Tag Archiv für DLD

DNA to go

Fast könnte man meinen, der DLD habe sich die angebliche Heilung der Welt als roten Faden ausgesucht. Ich befand mich schon auf dem Weg zum Flughafen als beim DLD 23andme vorgestellt wurde, ein amerikanisches Unternehmen, das für rund 1000 Dollar eine Genanalyse anbietet, auch für Europäer. Man schickt seine Speichelprobe in die USA und bekommt eine Genanalyse zurück, mit der man erfahren soll, wie wahrscheinlich es ist, diese oder jene Krankheit zu bekommen. Das Unternehmen nutzt die Daten zudem, um weitere Auswertungen vorzunehmen. Eine der Gründerinnen ist die Frau des Google-Gründers Sergej Brin. Google hat in das Untenehmen investiert.

Dass es einen Markt rund um unsere Gene gibt, hat mir zuletzt dieser Zeit-Artikel vor Augen geführt. Es wäre also falsch zu sagen „Das nutzt eh keiner“. Allerdings tue ich mir dennoch schwer, Menschen zu verstehen, die dieses Angebot wahrnehmen und bejubeln. Manche Reaktionen auf die Bekanntgabe des Services wirken auf mich als hätten Journalisten und andere Kommentatoren im Geschichtsunterricht durchgehend gefehlt. Es geht hier um die Perfektion der Gene des Menschen, die Aufteilung in Spreu und Weizen. Für nichts anderes werden die Daten der Leute, die auch noch dafür bezahlen diese Informationen zur Verfügung zu stellen, genutzt. Da wird über die wirtschaftlichen Hintergründe gejubelt ohne über die ethischen Fragen nachzudenken. Hauptsache, der Rubel rollt.

Was mich zudem besorgt ist die Frage, wie Menschen mit den Ergebnissen umgehen. Es ist immer nur von einer Chance die Rede, die die Leute haben. Was ist das denn für eine Chance, wenn ich weiß, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit an Alzheimer erkranke? Alzheimer ist nicht heilbar. Und was ist mit dem Recht auf Nichtwissen der nächsten Angehörigen? Wenn sich also die Tochter testen lässt, aber die Mutter auf ihr Recht des Nichtwissens beharrt? Und ist nicht eine Humangenetische Abteilung einer Uniklinik für Familien mit einer Disposition für eine bestimmte Erkrankung eine bessere Anlaufstelle als solch ein Unternehmen?

Ich weiß aber, wer sich ebenfalls über das Angebot freuen wird: Die Versicherungskonzerne. Die minimieren mit Angeboten wie diesen ihre Risiken. Wer weiß, dass er mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent an Alzheimer erkranken wird, darf sich schon mal von dem Gedanken verabschieden, eine private Krankenversicherung oder eine Lebensversicherung zu bekommen. Dafür werden die Versicherungen sicher bald sorgen und die Frage „Haben Sie schon mal einen Gentest vornehmen lassen?“ wird sich bald im Antragsbogen finden. Oder sie zahlen den Gentest gleich selbst, quasi als Prämie für den Versicherungsabschluss (falls er dann anschließend überhaupt zustande kommt).

Mir macht diese Entwicklung Angst. Der größte Wert der Menschheit ist für mich, dass die Menschen so unterschiedlich sind wie sie sind. Was hier aber versucht wird ist, die Menschen nach „gesund“ und „krank“, nach „gut“ und „böse“ einzuteilen und an ihre DNA für wirtschaftliche Interessen zu gelangen. Und dafür sollen die Menschen auch noch selber bezahlen – immer in der Grundannahme, eine gute Prognose zu bekommen. Sonst klappt das ja nicht mit dem Gentest als Statussymbol.

DLD mit Hindernissen

Ich bin seit gestern in München auf dem DLD. War das vor zwei Jahren im Vergleich noch eine schnuckelige kleine Veranstaltung, ist sie jetzt riesig. Ich habe mich sehr gefreut, so viele nette Leute wieder zu treffen. Das war auch der Hauptgrund der Reise. Und das hat auch geklappt.

Aber ich bin dennoch zunehmend genervt, sitze auch gerade im Hotelzimmer, obwohl noch Veranstaltungen laufen. Erstens, die Veranstaltung ist total überfüllt. Das ist für alle nervig, für mich aber sowieso, weil ich nirgendwo durchkomme. Ich versuche gar nicht mehr einen Blick aufs Podium zu bekommen.

Alles fing gestern damit an, dass der Eingang, nicht wie 2006 im Hauptgebäude war, sondern in einem daneben. Ich bat, mir einen anderen Eingang zu öffnen, weil das Nebengebäude x Stufen hat. Niemand fühlte sich zuständig und der Sicherheitsmensch weigerte sich standhaft, die Tür zu öffnen. Ich solle es über den Lieferanteneingang probieren. Am Lieferanteneingang angekommen, wollte man von mir die liefernde Firma wissen. Ich wollte aber ja nur rein. Sie haben mich nach Diskutiererei dann dennoch rein gelassen. Dort angekommen, konnte ich weder die Registrierung noch die Garderobe erreichen. „Sie können ja jemanden losschicken“, sagte man mir. Ich weiß nicht, wieso die Leute immer meinen, dass ich eine Armee an Menschen um mich habe, die für mich sorgen.

Ein Bekannter hat mich dann registriert. Währenddessen stellten sich zwei Mitarbeiter neben mich und redeten über mich als sei ich nicht da. Ich habe sie dann angesprochen, ob sie über mich redeten und ob sie nicht besser MIT mir sprechen möchten. Ich habe dann darum gebeten, die Sicherheitsleute damit vertraut zu machen, dass barrierefreie Eingänge dafür da sind, Rollstuhlfahrer rein zu lassen und nicht weg zu schicken.

Später hat mir dann jemand mein Zeug von der Garderobe geholt. Heute nachmittag war das Mittagessen in Richtung der Garderobe ausgeschildert. Es machte mir nicht den Eindruck als könne ich diesem beiwohnen. Ich habe gar nicht erst versucht den Weg zu finden, sondern bin stattdessen einkaufen gegangen.

Kaum zurück vom Einkaufen bin ich in einen Vortrag der Skiathletin Karina Holekim geraten. Sie sprang von allen möglichen Bergen und fuhr beeindruckend Ski bis sie bei einem Fallschirmsprung 2006 abgestürzt ist. Sie hatte mehr als 20 Brüche an einem Bein und mehrere am anderen davon getragen und war neun Monate in Rehabilitation. Sie erzählte also von ihren Erfahrungen und was sie erlebt hat. Und dann sprach sie davon, dass sie immer dachte, entweder sie lebt oder ist tot, aber niemals etwas zu erleben, was dazwischen ist – im Rollstuhl zu sitzen.

Nur meine gute Kinderstube hat mich davon abgehalten durch den Saal zu rufen „Ich bin nicht tot, auch nicht ein bisschen“. Sie hätte den Ärzten nicht geglaubt, dass sie nicht wieder laufen kann und natürlich kam sie laufend auf die Bühne. Sie wolle den Leuten zeigen, dass man nur an etwas glauben muss blabla.

Es gibt wenige Dinge, durch die ich mich wirklich angegriffen fühle, aber sowas gehört dazu. Ich bin weder tot, auch nicht halb oder zwischen Leben und Tod und ich halte es für Schwachsinn, Menschen zu erzählen, dass sie in solchen Situationen nur richtig glauben und wollen müssen. Das passt aber natürlich prima in die Chakka Chakka-Kultur dieser Zeit.

Schön, dass sie wieder einigermaßen laufen kann und vor allem überlebt hat, aber das gibt ihr nicht das Recht, den Eindruck zu erwecken, dass solch ein Leben inakzeptabel sei. Es ist nicht schlimmer im Rollstuhl zu sitzen als an Krücken zu laufen oder zu humpeln. Es ist nicht einmal schlimm überhaupt im Rollstuhl zu sitzen. Schlimm sind ignorante Menschen und davon bin ich irgendwie in den letzten 24 Stunden definitiv zu vielen begegnet.

Die nächsten 10 Jahre

Nachdem ich das Wochenende bis jetzt dazu genutzt habe, mein in erster Linie durch SinnerSchrader entstandenes Schlafdefizit auszugleichen (diese Agenturen arbeiten mit allen Tricks), komme ich jetzt endlich dazu mal einen kleinen Rückblick auf den Kongress mit anschließender Party zu werfen:

  • Klein-Bloggersdorf war gut vertreten – ich kannte auf dem Kongress mehr Blogger als Journalisten
  • Blogger waren es auch, die die Abschlußrunde mit Yahoo nicht ohne das Wort „China“ zu Ende gingen ließen (Danke Johnny!).
  • Die New Economy trägt jetzt Anzug und Krawatte und sieht darin nicht schlecht aus. Die wirklich Erfolgreichen tragen weiße Anzüge.
  • Die Frage „Und was ist das Geschäftsmodell? Wie wollen Sie Geld machen?“ nervt genauso wie vor 8 Jahren.
  • SinnerSchrader hat sich von jetzt auf gleich mit dem Kongress das Tag „Web2.0“ angeheftet und fühlt sich ganz wohl dabei. Ich finde, es steht ihnen auch.
  • Den „Tschakka-Tschakka-Wäbbtuuuouuu“-Vortrag von Andreas Weigend fand ich eher anstrengend. Ich bin dafür zu bodenständig, glaube ich und ich wusste auch schon was Täääääcks und del.icio.us sind.
  • Sehr erfrischend fand ich Johnnys Musikeinlage. Johnny war es auch mit dem ich für Henning zu Mitternacht gemeinsam mit Werner ein Geburtstagsständchen sang.
  • SinnerSchrader ist bereits die zweite Agentur, die ich in Hamburg kenne, die über eine Rollstuhltoilette verfügt. Das ist mal gelebte Barrierefreiheit2.0.
  • Achja, Essen und Getränke waren auch reichlich vorhanden. Man musste auch nicht, wie beim DLD, die Kellner bereits an der Küchentür abfangen (ja, wir waren das), um nicht den Kongress mit leerem Magen zu erleben.
  • Radio Hamburg konnte auf der Heimfahrt kein besseres Lied spielen als „Die perfekte Welle“.
  • Kurzum: Es war richtig nett! Wer wird nächstes Jahr 10?