Archiv für 31.1.2007

Buchstabensalat

Ich habe schon ewig nicht mehr bei Gimme5 mitgemacht. Heute aber mal wieder:

Wir geben im folgenden fünf Buchstaben vor. Schreib ein Wort auf, dass dir spontan dazu einfällt, und erkläre, wieso es dir einfiel, was es bedeutet, etc.

1. Gambling – wir hatten zu dem Thema gestern eine ganze Sendung. Dabei fällt mir ein, nach Las Vegas würde ich auch gerne mal wieder…
2. Willesden Junction – die Station, bei der ich jeden Morgen in den Zug einsteige
3. Nachbarn – die streiten sich gerade wieder.
4. Pundit – ein Neuzugang in meinem Englischwortschatz, bin ich ständig auf der Suche nach
5. Radio – Ich hab nix anderes mehr im Kopf ;-)

Post

Seit ich nach London gezogen bin, habe ich so gut wie keine Mail mehr beantwortet, die nicht der Wichtigkeit einer Eilmeldung bei dpa entsprochen hat. Heute abend habe ich mich durch mehr als 1000 Mails gewühlt und glaube, alle beantwortet zu haben, deren Absender eine Antwort erwartete. Sollte ich jemanden übersehen haben, bitte melden.

Auswandern

Beim SWR kann man einen super Radiobeitrag zum Thema Auswandern anhören. Ich kann übrigens nur begrüßen, dass ARD und ZDF immer mehr Beiträge online stellen. Ich fühle mich so nämlich gut über Deutschland informiert, seit ich endlich – dank Breitbandinternet – abends Tagesschau und Heute sehen kann. Ich würde sogar dafür bezahlen, liebe Intendanten. Nicht riesiege Summen, aber ne monatliche Abogebühr wäre es mir wert.

Silverlink und Hanna Reitsch

Als ich heute morgen zum Bahnsteig kam, wartete schon ein Mitarbeiter mit Rampe auf mich. Ich kannte ihn nicht. Er stellte mir, als wir auf den Zug warteten, 1000 Fragen. Wo ich wohne, warum ich immer nach Euston fahre etc. und wo ich herkäme. Ich habe ihm das alles freundlich beantwortet. Als ich ihm sagte, dass ich aus Deutschland komme, war er voll in seinem Element. Ob ich Hanna Reitsch kenne, fragte er. Ich musste schon sehr in meinem Gedächtnis graben, aber der Name sagte mir etwas und ich brachte ihn mit dem Dritten Reich in Verbindung.

She was a friend of Hitler“ strahlte mich der Mitarbeiter an. Er habe nach dem Zweiten Weltkrieg in Ghana bei ihr Flugstunden gehabt. Wikipedia hat mir dann später auf die Sprünge geholfen. Hanna Reitsch war Testpilotin im Dritten Reich. Sie ist nach dem Krieg nach Ghana gegangen und hat dort wohl den heutigen Silverlink-Mitarbeiter kennengelernt. Seine Augen strahlten als er über sie sprach. Und dann passierte etwas, das durchaus Filmqualitäten hatte. Hanna Reitsch hätte ihm auch ein deutsches Lied beigebracht, erzählte er mir stolz. Und er begann zu singen: „Schwarzbraun ist die Haselnuß, Schwarzbraun bin auch ich. Schwarzbraun muss mein Madel sein…“ Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er keine Ahnung hatte, was er da sang. Dass der Mitarbeiter schwarz ist, muss ich wohl nicht erwähnen…

Taxicard

So, meine Taxicard ist da und ich habe sie heute mal genutzt. Ich kann damit 144 Fahrten im Jahr machen, bis Ende März noch 36. Wieviele Fahrten man machen darf, hängt von der Gemeinde ab, in der man wohnt und wie spendabel diese ist. Meine Gemeinde heißt Ealing und gehört zu den Spendableren in London. Überhaupt habe ich mit Ealing bislang sehr gute Erfahrungen gemacht.

Pro Fahrt muss ich 1,50 Pfund zahlen. Je nach Tageszeit darf eine Fahrt maximal zwischen 11,80 Pfund und 14,30 Pfund kosten. Das entspricht einer Reichweite von ungefähr 5 Meilen (8 Kilometern). Wenn man längere Fahrten unternehmen will, erlaubt meine Gemeinde die Karte zweimal hintereinander zu nutzen. Ich habe das heute ausprobiert und finde das System klasse. Es gibt eine spezielle Nummer für Taxicardbesitzer. 77 000 gibt es davon in London. 1,25 Millionen Fahrten pro Jahr werden mit der Taxicard gemacht. Finanziert wird das ganze von den Londoner Gemeinden und Londons Bürgermeister. Auf der Hinfahrt habe ich das Taxi einige Stunden vorher bestellt. Der Fahrer ist eine ungünstige Strecke gefahren und so musste ich die Karte zwei Mal durchziehen. Auf der Rückfahrt habe ich spontan angerufen und musste auch nur 15 Minuten auf das Taxi warten. Die Rückfahrt hat nur eine Fahrt gekostet.

Das Praktische ist, dass man in den Londoner Taxen im Rollstuhl sitzen bleiben kann. Die Türen sind so breit, dass man eine Rampe anlegen kann, reinrollt und das wars. Trotzdem haben noch Mitreisende Platz. Das mühselige Umsteigen und Rolli verladen entfällt also. Allerdings habe ich heute nicht schlecht gestaunt, was hier eine normale Taxifahrt kostet, wenn man sie selber zahlen müsste. Wahnsinn!

Rampe und strahlende Mitarbeiter

Als ich am Freitag in Willesden Junction ankam, hatte ich mir eine neue Strategie überlegt: Ich gehe an den Mitarbeitern vorbei, sage „Schicken Sie bitte jemanden mit der Rampe“ und verschwinde. So dachte ich, können Sie nicht mit mir diskutieren und ich erhöhe den Druck. Diese Strategie wäre aber gar nicht nötig gewesen, denn als ich unten ankam stand dort schon die Stationsmanagerin mit der Rampe und strahlte mich an. Ich sagte ihr, dass ich sehr froh sei, dass das heute mal geklappt hat und dann habe ich sie über den grünen Klee gelobt. Ich dachte nämlich, sie habe von sich aus eingesehen, dass das so nicht geht. Ich fand das ganz großartig, wünschte ihr ein schönes Wochenende und fuhr problemlos nach Euston.

In Euston verlief wie immer alles wunderbar. Als ich an der Ticketkontrolle ankam, grinste mich einer der Mitarbeiter, der mir auch schon oft geholfen hat und dem ich mein Leid mit Willesden Junction geklagt hatte, strahlend an. „Na, hat heute alles geklappt?“, fragte er mich als könne er hellsehen. „Ja, alles wunderbar“, antwortete ich. „Wir hatten gestern abend ein Gespräch mit Willesden Junction,“ verkündete er mir verheißungsvoll. Der Stationsmanager von Euston habe seine Kollegen angerufen, nachdem nicht nur ich, sondern auch ein blinder Mann mit Führhund regelmäßig völlig entnervt in Euston ankam, weil sie ihm in Willesden Junction nicht behilflich sein wollten und auch er den Zug mehrmals verpasste. Das Theater wollte sich der Stationsmanager nicht mehr länger ansehen und hat seine Kollegen zurecht gewiesen. Ich habe den Mitarbeiter dann noch gefragt, ob ich dennoch den Beschwerdebrief absenden soll. Er meinte: „Unbedingt.“ Wenn „Transport for London“ Silverlink Ende des Jahres übernimmt, soll doch klar sein, welche Mitarbeiter übernommen werden sollen und welche nicht, meinte er scherzend. Ich bin gespannt, ob ich nach dem Donnerwetter aus Euston und meinem Brief künftig problemlos fahren kann.

Kein Zug und auch kein Mitarbeiter

Als ich heute morgen auf dem Weg nach Willesden Junction war, hatte ich den Beschwerdebrief fertig in meiner Tasche, um ihn einzuwerfen. Ich war gut gelaunt und dachte mir, wenn es heute klappt, werde ich nochmal Gnade vor Recht ergehen lassen. Als ich ankam begrüßten mich die Mitarbeiter freundlich und ich dachte, das wird jetzt klappen. Warum sie so freundlich lächelten, verstand ich erst als ich unten auf dem Gleis stand: Alle Züge nach Euston waren gecancelt, stand da. Von einem Mitarbeiter war weit und breit nichts zu sehen. Durch die Lautsprecher kam die Ansage, dass es in einer Stunde einen Busersatzverkehr gebe. Da ich nicht wusste, ob der barrierefrei sein wird und mir das auch zu lange dauerte, überlegte ich, wie ich anders zur Arbeit fahren konnte. Hätte ich das gewusst, wäre ich gleich mit dem Bus gefahren. Taxi konnte ich vergessen, weil auf diese Idee schon meine Mitreisenden erfolglos gekommen waren. Kein Taxi war mehr verfügbar.

Ich hatte irgendwo gelesen, dass ich in Baker Street in die U-Bahn nach Westminster umsteigen kann und ging zu einer U-Bahnmitarbeiterin und fragte sie, ob das stimme. Sie sagte, ihr Mann arbeite in der Station Baker Street. Sie werde ihn anrufen, er könne mir auch helfen. Man muss auch mal Glück haben, dachte ich! Sie war super nett und wollte mir in die U-Bahn helfen. In dem Moment fuhr wie aus heiterem Himmel ein Silverlink-Zug ein. Ich bin zu den aussteigenden Passagieren und fragte sie, wo sie herkämen. Sie kamen aus Euston. Ich bin vor zu dem Fahrer und sagte, ich wolle nach Euston, ob er da in absehbarer Zeit hinfahre. Ja, das tat er. An den Anzeigetafeln stand nach wie vor „Euston – all trains are cancelled„.

Die U-Bahnmitarbeiterin rief bei Silverlink an, denn natürlich war wieder kein Mitarbeiter da, um mir in den Zug zu helfen. Als das nichts half, funkte der Zugführer seine Zentrale an, damit die Willesden Junction anweisen, mit der Rampe zu kommen. Der Zug stand bereits 10 Minuten sinnlos rum, war aber sowieso fast leer, weil ja alle dachten, der Zugverkehr sei eingestellt. Alle warteten nur auf die Rampe. Irgendwann kam dann der Station Manager, den ich prompt fragte, ob er sich noch an sein Versprechen von gestern erinnern könne. Ja, er hätte so viel zu tun gehabt. Ich sagte ihm, dass ich auf dieser „Viel zu tun Liste“ aber relativ weit oben stehen müsse. Keine Reaktion, keine Antwort. Damit war für mich klar, dass ich den Brief abschicke. Der Typ versteht einfach die Regeln seines Arbeitgebers nicht und das muss man denen mal sagen. Ich habe ihm dann noch gesagt, dass er nicht glauben braucht, dass er schafft mich zu vergraulen. Ich werde weiter ab Willesden Junction fahren. Ich bin gespannt, was morgen passiert.

Schnee und Zug verpasst

Der heutige Tag fing schon denkbar schlecht an: Ich schaute aus dem Fenster und es lag Schnee. Schnee ist für Rollstuhlfahrer teilweise genauso hinderlich wie 10 Stufen vor dem Eingang. Und es wird in London bei weitem nicht mit der Gründlichkeit geräumt wie bei uns. Seit 2003 lag hier nicht mehr so viel Schnee, konnte ich dann später in TheLondonPaper, einer der vielen Gratiszeitungen lesen. Schön, dass der Winter auf mich gewartet hat. Ich war also nicht so richtig gut drauf als ich heute morgen in Willesden Junction ankam.

Und dann begann die Diskussion, die ich jeden Morgen führe wieder von vorne: Wer holt die Rampe? Diesmal streikten alle Anwesenden. Ja, sie waren nicht einmal bereit, den Station Manager anzurufen, wie ich es dann verlangte. Das Ende vom Lied: Ich habe den Zug verpasst, obwohl ich überpünktlich da war. Als der Station Manager dann endlich kam, war ich wirklich stinksauer, hab ihm die Disability Policy von Silverlink runtergebetet und ihm gesagt, dass ich mich beschweren werde, weil er und seine Mitarbeiter gegen diese Policy verstossen. Ooooh, da war aber Reue angesagt. Er hat sich tausend Mal entschuldigt, hat mich dann zum nächsten Zug gebracht und versprach mir, dass das nicht mehr vorkommt. Außerdem versprach er mir, in Euston bescheid zu sagen, dass ich einen Zug später genommen habe.

Eigentlich hatte ich schon davon Abstand genommen, mich zu beschweren. Doch als ich in Euston ankam, war niemand da. Ich bin fast geplatzt vor Wut. Der Lokführer hat dann jemanden mit Rampe besorgt. Und der Mitarbeiter, den ich schon kenne und der sonst immer zuverlässig ist, erzählte mir, der Station Manager von Willesden Junction hätte ihm am Telefon gesagt, ich sitze im vorherigen Zug. Ich sagte ihm, dass ich den auch gerne genommen hätte, aber dass sich niemand durchringen konnte, die Rampe zu holen. Er meinte ganz trocken, dass ihn das nicht wundere. „They are lazy in Willesden.“ Er riet mir dringend zu einer Beschwerde. Ich sei nicht die Einzige mit dem Problem bei dieser Station. Wie tröstlich!

Kulturpflege und Alltag

Ich hätte ja nie gedacht, dass man die deutsche Kultur schon ein wenig vermisst, wenn man länger im Ausland ist. Heute habe ich die Karten für mein erstes Konzert in London bestellt: Es ist das Konzert der Wise Guys in der deutschen Schule. Ich höre die Wise Guys sowieso schon jeden Morgen auf meinem iPod auf dem Weg zur Arbeit.

Heute abend war ich auf dem Stammtisch der Deutschen in London. War sehr nett und ich kann jetzt wirklich nachvollziehen, wieso bei uns jede Ausländergruppe ihr eigenes Kulturzentrum hat. Wenn man die ganze Woche Englisch spricht und sich den britischen Gepflogenheiten anpasst, dann tut es auch mal wieder gut, Deutsch zu sprechen und sich mit Leuten auszutauschen, die ähnlich sozialisiert sind wie ich und hier mit dem gleichen Dingen zu kämpfen haben. Es war jedenfalls sehr nett.

Meine Arbeit macht mir übrigens sehr viel Spaß. Ich recherchiere viele politische Themen, aber auch mit der Sendung Big Brother habe ich mich in den letzten Wochen schon befasst. Da wir viele Hörer in Afrika haben, spielt der Kontinent eine ziemlich wichtige Rolle in unserem Programm und es ist etwas ganz anderes als die Themen, mit denen ich in Deutschland zu tun hatte. Trotzdem überlege ich mir immer, wen man aus Deutschland zu bestimmten Themen befragen könnte. Das ist irgendwie so drin und auch ganz nützlich. Ich finde es jedenfalls großartig, jeden Tag mit Leuten auf der ganzen Welt zu sprechen und zum Beispiel die Meinung zum Irakkrieg von jemandem aus Südafrika zu bekommen. Und andererseits einen Amerikaner zu einem EU-Thema zu finden. Oder jemandem aus Bahrain zu Rassismus zu befragen. Das ist wirklich eine einmalige Erfahrung, die ich gerade mache. Und ich weiß auch morgen noch, mit wem ich heute gesprochen habe. Es ist ein weniger schnellebiges Arbeiten als bei einer Nachrichtenagentur und am Ende steht auch noch ein Ergebnis: Die Sendung samt Feedback der Hörer.

Antrag bewilligt – nach drei Tagen

Ich habe meinen ersten Antrag gestellt und was soll ich sagen, er wurde bewilligt. Nach nur drei Tagen! Ich hatte einen Antrag auf eine Taxicard gestellt, mit der ich für den Preis einer U-Bahnfahrkarte Taxi fahren kann. Die Taxicard bekommen nur behinderte Menschen, die blind sind oder gar nicht gehen können. Je nach Gemeinde gibt es dann eine bestimmte Anzahl von Fahrten im Jahr – ein guter Nachteilsausgleich, wenn man bedenkt, dass man die U-Bahn als Rollstuhlfahrer so gut wie nicht nutzen kann. Die Taxicard gibts einkommensunabhängig (es geht ja nicht um Almosen!) und jeder zahlt den gleichen Preis, den er auch für eine U-Bahnfahrt hätte berappen müssen.

Ich habe also das Formular nach bestem Wissen ausgefüllt und habe meinen Hausarzt abstempeln lassen. Fragen zur Behinderung werden hier übrigens auf Formularen viel konkreter gestellt als bei uns. „Können Sie gehen?“ „Wenn ja, wie lange brauchen sie für 100 Meter…“ etc. Bei uns wird häufig nach der Behinderung gefragt, selten wie sich diese konkret auswirkt. Nach nur drei Tagen war der Antrag bewilligt und nach vier Tagen hatte ich den Bescheid in meinem Briefkasten. Das nenne ich mal schnell!