Archiv für London

Jahresendfragebogen 2020

Vorherrschendes Gefühl für 2020?
Das darf doch wohl alles nicht wahr sein.

2020 zum ersten Mal getan?
Für die Bahnindustrie als Managerin gearbeitet, um Barrierefreiheit und die Nicht-Diskriminierung behinderter Kunden durchzusetzen. 60 Stunden in der Woche.

2020 leider gar nicht getan?
Das Land verlassen. Ein Flugzeug betreten. Und das zum ersten Mal in meinem Leben ein ganzes Jahr lang. Aber ich habe eine lange Liste mit Orten und Dingen, die ich machen werde, wenn diese Pandemie vorbei ist.

Wort des Jahres?
Failed Assist – so nennt die britische Bahnindustrie den Umstand, wenn sie behinderte Reisende, vor allem Rollstuhlfahrer, im Zug „vergessen“ und sie dann entweder von anderen Passagieren rausgehoben werden (gefährlich!), sie einfach weiterfahren bis sie an der Endstation jemand findet oder sie am Zielort die Notbremse ziehen, damit sie jemand aus dem Zug holt.

Getränk des Jahres?
Tee – ganz viel davon.

Bestes Essen des Jahres?
Ich kann mit Stolz sagen, wir haben seit März nicht ein einziges Mal den Lieferdienst bemüht. Um ehrlich zu sein, weil es uns nicht Corona-sicher genug war. Und da habe ich eben gekocht, was wirklich nicht zu meinen besonderen Fähigkeiten gehörte. Aber jetzt koche ich wirklich gut.

Meistangerufene Person?
Ich zähle da jetzt mal Anrufe via Microsoft Teams mit und das war mit Abstand ein Accessibility Manager aus meinem Team. Wir arbeiteten seit März von zu Hause aus und so leitete ich das Team eben so.

Die schönste Zeit verbracht mit?
Nix tun. Hörbücher hören. Schlafen.

Die meiste Zeit verbracht mit?
Teams-Calls, Teams-Calls und Teams-Calls

Song des Jahres?
Guten Tag von „Wir sind Helden“

Beeindruckendstes Buch des Jahres?
Why Women Are Blamed For Everything von Jessica Taylor
Buchcover Why women are blamed for everything

Erkenntnis des Jahres?
Der Mangel an Barrierefreiheit ist keine Frage des Geldes, weder in der Bahnindustrie noch sonst irgendwo. Mit COVID kamen all die Dinge, um die behinderte Menschen seit Jahren oft ohne Erfolg gebeten hatten – von zu Hause arbeiten zu dürfen, an Konferenzen nur virtuell teilnehmen zu können, zu chatten statt immer nur übers Telefon zu kommunizieren etc.

Und zusätzlich bekam ich Einblicke in eine Branche, die erstaunlich viel Geld hat und seit COVID täglich Millionen an Finanzspritzen bekommt, was okay ist, die Menschen müssen ja zur Arbeit kommen, aber was eben auch zeigt, dass für den Umbau von Bahnhöfen (und viele andere Projekte) durchaus Geld da gewesen wäre, wenn man es hätte ausgeben wollen.

Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten können?
Auf viel zu viel Stress
Corona
Die Magen-Darm-Grippe im Dezember (immer noch besser als Corona)

Beste Idee/Entscheidung des Jahres?
Diesen verrückten Job nach einem Jahr wieder aufzugeben.

Schlimmstes Ereignis?
Der Tod von Belly Mujinga und von innen zu sehen wie ein Konzern damit umgeht.

Schönstes Ereignis?
Ich habe trotz alledem wirklich viel gelacht dieses Jahr, vor allem mit meinem Team, die jeden Tag voll und ganz hinter mir standen und bei dem irren Tempo, das ihre Chefin (ich) an den Tag gelegt hat, um Änderungen durchzudrücken, immer mitgezogen haben.

Wir haben durchgesetzt, dass alle „Failed Assists“ wie Unfälle untersucht und behandelt werden. 41 Stationen bekommen mobile Teams, die Rampen anlegen, wenn die Stationen eigentlich kein Personal haben. Das ist besonders in ländlichen Regionen wichtig, wo es wenige barrierefreie Taxis gibt, auf die Kunden sonst ein Anrecht haben. Aber das Anrecht nutzt wenig, wenn es die Taxis nicht gibt.

3000 Stationsmitarbeiter bekommen Disability Equality Training bis Juli 2021, alle geschult von behinderten Trainerinnen. Ich habe Blindenleitsysteme durchgesetzt, barrierefreie Toiletten einbauen lassen, Informationen zur Barrierefreiheit überprüfen lassen, Hunderte neue Rampen bestellt, eine Sprache-zu-Text-App auf allen Diensthandys verfügbar gemacht, Schulungsvideos mit behinderten Kunden produziert und 1000 andere Dinge gemacht und erstritten.

Und dann haben mein Kollege und ich uns (vor Corona), an einem Nachmittag als wir in Nord-London waren, auf unsere eigenen Stationsinformationen verlassen und fuhren zu einer Station, die als voll barrierefrei gekennzeichnet war.

Da standen der Accessibility Manager und seine rollstuhlfahrende Managerin im strömenden Regen vor einer viel zu steilen Rampe, die auch noch rutschig im Regen wurde und wären beide fast abgestürzt bei dem Versuch, den Bahnsteig zu erreichen – wenn nicht durch die baulichen Begebenheiten, dann wegen des Lachkrampfs, den wir beide hatten – ausgelöst durch diese absolut absurde Situation, in die wir uns beide gebracht hatten. Als wir endlich oben waren, stellten wir fest, dass die Station nicht einmal Zugrampen hatte, wir konnten also nicht einmal in den Zug einsteigen, weil der Bahnsteig zu schmal war, und so mussten wir ein Taxi nehmen. Dieser Nachmittag war filmreif und einfach so typisch für all die Probleme, die die Branche mit Barrierefreiheit hat.

Es war ein extrem intensives Jahr, nix war einfach, diese Branche dreht sich langsamer als jeder Öltanker. Es ging alles nur mit Humor, sonst hätte ich schon im Februar auf der Rampe im Regen das Handtuch geworfen.

2020 war mit einem Wort?
Off-track

Brexitland

Weil ich immer noch nicht genug davon habe, über den Brexit zu reden und zu schreiben, habe ich mit Charlotte Spencer-Smith, die Britin ist und in Österreich lebt, einen Podcast über den Brexit gestartet. Er heißt Brexitland und wir unterhalten uns darüber, wie der Brexit uns persönlich betrifft, kommentieren die Verhandlungen und die politischen Ereignisse um den Brexit. Das Ganze tun wir auf Deutsch. Die erste Episode haben wir gerade veröffentlicht. Es gibt den Podcast bei Soundcloud, Anchor, iTunes, Android und in jeder guten Podcast-App. So alle drei bis vier Wochen werden wir eine neue Folge veröffentlichen.

 

Finally British

Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Nach 11 Jahren in Großbritannien bin ich nun endlich Britin und somit Besitzerin eines britischen Passes. Ob mir die Entscheidung leicht gefallen ist, werde ich gerade recht oft gefragt. Ja total, denn ich darf ja meinen deutschen Pass behalten, bin also weiterhin EU-Bürgerin und bekomme den britischen Pass noch dazu.

Pass

Die Entscheidung, die britische Staatsangehörigkeit zu beantragen war für mich in erster Linie politisch motiviert. Ich bin noch immer empört darüber, dass EU-Bürger beim Brexit-Referendum 2016 nicht mitabstimmen durften. Wir dürfen auch bei Parlamentswahlen nicht wählen, dementsprechend gering ist der Einfluss von EU-Bürgern in Westminster (Ausnahme sind Bürger der Länder Irland, Malta und Zypern), obwohl immerhin 3,5 Millionen EU-Bürger in Großbritannien leben.

Natürlich war ich nach dem Brexit erst einmal sauer. Verletzt. Und ich habe mich bis jetzt nicht an die EU-Bürgerfeindliche Rhetorik der britischen Medien gewöhnt. Allerdings habe ich bis zum heutigen Tag in UK noch nicht ein einziges Mal wirklich Diskriminierung aufgrund meiner Herkunft erfahren. Nicht einmal beim Fußball, wenn England gegen Deutschland spielt. Das heißt aber nicht, dass es anderen Europäern nicht passiert. Gerade viele Osteuropäer sind Diskriminierungen ausgesetzt und die Zahlen an Hasskriminalität sind explodiert nach dem Referendum.

Aktionismus statt beleidigte Leberwurst

Nach etwa vier Monaten nach dem Referendum wich mein Gefühl, einfach nur beleidigt zu sein, dem Aktionismus. Ich wollte nicht tatenlos zusehen, wie eine Gruppe von Bürgern, zu der ich absurderweise gehöre, so zum Sündenbock gemacht wird. Ich fand eine Gruppe auf Facebook, die sich gerade gegründet hatte, in der Anwälte kostenlos Rechtsberatung für EU-Bürger anbieten, die eine Aufenthaltsgenehmigung oder Staatsangehörigkeit beantragen wollen. Die Idee dahinter: Natürlich den Menschen in Zeiten des Brexit Sicherheit zu geben, aber auch sie zu Wählern zu machen. Der Gedanke gefiel mir und ich beschloss, selbst Wählerin zu werden. Dafür brauchte ich einen britischen Pass.

Mir war meine Staatsangehörigkeit nie sonderlich wichtig. Sie ist in erster Linie bequem und ich habe Glück mit meinem deutschen Pass. Aber ich habe nichts dafür getan, diesen zu bekommen. Bei Menschen, die betonen, dass sie stolz auf ihre Staatsangehörigkeit sind, frage ich mich immer, ob sie sonst noch nie etwas im Leben geleistet haben, wenn sie auf etwas stolz sind, für das sie genau nichts getan haben. Insofern habe ich nie den Gedanken gehabt, mit einem britischen Pass meine deutsche Staatsangehörigkeit zu entwerten oder sowas. Ein Pass ist für mich in erster Linie ein Reisedokument.

Wie Asterix in Rom

Mit dem britischen Pass ist das aber ein bisschen anders. Dafür habe ich wirklich viel geleistet. Es hat mich Monate gekostet, Papiere zusammenzutragen für die Aufenthaltsgenehmigung. Ohne Aufenthaltsgenehmigung, keine Staatsangehörigkeit. Ich musste zu einem Englischtest, weit unter meinem Niveau, der 10 Minuten dauerte, aber sage und schreibe umgerechnet rund 180 Euro kostete. Ich musste einen „Life in the UK“-Test bestehen. Mehr als 1000 Antworten auswendig lernen. 90 Prozent der Fragen haben mit dem alltäglichen Leben in Großbritannien nichts zu tun.

Am Ende muss man dann den Antrag auch noch korrekt stellen, muss seine biometrischen Daten abgeben und wenn man akzeptiert wurde, eine Zeremonie besuchen und einen Eid ableisten. Aber ich war so motiviert, endlich wählen zu dürfen, ich bin wirklich über jede Barriere gesprungen, die sich mir in den Weg gestellt hat. Das Englischtestcentre zum Beispiel, die sofort meinen Testtermin stornierten als sie hörten, dass ich Rollstuhlfahrerin bin. Oder die Tatsache, dass es keinerlei Informationen über das „Life in the UK“-Testcentre gab und ich einfach vorher hinfahren musste, um zu überprüfen, dass es barrierefrei ist. Ich kam mir vor als sei ich die erste Rollstuhlfahrerin, die in diesem Land britische Staatsangehörigkeit beantragt.

Text für den Eid

Ausdauer und Geld

Und neben Ausdauer braucht man natürlich auch Geld. Alles in allem hat mich der ganze Vorgang rund 2000 Pfund gekostet. War es das wert? Auf alle Fälle! Ich bin jetzt nicht mehr von launischen Verhandlungsrunden in Brüssel abhängig. Ich bin kein Faustpfand mehr in unsäglichen Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien. Ich kann das Land auch verlassen so oft und so lange ich will und bin nicht mehr an Aufenthaltsregeln gebunden oder an die maximale Dauer von Auslandsaufenthalten bevor man seinen Status wieder verliert. Ich könnte jetzt also auch einfach gehen und in zehn Jahren wiederkommen. Wenn der Brexit kommt, wäre das so einfach nicht mehr möglich.

Außerdem habe ich einen großen Spaß daran, jedem im politischen London aufs Brot zu schmieren, dass ich jetzt wählen darf, sollte es zu einem zweiten Referendum oder gar Neuwahlen kommen und viele Tausende Neueingebürgerte aus der EU ebenfalls.

Ich hoffe, dass noch viele Tausende EU-Bürger sich ebenfalls dazu entschließen, britische Staatsangehörige zu werden. Allein der Gedanke, dass man eine Gruppe an Menschen loswerden will und die stattdessen künftig mitbestimmen dürfen, erfüllt mich mit großer Genugtuung. Die Facebookgruppe, mit der alles anfing und die ich unterdessen mitadministriere, hat seit ihrer Gründung mehr als 1000 Menschen zur Aufenthaltsgenehmigung und / oder zur Staatsangehörigkeit verholfen.

Der Pass wird niemanden vor Diskriminierung auf der Straße schützen, aber er ist ein Pass zu mehr Rechten. Rechte, die ich mir vielleicht nie gesichert hätte, wenn man nicht damit gedroht hätte, bereits vorhandene Rechte zu beschneiden.

Wahlen, Inklusion und die britische Polizei

Wahlen

Behinderte an Wahl gehindert
Während manche Europäer wohl gleich zwei Mal gewählt haben, hat man behinderte Menschen in Brandenburg an der Wahl gehindert.

Gesundheit

UK child death rate among worst in western Europe Nur in Malta sterben in der EU noch mehr Kleinkinder vor dem 5. Lebensjahr als in Großbritannien. Grund: Armut. Unfassbar.

Inklusion

Der lange Weg zur Inklusion
Benedikt Lika ist einer der tollen Menschen, die man einfach so in diesem Internet trifft. Seit 2007 hat sich der Dirigent mit dem Projekt „Roll and Walk“ in seiner Heimatstadt Augsburg einen Namen gemacht. Er bietet einerseits jungen talentierten Musikern eine Plattform in seinem Orchester, anderseits möchte er insbesondere Menschen mit Behinderung den Zugang zur klassischen Musik eröffnen. Außerdem ist er seit kurzem Mitglied des Stadtrats nachdem ihn die Augsburger weit vorne auf die Liste katapultierten. So geht Inklusion.

Down’s Syndrome student held in cell for nine hours after going into school on Bank Holiday Monday to retrieve his favourite baseball cap
Ein Junge mit Down-Syndrom bricht an einem schulfreien Tag in seine Schule ein, weil er seine Kappe dort vergessen hatte, an der er so hängt. Die Londoner Polizei nimmt ihn fest und hält ihn neun Stunden lang fest bis die Schule und ein Anwalt intervenieren können. So geht Inklusion nicht.

Lernen behinderte Kinder an Regelschulen besser? Die Wissenschaftler vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen kommen zu dem Schluss, dass Kinder mit Förderbedarf mehr und besser lernen, wenn sie mit nichtbehinderten Kindern gemeinsam unterrichtet werden. Na welch Überraschung!

Notting Hill, britische Akzente und Air Canada

Notting Hill

Notting Hill Film Locations – Self-Guided Walking Tour

Sobald das Wetter es erlaubt, mache ich die „Notting Hill“-Tour. Ich liebe den Film und muss schon immer schmunzeln, wenn ich am Hotel „Ritz“ vorbeikomme…

Akzente

A tour of the British Isles in accents – YouTube
Wer dachte, nur in Deutschland würde überall anders gesprochen. Von wegen…

Air Canada

Air Canada apologizes after staff abandoned disabled violinist Itzhak Perlman at Pearson airport | National Post
Air Canada apologizes to Itzhak Perlman | Toronto Star

Dass Airlines behinderte Passagiere nicht immer fürstlich behandeln, ist bekannt. Ist der Fluggast aber behindert und prominent, kann das sehr unangenehm werden, rein pr-technisch.

Dann mach ich’s eben selber

UpDownLondonAls ich vor einiger Zeit in Wien war, zeigte mir Martin Updownvienna.com. Das ist eine Webseite, mit der man auf einen Blick sehen kann, welche Fahrstühle im Wiener U-Bahn-Netz kaputt sind.

Ich wollte so etwas auch für London haben und fing an, Transport for London damit zu nerven. Ich weiß, dass TfL alle seine Lifts überwacht und die Informationen vorliegen hat. Sie lassen sie sogar auf ihre Webseite fließen, aber versteckt in viel Text und schon gar nicht so, dass man es auf einen Blick sieht. Zudem twittert TfL wenn ein Lift außer Betrieb ist, allerdings auch nur versteckt zwischen anderen Tweets. Aus Gründen, die mir bislang verborgen geblieben sind, twittern sie sogar mehr Liftstörungen als sie auf ihrer Webseite erwähnen.

Zu wissen, welche Lifts nicht gehen, ist als Rollstuhlfahrer oder gehbehinderter Passagier bei der Routenplanung extrem wichtig, sonst bleibt man irgendwo vor einem defekten Lift stehen statt einfach eine andere Route nehmen zu können. In London muss TfL zudem ein Taxi zahlen, wenn es keine direkte Buslinie zur Station mit dem defekten Lift gibt. Wenn man also weiß, wo ein Lift kaputt ist, kann man das mit dem Taxi schon gleich an der ersten Station organisieren.

Ein Jahr lang bat ich immer wieder darum, diese Informationen auf der Webseite doch übersichtlicher zugänglich zu machen. Ich sprach mit Managern, Direktoren und alle lächelten mich immer freundlich an „Jaja, machen wir“. Irgendwann lud man mich zu einem Termin ein, die Beta-Version ihrer neuen Webseite anzuschauen. Voller Vorfreude suchte ich nach Liftinformationen und sie waren noch bescheuerter zu finden als zuvor. Wer es mal ausprobieren möchte: Hier klicken und dann jede einzelne Stationsinformation durchlesen. „Auf einen Blick“ geht anders.

Nach einer abendlichen Facebook-Diskussion zu dem Thema dachte ich mir „Dann mach ich’s halt selber“. Ich fing erst an, mit Yahoo Pipes rumzuspielen. Es musste doch möglich sein, die Daten zusammenfließen zu lassen. Das ging auch, aber TfL hat auch einen Open Data-Feed. Nur ich hatte keine Ahnung davon, wie man auf die Daten zugreift und sie auswertet.

Aber ich bin gut vernetzt in London, kenne sehr viele Menschen im Bereich Verkehr, darunter auch ein paar richtige Geeks. Ich mailte meine Transport-Geek-Freunde an und fragte, ob jemand jemanden kennt, der sich damit auskennt. Es dauerte nur wenige Stunden, da meldete sich Kirk bei mir, ein Transport- und Open-Data-Entwickler, der sofort bereit war, mir zu helfen.

Innerhalb von 24 Stunden setzten wir die Webseite UpDownLondon.com auf – in Ahnlehnung und mit freundlicher Genehmigung von UpDownVienna. Er schrieb ein Programm, um die offiziellen Daten auszuwerten und zusätzlich überwacht das Programm die Twitter-Accounts von Transport for London. Uns entgeht so also nichts.

Nach zwei Wochen Probelauf waren wir sicher, dass die Software ordentlich läuft und ich fing an, die Seite zu bewerben. Unser Glück war, dass Londonist die Geschichte aufgriff, ein sehr beliebtes Nachrichtenportal für London. So war es einfach, ganz schnell viele Leute zu erreichen. UpDownLondon läuft jetzt seit ein paar Wochen einwandfrei und die Reaktionen waren ganz toll. Wir bekommen E-Mails von Rollstuhlfahrern, die uns für den Service danken und ich bin zur Stammnutzerin meiner eigenen Seite geworden und stehe seitdem vor keinem defekten Lift mehr. Man muss Dinge einfach manchmal selber machen statt darauf zu warten, dass sie passieren.

Journalismus, James Bond und ich

Als ich vor fast 7 Jahren nach London ging, habe ich weder damit gerechnet, an der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele teilzunehmen noch damit, nach den Spielen einmal für die BBC in James-Bond-Manier die öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt zu testen. Aber genau das habe ich im Juli gemacht. Der Film lief vergangenes Wochenende im Frühstücksfernsehen bei BBC One und in der Sendung BBC Fast Track auf BBC World News.

Das Konzept des Films: Ex-Paralympics-Sportler Ade Adepitan und ich rasen von einer ehemaligen Olympiastätte zu einer London2012-Olympiastätte – er mit dem Handbike, ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Politik betont immer wieder die Nachhaltigkeit der Spiele und wie viel sich seitdem in London geändert hat. Das haben wir getestet. Das Ergebnis seht Ihr hier:

Ade brauchte rund 30 Minuten weniger als ich. Ich war bei 30 Grad und einer irren Hitze in der U-Bahn fast zwei Stunden unterwegs, musste zwei Busse und zwei U-Bahnen nehmen um barrierefrei von A nach B zu kommen – eine Strecke für die man als nicht behinderter Passagier rund 45 Minuten gebraucht hätte.

Das Team

Um diesen Film machen zu können, hatten wir eine Armee an Leuten um uns herum. Ich habe schon viel fürs Fernsehen gearbeitet, in Deutschland und in UK, aber das war wirklich auch für BBC-Maßstäbe ziemlich cool. Wir hatten mehrere Kameraleute und Producer. Vor Ade fuhr ein Team mit einem Audi, in dessen Kofferraum eine Kamera und ein Kameramann saß. Außerdem hatte Ade eine James-Bond-mäßige Kamera an seinem Bike und ein Mikrofon.

Die Gadgets

Ich hatte ebenfalls eine Kamera am Rollstuhl. Die war kaum größer als ein Daumennagel. Die hatten wir mit Black Tack (das ist so schwarzes Kaugummiband) auf Kniehöhe meines Rollstuhls festgemacht. Zudem hatte ich ein Mikrofon auf der Brust. Ein Kameramann hatte ein Hemd mit einem Knopf, in den eine winzige Kamera eingebaut war. Die Kabel waren unter dem Hemd, der Kontrollmonitor in einer Umhängetasche. Eine Producerin hatte eine Kamera, die ungefähr so groß war wie eine übergroße Streichholzschachtel in der Hand. Und es gab auch normal große Kameras.

Der Grund für unser James-Bond-Auftreteten war, dass die BBC von den Verkehrsbetrieben niemals eine Drehgenehmigung für so einen Film bekommen hätte und es natürlich möglichst authentisch sein sollte. Kein Mitarbeiter hätte mich einfach stehen lassen, wie es in dem Film zu sehen ist, wenn sie gewusst hätten, sie werden gefilmt. Und bestimmt hätten sie kein ungeschultes Personal da hingestellt.

Journalismus zum Thema Barrierefreiheit mit richtig coolen Gadgets, bei strahlendem Sonnenschein und einem klasse Team – das hat richtig Spaß gemacht und ich glaube, das merkt man dem Film auch an.

Wie barrierefrei ist London?

Update: Aus diesem Blogeintrag ist unterdessen eine eigene Webseite entstanden: London barrierefrei.

Eigentlich sollte dieser Blogeintrag schon vor Monaten erscheinen, um ehrlich zu sein, noch vor den Olympischen Spielen. Ich wollte schon länger eine Liste mit den wichtigsten Dingen aufschreiben, die man in Bezug auf London und Barrierefreiheit wissen sollte, da ich immer mehr Anfragen dazu bekomme. Hier ist also die ultimative Liste mit dem, was man über London und seine Barrierefreiheit wissen sollte (neue Punkte sind fett markiert):

Allgemein

  • London ist barrierefreier als sein Ruf.
  • Planung schadet aber dennoch nicht.
  • Es gibt viel mehr barrierefreie Toiletten als auf dem Kontinent. Auch in Einrichtungen, in denen man als Kontinentaleuropäer keine barrierefreie Toilette vermuten würde, gibt es oft eine. Einfach fragen!
  • Der Euroschlüssel, den man auf dem Kontinent hat und der einem Zugang zu Behindertentoiletten gibt, heißt hier Radarkey und sieht anders aus. Bestellen kann man ihn hier.
  • Alle Ampeln in Großbritannien sind barrierefrei. Unterhalb des gelben Kastens gibt es einen Kegel, der sich dreht. Auf dem Boden befinden sich taktile Platten, um die Ampel auch für blinde Menschen auffindbar zu machen.
  • Es ist gesetzlich verboten, behinderte Menschen zu diskriminieren. Unternehmen, die es doch tun, machen sich schadenersatzpflichtig.
  • Qualifizierte und gekennzeichnete Assistenzhunde dürfen daher in jede Einrichtung, jedes Geschäft oder Restaurant.
  • An den meisten Kassen und Informationsschaltern gibt es Induktionsanlagen für schwerhörige Menschen. Einfach nach dem Ohr mit T-Symbol Ausschau halten und das Hörgerät auf T schalten.
  • Viele Restaurantketten (z.B. Cafe Rouge, Nando’s oder Pizza Express) haben auch Speisekarten in Braille. Einfach nachfragen.
  • Ich habe bei Foursquare diverse Listen mit barrierefreien Plätzen in London angelegt.
  • Wer medizinische Hilfe benötigt, kann sich als EU-Bürger kostenfrei vom National Health Service behandeln lassen. Für Notfälle sind, wie in Deutschland, die Notaufnahmen (Accident & Emergency) zuständig, wer weniger dringend Hilfe braucht, kann sich an ein Walk-In-Centre wenden. Ich habe mit dem Walk-In Centre in Soho gute Erfahrung gemacht. Die können auch Rezepte ausstellen. Zur kostenlosen Behandlung EHIC-Karte nicht vergessen, sonst zahlt man 75 Pfund!

Öffentliche Verkehrsmittel

  • Am schnellsten kommt man vom Flughafen Heathrow mit dem Heathrow Express in die Stadt. Billiger ist es aber mit der U-Bahn. Alle Stationen in Heathrow sind barrierefrei. Wer lieber mit dem Heathrow Express fährt und während der Fahrt den Rollstuhl nicht verlässt, kann für sich und eine Begleitperson eine ermässigte Fahrkarte kaufen (Disabled Discount). In dem Fall braucht man keine Disabled Railcard.
  • Transport for London hat umfangreiches Kartenmaterial, das man sich an jedem Ticketschalter kostenlos geben lassen kann.
  • Es gibt Karten in Großdruck, mit verschiedenen Kontrasten, Karten mit barrierefreien Toiletten und sogar einen akustischen U-Bahnplan.
  • Dieses Material von Transport for London gibt es auch online.
  • Alle Londoner Busse sind barrierefrei und haben Rampen, die automatisch ausfahren.
  • Die meisten Rampen befinden sich an der hinteren Tür des Busses. Einfach dem Busfahrer ein Zeichen geben und er fährt sie aus.
  • Rollstuhlfahrer zahlen in Londoner Bussen grundsätzlich nichts, egal ob Londoner oder nicht.
  • Das gilt nicht für alle anderen Verkehrsmittel wie U-Bahn, DLR oder Overground.
  • Eine Begleitperson ist in London in öffentlichen Verkehrsmittel nie frei. Am besten kauft man sich eine Oyster-Karte, lädt sie auf und fährt sie ab. Das ist am preiswertesten.
  • Auf der Webseite von Transport for London kann man sich barrierefreie Verbindungen raussuchen lassen.
  • Das geht auch telefonisch unter 0843 222 1234
  • Außerdem hat die Organisation Transport for All, für die ich ehrenamtlich arbeite, umfangreiche Informationen online.
  • Transport for All hat auch eine Hotline, an die man sich wenden kann, wenn man Hilfe bei der Planung braucht oder die einem hilft, wenn man ein Problem hat, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen: +44 20 7737 2339. Es gibt die Organisation auch auf Twitter unter @transportforall und Facebook Außer mir spricht da allerdings niemand Deutsch, also Anfragen bitte in Englisch stellen.
  • Es gibt tolle Apps, die einem die Planung sehr vereinfachen. Nur eine kleine Auwahl: Mit Travel Deluxe kann man seine Route (barrierefrei) planen, Bus Checker zeigt an, wann der nächste Bus kommt (geht auch mit Voice Over) und Bus Mapper hilft einem, die passende Busroute zu finden.
  • Londons U-Bahnsystem ist nur bedingt barrierefrei. London hat 270 Stationen, davon sind derzeit 66 stufenlos per Rampe oder Lift zugänglich.
  • Seit den Olympischen Spielen gibt es an manchen Stationen so genannte Platform Humps, also Bahnsteigerhöhungen, z.B. in Green Park Station, Earl’s Court (Piccadilly Line) und Brixton. Unbedingt die Beschilderung an den Stationen dazu beachten.
  • Außerdem gibt es manuelle Rampen, die an den Zug angelegt werden können, an manchen Stationen. Derzeit sind das: Hammersmith, King’s Cross St. Pancras, West Ham, Westminster, Southfields, Wimbledon, Earl’s Court, Fulham Broadway, Stratford, Woodford, Oxford Circus, Queen’s Park, Edgware, Morden, Finchley Central und Stockwell. Einfach einen Mitarbeiter an der Startstation ansprechen, auch wenn man die Rampen nur an der Zielstation braucht. Die funken die Kollegen dann an.
  • Stationen, die mit einem weißen Rollstuhlfahrer-Symbol gekennzeichnet sind, haben eine große Stufe in die Bahn, aber zum Bahnsteig kommt man stufenlos.
  • Stationen, die ein blaues Rollstuhlfahrer-Symbol haben, haben einen ebenerdigen Einstieg in die Bahn.
  • Der Osten Londons ist erheblich barrierefreier als der Westen.
  • Alle Stationen der Docklands Light Railway (DLR) sind barrierefrei und haben einen fast ebenerdigen Einstieg.
  • Zu fast allen Stationen fahren auch Busse. Allerdings dauert die Fahrt mit dem Bus wegen des dichten Verkehrs oft ewig.
  • Ist ein Lift an einer Station defekt und gibt es keine direkte Alternative per Bus, zahlt Transport for London ein von ihnen gebuchtes Taxi. Einfach beim Stationsmanager melden.
  • Transport for London hat diverse Videos produziert, die erklären, wie man in London barrierefrei voran kommt.

Taxis

  • Alle London-Taxis (Black cabs genannt) sind barrierefrei. Das heißt, sie haben Rampen, die angelegt werden können. Die Türen kann man aushängen, so dass sich die Türöffnung vergrößert.
  • Alle Taxis haben zudem eine ausklappbare Stufe, um den Einstieg für gehbehinderte Menschen zu erleichtern. Manche haben einen drehbaren Sitz.
  • Taxifahrern droht Lizenzentzug und/oder ein Bußgeld, wenn sie einen wegen eines Assistenzhundes oder aufgrund der Behinderung nicht mitnehmen wollen.
  • London hat derzeit zwei Taxi-Apps, die ich beide empfehlen kann: Hailo und GetTaxi. Ich persönlich nutze Gettaxi.

Mit dem Auto nach London

  • Wer seinen Londonaufenthalt nicht im Auto verbringen möchte, dem rate ich dringend davon ab, mit dem Auto in die Innenstadt zu fahren. Es staut immer und überall.
  • London hat furchtbar komplizierte Parkregeln für behinderte Menschen, die von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich sind. Wer es dennoch versuchen will, dem empfehle ich den Blue Badge Parking Guide für London. Da stehen alle Regelungen drin – allerdings muss man selber rausfinden, in welcher Gemeinde man sich gerade befindet.

Unterkunft

  • Es gibt zahlreiche Hotels mit barrierefreien Zimmern. Hilfreich ist es, wenn das Hotel auch an einer barrierefreien U-Bahnstation ist oder zumindest relativ zentral liegt.
  • Ich habe gute Erfahrungen mit den Ketten Holiday Inn Express und Premier Inn gemacht. Im oberen Preissegment ist es gar kein Problem, barrierefreie Hotelzimmer zu finden.

Kultur

  • Viele kulturelle Einrichtungen bieten spezielle Angebote für behinderte Menschen. Museen bieten so genannte „Touch tours“ an, es gibt Theatervorstellungen mit Untertitel, in Gebärdensprache oder mit Audiodeskription. Wann und wo es diese Vorführungen gibt, kann man bei Access London Theatre nachsehen.
  • Manche Einrichtungen bieten Rabatt für Menschen mit Behinderungen an. Manchmal ist die Begleitperson auch frei, aber nicht immer. Einfach fragen.
  • Die meisten großen Theater und Einrichtungen haben ein so genanntes „Accessibiliy Statement“ auf ihrer Webseite, wo sie erklären was sie für Barrierefreiheit tun, wohin man sich wenden muss, wenn man die Rollstuhlplätze reservieren möchte oder welchen Service sie sonst noch anbieten, was sehr hilfreich ist vor dem Besuch.
  • Die meisten Sehenswürdigkeiten sind barrierefrei. Selbst historische Gebäude wurden, wenn es irgendwie möglich war, barrierefrei umgebaut. English Heritage hat eine gute Übersicht über Barrierefreiheit ihrer Sehenswürdigkeiten auf der Webseite.

Sprache

  • Die Briten sind sehr hilfsbereite Menschen und fragen eher einmal zu viel als einmal zu wenig. Es ist aber kein Problem, das Hilfsangebot mit „No, thank you. I’m fine“ abzulehnen.
  • Wenn man um etwas bittet oder sogar etwas fordert, sollte man das dennoch, wenn möglich, immer als Frage formulieren („Could you open the ramp, please?“).
  • Das Wort „handicap“ ist im Englischen verpönt. In Großbritannien wird es in Bezug auf behinderte Menschen so gut wie gar nicht mehr genutzt. Richtig ist „disability“ oder „disabled“.

Viel Spaß in London!

Die Liste wird weiter ergänzt, wenn mir noch weitere Punkte einfallen, die mir wichtig erscheinen.

Danke, 2012! Du warst großartig

Ich kann gar nicht glauben, dass dieses absolute megahammertolle Jahr 2012 in weniger als 24 Stunden vorbei sein soll. Das war mit Abstand das ereignisreichste und tollste Jahr meines Lebens – und wer mich kennt, weiß, dass ich vorher auch kein Kind von Traurigkeit war.

Natürlich waren die Olympischen und Paralympischen Spiele ein Erlebnis, das sehr schwer zu toppen sein wird. Ich sitze immer noch quiekend vor dem Fernseher, wenn ein Ausschnitt der Eröffnungsfeier gezeigt wird. Ich glaube, das wird auch noch eine Weile so bleiben. Ich bin immer noch stolz, mit Danny Boyle gearbeitet zu haben, der gerade einen Ritterschlag durch die Queen abgelehnt hat.

Es war einfach eine ganz tolle Zeit, diese „größte Show“ der Welt vorzubereiten. Ich war gerade mit einem Großteil „meines Bettes“ – also der Gruppe mit der ich als Krankenschwester um ein Bett getanzt habe – zum Weihnachtsessen und wir waren uns alle einig, was für ein unglaubliches Glück wir hatten, dabei gewesen zu sein und dann noch in einer so tollen Rolle.

Christiane und andere Darsteller

Zwei Choreographen von London2012 Ceremonies haben die „Post Olympic Dance Group“ (POD) gegründet, in der ich seit Sommer tanze. Das ist ein richtig tolles Projekt, an dem etwa 200 ehemalige Ceremonies-Tänzer teilnehmen – aus allen vier Ceremonies ganz unterschiedliche Leute. Ich bin übrigens die einzige Rollstuhlfahrerin und es macht viel Spaß. Unser erster Auftritt war zum Auftakt der Weihnachtsshopping-Saison auf der Kreuzung Oxford Street / Regent Street zusammen mit McFly.

Überhaupt kann ich mich über mangelnde Bühnenpräsenz dieses Jahr nicht beklagen. Das Jahr endete mit einem Konzert in der Royal Albert Hall. Über meinen Chor, mit dem ich auch bei der Paralympics Opening Ceremony gesungen habe und der im März ein Konzert in der Royal Festival Hall gegeben hat, bekam ich eine E-Mail, ob einige von uns Lust hätten, bei einem Wohltätigkeitskonzert in der Royal Albert Hall zu singen. Ich habe sofort zugesagt. Die Royal Albert Hall ist mein Lieblingskonzertsaal und ich fand toll, da mal auf der Bühne zu stehen. Das war ein super Abschluss des Jahres.

Royal Albert Hall

Auch erfreulich ist, dass ich nur eine Woche vor Weihnachten meine Zeitung verkauft habe. Ich habe fünf Jahre lang die einzige deutschsprachige Zeitung in Großbritannien herausgegeben. Ich hatte nach diesem so ereignisreichen Jahr das Gefühl, dass es Zeit ist, die Zeitung abzugeben. Ich fühle mich nicht mehr als Einwanderin, ich bin Teil der britischen Gesellschaft geworden und wenn dann jemand da ist, der die Zeitung gerne übernehmen würde, umso besser.

Aber keine Angst, mir wird nicht langweilig 2013. Ich habe die letzten Jahre schon für deutsche Medien gearbeitet und aus UK berichtet, vor allem für die Nachrichtenagentur epd. Und wenn die britische Regierung weiter um die Homo-Ehe streitet, ein Untersuchungsausschuss nach dem anderen Medienskandale unter die Lupe nimmt und die Church of England zum x-ten Mal Frauen als Bischöfe ablehnt, gehen mir auch die Themen nicht aus.

Außerdem bin ich seit ein paar Wochen im Vorstand von „Transport for All„, einer Organisation, die sich für barrierefreie öffentliche Verkehrsmittel in London einsetzt und den Verkehrsunternehmen ordentlich Dampf macht.

Was wünsche ich mir für 2013?

Dass die Post Olympic Depression nicht gar so schlimm wird – weder für UK und noch für mich persönlich. Und dass es weniger regnet als 2012. Und dass ich genauso viele nette Stunden mit tollen Menschen verbringen kann wie 2012. Am besten sogar mehr.

Lindy Hop und Danny Boyle für alle

Seit Monaten freue ich mich, endlich diesen Blogeintrag schreiben zu dürfen und jetzt weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich möchte Euch unbedingt von den letzten drei Monaten berichten – wohl die Intensivsten in meinem Leben bislang – und wie ein Sportmuffel wie ich durch eine Verkettung von glücklichen Umständen plötzlich bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele tanzen durfte.

Alles fing im März 2011 an als mich meine Freundin Maria Zedda fragte, ob ich mir vorstellen könne, Mitglied einer Gruppe zu werden, die gemeinsam mit der Olympiagesellschaft Maßnahmen erarbeitet, um die Olympischen und Paralympischen Spiele barrierefreier für behinderte Menschen zu machen und mehr behinderte Menschen dafür zu begeistern.

Als Sportmuffel zu Olympia

Ich fand, sie hätte niemand Unpassenderen fragen können als mich, denn ich interessierte mich bis zu diesem Zeitpunkt weder für Sport noch die Olympischen Spiele. Dem Behindertensport stehe ich sogar recht kritisch gegenüber. Ich bin nicht gerade ein Fan der Paralympics. Aber ich bin ein sehr neugieriger Mensch und fand dann doch sehr interessant, was hinter den Kulissen von solch einem Event passiert. Deshalb sagte ich zu.

Im Rahmen dieser Arbeit bekam ich alle Pressemitteilungen vorab zu sehen, die die Olympiagesellschaft vor den Spielen verschickt hat. Irgendwann im November flatterte eine Pressemitteilung in mein Postfach, in der stand, dass man Freiwillige für die Eröffnungszeremonie suchte. Man musste keinerlei Vorwissen mitbringen, nur Spaß am Tanzen haben. Damit konnte ich dienen. Ich hasse zwar Sport, aber ich tanze sehr gerne. Und so kam es, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben an einem Vortanzen teilnahm.

Es gab spezielle Termine für behinderte Bewerber, aber auf der Bewerbungswebseite stand auch, dass man durchaus auch an jedem anderen Termin teilnehmen könne. Da ich ja eine große Anhängerin von Inklusion bin, ging ich nicht zum Termin für behinderte Teilnehmer sondern zu dem für alle. Das Vortanzen war toll. Wir übten eine Choreographie ein, ich setzte sie, so gut ich konnte, in Rollstuhlbewegungen um und hoffte, dass das reicht, um weiterzukommen. Ich tanzte zum ersten Mal in meinem Leben mit einem professionellen Tänzer – zu Parklife von Blur in der Dauerschleife. Das Lied werde ich nie mehr vergessen. Zudem war es ein Massentanz mit 200 anderen Bewerbern. Ich war die einzige Rollstuhlfahrerin, aber fand, es war Inklusion pur. Ich hatte so etwas noch nie zuvor gemacht, aber die Reaktionen der anderen Bewerber waren toll. Niemand hatte Angst mit mir zu tanzen. Jeder tat es so gut er es konnte. Ich kam nach den zwei Terminen nach Hause und dachte, selbst wenn ich nicht angenommen werde, das Vortanzen alleine war schon ein Erlebnis.

Tanzen bis zum Umfallen bei Ford

Ein paar Wochen nach dem Vortanzen rief mich die Castingchefin an und besprach mit mir zwei Rollen, die ich haben könne. Eine Passive in der Abschlusszeremonie oder eine sehr trainingsintensive aktive Rolle in der Eröffnungszeremonie. Ich wusste sofort, was ich machen möchte. Und dann ging es eine Woche später auch schon los. 1 – 2 Mal Training pro Woche, teilweise ganztägig und im strömenden Regen bis zur Erschöpfung. Am Ende hatten wir dann sogar noch mehr Termine. Und so verbrachte ich meine Wochenenden seit April auf einem Freigelände der Ford-Werke in Dagenham, später im Stadion.

Wie unsere Proben aussahen, sieht man auf diesem Video.

Jreena Green, die Lindy Hop-Queen

Neben mir gab es noch eine andere Rollstuhlfahrerin in unserem Teil, der dem nationalen Gesundheitsdienst NHS gewidmet war. Toll fand ich, dass niemand auf die Idee kam, uns als Patientinnen einzusetzen sondern als Krankenschwestern wie alle anderen auch. Überhaupt waren die Proben, was den künstlerischen Teil angeht, eines der inklusivsten Erlebnisse meines Lebens. Wir hatten eine Tanztrainerin, die die Schritte der Choreographie mit uns in Rollstuhlbewegungen umgesetzt hat und uns wirklich nicht geschont hat. Ihr Name ist Jreena Green und sie ist für mich persönlich die Heldin dieser Eröffnungszeremonie. Wir hatten genau die gleiche Choreographie wie alle anderen auch – von Lindy Hop bis zum Zombie-Tanz. Sie hat von Anfang an verstanden, was Inklusion bedeutet und hat das konsequent umgesetzt. Ich hatte zudem einen super Tanzplatz in der ersten Reihe direkt vor der Queen und der VIP-Tribüne.

Danny Boyle ist zudem ein großartiger Regisseur. Ich habe am Anfang gar nicht damit gerechnet, ihn überhaupt zu treffen. Aber er war bei jeder Probe dabei, war immer ansprechbar, hat uns nach unserer Meinung gefragt, Autogramme gegeben und Fotos gemacht.

Heiße Schokolade macht Flecken

Natürlich gab es auch weniger tolle Momente, z.B. als uns gesagt wurde, dass zwei Minuten unseres Auftritts gekürzt werden oder dass es keine heiße Schokolade mehr gibt, weil die Flecken aus den weißen Stadionsitzen nicht mehr rausgehen. Überhaupt war das Catering ein einziges Desaster. Ich kann für die nächsten fünf Jahre keine Sandwichs mehr sehen und auch keine [hier den Namen eines Sponsoren einsetzen] – Chips. Und auch die Transportorganisation war am Anfang zum Haare raufen. Aber am Ende haben sie es dann doch noch hingekriegt.

Lustig war übrigens manchmal die Reaktionen der Leute, denen ich erzählte, dass ich gerade für die Eröffnungszeremonie trainiere. Meistens dachten die Leute, es geht um die Paralympics. Rollstuhlfahrerin = Paralympics. Klar. Dabei hatte diese Show so viele behinderte Darsteller. Ich kenne allein 10 weitere Leute mit sichtbaren Behinderungen – Rollstuhlfahrer, eine blinde Frau mit Hund, mehrere Leute mit Down Syndrom, einige gehörlose Tänzer und nicht zu vergessen der Kinderchor mit hörenden und gehörlosen Kindern, die die Nationalhymne sangen und gebärdeten. Das ist Inklusion!

Zu hohe Anforderungen?

Ich erwähne dennoch, dass ein Verband behinderter Künstler kritisierte, die Hürde, um bei der Eröffnungszeremonie dabei zu sein, sei zu hoch gewesen. Zu viele Trainingstermine – wir probten über 150 Stunden – und sehr hohe Anforderungen. Ich muss sagen, das stimmt, was meine Rolle angeht. Wir durften nur zwei Mal fehlen, sonst wurden wir ausgeschlossen vom Auftritt. Aber ich habe auch nie um Erleichterung diesbezüglich gebeten. Ein älterer Herr aus dem „Green and Pleasant“-Teil erzählte mir jedoch, dass er schon aussteigen wollte, weil ihm das mit seiner Arthritis zu viel wurde, aber einer der Choreographen sofort zu ihm kam und sagte, er soll nur dann kommen, wenn er denkt, er fühle sich fit. So hat er einige Proben verpasst, aber sie haben dann individuell mit ihm gearbeitet.

Das nimmt mir niemand mehr

Ich habe die letzten Monate sehr viel Zeit mit sehr vielen netten Menschen verbracht. An unserem Trampolinbett tanzten fünf weitere Leute. Ich habe Freunde fürs Leben kennen gelernt, nicht zuletzt meine Tanzpartnerin Gill, mit denen ich jetzt ein einmaliges Erlebnis teile. Dafür bin ich unendlich dankbar. Es war harte Arbeit, aber am Ende war es das wert. Als ich nach meinem Auftritt auf der Fototribüne saß (ja, jetzt fragt nicht, wie ich da hin gekommen bin) und mir den Rest der Show ansah, war ich in erster Linie stolz. Stolz, in einem so tollen Land zu leben, bei der größten Show der Welt dabei gewesen zu sein und stolz darauf, einfach das Beste mitzunehmen, was einem das Leben bietet. Und jetzt bin ich einfach nur dankbar. Das nimmt mir niemand mehr.

P.S.: Dieser Blogeintrag muss wegen der Social-Media-Richtlinien der Olympischen Spiele leider ohne eingebundene Fotos auskommen. Es ist mir zu riskant, irgendwelche Fotos zu verwenden.