Archiv für 31.5.2007

Nicht meine Schuld

Nur, damit das klar ist: Das ist nicht meine Schuld. Das Statistische Bundesamt weiß noch gar nicht, dass ich ausgewandert bin. Wie meinte meine deutsche Kollegin heute zu mir: „Wir sind die Dunkelziffer.“ Das wollte ich schon immer mal sein.

Ich liebe diese Anrufe

Anruf bei einer grossen Werbeagentur.
Ich: „Guten Tag. Mein Name ist Christiane Link. Ich würde heute abend gerne eine Veranstaltung in Ihrem Haus besuchen. Können Sie mir sagen, ob Ihr Gebäude barrierefrei ist? Ich bin Rollstuhlfahrerin.“
Werbeagentur: „Sie wollen wissen, wo die nächste U-Bahnstation ist?“

Ich dachte noch: „Typisch Werber, wollen einem immer erzählen, was man eigentlich möchte.“ :-)

Dann sagte ich: „Nein, das weiss ich bereits. Ich möchte wissen, ob ich als Rollstuhlfahrerin in Ihr Gebäude komme.“
Werbeagentur: „Einen Moment bitte.“
Ich erfuhr dann, das Gebäude ist barrierefrei, wenn man einen bestimmten Eingang benutzt.

Wie Katja schon schrieb, wäre es sehr hilfreich, wenn jeder, der öffentliche Veranstaltungen macht, auch Zugangsinformationen für behinderte Menschen anbieten würde. Das kostet nix, man muss nur ein bisschen mitdenken und es erspart den Leuten wie mir Nervanrufe.

Großbritannien schließt Behindertenwerkstätten

An Nachrichten wie dieser kann man sehr schön sehen, dass Großbritannien im Bezug auf behinderte Menschen anders tickt als Deutschland: Remploy, der Betreiber von 83 Behindertenwerkstätten im Land, schließt mehr als die Hälfte seiner Werkstätten. Mehr als 2270 behinderte Menschen und 280 nicht behinderte Menschen sollen künftig auf dem ersten Arbeitsmarkt statt in einer Werkstatt arbeiten. Dafür hat Remploy ein Mamutprogramm aufgelegt. Während sechs große Behindertenverbände die Entscheidung begrüßen, protestiert die Gewerkschaft.

In Deutschland hingegen werden Werkstätten eröffnet statt geschlossen. Es gibt kaum erfolgreiche Programme zur Integration behinderter Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt. Ich bin gespannt, ob die Integration in Großbritannien dann so klappt, wie das jetzt angedacht und versprochen ist. Aber die Grundrichtung gefällt mir schon mal ziemlich gut.

Hilfe, die Deutschen kommen

Woran merkt man in London, dass ein verlängertes Wochenende in Deutschland vor der Tür steht? An der steigenden Zahl deutscher Touristen in Bus und Bahn. Seit heute sind sie wieder da, die Sandaletten- und Rucksackträger.

Gegenüber meinem Haus steht ein nagelneues Holiday Inn Express Hotel, in dem man zu einem, für Londoner Verhältnisse moderaten Preis, nächtigen kann. Ich begegne meinen Landsleuten also bereits morgens auf der Straße und abends wieder. Die Pfennigfuchser haben schon rausgekriegt, dass der Bus zwar länger braucht, aber günstiger ist als die U-Bahn. Das heißt, ich treffe die Damen und Herren auch im Bus. Und da kommt es schonmal zu Szenen wie dieser: Der Bus hält. Die Wochenendurlauber und ich möchten aussteigen. Der Fahrer fährt die Rampe aus. Dabei bleibt die Tür geschlossen und ein Warnton macht darauf aufmerksam, dass die Rampe ausgefahren wird.

Während die Menschen nicht-deutscher Nationalität geduldig warten, versucht der deutsche Londonbesucher durch Dauerklingeln den Busfahrer darauf aufmerksam zu machen, dass er aussteigen möchte. Jetzt. Sofort. Fruchtet diese Aktion nicht, zieht man auch schon mal gerne an der Bustür, um den Vorgang manuell zu beschleunigen. Ohne Erfolg natürlich.

Das ist der Moment, in dem ich mit möglichst wenig deutschem Akzent, aber umso posh die Herrschaften darauf hinweise, dass sie doch bitte „patient“ sein sollen, weil der Fahrer die Rampe „deploys“. Als Antwort erhalte ich dann sowas wie: „Ah, ramp. For you. I see.“ Und zur Begleitung richtet er dann den erklärenden Satz: „Wir müsse watte, wege der Frau. Wege der Ramp.“ Ich sags ja, Reisen bildet…

Mein neues Hobby

Heute morgen habe ich endlich mal die „Defekte Rampen melden“-Hotline von Transport for London genutzt (0845 300 7000). Bislang war sie immer nicht erreichbar, wenn ich eine defekte Rampe melden wollte. Nun bin ich endlich mal durchgekommen.

Ich dachte, man ruft da an, sagt Busnummer und Uhrzeit und das wars. Von wegen! Ohne Angabe der vollen Adresse und Telefonnummer geht gar nix. Und dann stellen sie 1000 Fragen. Wie die Rampe reagiert hat. Ob der Busfahrer die Zentrale angefunkt hat. Wie der Busfahrer aussah. Das ganze Gespraech hat 15 Minuten gedauert. Ich habe von meinem Handy aus angerufen. Das hat mich mal locker 2 Pfund gekostet. Teures und zeitaufwändiges Hobby, wenn ich das öfter machen will…

Gelassenheit

Was man in England wirklich lernt ist Gelassenheit. Wenn man das nicht lernt, hat man ein Problem. Die Dinge laufen hier nicht so wie in Deutschland. Ich erlebe gerade ein schönes Beispiel dafür.

Anfang Mai fand ich zwei Stromrechnungen in meinem Briefkasten. Eine, die zu meiner Wohnung gehörte. Und eine, die zwar an mich andressiert war, aber definitiv nichts mit mir zu tun hatte. Zuvor hatte ich eine Ablesekarte im Briefkasten mit der Mitteilung, man habe mich bei dem – natürlich vorher NICHT angekündigten – Ablesetermin nicht angetroffen. So schnell konnte ich gar nicht ablesen wie die Rechnungen da waren.

Nach einem ausgedehnten Telefonat mit der Hotline, bestätigte sich meine Vermutung: Die eine Rechnung gehörte zu meiner Wohnung. Die zweite Rechnung nicht. Außerdem war mein Einzugstermin nicht berücksichtigt. Ich sollte noch einmal anrufen, wenn ich die Ablesezahlen habe. Das habe ich auch gemacht. Aber mein Zähler wollte mir nur den Tagstrom sagen, nicht den Nachstrom. Nix zu machen. Ich habe also die Hotline angerufen und mein Problem geschildert. Sie würden jemanden vorbeischicken, der den Zähler kontrolliert. Bis dahin müsse ich die Rechnung nicht zahlen. Sie würden mir nach dem Besuch des Technikers umgehend eine korrigierte Rechnung schicken. Zwecks Terminvereinbarung würde jemand anrufen. Nichts passierte.

Bis heute. Heute finde ich eine neuen Brief im Briefkasten. Die Mahnung für Rechnung Nummer 1. Das gute ist: Ich bin nicht einmal überrascht. Also rufe ich morgen wieder an. Frage, was das mit der Mahnung soll und wo der Techniker bleibt. Die Engelsgeduld der Engländer kommt durch jahrzehntelanges Training in Angelegenheiten wie dieser. Ich bin aber auch ganz gelassen. Rufe da morgen an und rechne fest mit Mahnung Nummer 2. Oder sogar mit einer Mahnung für die Rechnung, die gar nicht für mich bestimmt war.

Wie Schumi zum Bus

Es war wieder die Haltestelle White City und wieder die gleiche Szene wie am Tag zuvor. Ich stehe gut sichtbar an der Haltestelle, halte meine Hand ausgestreckt in Richtung Straße und signalisiere dem Busfahrer deutlich, dass ich mitfahren will. Und es passiert, was am Tag zuvor auch passiert war: Der Busfahrer lässt mich ohne Kommentar stehen.

Ich bin fast geplatzt vor Wut. Aber Wut ist in solchen Situationen manchmal ganz gut. Ich wollte hinter dem Bus her, um mir die Nummer zu notieren. Ich bin wie eine Irre über den Bürgersteig gerast. Irgendwann hatte ich den Bus eingeholt. Es staute nämlich. An der nächsten Ampel musste er stehenbleiben und bin vorne an die Tür und habe den Fahrer durch die geschlossene Tür angeschrien und gefragt, warum er mich nicht mitnimmt. Warum er die Gesetze dieses Landes nicht befolgt. Ich habe ihm gesagt, ich werde ihn bei seinem Unternehmen melden. Ich werde dafür sorgen, dass er richtig Ärger kriegt. Ich war richtig sauer.

Dann habe ich mir gedacht: „Den Kampf gewinnst Du.“ Ich bin weiter gerast, bin vor dem Bus über die Straße und habe zeitgleich die nächste Bushaltestelle erreicht. In einer Wahnsinnsgeschwindigkeit…

Und siehe da. Der Fahrer hat die Rampe ausgefahren. Sofort. Ohne Diskussion. Ich war fix und fertig nach dem Sprint. Aber ich war im Bus. Ich hatte diesen Wettkampf gewonnen.

Gehörloser Sozialarbeiter tötet seinen behinderten Sohn

Heute mittag habe ich einen traurigen Artikel in der Times entdeckt: Ein gehörloser Sozialarbeiter mit deutschem Pass hat in Großbritannien seinen behinderten Sohn umgebracht. Das Kind war mehrfach behindert und hatte eine starke Form der Epilepsie, das so genannte West-Syndom. Der Mann war mit der Behinderung seines Sohnes wohl total überfordert. Nachdem er seinen Sohn umgebracht hatte, versuchte der Mann, sich selbst das Leben zu nehmen. Ihm droht jetzt eine lange Gefängnisstrafe, hat der Richter angekündigt. In Deutschland sind in den vergangenen Jahren bei ähnlichen Fällen sehr milde Urteile gesprochen wurden. Ich bin gespannt, welche Strafe der Mann bekommt, obwohl seine Schuldfähigkeit wohl eingeschränkt war, da er zum Zeitpunkt der Tat depressiv war.

Zwei auf einen Streich

Heute abend nach Feierabend hatte es endlich aufgehört zu regnen und ich beschloss nach Notting Hill zu fahren. Weil ich dem bewölkten Himmel doch nicht ganz traute, wollte ich mit dem Bus von White City nach Shepherds Bush fahren und dort in den Bus nach Notting Hill umsteigen.

Ein Bus der Linie 220 hielt. Es stiegen viele Leute aus, die in die U-Bahn wollten. Ich hatte dem Fahrer deutlich Handzeichen gegeben, dass ich mitfahren wollte, hatte aber von Anfang an das Gefühl, er ignoriert mich. Und tatsächlich, er machte keine Anstalten, die Rampe an der hinteren Tür auszufahren, sondern ließ stattdessen die Horden an Passagieren einsteigen. Dennoch wäre noch genug Platz für mich gewesen.

Ich versuchte also, Kontakt mit dem Fahrer aufzunehmen, stellte mich an die Vordertür und bat um die Rampe. Er murmelte irgendwas, zeigte auf die Hintertür und ich dachte, er fahre jetzt die Rampe aus. Aber dann passierte folgendes: Der Fahrer schloss die Tür und fuhr davon. Ich war stinksauer und wütend, schrieb mir aber geistesgegenwärtig die Busnummer auf.

Der nächste Bus kam. Diesmal die Linie 72, ein kleiner Bus. Der Fahrer versuchte, die Rampe auszufahren. Nichts passierte. Die Rampe war defekt. Ein Mann, der das Theater mit der 220 schon mitbekommen hatte, half mir in den Bus. Der Bürgersteig an der Haltestelle war zum Glück relativ hoch.

Ich ging was essen und schrieb unterdessen einen Beschwerdebrief an Transport for London. Ein Vorteil hat das ständige Beschwerdebriefe schreiben übrigens: Es trainiert mein Schriftenglisch enorm.

Als ich fertig gegessen und geschrieben hatte nahm ich den Bus zurück nach Shepherds Bush. Weil es unterdessen regnete, entschied ich mich, einmal mehr umzusteigen statt den direkten Bus zu nehmen, der erheblich weiter entfernt von meiner Wohnung hält. Auf der Umsteigelinie fahren nagelneue Busse, die Rampen sind super und ich war zuversichtlich, einigermaßen trocken zu Hause anzukommen.

Ich stieg aus dem modernen Gelenkbus aus und sah, dass ein paar hundert Meter hinter uns bereits die andere Linie fuhr. Die Umsteigezeit war also unter einer Minute, aber ich schaffte es. Die 266 kam, der Fahrer versuchte die Rampe auszufahren. Defekt… Und auch der Gelenkbus fuhr nicht von der Haltestelle weg. Stattdessen stiegen immer mehr Leute aus. Auch dort war die Rampe defekt. Sie ließ sich nicht mehr einfahren. Da standen sie nun: Zwei Busse an einer Haltestelle, beide mit defekten Rampen. Beide bewegungsunfähig. Das war neuer Rekord bei meinem Feldzug durch London.

Der Fahrer der 266 schaffte es, die Rampe wieder reinzuschieben. Der Bürgersteig war aber so niedrig, dass ich ohne Rampe nicht einsteigen konnte. Der Gelenkbus blockierte zudem die eigentliche (höhere) Haltestelle. Ich ließ die 266 weiterfahren und wartete auf die nächste. Der Gelenkbus stand dort immer noch als ich dann endlich mit der nächsten 266 nach Hause fuhr. Wie sagte Verkehrspolitiker Peter Hendy noch auf dem Kongress am Wochenende zu den Rollstuhlfahrern: „Be tolerant.“

Wie die Taliban behinderte Attentäter rekrutieren

Die kanadische Zeitung „Globe and Mail“ hat einen interessanten Artikel veröffentlicht. Darin geht es um behinderte Selbstmordattentäter in Afghanistan und wie die Taliban diese rekrutieren. Sehr lesenswert!

via BBC Ouch Blog