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Deutsche Sprache, schwere Sprache

Die Vereinten Nationen haben im vergangenen Jahr eine Vereinbarung über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verabschiedet. Das 40 Seiten starke Papier ist jetzt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom Englischen ins Deutsche übersetzt worden –offensichtlich von Menschen, die das Fachvokabular nicht so richtig drauf hatten. Da wurde „Inclusion“ mit Integration übersetzt, „Living independently“ als „unabhängige Lebensführung“ statt als „Selbstbestimmt Leben“ und „accessibility“ mit „Zugänglichkeit“ statt mit „Barrierefreiheit“.

Jetzt gibt es einen Aufschrei und eine Anfrage im Deutschen Bundestag. Ja gut, man muss sich schon fragen, warum im Bundeministerium keine Leute sitzen, die die Fachbegriffe kennen. Der Begriff Barrierefreiheit hat sogar Einzug in die deutsche Gesetzgebung gefunden und ist eindeutig definiert. Auch Integration und Inklusion sind zwei verschiedene Dinge, aber trotzdem lässt mich das irgendwie kalt, weil ich nicht so richtig sehe, was eine korrekte Übersetzung ändern würde. Dennoch halte ich die Konvention für sehr wichtig, aber dass sie konkrete Veränderungen bringt, daran kann ich noch nicht so richtig glauben.

Deutsches Schulsystem ist diskriminierend

Mit Freunde habe ich die Berichterstattung zum Munoz-Bericht verfolgt. Da sagt doch der UN-Sonderberichterstatter, das deutsche Schulsystem schließe Migrantenkinder und Kinder mit Behinderungen aus. Kurzum, ich finde der Mann hat recht: Nur 12 Prozent aller behinderten Kinder in Deutschland besuchen eine Regelschule. Der Rest geht in Sonderschulen. In „Blindenschulen“, „Körperbehindertenschulen“, „Gehörlosenschulen“, „Geistigbehindertenschulen“ und was es sonst noch so gibt. Und wer als Eltern eines behinderten Kindes möchte, dass das Kind in eine Regelschule geht, hat einen langen Kampf vor sich. Und dann hört es ja nicht auf: Als ich in der Orientierungsstufe war (so hieß die 5. und 6. Klasse in meiner Gesamtschule) sollte ich keine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen, obwohl ich ein gute Schülerin war. Der Grund: Der Realschulzweig war nicht ausgelastet und der Leiter dieses Zweiges war der Auffassung, dass ich ja eh kein Abitur brauche. Eine couragierte Lehrerin erzählte das meinen Eltern. Der Lehrer hatte das in einer Lehrerkonferenz gesagt. Und ich kenne viele „Kinder“ von Ausländerfamilien, die eine ähnliche Geschichte zu erzählen haben.

So lange wir es nicht schaffen, behinderte Kinder in die Gesellschaft zu integrieren, das heißt mit allen anderen Kindern in die Schule zu schicken und ihnen eine optimale Förderung zu geben, werden wir es auch nie schaffen, Erwachsene mit einer Behinderung wirklich teilhaben zu lassen. Was Hänschen nicht lernt… Und wer wissen will, wer an der Misere schuld ist, muss sich nur mal die Reaktionen durchlesen. Getretene Hunde jaulen, habe ich beim Lesen der Artikel oft gedacht. Es gibt kaum eine Berufsgruppe in Deutschland, die in den vergangenen Jahrzehnten mehr zur Aussonderung behinderter Menschen beigetragen hat als die der Lehrer (ich weiß natürlich, dass es auch sehr engagierte Lehrer gibt).

Ich erwarte von den Lehrergewerkschaften mal ein vernünftiges Papier zur Integration behinderter Schüler. Und zwar in dem nicht nur darüber gejammert wird, welch Belastung behinderte Schüler in einer Klasse für den Lehrer doch sind und wie viel Zusatzarbeit das erfordert. Sondern in dem vielleicht mal was von „Bereicherung“ steht. Es ist nie zu spät, vergangene Fehler zu reflektieren und umzusteuern. Dazu gehört dann auch, dass Sonderpädagogen ihren Fuß über die Schwelle einer Regelschule heben müssen und es wirklich um individuellen Förderbedarf geht und nicht um das „Was für A gut ist, muss auch für B richtig sein“-Prinzip.

UN-Konvention kommt

Die Vereinten Nationen haben beschlossen, eine „UN-Konvention zur Förderung und zum Schutz der Rechte und Würde von Menschen mit Behinderungen“ auf den Weg gebracht. Ein Zusatzprotokoll sieht sogar die Möglichkeit von Individualbeschwerden vor. Die Konvention muss nun endgültig von der UN-Generalversammlung beschlossen werden und dann sind die einzelnen Länder dran: Die müssen die Konvention ratifizieren.

Ich bin mir nicht sicher, ob sich diese Konvention in naher Zukunft spürbar im Alltag behinderter Menschen bemerkbar machen wird. Aber es ist ein wichtiges politisches Signal, wenn man bedenkt, unter welchen Bedingungen behinderte Menschen in manchen Ländern leben müssen. Ich bin sehr gespannt, welche Länder die Konvention ratifizieren werden.