Archiv für 29.6.2007

Deutschland hängt an mir

Die Bundesregierung möchte von mir (und von allen anderen Auswanderern) wissen, warum ich ausgewandert bin und unter welchen Bedingungen ich wieder zurück käme. Das Bundeswirtschaftsministerium hat dazu eine Studie in Auftrag gegeben. Ich habe den Fragebogen sehr gerne ausgefüllt.

Die vorgegeben Antworten lassen auch schon darauf schließen, dass sie wissen, wo die Probleme Deutschlands liegen.

Umfrage
Fragetext: Sie haben angegeben, dass Toleranz und Gestaltungsfreiheit ein ausschlaggebender Grund für Ihre Auswanderung darstellte. Im Umgang mit wem fehlte Ihnen Toleranz und Gestaltungsfreiheit? Frauen, Personen ausländischer Herkunft / Migranten, Behinderten, älteren Menschen, Kindern, Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung, Menschen wegen ihrer religiösen Orientierung, Menschen wegen ihrer politischen Orientierung, Sonstigen.

Interessant fand ich, dass in der Auswahlliste alle Gruppen als „Menschen“ bezeichnet werden. Nur die Menschen mit Behinderungen sind die „Behinderten“.

Happy Birthday, Lubna

Bevor ich für BBC gearbeitet habe, war der Irakkrieg eine Sache, die ziemlich weit weg war. Bis ich Lubna kennen lernte. Ich habe oft am Telefon mit ihr gesprochen als ich bei World have your say gearbeitet habe. Sie ist Medizinstudentin aus Bagdad. Sie möchte Kinderärztin werden und ist verzweifelt über die Situation im Irak. Es verging kaum ein Tag, an dem sie sich nicht in der Redaktion gemeldet hat, um ihre Meinung zu sagen und zu schreiben. Wer nicht weiß, was Krieg wirklich bedeutet, muss nur Lubna zuhören.

Heute ist ihr 21. Geburtstag. Aber sie ist nicht sicher, ob sie diesen wirklich feiern soll. Sie hat ihre Geschichte in einem Brief zusammen gefasst, der mich sehr berührt hat. Sie hat kurz vor ihrem Geburtstag zwei Freunde verloren. Meine Kollegen von „World have your say“ haben ihr eine Sendung gewidmet. Sie erzählt über die Situation und ihr Leben im Irak. Die Sendung hat mich tief beeindruckt. Zum Nachhören rechts auf der WHYS-Seite auf Wednesday klicken.

Wiener Linien ändern Beförderungsbedingungen

Ich hatte schon kaum noch dran geglaubt, aber jetzt haben sie sich doch bewegt. Mein seit mehr als einem Jahr laufendes Schlichtungsverfahren gegen die Wiener Linien wegen Diskriminierung ist beendet. Die Wiener Linien werden ihre Beförderungsbedingungen ändern. Auch Rollstuhlfahrer dürfen künftig alle U-Bahnen der Stadt Wien ohne Begleitpersonen nutzen. In einer Mitteilung der Wiener Linien an das Bundessozialamt und mich heißt es:

„Ich kann Ihnen nunmehr die erfreuliche Mitteilung machen, dass nach externer und interner Abklärung auch durch eisenbahntechnische Sachverständige, die sich des langen und breiten mit Bremsproben und dergleichen beschäftigt haben, die Geschäftsführung mit sofortiger Wirkung die Beförderung von Rollstuhlfahrern ohne Begleitperson im T- Wagen (d.i. Niederflurwagen der Linie U6) frei gegeben haben.

Ich habe soeben die Information an alle betroffenen Stellen der WL (Betriebsabteilungen, Schulungsabteilungen, Öffentlichkeitsarbeit Kontrolle, etc.) weiter gegeben, um diese Entscheidung auch sofort wirksam zu machen. Da wir derzeit die veröffentlichten Beförderungsbedingungen (nicht nur aber auch in Hinblick auf allenfalls diskriminierende Bestimmungen) einem Relaunch unterziehen, werden wir diese Information im allgemeinen Außenauftritt voraussichtlich erst im Herbst adaptieren können. Wir suchen derzeit aber noch einen Weg, diese Detailinformation gezielt an unsere Kunden weiter zu geben.“

Ich fliege dieses Jahr sicher noch nach Wien und werde die U-Bahn ganz alleine und mit erhobenen Hauptes nutzen. Und die Angelegenheit zeigt mir eines, man braucht manchmal einen langen Atem. Aber letztendlich lohnt es sich doch.

Mein Dank gilt übrigens Martin, der mein rechtlicher Beistand war!

Baustelle

So sehen in England viele Baustellen aus. Sie haben Rampen!

Baustelle mit Rampe

Da ich das aus Deutschland nicht unbedingt gewohnt war, habe ich mich im Winter mal bei einem Bauarbeiter bedankt, dafür dass die Baustelle Rampen hatte. Ich meinte, ich fände super, dass er und seine Kollegen darauf geachtet hätten. An seiner Reaktion merkte ich, dass ich schon sehr merkwürdig auf ihn wirkte. Er schaute mich an als wolle ich ihn auf den Arm nehmen und meinte, das sei doch selbstverständlich, sei ja schließlich Gesetz.

Besuch vom Amtsarzt

Weil ich einen Antrag auf Disability Living Allowance gestellt habe, hatte ich Besuch von einem Amtsarzt. Wenn man bedenkt, dass der Antrag mehr als vier Monate alt ist, wurde es auch höchste Zeit. Langsam habe ich raus, wie diese Anträge hier abgewickelt werden. Meist gehen die Leute nur einen Fragebogen durch. Wer durch Deutschlands Bürokratiedschungel gegangen ist, für den ist England eine Kaffeefahrt. Die Beurteilung der Behinderung beruht rein auf meinen Angaben, was ich kann und was ich nicht kann. Es geht zudem um die Bewältigung des Alltags. Wer aktiv ist, braucht vielleicht mehr Assistenz als jemand, der den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzt. In Deutschland bemisst sich alles nach Pflegeminuten. Ich brauche aber keine Pflege, sondern eher Hilfe beim Einkaufen oder bei anderen Aktivitäten.

Der Unterschied zwischen dem britischen und dem deutschen System ist das Bild von Behinderung, das zugrunde gelegt wird. Wenn jemand gerne ins Kino geht, soll ihm das auch möglich sein, wenn er auf Assistenz angewiesen ist. In Deutschland gilt das als Luxus. Ich habe in Deutschland meine Assistenz selber bezahlt, weil ich keine Pflegestufe bekam. Zu fit fürs System. Wenn ich die Ausführungen des Arztes richtig deute, ist das jetzt vorbei und ich bekomme sogar mehr als ich beantragt habe. Ich bin gespannt, wie der Bescheid aussieht.

Inside Hospital

Alles fing am Sonntag an. Ich fühlte mich nicht besonders, vor allem konnte ich nichts essen. Ich hatte aber so viele Verabredungen in Hamburg, dass ich das einfach ignorierte. Als ich abends nach Hause kam, musste ich mich übergeben, hatte auch Fieber und schlief einfach ein. Am Montag war alles weg, ich hatte nur leichte Bauchschmerzen. Nachmittags wurde es dann schlimmer. Ich wollte aber um 18 Uhr den Flieger nach London nehmen. Also ging ich in eine Apotheke und fragte nach etwas gegen Magenschmerzen. Die Apothekerin schaute mich schon skeptisch an und meinte, wenn es mit den Tropfen nicht umgehend wegginge, solle ich zum Arzt gehen.

Kurz vor dem Abflug nahm ich die Tropfen. Während des Fluges wurde es dann richtig schlimm. Mir war klar, dass mich mein erster Weg in London in die Ambulanz führen würde. Als ich in London ankam, fuhr ich nach Hause, stellte meine Tasche ab und fuhr in das Krankenhaus hier um die Ecke. Das Central Middlesex Hospital sieht schon von außen super modern aus und war mir irgendwie sympathisch.

Ich ging in die Notaufnahme und sagte, dass ich Schmerzen habe und es mir sehr schlecht ginge. Ich musste ungefähr eine Stunde warten. Meine Unterlagen waren aus Versehen in der Kinderabteilung gelandet. Die meisten Wartenden hatten irgendwelche Rückenprobleme, Hexenschuss oder schlimmeres.

Die erste Untersuchung machte ein Pfleger. Er schloss mich an so ein Gerät an, dass die Körperwerte misst und kontrollierte meine Körpertemperatur. Als das Gerät Alarm schlug, dachte ich noch, das misst noch gar nicht oder es handele sich um einen Fehler. Mein Puls war auf fast 150, mein Blutdruck hoch wie nach einem Marathon. Und ich hatte 39 Grad Fieber. Ich gab noch eine Urinprobe ab und er sagte mir, dass sie mich erstmal da behalten und jetzt einige Tests machen. Er brachte mich in einen großen Raum, der sich als Mischung aus Erstaufnahme und Intensivstation herausstellte. Ich war der erste Gast des Abends.

Ich kletterte auf das Bett und man schloss die Vorhänge um mich rum. Überhaupt fiel mir gleich auf, wie sehr man auf meine Intimsphäre achtete. Dann schlossen sie mich an ein EKG an und an ein anderes Gerät, das Blutdruck und Puls kontrollierte. Natürlich fragten sie, warum ich Rollstuhlfahrerin bin. Ich wurde geröngt, um auszuschließen, dass ich keine Fremdkörper im Bauch hatte. Dann sollte mir ein Zugang für den Tropf gelegt werden. Ein ziemlich schwieriges Unterfangen, weil meine Venen durch andere Krankenhausaufenthalte nicht mehr die besten sind. Der Arzt war super bemüht und total nett. Ich vertraute ihm absolut. Alle drei Versuche, in meine Venen zu kommen, machten wir Pause. Irgendwann klappte es und er konnte mir einen Zugang legen. Da die Schmerzmittel oral nicht wirkten, gaben sie sie mir intravenös. Zudem viel Flüssigkeit. Drei Mal zwei Liter sollten in der Nacht noch durch meine Adern fließen. Die Schmerzen gingen aber nie ganz weg und auch die Körperwerte normalisierten sich nicht. Gegen 6 Uhr entschied man sich, mich stationär aufzunehmen.

Ich wurde in ein 4-Bett-Zimmer gelegt. Die anderen Frauen waren filmreif. Ich war die einzige Weiße und wurde mit den Worten begrüßt: „I think she is a jew. She has a jewish accent.“ Ich war rund 45 Jahre jünger als meine Zimmergenossinnen und dachte, dass das eine sehr interessante Zeit werden könnte. Doch nach 10 Minuten kam die Stationsleiterin und sagte mir, ich müsse in Isolation. Ich kam in den Genuss eines Einzelzimmers. Sie vermuteten, dass ich einen Virus habe, den ich besser nicht an den Rest des Krankenhauses weitergeben sollte. Diese Isolation bedeutete, dass jeder, der zu mir wollte, eine Schürze und Handschuhe tragen musste. Ich durfte das Zimmer nicht verlassen.

Das Zimmer war total barrierefrei und modern. Ich hatte eine für mich zugängliche Dusche, eine Toilette und ein Waschbecken. In diesem Zimmer verbrauchte ich drei Tage.

Die Ärzte:

Alle Ärzte waren relativ jung und machten einen netten und kompetenten Eindruck. Sie sagten mir gleich, dass sie nicht viel für mich tun können, außer die Schmerzen zu stillen und mir intravenös Flüssigkeit zuzuführen, da ich total dehydriert war.

Die Schwestern:

Alle, aber wirklich alle, super nett, obwohl ich anfangs bei jedem Gang zur Toilette wegen des Tropfs Hilfe brauchte und sie sich jedesmal dafür anziehen mussten. Die Übergabe (nachmittags und nachts) funktionierte reibungslos. Jedes neue Team wurde darüber informiert, was für eine Behinderung ich habe und dass ich ansich selbstständig bin, aber wegen der Nadel in meinem Arm nun Hilfe benötigte.
Allerdings gingen sie auch nicht wirklich zimperlich mit mir um. Die Nadel tat mir weh bei jeder Berührung weh, weil sie nicht optimal lag. Man musste schon was aushalten können.

Es gab ein, wie ich finde, sehr eindrucksvolles Qualitätsmanagementsystem. Es herrschte grundsätzlich Vier-Augen-Prinzip. Ich bekam kein Medikament bevor es nicht eine andere Schwester oder ein Arzt gesehen hatte. Die Medikamente, die ich regelmäßig nehmen musste, waren in einem Spint am Bett eingeschlossen. So wurde die Verwechslungsgefahr reduziert. Über alles, was passierte, wurde genau Buch geführt. Wann ich wie starke Schmerzen hatte, wie oft ich zur Toilette musste, etc.

Das Essen:

Zum Frühstück gab es Cornflakes oder Porridge. Nachmittags eine Suppe und Sandwichs. Abends merkwürdige Kombinationen wie Cracker und Reis. Magenfreundliches Essen sieht anders aus. Aber ich konnte eh kaum etwas essen. Ich habe mich dann später von Salzstangen ernährt, was sowieso gut für meinen Magen war.

Besuchszeiten:

Supernervig fand ich die Besuchszeiten. Die haben wir dann auch gleich mal ignoriert. Ich lag ja sowieso in Isolationshaft und habe niemanden gestört.

Das Haus:

Ich habe von dem Haus ja tagelang nichts mitbekommen, weil ich nicht raus durfte. Bei der Abreise war ich aber sehr angetan von der Architektur. Das Central Middlesex Hospital sieht ein wenig skandinavisch aus. Es gibt Dachterrassen. Am Eingang gibt es eine Caféteria und einen Laden. Von beidem hatte ich aber natürlich nichts, weil ich nicht raus durfte. Auch das fahrende Kiosk durfte nicht zu mir. Aber die Schwestern hätten mir sicher etwas gekauft, wenn ich etwas gewollt hätte.

Zusammenfassung:

Ich kenne viele deutsche Krankenhäuser. Ich habe noch keines gesehen, das so modern ausgestattet ist. Die Geräte waren alle neu und von Siemens. Ich hatte von Anfang bis Ende das Gefühl, die wissen, was sie tun. Man war sehr bemüht, mir die Bauchschmerzen zu nehmen und mir den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Das ganze Theater hat mich zudem keinen Penny gekostet. Die Laboruntersuchungen waren umfangreich. Ich habe bei der Entlassung einen Beutel mit Medikamenten bekommen (in erster Linie Schmerzmittel). Auch dafür musste ich nichts zahlen. Ich muss sagen, was bleibt ist ein sehr angenehmer Eindruck von NHS. Wer hätte das gedacht…

Im Krankenhaus

Wer sich gewundert hat, wo ich war, warum keine E-Mails beantwortet wurden, Kommentare nicht aus dem Spamfilter gefischt wurden und ich einfach so abgetaucht war: Ich habe die letzten Tage im Central Middlesex Hospital verbracht. Seit heute bin ich wieder zu Hause und auf dem Weg der Besserung. Meine Meinung über den NHS war vorher schon nicht so schlecht, hat sich jetzt aber noch verbessert. Sie haben sich perfekt um mich gekümmert – von der Notaufnahme bis zur Entlassung heute. Ich habe wohl eine blöde Virusinfektion in Magen und Darm. Das hat mich für ein Einzelzimmer qualifiziert. Erst dachten sie, ich hätte eine Lebensmittelvergiftung. War keine schöne Woche, aber es hätte schlimmer kommen können. Die medizinische Versorgung war jedenfalls super. Später schreib ich mal mehr über das Leben und Sein in britischen Krankenhäusern.

Who is with you?

Wenn ich im Ausland in den Dunstkreis deutscher Fluggesellschaften komme, also spätestens am Check-In, fühle ich manchmal schon so als sei ich bereits in Deutschland angekommen. Als ich gestern in der Lufthansa-Lounge in Heathrow ankam, schaute die Frau am Eingang hinter mich. Ich bin noch davon ausgegangen, sie wolle schauen, ob der Rollstuhl am Check-In mit einem Tag versehen wurde. Das wäre sehr aufmerksam gewesen. Dann sagte sie aber „Who is with you?“. Ich seufzte. Ich hasse diese Frage. Ich bin jetzt wirklich mehr als volljährig und ständig meint jemand (vorzugsweise Angestellte von Fluggesellschaften), dass ich nicht alleine auf dieser Welt zurecht käme.

„Niemand“, sagte ich. Und ich fragte sie, warum sie das denn frage. Und dann erklärte sich der Blick hinter mich. Sie sagte, sie wolle sehen, ob ich einen Motor am Rollstuhl habe. Sie wundere sich nämlich, wie ich denn sonst den Weg vom Check-In zur Lounge geschafft hätte. Ich erklärte ihr, dass ich einen manuellen Rollstuhl habe, dass ich stark genug sei, mich selbst fortzubewegen und dass ich jetzt bitte in die Lounge wolle. Ich durfte. Die Lounge selbst hatte keine barrierefreie Toilette. Aber weiter weg in einem wenig benutzten Teil des Terminals gab es eine.

Am Gate kam die Assistenz wie so oft nicht pünktlich. Das heißt, Preboarden, das Einsteigen vor allen anderen Passagieren, war nicht möglich. Es kam raus, dass der Check-In-Mensch die Assistenz an das Abfluggate für Frankfurt bestellt hatte. Ich wollte aber nach Hamburg. Eine britische Angestellte kam und fragte mich, ob es mir etwas ausmachen würde, als Letzte einzusteigen. Man muss wissen, dass viele Briten unangenehme Nachrichten immer in rhetorische Fragen verpacken. Genauso wie Anweisungen. Das klappt solange, bis sie auf Deutsche wie mich stoßen, die die Fragen ehrlich beantworten. Natürlich macht es mir was aus, durch eine voll besetzte Maschine im Bordrollstuhl gekarrt zu werden. Ich glaube, ich werde niemals schaffen solche rhetorischen Fragen auch als solche zu behandeln. Es war aber nichts zu machen, die Assistenz war nicht da (stand ja am Frankfurt-Gate) und sie mussten mit dem Boarden beginnen.

Als ich dann im Flugzeug ankam, schlief ich erstmal. Ich wurde erst wieder wach als die Flugbegleiterin durch die Lautsprecheranlage verkündete, dass der Flug für eine Kundenbefragung ausgewählt worden sei. Wer wolle, könne einen Fragebogen ausfüllen. Wollte ich natürlich. Es wurde gefragt, wie zufrieden man mit der Lounge und dem Check-In war und was man verbessern könne. Mein Tag war gerettet.

Inside Google London

Eingang bei Google

Empfang bei Google

Sitzecke bei Google

Kantine von Google London

Die Leserschaft zeigt sich bestürzt

Seit dem Wochenende beobachte ich, wie eine Falschmeldung der dpa weite Kreise zieht. Dass es sich um eine Falschmeldung handelt, wusste ich schon ziemlich früh. Ich hatte es in einem Blog gelesen.

Wer jetzt lauthals schreit, wie denn sowas passieren kann, weiß nicht, unter welchem Druck Agenturjournalisten arbeiten. Ich habe ja bis Dezember selbst im Dienste des dpa-Konzerns gestanden und habe zuvor dort volontiert. Gleich zu Beginn meines Volos hatte ich ein ziemlich lehrreiches Erlebnis: Der neue Innensenator Hamburgs musste die Kriminalstatistik seines Vorgängers korrigieren. Die Pressekonferenz wurde relativ kurzfristig einberufen und ich düste zum Polizeipräsidium.

Aber was genau war falsch an den Zahlen? Das war die Frage, die sich mir, der Redaktion und natürlich auch den Lesern stellte. Die Polizei hatte die Zahlen nicht wirklich journalistenfreundlich aufbereitet und teilte die Stapel an Papier erst zum Ende der Pressekonferenz aus. Ich suchte händeringend jemanden unter den Kollegen, mit dem ich gemeinsam rechnen und den Stapel Papier bewältigen konnte. Ich war in der Schule richtig schlecht in Mathe und die Zahlen machten mir Angst, aber ich musste ja so schnell wie möglich eine Meldung absetzen. Keiner der Kollegen von Zeitung und Rundfunk wollte sich mit mir gemeinsam die Zahlen ansehen und durchrechnen. „Ich warte auf die Agentur,“ bekam ich zu hören. Und: „Das rechnet dpa für uns.“ dpa war in dem Fall aber ich.

Also ging ich in die Offensive und zu einem der Sprecher und sagte, dass die Zahlen so unbrauchbar seien. Er möge mir Eckdaten nennen. Er hatte keine. Aber er setzte sich mit mir hin und wir rechneten das Wichtigste aus. Ich setzte die Meldung per Laptop ab und als ich unten am Auto ankam, lief schon haargenau mein Text als Nachricht bei NDR Info, samt der Zahlen. Ich befürchtete das vorzeitige Ende meiner noch jungen Karriere – übrigens völlig unbegründet. Die Zahlen waren korrekt. Mein mathematisches Selbstbewusstsein hatte sich danach wieder etwas stabilisiert. Solche und ähnliche Erlebnisse hatte ich danach noch öfter. Z.B. wenn ein japanischer CEO meinte, die Pressekonferenz in gebrochenem Englisch abhalten zu müssen statt einen Dolmetscher zu bemühen. „Haben Sie das verstanden?“, fragte ich einen Kollegen neben mir. „Nein, ich warte nachher auf die Agentur,“ war die Antwort. Ich bin in solchen Fällen dann zu dem jeweiligen Sprecher (der meist auch nichts verstanden hatte, aber nochmal bei seinen japanischen Kollegen nachfragen konnte). Aber was hätte ich auf so einer Demo gemacht? Darauf vertrauen, dass man sich nicht verhört hat? Vielleicht.

Das Problem ist für mich nicht, dass Kollegen Fehler machen, schon gar nicht bei so einem stressigen Event. Was ich nicht verstehen kann ist, warum der Fehler nicht früher bemerkt wurde. Denn in Blogs wurde darüber relativ schnell geschrieben. Es reicht heutzutage halt nicht mehr, als CvD n-tv zu schauen und die Konkurrenz zu beobachten. Ich finde, für die Berichterstattung zu einem solchen Großereignis muss man zwischendurch auch mal schauen, was in den Blogs und den Online-Medien passiert.

Ich finde ich es bemerkenswert, wie viele Tageszeitungen die falsche Meldung am Montag dann auch noch in die Blätter hoben und Dinge hinzudichteten, obwohl der Fehler in Kleinbloggersdorf längst bekannt war. Das heißt, da fahren x Journalisten nach Heiligendamm, weit mehr sitzen daheim in der Redaktion und brüten über den besten Leadsatz und keiner kommt mal auf die Idee, bei Technorati vorbeizuschauen.