade mit Ruhm bekleckerte PR-Agentur Edelman macht nicht zuletzt PR im Gesundheitsbereich und da verwundert es nicht, dass es Martin Flörkemeier, Verantwortlicher in diesem Bereich bei Edelman Deutschland, nicht so sehr gefällt, was ich zu dem Thema geschrieben habe. Dabei habe ich mich zur Stammzellenforschung ansich noch gar nicht geäußert!

Aber wahrscheinlich reicht es in den Augen der „Gesundheitskommunikatoren“ schon, wenn jemand wie ich, die querschnittgelähmt ist und damit also von der Stammzellenforschung profitieren soll, sich so gar nicht dafür begeistern kann, was die Kollegen Gesundheitskommunikatoren in den USA sich zusammen mit Michael J. Fox ausgedacht haben, und das auch noch öffentlich kund tut.

Warum ihm nicht gefällt, was ich schreibe, erklärt er unter anderem so:

„Weil ich selber seit Jahren in Deutschland z.B. mit der hiesigen Parkinson Vereinigung, aber auch mit anderen Patientengruppen an verschiedenen Kampagnen gearbeitet habe und weiß, wie wichtig auch prominente Fürsprecher für den Erfolg der Botschaften dieser Kampagnen sind.“

Es ist manchmal gut, Menschen mit einem guten Gedächtnis um sich zu haben. Jemand konnte sich an einen Artikel über die PR der Parkinsonvereinigung erinnern und ich bin mal auf die Suche im Internet gegangen – und ich habe ihn gefunden. Die Zeitschrift Bioskop hat schon vor fünf Jahren über die PR von Edelman zu Parkinson und noch andere interessante Dinge geschrieben. Sehr lesenswert!

Nun bin ich ja neugierig geworden und wollte sehen, für welche Firmen Edelman im Gesundheitsbereich noch PR macht. Eine Kundenliste habe ich auf ihren Seiten nicht gefunden. Gefunden habe ich eine Pressemitteilung der HAE-Vereinigung, eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Hereditärem Angioödem. Als Kontakt findet sich die Agentur Edelman unter der Pressemitteilung. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Edelman einfach so selbstlos eine kleine Selbsthilfegruppe unterstützt oder dass die Gruppe so viel Geld hat, so eine Agentur zu bezahlen. Ich wollte mal wissen, wer zum Beispiel die Domain dieser „Selbsthilfegruppe“ angemeldet hat. Und siehe da: Volltreffer. Die Domain schwellungen.de, die in der Pressemitteilung beworbene URL der Selbsthilfegruppe, gehört dem Unternehmen ZLB Behring. Genau dieses Unternehmen stellt auch das Medikament her, das der erwähnten Frau in der Pressemitteilung der „Selbsthilfegruppe“ so gut geholfen hat. Zufälle gibts… Für mich war auf der Seite nicht ersichtlich, dass es sich eben nicht nur um ein Angebot einer Selbsthilfegruppe von Betroffenen handelt, sondern um ein Angebot eines Pharmakonzerns.

Ja, ich weiß, das machen ganz viele PR-Agenturen und Pharmakonzerne so oder so ähnlich. Aber genau deshalb bin ich so skeptisch, was Kommunikation, Kampagnen und PR im Gesundheits- und Pharmabereich angeht. Ich glaube nicht daran, dass Michael J. Fox einfach so seine Interessen vertritt. Sowas läuft, gerade in den USA, viel geplanter und strategischer ab.

Und mit diesem Wissen wird mir ganz unwohl, wenn ich im Edelman-Blog weiter lese:

„Weil dieses Beispiel mir zeigt, wie wichtig es für uns Gesundheits-Kommunikatoren ist, nicht nur über Krankheit, Forschung und Therapie(versuche) zu reden, sondern immer wieder auch die Menschen mit an Bord zu holen, die diese Diskussion am direktesten betrifft: Die Patienten und ihre Angehörigen.“

Wie sieht denn dieses „mit an Bord holen“ aus? Selbsthilfegruppen zum Wohle der Pharmaindustrie? Oder Vereinigungen gründen als Probantenpool? Nee, liebe Gesundheitskommunikatoren von Edelman, da paddel ich lieber alleine.