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Happy End DLA

Nach dem Besuch des Amtsarztes habe ich gestern den Bescheid bekommen. Ich bekomme Disablity Living Allowance. Ich muss sagen, das gefällt mir alles sehr gut hier, was die Regelungen für behinderte Menschen angeht. Nur dass sie für die Bewilligung mehr als fünf Monate brauchen, verstehe ich nicht. Aber nun gut.

Mit dem Bescheid bekam ich Informationen, was ich mit meinem neuen Status (ungefähr vergleichbar mit dem Schwerbehindertenstatus in Deutschland) weiterhin beantragen kann. Einen Parkausweis zum Beispiel oder ein Persönliches Budget, falls ich Assistenz benötige. Und das alles in einer wirklich einfachen Sprache. Zudem steht in dem Brief, wenn ich den Bescheid aus sprachlichen oder behinderungsbedingten Gründen nicht verstehe, solle ich eine Nummer anrufen, sie würden mir einen Dolmetscher zur Verfügung stellen und Assistenz. Wenn ich gegen den Bescheid Widerspruch einlegen möchte, kann ich mir beim nächsten Jobcentre ein Widerspruchspaket besorgen mit Informationen und einem Standardformular. Ich könne mich auch juristisch beraten lassen. Ich muss sagen, das finde ich alles ziemlich beeindruckend, wie bürgerfreundlich man so etwas gestalten kann.

Das ist kein Vergleich zu dem Prozedere in Deutschland. Das deutsche Formular (Beispiel Bayern, die anderen sehen ähnlich aus) ist schon für viele Menschen nicht zu verstehen. Oder wer hier weiß, welchen Grad der Behinderung er beantragen würde, wenn er, sagen wir, von der Leiter gefallen ist und nun dauerhaft gehbehindert bleibt? Und welches Merkzeichen hätten wir denn gerne? Das ist ein Formular, das aus Sicht der Behörde erstellt wurde, nicht aus Sicht der Bürger. Für das Merkzeichen aG muss man bestimmte Voraussetzungen erfüllen, was die Gehfähigkeit angeht. Warum fragen sie nicht einfach: Wieviele Meter können Sie ohne Hilfe gehen? Wie lange brauchen Sie, um 10 Meter zu gehen? Genau das waren die Fragen, die mir die britische Behörde gestellt hat. Sie hätten natürlich auch fragen können „Beantragen Sie den höchsten oder einen geringeren Satz?“. Higher rate bekommen nämlich nur Leute, die gar nicht gehen können oder nur sehr schlecht. Da gibt es bestimmte Grenzen. Aber muss ich die wirklich kennen?

Ich gehe jetzt mal meinen Parkausweis beantragen. Eines weiß ich aber jetzt schon: Die Regelungen für behinderte Autofahrer sind in Deutschland besser. Die innerstädtischen Distrikte von London haben sich nämlich der EU-weiten Regelung nicht angeschlossen, sondern lassen nur ihre eigenen Bürger profitieren. Das finde ich total bescheuert und ärgert mein europäisches Selbstverständnis. Das als Londonerin sowieso. Oder kann mir bitte mal einer erklären, warum ich in der Ladezone um die Oxford Street zwar parken darf, wenn ich in Camden wohne, aber nicht, wenn ich aus Ealing (mein Stadtteil) komme? Ich glaube, das gibt es sonst nirgendwo in der EU. Hier gibt es neben dem blauen europaweit gültigen Ausweis auch einen grünen, roten und weißen. Das ist für mich bislang die schwachsinnigste Regelung, die ich hier entdeckt habe. Auf Behindertenparkplätzen darf man aber überall parken – es gibt allerdings auch Behindertenparkplätze nur für Einheimische.

Besuch vom Amtsarzt

Weil ich einen Antrag auf Disability Living Allowance gestellt habe, hatte ich Besuch von einem Amtsarzt. Wenn man bedenkt, dass der Antrag mehr als vier Monate alt ist, wurde es auch höchste Zeit. Langsam habe ich raus, wie diese Anträge hier abgewickelt werden. Meist gehen die Leute nur einen Fragebogen durch. Wer durch Deutschlands Bürokratiedschungel gegangen ist, für den ist England eine Kaffeefahrt. Die Beurteilung der Behinderung beruht rein auf meinen Angaben, was ich kann und was ich nicht kann. Es geht zudem um die Bewältigung des Alltags. Wer aktiv ist, braucht vielleicht mehr Assistenz als jemand, der den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzt. In Deutschland bemisst sich alles nach Pflegeminuten. Ich brauche aber keine Pflege, sondern eher Hilfe beim Einkaufen oder bei anderen Aktivitäten.

Der Unterschied zwischen dem britischen und dem deutschen System ist das Bild von Behinderung, das zugrunde gelegt wird. Wenn jemand gerne ins Kino geht, soll ihm das auch möglich sein, wenn er auf Assistenz angewiesen ist. In Deutschland gilt das als Luxus. Ich habe in Deutschland meine Assistenz selber bezahlt, weil ich keine Pflegestufe bekam. Zu fit fürs System. Wenn ich die Ausführungen des Arztes richtig deute, ist das jetzt vorbei und ich bekomme sogar mehr als ich beantragt habe. Ich bin gespannt, wie der Bescheid aussieht.

Bürokratie in UK

Ich bin unterdessen Profi, was den Umgang mit Behörden hier angeht. Wer in Deutschland in die Behörden-Schule gegangen ist, der meistert die britische Bürokratie mit Links. Ich habe derzeit zwei Anträge laufen: Einen Antrag auf Disability Living Allowance (DLA) und den „Access to work“-Antrag. DLA ist so etwas wie Blindengeld, nur dass es in Großbritannien jeder bekommt. Wer DLA bekommt, hat einen Status, der so ähnlich ist wie der deutsche Schwerbehindertenstatus. Das heißt, man ist automatisch qualifiziert bei anderen Anträgen etc.

Derzeit verhandele ich mit der „Access to work“-Behörde. Die wollten 1000 Sachen von mir haben. Haben sie alle bekommen. Das einzige, das ich nicht liefern konnte, war ein Attest. Mein GP (Hausarzt) hat sich nämlich geweigert eines auszustellen. Er kenne mich zu wenig. Als ich Türschwelle dieser Praxis das erste Mal hinter mir gelassen hatte, war mir schon klar, dass ich mit dieser Praxis noch viel Spaß haben werde. Aber ich kann den Arzt nicht wechseln, weil der einzige für meine Region ist. Mein Hinweis darauf, dass man ziemlich leicht feststellen kann, ob ich simuliere oder nicht, verhallte. Er wollte mir nichts bescheinigen.

Ich habe der Behörde das dann genauso mitgeteilt und ihnen folgendes angeboten: Ein englischsprachiges Attest aus Deutschland, eine Kopie meines deutschen Schwerbehindertenausweises, aus dem hervorgeht, dass ich 100% Prozent schwerbehindert bin, eine amtliche Übersetzung meines Bescheides, dass ich schwerbehindert bin. Alternativ bat ich sie, sich doch bitte selbst mit dem Arzt in Verbindung zu setzen oder mich zum Amtsarzt zu schicken. Die Reaktion war verblüffend. Sie wollten plötzlich keinen Attest mehr. Sie hatten nur noch eine Frage: Warum ich denn um alles in der Welt in Deutschland als 100% schwerbehindert eingestuft sei. Ich könne doch nur nicht laufen! Ich habe ihnen dann erklärt, dass das in Deutschland so klassifiziert sei. Dann haben sie mich gefragt, ob ich in Deutschland auch DLA bekommen hätte. Als ich ihnen sagte, dass es sowas in Deutschland nicht gibt, machte sich am anderen Ende der Leitung Fassungslosigkeit breit. Ich erklärte, dass es nur Blindengeld in Deutschland gibt und eine Pflegeversicherung. Aber dass es keinen Nachteilsausgleich in Form von Geld gebe, lediglich einen Steuerfreibetrag. Dann kam die nächste Frage: Warum denn in Deutschland nur die Blinden Geld bekämen und sonst niemand? Das war eine Frage, die ich ihnen nicht beantworten konnte.

Die DLA-Behörde wollte wissen, wie lange ich in das deutsche Sozialsystem eingezahlt habe. Mich würde mal interessieren, ob die sich ein Teil des Geldes aus Deutschland holen. Weiß das jemand? Dann müsste Deutschland indirekt doch DLA zahlen. Dass man dafür erst ins Ausland gehen muss…