Archiv für 30.8.2010

Der Countdown läuft

Im Sommer 2012 finden in London die Olympischen und paralympischen Spiele statt. In der Stadt läuft der Countdown. Das Foreign Office, also das britische Außenministerium hat aus diesem Anlass gerade einen Image-Film mit Tanni Grey-Thompson produziert, der derzeit auf den Webseiten der britischen Botschaften zu sehen ist. Darin berichtet die rollstuhlfahrende Sportlerin über das Vereinigte Königreich und wie sich die Einstellung zu behinderten Menschen verändert hat – und natürlich über ihren Sport.

Anmerkung: Da der automatisch generierte Untertitel von YouTube offensichtlich kein britisches Englisch mag und völlig unverständlich ist, habe ich den Text transkribiert (unter dem Video) und das Außenministerium gebeten, ihn ins Video einzubinden.

Text des Videos:

Britain is a pretty good place to be if you are a disabled person in terms of sport where the envy of the world in terms of our support structures, our media coverage, the games that we’re going to be hosting, we’re using as a platform to show the world what we can achieve.

And actually, you know, in the outside world, away from sport, it’s still one of the best countries to be in. Racing is amazing because it’s speed, it’s fair, if you are on a road race you can be going downhill at 50mph, 2ft from the ground. And your breaks don’t really work. It’s exhaustion, it’s elation, so many different things all wrapped up together. And if you’re competing on the track that can happen in 20 seconds. It’s the most amazing thing. But the outside world is so different from that.

My family was so supportive of me during the thing I wanted to do. And they brought me up to believe if somebody had an issue with my impairment it was their problem not mine.

When I was young, literally I couldn’t go out because there weren’t accessible toilets.

Cinemas didn’t allow disabled people in on their own without adults with them. And you look back now and it’s actually quite scary: That was only 30, 35 years ago. And at the time when disability was thought about very differently, they encouraged me to explore and to leave home and to travel, believing that the world would have to change, that it wasn’t me. There was nothing wrong – me being in a wheelchair.

I never set out to try to change the world. I set out to become the best athlete I possibly could. Realisation that I can actually become Number 1 in the world I think took quite a long time to come to me because it was always looking at steps, it was about improve my world ranking, it was making about the next games. When I got older it was when I recognised I had certain strength and been able to trying encourage people to change their attitudes towards disability.

Britain has so much to be proud of in terms of its understanding disabled people. But also in terms of putting disability sport on the map, because it was in Britain that the Paralympic Games began. And sport has really led the way – underpinned by an awful lot of disabled people who’ve helped make it happen. It’s led the way in terms of showing what’s an inclusive world can look on.

The opportunity to host the Olympics and Paralympics in London was one that anybody involved in sport wanted to be part of, because it was about showing the world how good we are organising things. We’re are passionate about sport. We’re passionate about doing things properly, about building lovely venues. But it’s not just that. It’s about how we change the City of London, how we change the rest of the UK.

London – in fact any old city – is huge challenge to adapt and to modernise because there is this sort of amalgamation of different historical and architectural designs. And we have a lot of rules what you can adapt and how you can adapt it. That can be really difficult.

But there has been kind of stat changes either through acts of parliament or just people’s understanding that have made people’s lives easier.

I think if you ask people from outside Britain what we’re like as a nation there might be a thought that we’re resistant to change. But acutually as a country I think we are very dynamic, we are very forward thinking, we are very inclusive, we try to make decisions that are the best for the most number of people. And that’s actually a very exciting country to be part of because we have this huge amount of history and culture. But actually we’re all looking forward to see what we can do in the future to make life better for everybody.

Barrierefreiheit als Hotelmarketing-Konzept

Den ersten Kontakt mit „Holiday Inn“-Hotels hatte ich wohl in den USA als ich dort das erste Mal war. Preisgünstig und so gut wie immer barrierefrei. Ich war ab und an immer mal wieder in den Hotels, vor allem in den USA. Als wir dann nach Australien fuhren, blieben wir fast die ganze Zeit in immer anderen Hotels der Kette, denn wir wussten, sie sind barrierefrei. Ich kann mich nicht erinnern, dass das damals besonders beworben wurde. Es war einfach so und mir gefiel das.

Als ich in England eine Wohnung suchte, verbrachte ich auch Zeit in einem „Express by Holiday Inn“-Hotel. Warum? Ich wusste, sie waren barrierefrei und ich war alleine unterwegs und wollte keine Experimente machen.

Dann begegnete ich „Holiday Inn“ auf einer Messe hier in England – einer Messe, die ähnlich wie die Rehacare in Düsseldorf, in erster Linie Hilfsmittel präsentiert. Es war die Naidex in Birmingham. Dort erzählte man mir, man werde jetzt in immer mehr Hotels in Großbritannien Lifter vorhalten, damit auch Leute, die mit einem Lifter ins Bett gehoben werden müssen, diesen nicht immer mitschleppen müssen. Nicht jeden behinderten Menschen kann man mal einfach so ins Bett oder im Bad heben, vor allem wenn nur eine Assistenz dabei ist und er selber nicht mithelfen kann. Ich brauche zwar keinen Lifter, aber ich fand es natürlich dennoch super.

Peterborough

Dann waren wir vor ein paar Wochen in Peterborough im Norden Englands. Ich wollte auf eine Messe auf denen Autoumbauten für behinderte Autofahrer präsentiert werden. Wir buchten ziemlich kurzfristig, bekamen aber noch ein barrierefreies Zimmer. Am Tag der Anreise bekam ich einen Anruf (ich hatte online gebucht), ob ich wirklich das barrierefreie Zimmer brauchte. Ich sagte, das dem so sei und man sagte mir, das sei in Ordnung. Sie wollten bei Onlinebuchungen nur sicherstellen, dass nicht jemand anderes das Zimmer bucht. Ansonsten seien die barrierefreien Zimmer weg, wenn sie wirklich jemand braucht, der darauf angewiesen ist. Da war ich schon recht beeindruckt. Es dachte jemand mit.

Im Falle eines Falles…

Beim Einchecken erlebte ich etwas, was ich noch nie irgendwo erlebt habe – und ich kenne hunderte Hotels: Man gab mir ein Formular, das meinen Assistenzbedarf im Notfall abfragte. Also, kann ich im Falle eines Feuers Treppen gehen oder nicht? Reise ich alleine? Wenn nicht, brauche ich zur Evakuierung dennoch jemanden zusätzlich? Etc.

Das Hotel war nicht neu und hatte mehrere Ebenen und Stockwerke. Unser Zimmer lag im Hochparterre und war über einen Treppenlift aus der Lobby erreichbar. Zudem gab es einen weiteren Ausgang, eigentlich ein Notausgang, direkt gegenüber unseres Zimmers und davor einen weiteren Behindertenparkplatz. An den Behindertenparkplätzen war ein wies ein Schild darauf hin, dass man gerne die Rezeption anrufen könne, wenn man Hilfe benötige samt Telefonnummer.
Eingang mit Parkplatz

Die Zimmer

Dann ging es weiter: Natürlich war das Zimmer wirklich barrierefrei – für Rollstuhlfahrer, blinde Menschen (Braille etc.) und gehörlose Gäste (Lichtsignalanlage). Es gab einen eigenen Evakuierungsplan für Rollstuhlfahrer.
Evakuierungsplan

Der Fernseher hatte Kanäle mit und ohne Untertitel einprogrammiert.

Programmliste

Ein Hinweisschild erläuterte das. Man musste also nicht erst die Fernbedienung studieren, um Fernsehen mit Untertitel zu schauen. In der Hotelbroschüre im Zimmer gab es umfangreiche Informationen zur Barrierefreiheit. Man wies darauf hin, dass der Fitnessbereich aufgrund des Alters des Hotels nicht barrierefrei sei, aber man die Eintritts- und Fahrtkosten zum nächsten barrierefreien Fitnesscentre übernehmen werde. Am meisten beeindruckt hat mich aber der Wasserkocher mit dem Hinweis, dass wenn man diesen nicht bedienen könne, man kostenfrei den Zimmerservice in Anspruch nehmen könne.

Wasserkocher

Und dabei geht es nicht einmal um die 2 Euro, die vielleicht ein Tee kosten würde, sondern um die Liebe zum Detail. Da hat echt jemand mitgedacht!

Dann sind wir also zu der Messe gefahren. Und wer hatte wieder einen Stand dort? Genau. Die „InterContinental Hotel“-Gruppe (IHG), zu der „Holiday Inn“-Hotels gehören. Es ist ganz klar, die haben behinderte und ältere Menschen als Zielgruppe entdeckt und setzen das jetzt professionell, wie es sich für eine solche Hotelgruppe gehört, um. Interessant fand ich dabei, dass die meisten Sachen, die ich so positiv fand, gar nicht viel bis nichts an Kosten für das Hotel verursachen. Einen Fernseher so zu programmieren, dass er auch für gehörlose Gäste bequem bedienbar wird? – Peanuts. Ein Schild, dass man gerne einen Tee aufs Zimmer bringt? – Peanuts. Und hinzu kommt, viele Leute werden das gar nicht in Anspruch nehmen, weil sie es nicht brauchen. So wie ich. Dennoch ist der positive Effekt bei allen Gästen gegeben. Denn was kann einem Hotel besseres passieren als den Eindruck zu erwecken „Die kümmern sich wirklich um alles.“

Die Zeiten ändern sich

Manchmal hat man ja den Eindruck, es geht in Bezug auf Barrierefreiheit und der gleichberechtigten Teilhabe nichts voran. Wenn man manche Dinge aber mit etwas Abstand betrachtet, stimmt das so gar nicht. Gesetze ändern sich, Menschen ändern sich und manchmal auch Unternehmen. Ein Verlag, der mich 1997 noch als studentische Hilfskraft ablehnte, weil ich Rollstuhlfahrerin bin, gibt 2010 ein Buch zum Behindertengleichstellungsrecht in Deutschland heraus, Herausgeber ist ein Rollstuhlfahrer. Die Zeiten ändern sich. Es ist manchmal gut, sich das vor Augen zu führen.