Tag Archiv für buerokratie

Andere Länder, andere Bürokratie

Einige Dinge, die man als behinderter Bürger hier bekommt, sind von der Gemeinde finanziert. Das bedeutet, wenn man umzieht muss man sie neu beantragen. Den Freedom Pass zum Beispiel oder die Taxicard. Greenwich Council hat mir jetzt geschrieben, sie könnten meinen Antrag nicht bearbeiten. Auf meinem Nachweis, dass ich behindert bin, stehe noch die alte Adresse. Es handelt sich dabei um ein Schreiben des Department for Work and Pensions (DWP). Ich sollte einen Nachweis mit aktueller Anschrift einsenden.

Was habe ich mich geärgert am Wochenende und gedacht „Wie soll ich den nur beschaffen?“. In Deutschland habe ich teilweise den Bescheid von 1979 eingereicht, wenn er verlangt wurde. Natürlich mit falscher Adresse und unterdessen geänderten Gesetzen.

Ich habe heute beim DWP angerufen und gefragt, was man denn da tun kann und ob sie das Problem kennen. Da sagte die Frau am anderen Ende: „Wieso Problem? Wir schicken Ihnen den Bescheid noch einmal mit aktualisierter Adresse zu. Geht heute noch in die Post.“

Das ist hier wirklich ein anderes System. Keine Behörde in Deutschland würde einen Bescheid zwei Mal rausschicken. Auch die Bürokratie funktioniert hier definitiv anders.

Ja, ich lebe noch

Hat Euch schon mal jemand gebeten, einen Nachweis zu erbringen, dass Ihr noch lebt? Ich habe heute ein Schreiben bekommen, in dem mich die Allianz-Versicherung auffordert, einen solchen Nachweis zu erbringen. So schreiben die das natürlich nicht, sondern bitten um die Rücksendung eines Formulars, in dem eine offizielle Behörde oder die Hausbank bestätigt, dass man dort persönlich war. Hintergrund sind Leistungen, die ich bekomme, weil ich ja durch den Fehler eines Arztes querschnittgelähmt bin. Der Arzt ist bei der Allianz berufshaftpflichtversichert.

Die legitimierten Behörden befinden sich natürlich alle in Deutschland, wo ich erstmal nicht bin. Nun nehme ich an, dass mir die Deutsche Botschaft in London auch bestätigen würde, dass ich am Leben bin. Aber soweit ich weiß, ist die Deutsche Botschaft in London nicht barrierefrei. Die Allianz will also, dass ich einen Nachweis erbringe, den ich aber nur mit viel Umstand erbringen kann, weil die Ursache, für die sie selber zahlen, mich daran hindert, in die Behörde zu gehen. Das ist ein wenig zynisch und grotesk, aber meine Realität.

Und dann stellt sich die Frage, warum die Allianz auf die Idee kommt, dass ich tot sei. Ich bin 30! Aber vielleicht ist das ja auch versicherungsmathematisches Wunschdenken. Und wo kommen dann die Rollstuhl-Reparaturrechnungen her, die ich Ihnen regelmässig schicke?

Aber wenigstens weiß ich jetzt, wie der Slogan „Eine Allianz fürs Leben“ gemeint ist.

Happy End DLA

Nach dem Besuch des Amtsarztes habe ich gestern den Bescheid bekommen. Ich bekomme Disablity Living Allowance. Ich muss sagen, das gefällt mir alles sehr gut hier, was die Regelungen für behinderte Menschen angeht. Nur dass sie für die Bewilligung mehr als fünf Monate brauchen, verstehe ich nicht. Aber nun gut.

Mit dem Bescheid bekam ich Informationen, was ich mit meinem neuen Status (ungefähr vergleichbar mit dem Schwerbehindertenstatus in Deutschland) weiterhin beantragen kann. Einen Parkausweis zum Beispiel oder ein Persönliches Budget, falls ich Assistenz benötige. Und das alles in einer wirklich einfachen Sprache. Zudem steht in dem Brief, wenn ich den Bescheid aus sprachlichen oder behinderungsbedingten Gründen nicht verstehe, solle ich eine Nummer anrufen, sie würden mir einen Dolmetscher zur Verfügung stellen und Assistenz. Wenn ich gegen den Bescheid Widerspruch einlegen möchte, kann ich mir beim nächsten Jobcentre ein Widerspruchspaket besorgen mit Informationen und einem Standardformular. Ich könne mich auch juristisch beraten lassen. Ich muss sagen, das finde ich alles ziemlich beeindruckend, wie bürgerfreundlich man so etwas gestalten kann.

Das ist kein Vergleich zu dem Prozedere in Deutschland. Das deutsche Formular (Beispiel Bayern, die anderen sehen ähnlich aus) ist schon für viele Menschen nicht zu verstehen. Oder wer hier weiß, welchen Grad der Behinderung er beantragen würde, wenn er, sagen wir, von der Leiter gefallen ist und nun dauerhaft gehbehindert bleibt? Und welches Merkzeichen hätten wir denn gerne? Das ist ein Formular, das aus Sicht der Behörde erstellt wurde, nicht aus Sicht der Bürger. Für das Merkzeichen aG muss man bestimmte Voraussetzungen erfüllen, was die Gehfähigkeit angeht. Warum fragen sie nicht einfach: Wieviele Meter können Sie ohne Hilfe gehen? Wie lange brauchen Sie, um 10 Meter zu gehen? Genau das waren die Fragen, die mir die britische Behörde gestellt hat. Sie hätten natürlich auch fragen können „Beantragen Sie den höchsten oder einen geringeren Satz?“. Higher rate bekommen nämlich nur Leute, die gar nicht gehen können oder nur sehr schlecht. Da gibt es bestimmte Grenzen. Aber muss ich die wirklich kennen?

Ich gehe jetzt mal meinen Parkausweis beantragen. Eines weiß ich aber jetzt schon: Die Regelungen für behinderte Autofahrer sind in Deutschland besser. Die innerstädtischen Distrikte von London haben sich nämlich der EU-weiten Regelung nicht angeschlossen, sondern lassen nur ihre eigenen Bürger profitieren. Das finde ich total bescheuert und ärgert mein europäisches Selbstverständnis. Das als Londonerin sowieso. Oder kann mir bitte mal einer erklären, warum ich in der Ladezone um die Oxford Street zwar parken darf, wenn ich in Camden wohne, aber nicht, wenn ich aus Ealing (mein Stadtteil) komme? Ich glaube, das gibt es sonst nirgendwo in der EU. Hier gibt es neben dem blauen europaweit gültigen Ausweis auch einen grünen, roten und weißen. Das ist für mich bislang die schwachsinnigste Regelung, die ich hier entdeckt habe. Auf Behindertenparkplätzen darf man aber überall parken – es gibt allerdings auch Behindertenparkplätze nur für Einheimische.

Felix Austria

Dass ich das noch erleben darf: Die Uni Wien hat mich nach fast genau sechs Monaten als Promotionsstudentin zugelassen. Nachdem ich wirklich alle möglichen und unmöglichen Bescheide und Bestätigungen (alle amtlich beglaubigt natürlich) beigebracht hatte (einen großen Dank an das Prüfungsamt der Uni Hamburg, die mir wirklich sehr unbürokratisch geholfen haben, obwohl ich dort seit zwei Jahren mit dem Studium fertig bin), glaube ich jetzt auch wieder an das Gute in der Europäischen Union. Ich hatte schon befürchtet, Österreich tritt eher aus der EU aus bis sie mein Diplom aus Deutschland anerkennen.

Und das Beste: In dem Zulassungsbescheid wurde darauf verzichtet, mich darauf hinzuweisen, dass die Kommunikation mit der Zulassungsstelle ausschließlich auf Deutsch erfolgen kann, wie sie das bislang in jedem Brief taten. Ich habe mich von dieser Kriegsführung aber nicht beirren lassen. :-)

Und bevor jetzt alle fragen „Warum denn Wien?“. Wegen des Profs, des Themas und überhaupt. Ich mache das berufsbegleitend und muss auch nicht ständig anwensend sein. Das Thema: „Die Darstellung behinderter Menschen in der Berichterstattung deutschsprachiger Nachrichtenagenturen“. Input, Literatur, Kontakte, Anfragen etc. sind jederzeit willkommen.