Archiv für 27.2.2008

Erdbeben in London

Hier gab es gerade ein Erdbeben. Ich dachte erst, ich bin verrückt, aber mein Rollstuhl bewegte sich als ich am Tisch saß ohne mein Zutun. Dann dachte ich, mir sei schlecht. Dann knackten alle Fenster und der Boden wackelte. Ich kann noch nichts dazu in den Medien finden (es ist jetzt 1:23), aber bei BBC sind die meist gelesenen Artikel gerade Artikel zu Erdbeben. Ich bin also nicht die Einzige, die das mitbekommen hat.

Update: So, die BBC ist aufgewacht. Es war ein Erdbeben der Stärke 4.7. Das Epizentrum war in Kingston-upon-Hull, was etwa 200 Meilen von Greenwich entfernt ist.

Update2: Die Behörden haben ihre Angaben korrigiert. Es war ein Beben der Stärke 5.3 und damit das Stärkste seit 25 Jahren in Großbritannien.

Es geht los

Wer sich in den letzten Monaten gefragt hat, was ich eigentlich in England so treibe, dem kann ich heute eine Antwort darauf geben. Ich arbeite seit August nicht mehr für BBC, sondern habe eine eigene Firma gegründet, die Ortegalink Ltd. Im März werde ich eine Monatszeitung für die deutschsprachige Community auf den Markt bringen. Sie heißt „The German Link“ und wird logischerweise auf Deutsch erscheinen. Ich erfülle mir gerade einen Lebenstraum, denn als Journalistin gibt es nichts schöneres als sein eigenes „Baby“ zu haben. Ich habe, glaube ich, nur in meinem Volontariat so viel gearbeitet wie die letzten Wochen, aber es macht mir riesig Spaß. Und ja, die Zeitung erscheint auf Papier.

Also, wer abonnieren will, hier gehts lang. Anzeigen verkaufen wir natürlich auch.

Mein Dank geht an alle Leute, die mich bis heute bei diesem Projekt unterstützt haben und an mich glauben.

Bald nur noch barrierefreie Wohnungen und Häuser?

In England sollen ab 2010 nur noch altersgerechte Häuser und Wohnungen gebaut werden. Das ist jedenfalls der Plan der Regierung. Neue Wohnungen und Häuser sollen 16 Punkte erfüllen, um sicherzustellen, dass die Menschen auch im Alter in ihren Wohnungen bleiben können. Dazu zählt, dass es im unteren Geschoss ein Bad geben sollte, in das ein Rollstuhl passt und die Treppe breit genug für einen Treppenlift ist.

Das ist doch mal ein weiser Plan. Es ist mir ein Rätsel, wie Deutschland in 20 Jahren damit umgehen will, dass so viele Leute im Alter nicht mehr in ihrer Wohnung bleiben können. Ich kann auch Leute nicht verstehen, die sich in ihrer zweiten Lebenshälfte Wohneigentum anschaffen, das nur über Stufen zu erreichen ist und definitiv im Alter zum Problem wird.

Behinderte Menschen profitieren natürlich auch von dieser Regelung, denn sie finden leichter Wohnraum und können ihre Freunde besuchen. Ich kenne die Wohnungen der meisten Freunde in Deutschland nicht. In England ist das schon jetzt anders, weil die bauliche Situation ein wenig günstiger ist als in Deutschland. Viele Leute wohnen in Häusern mit maximal einer Stufe. Ein Problem sind und bleiben aber die viktorianischen Häuser, wobei ich auch da schon ganz pfiffige Lösungen gesehen habe.

Mit dem Fake-Blindenhund auf Reisen

Ich bin ja einiges gewöhnt, was Spam angeht, aber die Mail, die mich vorhin erreichte, die musste ich zwei Mal lesen, um zu glauben, was da steht. Sie war an meinen Freund gerichtet. Lest selbst:
Sehr geehrter Herr A.,

Sie werden sich sicher wundern, von mir (unbekannterweise) zu hören. Im Internet sind wir durch Zufall auf Sie gestoßen. Wir haben eine ganz ungewöhnliche Bitte und wenden uns deshalb vertrauensvoll an Sie.

Wir wollen ganz offen und ehrlich zu Ihnen sein. Mit unserer ganz lieben Golden Retriever Hündin planen wir eine
Übersiedlung nach Costa Rica. Unserer größtes Problem ist dabei der Transport unseres Tieres im Flugzeug. Da für uns der Transport im Frachtraum unmöglich erscheint, haben wir schon an den Transport per Schiff usw. gedacht. Doch alles war bisher
erfolglos. Bitte verstehen Sie uns jetzt nicht falsch. So haben wir auch bereits überlegt, einem sehbehinderten Menschen eine
Reise nach Costa Rica zu finanzieren, um es unserer Hündin zu ermöglichen, im Flieger oben im Flugzeug bei uns in einer Box
untergebracht zu sein. Dazu hatten wir uns auch bereits mit einem Blindenverein des Ortes in Verbindung gesetzt. Diese hatten Verständnis für unsere Situation und vermittelten auch einen Kontakt. Leider wurde aber trotzdem nichts daraus.

Da wir jedoch nichts unversucht lassen wollen, hier nun unsere Bitte. Wüssten Sie eventuell jemanden, der sich auf so ein Abenteuer einließe. Sie würden uns damit überaus behilflich sein. Jeder kleinste Hinweis würde uns helfen.

In der Hoffnung, von Ihnen zu hören, verbleibt
mit freundlichen Grüßen
(Name gelöscht)

Blindenführhunde und andere Assistenzhunde dürfen oben in der Kabine mitfliegen, weil sie speziell trainierte Hunde sind. Die Regelung heißt nicht „Jeder Blinde darf einen Hund mitbringen.“ Ich finde das ein ziemlich unmoralisches Angebot und verstehe nicht, warum dieser Hund nicht wie alle anderen auch unten im Gepäckraum mitfliegen kann. Die Ausnahme, dass Blindenhunde und andere Assistenzhunde oben mitfliegen dürfen, hat ihren Sinn und wird von den Fluggesellschaften akzeptiert. Sie zu missbrauchen gefährdet diese Regelungen. Und wer sagt mir, dass dieser Hund nicht vollgepumpt mit Drogen ist oder sonst irgendwas nicht mit ihm stimmt?

Aber ich bin sicher, gegen Geld werden sie jemanden finden, der das macht. Und die Fluggesellschaften werden, wenn sich die Geschichte rumspricht, künftig Papiere verlangen, die nachweisen, dass es sich um einen Blindenhund handelt.

Unterstützung behinderter Unternehmer in Großbritannien

Ich habe gerade einen sehr interessanten Anruf bekommen. Es gibt ja in Großbritannien eine staatliche Einrichtung, die Businesslink heißt und die Aufgabe hat, Gründer im ganzen Land zu unterstützen. Ich war bei denen auf mehreren Veranstaltungen und habe immer brav „Ja“ angekreuzt, wenn auf dem Feedbackbogen stand „Ist die Mehrheit des Managements ihrer Firma behindert?“. Nun bekam ich also heute diesen Anruf, wo man fragte, ob ich 10 Minuten Zeit hätte. Der britische Staat würde gerne etwas mehr über seine behinderten Existenzgründer wissen. Solche Fragen beantworte ich doch gerne.

Man wollte wissen, welche behinderungsbedingten Probleme man hat, die sich von denen nicht behinderter Gründer unterscheiden. Wie gut die Unterstützung durch staatliche Einrichtungen sei. Ob man das Antidiskriminierungsgesetz als hilfreich einschätze. Wie gut die Arbeit von Businesslink sei und was verbessert werden könne. Ob es genug Vorbilder gebe. Auf welche Hürden ich im Alltag stoße und wie die Reaktion der Leute ist, mit denen ich Geschäfte mache.

Ich habe dann am Ende gefragt, was sie mit den Antworten machen. Die Antwort: Es gebe in Großbritannien zunehmend behinderte Existenzgründer, die man besser unterstützen wolle, in dem man genauer analysiert, wo die Probleme und der Beratungsbedarf liegen und was verbessert werden muss.

Ende März endet das Steuerjahr hier. Jetzt zahle ich doch gleich viel lieber. Und es zeigt, dass dieses „Ticking the boxes“ doch einen Sinn hat.

Wenn Cousin und Cousine heiraten

In Großbritannien gibt es derzeit eine Diskussion darüber, wie man damit umgehen soll, dass Einwanderer aus Pakistan eine 13-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, ein behindertes Kind zu bekommen als der Rest der Bevölkerung. Verantwortlich dafür sei, dass es in deren Kultur üblich ist, dass Cousine und Cousin heiraten, schreibt die BBC.

Einer meiner interessantesten Recherchen bei BBC war für eine Sendung über das Thema Geschwisterliebe, ausgelöst durch das Verfahren in Deutschland gegen einen Mann, der erst im Erwachsenenalter seine Schwester kennen gelernt hat und mit ihr Kinder hat.

Es gibt durchaus geteilte Auffassungen darüber, wie man mit dem Thema umgehen soll und ich habe immer noch keine wirklich gefestigte Meinung darüber. Ist es wirklich ein medizinisches Problem oder nicht eher ein moralisches? Wären alle Bedenken aufgehoben, wenn es die behinderten Kinder nicht gebe? Und dann gibt es auch Wissenschaftler, die sagen, dass man nicht eindeutig nachweisen kann, dass die Behinderungen durch die innerfamiläre Fortpflanzung kommen.

Ich glaube, dass man das Thema nicht über gesetzliche Regelungen in den Griff bekommt. Deutschland ist übrigens eines der wenigen Länder, die geschwisterlichen Sex unter Strafe stellt. Ich frage mich, was der wahre Grund dafür ist. Eigentlich könnte es dem Gesetzgeber doch egal sein. Geht es also wirklich darum, behinderte Kinder zu verhindern?

Ich bin gespannt, wie die Debatte hier weiter geht. Letztendlich hilft wohl nur Aufklärung – wenn die Wissenschaft wirklich sicher ist, woher diese hohe Zahl an behinderten Kindern kommt. Die Entscheidung liegt dann aber immer noch bei den Paaren.

No step-free access

Ich schimpfe ja, wie alle Londoner, des öfteren über die U-Bahn hier. Ich muss aber sagen, ich bin in meinem Leben noch nie so oft U-Bahn gefahren wie im Moment. Seit dem Umzug nach Greenwich kann ich die Jubilee Line nutzen, die immerhin von Westminster bis Stratford nur barrierefreie Stationen hat und die mich in 3 Minuten zur Docklands Light Railway (DLR) bringt, die komplett barrierefrei ist. Der Osten Londons ist definitiv barrierefreier als der Westen. Man denkt, man wäre in einer anderen Stadt.

Gestern abend ist mir zum zweiten Mal eine Anzeige auf der Hinweistafel, auf der der nächste Zug angezeigt wird, aufgefallen. Dort stand, dass in Southwark der Lift derzeit nicht geht, weil er repariert wird. Die Lifte funktionieren hier so gut wie immer. Es gibt offizielle Statistiken dazu, in denen man nach U-Bahnlinie und Station sehen kann, wie oft der Lift außer Betrieb war. Diese Plakate hängen in den Stationen und alle Statistiken, die ich bislang gesehen habe, bewegen sich im 99%-Bereich. Wenn ein Fahrstuhl defekt ist, ist er wirklich innerhalb weniger Stunden repariert, außer man wartet auf ein Ersatzteil.

Gestern sah ich dann diesen Hinweis und dachte „Wie genial“. Das müsste man überall machen. Hamburg hat diese Anzeigen über den Bahnsteigen auch. Da wird irgendwas eingeblendet, aber nie welcher Fahrstuhl defekt ist. In Frankfurt sind die Fahrstühle ständig defekt. Ich war noch nicht ein einziges Mal in Frankfurt ohne dass ich nicht irgendwann vor einem defekten Fahrstuhl in der S- oder U-Bahn stand. Hinweise habe ich noch nie gesehen. In San Francisco habe ich gesehen, dass es in den Fahrstühlen aktuelle Hinweise gibt, an welcher Station die Fahrstühle gerade nicht gehen (mit Angabe der Uhrzeit). Hier wird es also über die Anzeige auf über dem Bahnsteig bekannt gegeben. Wenn denn mal wirklich ein Fahrstuhl nicht geht…

In London bekommt man übrigens auch relativ gute Informationen darüber, welche Rolltreppen gehen und welche nicht. Zum einen wird das in den Stationen durchgesagt und man findet es auf der Webseite von Transport for London.

„Freak“-Film beim Disability Film Festival unerwünscht

Die British Academy of Film and Television Arts (BAFTA) mag einen Film nicht, der beim Disability Film Festival laufen sollte und hat ihr Veto eingelegt. Es geht um den Film „The Last American Freak Show“ von Regisseur Richard Butchins. Butchins, der übrigens selbst eine Behinderung hat, schreibt in seinem Blog:

„After 3 days of trying Corinna Dowling, head of events at BAFTA and the person responsible for the decision, finally returned my calls to tell me that the ‘aesthetic’ of the film was wrong, that it was too explicit, raised too many questions and was too demanding for the event in question ( an event held at BAFTA to raise the level of awareness about disability in film etc ).“

Ich habe nur den Trailer zu dem Film gesehen und nehme stark an, dass ich den Film nicht wirklich toll finde, vielleicht sogar total bescheuert finde, wenn ich denn dann mal irgendwo sehen darf. Aber einen Film aus dem Programm zu nehmen, weil er zu viele Fragen aufwirft, finde ich schon bemerkenswert. Dass er behinderte Menschen diskriminiert, halte ich nicht für ausgeschlossen, aber wenn man dieser Meinung ist, dann muss man als BAFTA das auch so kommunizieren. Ich traue der hiesigen Zuschauerschaft zudem zu, auch mit diesem Film fertig zu werden, sollte er diskriminierend sein. Man ist hier fernsehtechnisch schlimmeres gewohnt, auch ganz ohne „Freaks“.

Hier ist der Trailer zum Film:

Camden Market brennt

Ich liebe Camden Market. Ich weiß noch wie ich mit 14 das erste Mal dort war und fand es einfach irre aufregend. Und heute mit 31 liebe ich Camden immer noch und es tut mir in der Seele weh, wenn ich die Bilder auf BBC News 24 sehe. Ich hoffe, dass niemandem etwas passiert ist (wobei ich das bei den Bildern kaum vorstellen kann). Und mir tun die Händler leid, die ihre Stände verloren haben. Ich hoffe, Camden bleibt wie es ist, auch wenn man sagen muss, dass die Märkte, was Feuersicherheit angeht, sicherlich nicht optimal sind.

Camden Town - altes Haus mit vielen Menschen an der Schleuse

Abnormally accessible

Am Freitag waren wir im Soho Theatre bei den Abnormally Funny People. Das Soho Theatre hatte mich im Vorfeld schon mit ihren Informationen zur Barrierefreiheit beeindruckt. So kann man zum Beispiel Karten per SMS bestellen, was nicht nur für gehörlose Theaterbesucher ziemlich praktisch ist.

Als wir ankamen, war der Saal noch nicht geöffnet und wir warteten vor der Tür. Der Produzent kam zu Artur (er hatte seinen Blindenstock gesehen) und fragte ihn, ob er schon mal reinkommen wolle, dann könnten sich die Comedians vorstellen und beschreiben, wie sie aussehen. Das fand ich schon sehr nett und aufmerksam. Wir gingen also gemeinsam rein und jeder stellte sich vor und beschrieb sich. Dann kam ein Beauftragter für Barrierefreiheit zu uns und fragte Artur, ob er einen MP3-Player haben möchte, auf dem beschrieben ist was gerade passiert. Er könne von Sketch zu Sketch vorspulen.

Ich fand das richtig klasse, dachte mir aber „Okay, das ist ein Kabarett von behinderten Comedians, ist klar, dass die auf Barrierefreiheit achten“. Wir wurden dann aber eines besseren belehrt. Am Ende kam die Frau zu uns, die die Audiodiskription produziert hatte, und fragte, ob alles okay gewesen sei. War es natürlich. Und dann sagte sie uns, dass jedes Stück, das im Soho Theatre aufgeführt wird, mindestens einmal mit Gebärdensprachdolmetscher und mit Audiodiskription aufgeführt wird. Im großen Saal mache man die Beschreibung live über eine Kopfhöreranlage, im kleinen Saal ginge das aber nicht und so teste man gerade die MP3-Player.

Die Aufführung war übrigens spitzenmäßig. Ich liebe britische Comedy, aber das war einfach großartig. Einer der Comedians war Paul Betney, den man unter anderem in dieser Werbekampagne sehen kann:

Mehr Videos mit Abnormally Funny Comedians gibt es hier.