Archiv für 29.10.2007

In der NHS-Augenklinik

Am Donnerstag war ich mit meiner besseren Hälfte in der Augenklinik. Bei Augenkliniken in Deutschland habe ich immer den Eindruck, der Archtitekt hat gedacht, die Patienten sehen eh nicht, dass das Gebäude hässlich ist. Augenkliniken sind immer hässlich. So auch in England. Artur ist blind und muss in eine NHS-Augenklinik, um ein CVI, ein Certificate of Visual Impairment, zu bekommen. Nur damit ist er gesetzlich blind in England.

Wir waren in der größten Augenklinik der Welt (laut Wikipedia), dem Moorfields Eye Hospital. Die Beschilderung war schon für mich lediglich Kurzsichtige ein Graus, aber mit Durchfragen fanden wir die richtige Abteilung. Alles war in hässlichem Braun gehalten, die einzelnen Abteilungen hatten unterschiedliche Farben. Warum man ausgerechnet in einer Augenklinik auf die Farben Rot und Grün zur leichteren Orientierung setzt, wird das Geheimnis des Architekten bleiben.

Artur meldete sich also in der Abteilung an und eine hochschwangere Mitarbeiterin führte ihn ins Behandlungszimmer. Dass das nicht so ihr Tag war, sah man ihr an. Sie forderte Artur auf, sich auf den Untersuchungsstuhl zu setzen und ließ ihn beim Hinsetzen gegen die Apparatur knallen. Er schlug sich die Nase auf, es blutete und er sollte eine schöne Wunde mitten im Gesicht mit nach Hause nehmen. Die Szene war filmreif. Wie man einen blinden Patienten führt, hatte die Mitarbeiterin offensichtlich nicht gelernt. Und dann stand sie da und sagte nichts, schaute ihn nur hilflos an wie er da so blutete. Artur sagte: „Ich denke, wir müssen das mal desinfizieren und etwas drauf machen.“ Die Mitarbeiterin ging also an den Erste-Hilfe-Kasten, der an der Wand hing und einen ähnlich schäbigen Eindruck machte, wie der Rest des Behandlungszimmers. Und, oh Wunder, der Verbandskasten war leer. Irgendwo fand sie aber doch noch etwas, um ihn zu verarzten.

Als sie Arturs Augen untersuchte, tupfte sie zwischendurch immer das Blut aus seinem Gesicht. Sehr schöne Szene! Dann wollte sie den Augeninnendruck messen. In Deutschland wird das seit Jahrzehnten mit einem Gerät gemacht, das kurz in die Augen pustet. Die Mitarbeiterin nahm aber ein Gerät, das ich in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen habe, und drückte auf Arturs Augen. Keine angenehme Prozedur…

Dann war er fertig und wir warteten auf den Augenarzt. Wir mussten nicht lange warten. Der Arzt saß in einem moderneren Raum und machte einen kompetenten Eindruck. Er stellte die richtigen Fragen und war sehr bemüht. Bei Augenärzten ist nicht immer sichergestellt, dass sie sich auch mit Blindheit auskennen. Wir hatten in Hamburg mal die Situation, dass ein Augenarzt nachdem (!) Artur sagte, was er hat, ihn aufforderte, die Buchstaben auf der Karte vor ihm vorzulesen. Aber der Augenarzt hier war kompetenter und beließ es bei den nötigsten Untersuchungen.

Und dann passierte etwas, was den schlechten Start am Anfang wieder ausglich. Der Arzt brachte uns zum Social Service des Krankenhauses. Diese sollten uns über alle Rechte informieren, die blinde Menschen in England haben. Wir bekamen stapelweise Unterlagen und Telefonnummern und alles war sehr lebensnah organisiert. Man machte uns verschiedene Angebote zur Unterstützung etc. Weder Artur noch mich hat in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland irgendwer mal über meine Rechte aufgeklärt. Das muss man sich alles selber zusammen suchen. Ich finde auch super, dass die Leute noch gleich im Krankenhaus, also bei vielen direkt nach der Diagnose mit dem Social Service sprechen können. Ich habe immer mehr den Eindruck, dass in diesem Land einige Dinge sehr schlecht und einige Dinge super gut laufen und man sich fragt „Warum gibts das eigentlich in Deutschland nicht?“. Einen guten sozialen Dienst mit Rechtsberatung in großen Augenkliniken einzurichen kostet nicht die Welt, ist aber für Leute, die gerade erfahren haben, dass sie erblinden werden, unheimlich wichtig.

The BOBs – Best of the Blogs der Deutschen Welle

Über einen Trackback habe ich erfahren, dass dieses Blog beim Blogwettbewerb der Deutschen Welle, The BOBs, nominiert ist und wohl auch weitergekommen ist. Ich freue mich natürlich sehr.

Neben Behindertenparkplatz sind in der Kategorie „Best Weblog Deutsch“ nominiert:

Alles ausser Sport

Auguststrasse
Bestatterwebblog
Charming Quark
Das hermetische Café
Indiskretion Ehrensache
Krusenstern
Spass mit der Deutschen Bahn
Zwarwald

Gut in Greenwich gelandet

Seit ein paar Tagen wohnen wir jetzt schon in Greenwich und ich muss sagen, es gefällt uns sehr. Ich kann stundenlang am Fester stehen und auf den Teich vor unserem Balkon schauen. Es ist sehr ruhig und dennoch in der Stadt.

Faraday Lodge

Am Mittwoch will BT endlich Internet schalten. So lange weile ich derzeit bei Starbucks, wenn ich nicht gerade auf Ämtern rumhänge, um die Ummeldungen zu machen. Aber Canary Wharf ist ja um die Ecke…

Umzug

Hier geht es in den nächsten Tagen etwas ruhiger zu, denn wir ziehen um. Juhu! Ich habe keine Ahnung, wann ich wieder einen Internetanschluss habe.

Ich war ja schon immer am Puls der Zeit, jetzt wohnen wir auch dort, nämlich in Greenwich. Greenwich wird übrigens, wie fast alle Stadtteile hier, nicht so ausgesprochen, wie wir Deutschen das meinen, sondern anders, nämlich ungefähr wie „Gränitsch“. Greenwich gehört zu London und ist seit 1997 UNESCO-Weltkulturerbe und durch das Royal Greenwich Observatory verläuft der Nullmeridian.

Wir ziehen in eine ganz interessante Siedlung, nämlich das Greenwich Millenium Village. Das liegt direkt an der Themse und vor allem an einer barrierefreien U-Bahnstation. So komme ich problemlos nach Canary Wharf, Waterloo oder auch nach Westminster. Ich habe einen Garagenparkplatz (ich will ja nicht Autoglass-Dauerkunde werden) und wir haben ein Zimmer mehr als jetzt und einen Balkon.
Ich glaube, die Gegend ist eine Mischung aus Las Vegas und Naturschutzgebiet. Auf der Halbinsel, auf der das GMV liegt, gibt es unter anderem die O2 Arena, eine Konzerthalle mit vielen Restaurants, einem Kino etc. Aber es gibt auch ein Biotop und eben viel Wasser.

Also, ich hoffe, es war eine gute Entscheidung nach Greenwich zu ziehen und dass uns die typischen Londoner Wohnungsprobleme wie undichte Fenster, zu wenig Wasserdruck etc. erspart bleiben. Bislang hatte ich ja Glück, auch die jetzige Wohnung ist super, aber für Zwei einfach zu klein.

Die taz klärt uns auf

Danke, liebe taz, für die Aufklärung! Wie hätten wir dummen Leser denn ohne Dich gewusst, dass „Behinderte keinen Deut besser als ’normale‘ Menschen“ sind? Und wie hätten wir ohne Dich wissen sollen, dass „auch Behinderte, Schwule, Schwarze und Frauen dopen.“ Da braucht es einen Kommentar, in dem wir das erfahren.

Besonders gut gefallen hat mir die Formulierung: „Behinderte sind – abgesehen von einem körperlichen Handicap – keinen Deut besser als „normale“ Menschen.“ Also das „körperliche Handicap“ macht sie schon besser als „normale Menschen“ oder wie soll ich diese Formulierung verstehen? Erst dachte ich, die taz hat ja wirklich eine interessante Sichtweise. Behinderung als Zusatzqualifikation oder so. Aber dann kam mir der Gedanke, dass vielleicht einfach die Stelle beim Redigieren übersehen wurde. taz-Redakteure sind eben auch nicht besser als „normale“ Redakteure. Und das ist auch gut so!

Sichtweisen

Vor zwei Wochen war ich im Krankenhaus, um meine Lunge röntgen zu lassen. Mein Hausarzt meinte, das sei nach sechs Wochen ziemlich unschönem Husten mal angesagt und überwies mich in eine Privatklinik. Ich wäre an dem Haus fast vorbei gefahren, denn ich dachte, es sei eine Ferienanlage. Mein Auto war auf dem Parkplatz mit Abstand das preiswerteste. Und schon am Eingang kam mir ein Scheich (ich behaupte jetzt einfach mal, das war ein Scheich) samt Fahrer entgegen.

In den Wartezimmern lagen Magazine über Yachten und Hausdesign. Die Umkleideräume vor dem Röntgen waren holzgetäfelt. Die beiden Röntgenmitarbeiterinnen schauten ziemlich ratlos als sie mich sahen. Sie würden Aufnahmen der Lunge immer im Stehen machen, erfuhr ich. Ja, prima Idee, aber nicht mit mir. Wir einigten uns aufs Sitzen und dass ich für die Aufnahme auf einen anderen Stuhl klettere, der mehrfach gedreht werden musste, um den Brustkorb von mehreren Seiten aufzunehmen. War alles ne riesen Aktion und ich fragte mich, warum man das nicht auch im Liegen machen kann.

Heute bekomme ich die Bilder und dachte noch „Da kann man aber nicht viel sehen. Naja, bist ja auch kein Arzt.“ Aber den Bericht des Krankenhauses habe ich auch bekommen. Und was steht da:

„The image quality is suboptimal as the patient is confined to a wheelchair.“ (Die Bildqualität ist suboptimal weil die Patientin an den Rollstuhl gefesselt ist)

Also abgesehen davon, dass ich nicht an meinen Rollstuhl gefesselt bin (wer macht denn sowas?), lautet die Wahrheit für mich: „Die Bildqualität ist suboptimal, weil die Mitarbeiterinnen keine Ahnung hatten, wie sie Lungenbilder anfertigen, wenn jemand nicht stehen kann.“ Ist halt alles eine Frage der Sichtweise.

Accessible Barcamps

[Zur deutschen Version]
I’m thinking about attending the Barcamp in Berlin. I could stop thinking about it if I were to find out that the venue is not accessible. But that would be contrary to the Barcamp concept…

For this reason I have written down some important issues to make Barcamps
more accessible for disabled visitors. Maybe the list is not complete but it could be helpful for non-Barcamp-events too:

1. Only an accessible venue is a good venue.

2. Every room must have step-free access. Multi-storey buildings must have a lift. And the lift must also have step-free access.

3. There must be at least one accessible toilet. Accessible toilets are toilets where a wheelchair fits in without any problems. It’s not enough to have a toilet with step-free access.

4. Be transparent regarding accessibility. If you answer most of the accessibility questions during the application process, people with disabilities don’t have to search for answers and feel welcome to the event.

5. Name someone who is responsible for the event’s accessibility (preferably someone with experience). Publish the name and email address of the responsible person on the website.

6. Make the Barcamp website and the application process accessible.
Make sure that people with disabilities can participate and apply. It should be clear who to contact if any problems occur during the application process.

7. Provide travel information for people with disabilities. Where is the next accessible station? Do the buses have ramps?

8. Some venues have induction loop systems for people who use a hearing aid. Provide information about the system on the website.

9. Deaf people can only benefit from the event if there is a sign language interpreter. Maybe you can find a sponsor who is able to cover the costs if deaf participants apply. But ask the deaf participants beforehand if and when they need an interpreter!

10. Assistants of disabled participants aren’t participants and don’t have to apply. Disabled participants who need an assistant can bring a second person with them. That’s also to be published on the website.

Creative Commons License
This work is licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 2.0 Germany License.

Update: The Barcamp in Berlin is accessible for me. But I’ve written the list to support Barcamp organisers in the future.

Barrierefreie Barcamps

[Click here for the English Version]

Ich überlege gerade, zum Barcamp nach Berlin zu fahren. Ich kann meine Überlegungen aber sofort wieder einstellen, wenn die Location nicht barrierefrei ist. Aber irgendwie widerspricht das ja der Barcampidee…

Aus diesem Anlass habe ich mal ein paar wichtige Punkte zusammen geschrieben, um Barcamps barrierefreier zu machen. Die Liste ist sicher nicht vollständig, ist aber vielleicht auch für den ein oder anderen Nicht-Barcamp-Event hilfreich:

1. Nur ein barrierefreier Veranstaltungsort, ist ein guter Veranstaltungsort.

2. Jeder Raum muss stufenlos zu erreichen sein. Das heißt, mehrstöckige Gebäude müssen einen Fahrstuhl haben. Auch der Fahrstuhl muss stufenlos zu erreichen sein.

3. Mindestens eine Behindertentoilette ist Pflicht. Behindertentoiletten sind Toilettenräume, in die ein Rollstuhl problemlos passt. Es reicht nicht, eine stufenlos erreichbare Toilette zu haben.

4. Barrierefreiheit sollte kommuniziert werden. Wenn die wichtigsten Fragen zur Barrierefreiheit schon bei der Anmeldung beantwortet werden, erspart das behinderten Besuchern Recherchearbeit und signalisiert zudem, dass sie willkommen sind.

5. Es sollte ein Ansprechpartner für Barrierefreiheit benannt werden, möglichst jemand, der ein bisschen was von der Materie versteht. Namen und E-Mailadresse des / der Verantwortlichen sollte auf der Webseite zu finden sein.

6. Barcamp-Webseiten und der Anmeldeprozess sollten barrierefrei sein, damit auch behinderte Menschen sich beteiligen und vor allem anmelden können. Es muss leicht ersichtlich sein, an wen man sich bei Problemen mit der Anmeldung wenden kann.

7. Anreiseinformationen sollten Hinweise zur Barrierefreiheit enthalten. Wo ist die nächste barrierefreie U-Bahnstation? Fahren dorthin Busse mit Rampen?

8. Einige Veranstaltungsorte haben Höranlagen für Schwerhörige. Auch darauf kann man auf der Barcamp-Seite hinweisen.

9. Jemand der gehörlos ist, wird von der Veranstaltung nur mit Gebärdensprachdolmetscher profitieren können. Vielleicht findet sich ja ein Sponsor, der die Dolmetscher finanziert, sofern sich gehörlose Teilnehmer anmelden.Vorher unbedingt mit den gehörlosen Teilnehmern abstimmen, wann die Dolmetscher benötigt werden!

10. Die Assistenzkräfte von behinderten Teilnehmern sind keine Teilnehmer und müssen sich daher auch nicht auf der Teilnehmerliste eintragen. Behinderte Teilnehmer, die glaubhaft machen, Assistenz zu benötigen, können eine Begleitperson mitbringen. Auch das wird auf der Barcamp-Seite kommuniziert.

Creative Commons License
Dieser Text ist unter einer Creative Commons-Lizenz lizenziert.

Update: Das Barcamp in Berlin ist für mich zugänglich. Darum ging es mir aber gar nicht in erster Linie. Ich möchte mit dieser Liste Planern zukünftiger Barcamps, ein paar Stichpunkte an die Hand geben, um besser planen zu können.

Arzt von Ashley nimmt sich das Leben

Der Arzt, der die operativen Eingriffe bei dem behinderten Mädchen Ashley in den USA zu verantworten hat und deshalb im Zentrum einer weltweiten ethischen Debatte stand, hat sich das Leben genommen, berichtet MSNBC.

Ashley X in England

England hat seinen eigenen Ashley X-Fall. Eine Mutter möchte die Gebärmutter bei Ihrer Tochter entfernen lassen, damit diese ihre Periode nicht bekommt. Das Mädchen ist 15 und ist von Geburt an behindert. Sie hat Cerebralparese und benötigt rund um die Uhr Assistenz. Kaum eine Sendung im Radio oder Fernsehen, die das Thema nicht behandelt. Seit Sonntag laufen die Call-In-Sendungen zu dem Thema auf allen Kanälen.

Ich habe mehrere Interviews mit der Mutter gehört und verstehe ihre Beweggründe nicht. Sie sagt, sie möchte ihre Tochter vor Menstruationsbeschwerden schützen. Sie möchte nicht, dass sie leidet. Nun hat die Tochter aber wohl ihre Periode noch gar nicht, wenn ich das richtig verstanden habe. Man weiß also gar nicht, ob sie wirklich Menstruationsbeschwerden bekommen wird und wie diese ausfallen. Zudem sind Menstruationsbeschwerden heutzutage ja ganz gut in den Griff zu kriegen und es gibt auch Pillen, die die Periode einfach abschaffen. Kann sie die Pille nicht schlucken, gibt es auch die Möglichkeit, ein kleines Teil unter die Haut zu setzen, dass die Hormone abgibt. Und wahrscheinlich gibt es noch viele andere Möglichkeiten, die ich gar nicht kenne. Das alles steht jedenfalls in keinem Verhältnis zu einer Totaloperation und den Folgen. Auf die Frage, ob sie den Pflegeaufwand runterschrauben will, sagte die Mutter im Interview, da die Tochter sowieso inkontinent sei, mache das keinen Unterschied. Sie sagt selbst, es gebe keinen medizinischen Nutzen. Es gehe darum, ihrer Tochter eine bessere Lebensqualität zu geben. Die Tochter könne zudem nicht mit der Periode umgehen.

Die Behindertenverbände, vor allem Scope, ein Verein für Leute mit Cerebralparese, sind auf den Barrikaden. Ein Gericht muss jetzt entscheiden, ob das Mädchen ihre Gebärmutter behält oder nicht. Scope sagt, auch eine Frau mit Behinderung habe ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Risiken (frühzeitige Menopause, Osteoporose) stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen.

Warum also, frage ich mich, will die Mutter unbedingt verhindern, dass das Mädchen in die Pubertät kommt? Ich bin sehr gespannt, wie das Gericht entscheidet. Die Anrufer in den Sendungen unterstützen übrigens mehrheitlich die Mutter. Die Begründung ist, dass Eltern alleine entscheiden sollten, was mit ihren Kindern passiert und was nicht. Dieser Meinung bin ich übrigens so ohne jede Einschränkung nicht.