Archiv für 12.5.2007

Beim Bürgermeister

Einmal im Jahr veranstaltet Londons Bürgermeister eine Konferenz für seine Bürger. Es gibt eine Eingangsdiskussion mit ihm und dann verschiedene andere Panels, die parallel laufen. Ich sitze derzeit in einer Veranstaltung zu öffentlichen Verkehrsmitteln und ich bin nicht die einzige Rollstuhlfahrerin, die hier sitzt. Schon die Anreise zu der Veranstaltung war typisch für London: Das Taxiunternehmen konnte kein Taxi finden, das mich per Taxicard hier her bringt. Es war keines verfügbar. Also entschied ich mich dafür, Bus und U-Bahn zu nutzen. Es kam 45 Minuten lang aber kein Bus. Um 10 Uhr (da fing die Veranstaltung an), war ich endlich in der U-Bahn. Ich musste Baker Street umsteigen, was ich alleine gar nicht geschafft hätte, weil die Differenz zwischen Zug und Bahnsteig zu hoch ist. Glücklicherweise liegt das Konferenzzentrum in der Nähe von Westminster, einer barrierefreien U-Bahnstation.

Derzeit spricht Peter Hendy, Commissioner of Transport. Jährlich transportiert die Londoner U-Bahn mehr als eine Milliarde Menschen, sagt er. Was er erzählt erinnert mich stark an die mir mehr vertraute Hamburger Politik: Wenige gute Dinge hervorheben, alle Probleme ausblenden. Er zeigt eine Karte der U-Bahn 2012, wenn die Olympischen Spiele stattfinden. Man könnte meinen, London wird eine Stadt in der Milch und Honig fließen bis dahin. Ich hoffe, ich erlebe das noch.

Die Fragerunde startet. Schon die zweite Frage geht um Barrierefreiheit. Das ist ein riesen Unterschied zu Deutschland. Auch die Anzahl der behinderten Londoner im Publikum ist enorm. Peter Hendy antwortet, die U-Bahn sei ein altes System. Es sei schwierig, blabla… Es sei aber eine wichtige Aufgabe für Ken Livingstone, den Bürgermeister. Er ermahnt die behinderten Nutzer „be tolerant“. Er spricht von Victoria Station, die umgebaut wird. Jetzt hat er wieder das Thema gewechselt, spricht von geschlossenen Bahnstrecken.
Eine Rollstuhlfahrerin fragt, wann er gedenkt, das Verhalten der Mitarbeiter in Ilford abzustellen. Sie verbieten ihr seit mehr als zwei Jahren mit einem E-Rollstuhl die Lifts der Station zu nutzen. Er meint, das Management der Station sei nicht seine Sache. Das sei outgesourct an eine Firma. Eine Antwort, die ich echt nicht mehr hören kann. Er habe vorher zudem noch nie eine Beschwerde über diese Station gehört.

Jetzt geht es um die Busse. Eine Frau mahnt an, dass die Busfahrer nie ordentlich an die Haltestelle ranfahren. Es gibt Zustimmung aus dem Publikum.

Peter Hendy wischt das Problem mit dem Abstand zwischen Bürgersteig und Bus weg. Nicht jeder Fahrer könne perfekt fahren (warum eigentlich nicht?). Oft seien die Haltestellen zugeparkt. Die Unternehmen hätten ein eigenes Interesse, dass die Fahrer ordentlich fahren, weil das Unfälle verhindere, für die sie zu zahlen hätten. Irgendwie ist das eine ziemlich sinnlose Diskussion. Jemand erwähnt ein Problem und Hendy wischt es weg.

Und noch eine Frage zu Barrierefreiheit. Ein Rollstuhlfahrer bemängelt die ständig defekten Rampen. Hendy fragt: Welche Linie? Was für eine Frage! Das Problem besteht in ganz London. Eine Frau fragt, wie man das Problem lösen kann, dass Leute mit Kinderwagen nicht bereit sind, die Plätze für Rollstuhlfahrer freizugeben. So viele Fragen zur Barrierefreiheit auf einer ganz normalen Bürgerveranstaltung. Das habe ich in Deutschland noch nie erlebt. Sehr interessant.

Peter Hendy
ermahnt die Rollstuhlfahrer mehr Bus zu fahren, damit die Busfahrer sich daran gewöhnen. Jetzt geht es um die Kinderwagen. Man müsse damit leben. Die Moderatorin fragt, ob es Congestion Charge für Buggys geben wird. Großes Gelächter.

Am Nachmittag habe ich mir zwei interessante Diskussionen zu Ausländern in London angehört. Es ging um die Frage, ob Ausländer, die lange in UK leben, wählen sollten. Also, ob man nicht nur EU-Bürger bei den Kommunalwahlen an die Urnen lässt, sondern alle. Mir hat die Art der Veranstaltung sehr gut gefallen, auch wenn es eine absolute Labour-Veranstaltung war. Man hat nicht mal zum Schein Politiker der Opposition eingeladen. Für mich interessant war, dass so viele Fragen zur Barrierefreiheit gestellt wurden und ich mal nicht die einzige sichtbar behinderte Zuhörerin bei so einer Veranstaltung war. Ich musste mich nicht mal selbst mal selbst zu Wort melden, alle Anmerkungen, die ich hatte, wurden von anderen im Publikum ebenfalls gemacht.

Accessible London Tube stations 2012

By 2012 the following London tube stations will be accessible (Source: Mayor of London):

1. Barking (Zone 4, currently step-free)

2. Bermondsey (Zone 2, currently step-free)

3. Brixton (Zone 2, currently step-free)

4. Caledonian Road (Zone 2, currently step-free)

5. Canada Water

6. Canary Wharf (Zone 2, currently step-free)

7. Canning Town (Zone 3, currently step-free)

8. Chalfont & Latimer, (Zone C, currently step-free)

9. Chesham (Zone D, currently step-free)

10. Chorleywood (Zone B, currently step-free)

11. Dagenham Heathway (Zone 5, currently step-free)

12. Earls Court (Zone 1/2, currently step-free)

13. East Ham (Zone 3/4, currently step-free)

14. Elm Park (Zone 6, currently step-free)

15. Epping (Zone 6, currently step-free)

16. Fulham Broadway (Zone 2, currently step-free)

17. Hammersmith (District) (Zone 2, currently step-free)

18. Hammersmith (H&C) (Zone 2, currently step-free)

19. Harrow & Wealdstone (Zone 5, currently step-free)

20. Heathrow T123 (Zone 6, currently step-free)

21. Heathrow T4 (Zone 6, currently step-free)

22. Hillingdon (Zone 6, currently step-free)

23. Hounslow East (Zone 4, currently step-free)

24. Hounslow West (Zone 5, currently step-free)

25. Kensington Olympia (Zone 2, currently step-free)

26. Kew Gardens (Zone 3/4, currently step-free)

27. Kilburn (Zone 2, currently step-free)

28. London Bridge (Zone 1, currently step-free)

29. New Cross (Zone 2, currently step-free)

30. North Greenwich (Zone 2/3, currently step-free)

31. Richmond (Zone 4, currently step-free)

32. Southwark (Zone 1, currently step-free)

33. Stanmore (Zone 5, currently step-free)

34. Stratford (Zone 3, currently step-free)

35. Sudbury Town (Zone 4, currently step-free)

36. Tottenham Hale (Zone 3, currently step-free)

37. Upminster (Zone 6, currently step-free)

38. Upney (Zone 4, currently step-free)

39. Uxbridge (Zone 6, currently step-free)

40. West Finchley (Zone 4, currently step-free)

41. West Ham (Zone 3, currently step-free)

42. Westminster (Zone 1, currently step-free)

43. Willesden Junction (Zone 3, currently step-free)

44. Wimbledon (Zone 3, currently step-free)

45. Woodford (Zone 4, currently step-free)

46. Woodside Park (Zone 4, currently step-free)

47. Wembley Park (Zone 4, currently step-free)

48. Acton Town (Zone 3)

49. Archway (Zone 2/3)

50. Clapham South (Zone 2/3)

51. East Putney (Zone 2/3)

52. Edgware (Zone 5)

53. Euston Square (Zone 1)

54. Finchley Central (Zone 4)

55. Finsbury Park (Zone 2)

56. Golders Green (Zone 3)

57. Greenford (Zone 4)

58. Green Park (Zone 1)

59. Hainault (Zone 4)

60. Harrow-on-the-Hill (Zone 5)

61. Heathrow T5 (New Station)

62. Hendon Central (Zone 3/4)

63. High Barnet (Zone 5)

64. Highbury and Islington (Zone 2)

65. King’s Cross St. Pancras (Zone 1)

66. Ladbroke Grove (Zone 2)

67. Leytonstone (Zone 3/4)

68. Mile End (Zone 2)

69. Morden (Zone 4)

70. Newbury Park (Zone 4)

71. North Acton (Zone 2/3)

72. Oakwood (Zone 5)

73. Paddington (Zone 1)

74. Pinner (Zone 5)

75. Rayners Lane (Zone 5)

76. Roding Valley (Zone 4)

77. Shepherd’s Bush (Central line, Zone 2)

78. Southfields (Zone 3)

79. Stockwell (Zone 2)

80. Tooting Broadway (Zone 3)

81. Tottenham Court Road (Zone 1)

82. Tower Hill (Zone 1)

83. Vauxhall (Zone 1/2)

84. Waterloo (Zone 1, Jubilee Line currently step-free)

85. Wood Lane (New Station)

Step-free means accessible from plattform to the exit, not from plattform into the train. :-)

Breaking News: Londons U-Bahn ist nicht barrierefrei

Heute stand es in vielen Zeitungen. Londons U-Bahn ist nicht barrierefrei und wird es auch bis zu den Olympischen Spielen nicht werden. Einen Fernsehbeitrag gab es dazu auch. Guten Morgen, London! Auch schon gemerkt?

Man könnte sich ja auf den Standpunkt stellen, dass das eigentlich ein Grund sein müsste, die Paralympics nicht austragen zu dürfen. Aber dann wären die handvoll Stationen, die dann doch für die Olypmischen Spiele umgebaut werden, auch nicht barrierefrei.

Schön finde ich, dass die Liberal Democrats die Statistik, mit der sich der, eigentlich von mir geschätzte, Ken Livingstone in jeder Pressemitteilung zur U-Bahn brüstet, untersucht hat. Er nennt immer eine Prozentzahl an Stationen, die bis zu dem Olypmischen Spielen barrierefrei seien. Ich dachte mir schon, dass es wieder um Stationen außerhalb Londons geht, die umgebaut werden. Das schönt die Statistik, nutzt aber im Alltag wenig. Da verirrt sich ja kaum ein Tourist hin. Ich weiß, dass Londons U-Bahn in Teilen schwer umzurüsten ist. Aber eben nur in Teilen. Die Station vor meiner Haustür zum Beispiel ist North Acton. Die liegt oberirdisch mit einer freistehenden Treppe. Die Treppe ist über eine Brücke zu erreichen, an die man jeden Standardfahrstuhl dranklatschen könnte, wenn man denn wollte. Einen Beschluss, genau das zu tun, gab es bereits im Jahr 1998 im Gemeindeparlament. Bis 2001 sollte das umgesetzt sein. Die nächsten Planungen sprechen von 2011, meinte ein U-Bahn-Mitarbeiter zu mir. Das wären 13 Jahre nach Beschlussfassung. Dass behinderte Menschen aber auch immer so ungeduldig sein müssen…

Fernsehsender für gehörlose Menschen

In Großbritannien gibt es jetzt den ersten Fernsehsender für gehörlose Menschen. Er heißt VeeSee und ist über das Internet oder eine Set-Top-Box empfangbar. Er gehört zu ViewTV, ein Angebot mit 900 Streamingsendern. Was ich bislang gesehen habe, hat mir gut gefallen: Einen Kurzfilm, Veranstaltungshinweise, eine Reportage. Das meiste wird in Britischer Gebärdensprache gesendet, ich habe aber auch schon Beiträge in Amerikanischer Gebärdensprache gesehen. Vieles ist dank Untertitel auch für hörende Menschen verständlich. Es gibt auch Ton zu manchen Beiträgen.

Es wird sehr interessant sein, wie die Werbeindustrie darauf reagiert. In England läuft bereits jetzt die Werbung im Fernsehen mit Untertiteln. Der Sender hat eine umfangreiche Webseite, auf der es ebenfalls Werbeplätze gibt. Ich habe bislang aber keine Werbung gesehen. Ich hoffe, das kommt noch.

Konzernkommunikation der Deutschen Bahn

Die Deutsche Bahn ist meines Erachtens eines der Unternehmen in Deutschland, das behinderten Menschen am meisten behindert. Die Mehrheit der deutschen Bahnhöfe sind nicht für Rollstuhlfahrer zugänglich. Und wenn man doch aufs Gleis kommt, ist nicht gewährleistet, dass man auch in den Zug kommt. In Bayern sind mehr als 80 Prozent der Bahnhöfe nicht barrierefrei.

Heute lese ich dann eine Pressemitteilung der Deutschen Bahn: An- und Abreise zum Münchner Aktionstag Behinderter von der Bahn gut bewältigt. Die Bahn habe heute etwa 300 Teilnehmer des Europäischen Protesttages der Menschen mit Behinderung sicher nach München und wieder zurück in ihre Heimatorte gebracht. Wie süss! Dafür hatte man eigens 50 Servicemitarbeiter abgestellt. Rührend! Eine Information fehlt aber in der Pressemitteilung: Wofür die „gehandicapten“ (Zitat Deutsche Bahn) Menschen protestiert haben. Gegen die Politik der Deutschen Bahn und die Zugänglichkeit der Bahnhöfe in Bayern.

Politisch korrekte Sprache hinderlich bei der Einstellung

Die Angst davor, sich nicht politisch korrekt auszudrücken, hindert Arbeitgeber an der Einstellung behinderter Menschen. Sagt jedenfalls diese Studie. Ich würde sagen, das ist, wenn überhaupt, ein eher angelsächsisches Problem. Ich habe in Deutschland noch nie erlebt, dass jemand nach Worten suchte, um sich korrekt auszudrücken beim Bewerbungsgespräch. Im Gegenteil. Und überlegt sich wirklich jemand „Ich weiß nicht, wie ich die Behinderung nenne, deshalb lade ich ihn nicht zum Bewerbungsgespräch ein“? Das Problem ist wohl doch etwas vielschichtiger.

Mir ist auch schon passiert, dass ich im Bewerbungsgespräch als erstes gefragt wurde: „Warum sitzen Sie denn im Rollstuhl?“ Das ist zwar eine einwandfreie Formulierung. Aber als Eröffnungsfrage selten dämlich.