Archiv für 27.1.2009

Europameister im Aussortieren

DER SPIEGEL hat jahrzehntelang die deutsche Behindertenpolitik völlig ignoriert. Ich hatte vor ein paar Jahren mal das SPIEGEL-Archiv nach Artikeln zur Behindertenpolitik durchsucht und habe so gut wie nichts gefunden. Jetzt ist Anfang Januar ein Artikel erschienen, wie ich ihn noch nie in irgendeiner Zeitung oder in einem Magazin in Deutschland gelesen habe: Es geht um die systematische Ausgrenzung behinderter Menschen in Deutschland. Und er ist so gut und hintergründig geschrieben, dass ich dem SPIEGEL fast verzeihe, die letzten Jahre nichts dazu geschrieben zu haben. Besonders freue ich mich über einige Beispiele, die mir bekannt vorkamen *hüstel*.
Ulrike Demmer hat den Nagel genau auf den Kopf getroffen. Nun hoffe ich sehr, dass der Artikel eine breite Debatte auslöst und vor allem die Damen und Herren Sonderpädagogen mal über ihre Zukunft und die Verantwortung ihres Berufsstandes nachdenken.
Der Artikel ist meines Erachtens einer der wichtigsten und ehrlichsten Artikel zur Situation behinderter Menschen in Deutschland, der in den letzten Jahren erschienen ist. Deutschland als „Europameister im Aussortieren“ zu bezeichnen ist mutig, aber ich fürchte, es trifft den Nagel auf den Kopf.

Make it happen

Make it happen“ (übersetzt etwa „Lass es wahr werden“ oder „Lass es uns anpacken“) lautet der Werbeslogan der Royal Bank of Scotland (RBS). Ein britischer Richter hat die Bank jetzt beim Wort genommen und einem 17-jährigen Rollstuhlfahrer Schmerzensgeld zugesprochen, der seine Bankgeschäfte bei RBS auf der Straße machen musste. Die Filiale in seiner Nähe ist nicht barrierefrei, obwohl die Bank bei ihren Informationen über die Filiale etwas anderes angegeben hatte. Dass er nicht in die Filiale kommt, sei ein Verstoß gegen das britische Behindertengleichstellungsgesetz (DDA). Kein behinderter Kunde dürfe schlechter behandelt werden als ein nicht behinderter Kunde. Der junge Mann bekommt jetzt 6500 Pfund Schmerzensgeld und die Bank muss bis September einen Lift nachrüsten. Alles nachzulesen in der Pressemitteilung der Equality and Human Rights Commission.

Londons neuer U-Bahn-Plan

London hat einen neuen U-Bahn-Plan für behinderte Fahrgäste. Man kann jetzt sehen, wie groß die Höhendifferenz zwischen Bahnsteig und Zug ist. Das ist schon mal ein Anfang. Jetzt müssen sie die Differenz nur noch beseitigen.
Ganz einfach zu lesen, ist der Plan nicht. Es wird mit Buchstaben, Farben, Kreisen und Achsen gearbeitet. Kann keiner sagen, behinderte Menschen würden von Transport for London unterschätzt.

Nicht wert, gerettet zu werden

Wer einen Krankenwagen ruft, geht davon aus, dass die Sanitäter alles tun werden, um das Leben des Menschen zu retten. In England gibt es gerade Entsetzen darüber, dass eine Krankenwagenbesatzung bei Ankunft wohl entschieden hat, der Mann sei nicht wert, gerettet zu werden. Der Mann war behindert, sein Haus in ungepflegtem Zustand. Er hatte noch selber 999 angerufen, weil er glaubte einen Herzinfarkt zu haben. Der Mensch in der Leitzentrale unterhielt sich mit ihm bis zum Eintreffen der Sanitäter. Inzwischen war der Mann ohnmächtig geworden, aber die Telefonverbindung stand noch. Und so konnte die Zentrale mit anhören, wie die Sanitäter sich über den Zustand des Hauses unterhielten und den Mann sterben ließen anstatt ihm zu helfen. Sie sollen auch gesagt haben, man werde später angeben, der Mann sei bei Eintreffen schon tot gewesen. Da es sich um einen Anruf bei 999 handelte, ist das Gespräch aufgezeichnet worden. Nun ermittelt die Polizei.

Seit Monaten kann man keine Zeitung aufschlagen ohne irgendetwas pro aktive Sterbehilfe bei behinderten und kranken Menschen zu lesen. Radiomoderatoren verkünden, sie wollten lieber sterben als behindert zu sein. In solch einem Klima glaubt vielleicht der ein oder andere, er sei auf der richtigen Seite, wenn er einem „sowieso schon behinderten und alten Mann“ nicht mehr hilft. Liz Carr hat einen sehr guten Artikel im Guardian dazu geschrieben, wie behinderte Menschen derzeit in den Medien dargestellt werden – als Superhelden bei den Paralympics oder als lebensmüde Sterbehilfeaktivisten.

Jahresrückblick 2008

Zugenommen oder abgenommen? Ich glaube weder noch.

Haare länger oder kürzer? Genauso kurz. Aber ich habe jetzt ne echt nette Friseurin.

Mehr Kohle oder weniger. Weniger.

Mehr ausgegeben oder weniger? Gleich viel.

Der hirnrissigste Plan? Zu glauben, dass eine Autoladung ausreicht für das, was noch in unserer Wohnung in Hamburg steht.

Die gefährlichste Unternehmung? Eine Zeitung zu gründen.

Mehr Sport oder weniger? Gleich viel. No sports.

Die teuerste Anschaffung? Mein Nokia E71.

Das leckerste Essen? Echtes Schweizer Käse-Fondue, gekocht von Tom. Rezept steht in der Dezember-Ausgabe von „The German Link“.

Das beeindruckenste Buch? Deutschland Schwarz Weiß von Noah Sow.

Das enttäuschendste Buch? The Man Who Owns the News.

Der ergreifendste Film? Die Weggeworfenen.

Die beste CD? Ich glaube, ich habe dieses Jahr keine einzige CD gekauft.

Die meiste Zeit verbracht mit…? Arbeiten.

Die schönste Zeit verbracht mit… ? Artur.

Vorherrschendes Gefühl 2008? Stolz, etwas gewagt zu haben.

2008 zum ersten Mal getan? Eine Zeitung gegründet.

2008 nach langer Zeit wieder getan? In Wien gewesen, gleich zwei Mal.

3 Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen? Erkältung, Stress, Steuererklärungen.

Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte? Werbung in meiner Zeitung zu buchen.

Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe? Anerkennung.

Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat? Die Nominierung (und die Ernennung) zur Female Entrepreneur of the year.

Der folgenreichste Satz, den jemand zu mir gesagt hat? Sie akzeptieren das Angebot.

Der folgenreichste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe? Ich würde Dich gerne übernehmen.

2008 war mit 1 Wort…? eine Herausforderung.

Vorsätze für 2009? Weniger arbeiten, mehr delegieren, mal wieder richtig Urlaub machen.

via Vorspeisenplatte

Das amerikanische Visum und die Bundespolizei

Ich war zwecks Wohnungsauflösung in den vergangenen Tagen zwei Mal in Hamburg – jedes Mal per Auto. Bei unserer ersten Tour nahmen wir die Fähre von Harwich nach Hoek van Holland. Es war eine ziemlich nervige Fahrt, denn in den Niederlanden standen wir in nicht weniger als sieben Staus. Ich wusste gar nicht, dass so viele Staus in so ein kleines Land passen. Wir waren gegen 21 Uhr in Deutschland und die Autobahn wurde an der Grenze auf eine Fahrspur verengt. Man durfte nur noch 60 km/h fahren. Kaum hatte ich die Grenze passiert, überholte mich bereits ein Polizeiwagen und zeigte mir an, dass ich folgen solle. Das ist ja genau das, was man gerne erlebt, wenn man bereits stundenlang im Stau stand.
Der Beamte stellte sich als „Bundespolizei“ vor und wollte unsere Pässe, Führerschein und Fahrzeugpapiere sehen, fragte nach Waffen und Drogen. Dann verschwand er mit unseren Papieren wieder ins Auto und die Überprüfung dauerte ewig. Wir dachten, das sei wegen der portugiesischen Papiere meines Freundes. Da irrten wir uns gewaltig!
„Arbeiten Sie für die Presse?“, fragte mich der Polizist als er wieder an mein Fenster trat. Ich muss sagen, da war ich ziemlich überrascht. Aber nicht so überrascht, dass ich nicht gleich antwortete: „Ja, das tue ich. Woher wissen Sie das?“. Ich dachte an die Überprüfung von Verfassungsschutz bei einer Veranstaltung mit Gerhard Schröder, bei der ich für dpa war. Oder die Überprüfung für den Presseausweis des Bundestages. Vielleicht war das irgendwo vermerkt, dass ich überprüft worden bin. Aber dann sagte der Beamte: „Ich habe gesehen, dass Sie ein US-Visum haben, das fünf Jahre gültig ist. Da hat mich mal interessiert, warum Sie das haben.“ Das ist ja auch enorm wichtig, wenn man von den Niederlanden nach Deutschland einreist!
Aber gut, dass er nicht auch noch mein indisches Visum unter die Lupe genommen hat. Der Datenaustausch mit den Indern klappt sicher nicht so gut wie mit den Amerikanern.