Archiv für 20.1.2011

Barrierefrei fliegen à la bmi

Ich habe schon sehr lange die Meinung, dass die Fluggesellschaften es sich und ihren Kunden unnötig schwer machen, was die Verbesserung von Barrierefreiheit für behinderte Passagiere angeht. bmi hat mir nun endgültig gezeigt, dass ich recht habe und es auch anders geht, wenn man nur will und ein bisschen mitdenkt.

A320 von bmi
Foto: bmi

Ich war letzte Woche in Berlin und bin mit bmi von London-Heathrow nach Tegel geflogen. Und ich glaube, ich habe einen kleinen Ausblick bekommen, wie Barrierefreiheit in Zukunft bei Airlines umgesetzt wird. Ich hoffe es jedenfalls!

Die Buchung

Es ist immer noch nicht selbstverständlich, dass die Buchung problemlos läuft, wenn man eine Behinderung hat. Die Beförderungsbedingungen mancher Airlines darf man sich eigentlich gar nicht durchlesen, sonst dürfte man gar kein Ticket kaufen, wenn man eine Behinderung hat. Als ich das letzte Mal mit Easyjet geflogen bin, habe ich ihnen schriftlich per Einschreiben mitgeteilt, dass ich ihre Beförderungsbedingungen nicht akzeptiere (sie verlangen eine Begleitperson, wenn man nicht laufen kann). Erstaunlicherweise haben sie mich tatsächlich transportiert und meine Ablehnung akzeptiert. Vielleicht weil ich gleichzeitig die Equality und Human Rights Commission eingeschaltet hatte.

Bei bmi war das alles kein Problem. bmi ist eine der wenigen Airlines in Europa, die mich bereits bei der Online-Buchung anmelden lässt, dass ich Rollstuhlfahrerin bin und Assistenz benötige. Ich war so skeptisch, dass das wirklich klappt, dass ich nachgesehen habe, ob das IATA-Zeichen WCHC (für Rollstuhlfahrer) tatsächlich eingetragen wurde. Und siehe da: Es war eingetragen.

Der Check-In

Dann bekam ich 24 Stunden vor Abflug eine Mail, ich könne online vorab einchecken, auch mit Gepäck. Ich kenne bislang keine Airline, die mich online eincheckt. Wenn WCHC eingetragen ist, wird der Online-Checkin abgelehnt. Nicht so bmi. Ich konnte mich nicht nur selber einchecken, sondern mir auch noch einen Sitzplatz aussuchen. Ich wählte also einen Fensterplatz in der ersten Economy-Reihe. Übrigens ist die Webseite von bmi auch noch einigermaßen barrierefrei.

Gepäck

Dann kam ich am Flughafen an und sagte, dass ich nur Gepäck abzugeben habe. Ich sei bereits eingecheckt. Man brachte mich zu einem Schalter für Passagiere, die bereits eingecheckt waren, ich gab mein Gepäck ab, mein Rollstuhl bekam einen Anhänger (Tag) und ich konnte gehen. Endlich mal zeitsparend einchecken wie jeder andere Vielflieger auch! Das geht deshalb, weil es in Heathrow (wie auch an vielen anderen europäischen Flughäfen) ein „Special Assistance“-Desk gibt, wo man Assistenz anfordern kann. Ich ging also mit meiner selbst ausgedruckten Bordkarte da hin, sagte ich sei WCHC und bekam Assistenz.

Boarding

Am Gate angekommen, begrüßte mich die verantwortliche Mitarbeiterin und sagte mir, man habe meinen Sitzplatz geändert. Der Flieger sei sehr leer und man habe mir Sitzplatz 1C, also in der ersten Reihe gegeben. In dem Moment war mir klar, dass ich eigentlich gar keine Assistenz brauchte. Ich konnte mit meinem eigenen Rollstuhl zum Sitzplatz fahren und mich umsetzen. Es musste nur noch jemand den Rollstuhl wegnehmen und verladen.

Der Rückflug

Der Rückflug überraschte mich dann noch einmal. Es gibt in Tegel keinen Schalter, um Assistenz anzufordern, was sicherlich auch an der ungewöhnlichen Struktur des Flughafens liegt – Gepäck wird am Gate eingecheckt. Als ich die Bordkarte ziehen wollte (ich hatte wieder meinen Sitzplatz gewählt und eingecheckt), sagte mir der Automat, ich solle mich am Gate melden wegen der Assistenz. Das tat ich auch und es war wieder kein Problem. Die Assistenz kam und die beiden Männer waren genauso überrascht wie ich als wir das Flugzeug sahen.
Es war ein Flugzeug mit neuer Bestuhlung und zumindest der Gang in der Businessclass (wo ich abermals sitzen durfte) war so breit, dass mein eigener Rollstuhl hinein passte. Ich schätze, er war etwa 70 cm breit. Obwohl ich in Reihe 7 saß, konnte ich wieder mit dem eigenen Rollstuhl zum Sitz fahren. Mein Rollstuhl ist 63cm breit. Das ist für mich wirklich Luxus, nicht auf so einem doofen Bordrollstuhl festgeschnallt zu werden.

Die Zukunft

Ich glaube fest daran, dass die Zukunft des Fliegens genau so aussehen wird: Die Leute melden ihre Bedürfnisse online an, hinterlassen eine Telefonnummer für Rückfragen und bekommen am Flughafen Assistenz, wenn sie sie brauchen. Leute wie ich werden mit ihrem eigenen Rollstuhl zum Sitz fahren können. Das Kabinenlayout von bmi zeigt, wie das geht. Und dann kommt ein Packer oder Rampagent und nimmt den Rollstuhl weg. Das spart Kosten (Callcentre, Assistenz) und Zeit. Mit der ständig wachsenden Anzahl an behinderten Reisenden sind es genau solche Lösungen, die sich in Zukunft durchsetzen werden. Ich hoffe es jedenfalls!

Disclosure: bmi ist eine Tochter der Lufthansa, die wiederum ein Kunde von mir ist. Ich habe aber keine direkte Geschäftsbeziehung zu bmi.

Wann wird die ARD barrierefrei, Frau Piel?

Sehr geehrte Frau Piel, mit Interesse habe ich Ihre Interviews zum Beginn Ihrer Amtszeit als ARD-Vorsitzende gelesen. Unter anderem äußern Sie sich zum neuen Gebührenmodell, bei dem künftig auch blinde und gehörlose Menschen GEZ-Gebühren zahlen sollen. Ich sage Ihnen ganz offen, ich habe damit überhaupt kein Problem, wenn diese Menschen auch die gleiche Leistung bekommen wie nicht behinderte Gebührenzahler. Die Tagesschau hat gerade ihre erste App für iPhone & Co. veröffentlicht. Es ist kein Hexenwerk, die App so zu entwickeln, dass sie auch die von Apple standardmässig im iPhone integrierte Sprachausgabe (VoiceOver) unterstützt. Damit könnten auch blinde und sehbehinderte Menschen die App nutzen.

Schon kurz nach der Veröffentlichung der App war klar, die Software ist für blinde Menschen völlig wertlos. Sie ist so programmiert, dass die Sprachausgabe weder das Navigieren noch Vorlesen unterstützen kann. Ich habe über Twitter meinen Unmut darüber ausgedrückt und „gut unterrichtete Kreise“ informierten mich darüber, dass man das schlicht „vergessen“ habe. Wie man das im Jahr 2010 im Pflichtenheft vergessen kann, wo doch die Barrierefreiheit im Rundfunkstaatsvertrag festgelegt ist, wundert mich allerdings schon.

Ich bot den „Kreisen“ an, der Tagesschau kostenfrei bei der Änderung behilflich zu sein. Nach wenigen Tagen meldeten sich die „Kreise“ wieder und teilten mir mit, bei der Tagesschau bestehe kein Interesse, die App dahin gehend zu ändern.

Ich habe mein Hilfsangebot auch noch einmal im Tagesschau-Blog als Kommentar hinterlassen und eindringlich gebeten, die App zugänglich zu machen. Keine Reaktion. Wie darf ich das verstehen? Behinderte
Menschen sollen zwar Gebühren zahlen, aber das heißt nicht, dass
sie die Angebote im gleichen Umfang nutzen dürfen?

Ihre Kollegen bei der BBC haben übrigens auch eine App für BBC News mit ganz ähnlichen Funktionen wie die Tagesschau-App. Und wissen Sie was? Ich kenne blinde Menschen in England, die diese auf dem iPhone haben. Sie ist einigermaßen barrierefrei und übrigens kostenfrei.

Und wo wir gerade bei der Barrierefreiheit bei der ARD sind: Mir ist klar, warum gehörlose Zuschauer künftig nur 1/3 der GEZ-Gebühren zahlen müssen. Die öffentlich-rechtlichen Sender untertiteln ja auch nur 1/3 des Programms. Das Erste hat 2009 33 Prozent des Programms untertitelt. Mit Verlaub, ich halte das für einen Skandal. Jeder gehörlose Mensch, der eine Weile in Großbritannien oder in den USA war, kommt zurück nach Deutschland und fragt sich: „Warum können die Deutschen das nicht – 100% des Programms untertiteln?“. Die BBC untertitelt selbst Konzerte und im ganzen Land laufen auf Flughäfen, in Lounges und Wartezimmern Fernseher mit Untertitel, damit man durch den Ton nicht gestört wird. Die ARD untertitelt nicht einmal alle Informationssendungen und dann teilweise in haarsträubender Qualität. Schauen Sie sich mal eine ihrer aktuellen Sendungen nur mit Untertitel an!

Und von Audiodeskription, also der Bildbeschreibung für blinde Menschen, oder gar Gebärdensprache rede ich schon gar nicht. Nach
meinen Beobachtungen
ist durchschnittlich nur eine Sendung pro Tag mit Audiodeskription versehen. In UK ist unterdessen 20 Prozent des Fernsehprogramms mit Bildbeschreibungen verfügbar. Mich ärgert an der Debatte um die Tagesschau-App vor allem, dass bereits über neue Einnahmequellen geredet wird, bevor die ARD (gleiches gilt allerdings auch für das ZDF) überhaupt ihrer Aufgabe der Grundversorgung nachgekommen ist – und zwar für alle Menschen. Also, wann wird die ARD barrierefrei, Frau Piel?

Update:
Der technische Leiter von Tagesschau.de hat in den Kommentaren zugesichert, dass es in den nächsten Wochen ein Update geben wird, das die Sprachausgabe unterstützt.