Archiv für 27.6.2006

Deutschland, was ist aus Dir geworden?

Ich war 16 Tage weg und bin gerade mal 24 Stunden wieder hier und habe zunehmend das Gefühl, dass das nicht das Deutschland ist, das ich vor mehr als zwei Wochen verlassen habe.

  • Schon auf dem Weg vom Flughafen nach Hause kamen mir diese Opels Mittelklassewagen mit Deutschlandfahnen entgegen. Ich war allerdings vorgewarnt, die amerikanische Tagespresse hatte mich darüber bereits informiert.
  • An Wohnhäusern in der Nachbarschaft hängen jetzt Fahnen, in erster Linie solche in den Farben Schwarz, Rot und Gold. Manchmal auch Grün, Gelb und Rot mit einem Stern in der Mitte.
  • Am Flughafen Hamburg wurden ein paar Mitreisende aus unserem Flieger von einer lautstarken Blaskapelle und einem Lied über Mecklenburg empfangen.
  • Bei iTunes findet man derzeit in der Top100 auf den Plätzen 1, 2 und 3 Fußballlieder und auf Platz 32 die Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland in Nachbarschaft zu „Fußball ist unser Leben“, gesungen von der Nationalmanschaft 1974.
  • Während ein Fuchs bei meinem Schwiegervater sieben Hühner gerissen hat, erschießt jemand in Bayern für ähnlich gelagerte Taten einen Bären während der Fuchs weiterleben darf und es bislang nicht auf die Titelseiten der Zeitungen geschafft hat.
  • Und bei Frosta wurde eine Mitarbeiterin von Iglo abgeworben.

Was ist aus diesem Land nur geworden?

Gewalt ist doch ne Lösung

Einige Rollstuhlfahrer meiden ja lange Flugreisen, weil Flugzeuge nicht gerade die barrierefreiesten Verkehrsmittel sind und zudem immer etwas Unsicherheit in sich bergen: Kommt der Rollstuhl an? Wie ist das Personal? Ist ein Bordrollstuhl da? Etc.

Ich versuche diese Unsicherheiten dadurch zu eliminieren, in dem ich möglichst gut plane. Aber der Rückflug von Philadelphia nach München mit US Airways hat mir mal wieder gezeigt, dass man nicht alle Unwegsamkeiten ausschalten kann, aber sich dennoch immer irgendwie eine Lösung finden lässt.

Ich kenne die Abläufe bei Flügen ziemlich genau und ich versuche, mögliche Fallen durch Mitdenken zu umgehen. Ich achte darauf, dass mein Rollstuhl getaggt ist und ich frage bei Langstreckenflügen, ob der Bordrollstuhl auch wirklich an Bord ist, damit ich während des Fluges zur Toilette gehen kann. Ein Bordrollstuhl ist ein kleiner klappbarer Rollstuhl, der in den Gang der Kabine passt. Normale Rollstühle sind zu breit dafür.

Ich fragte also auf dem Rückflug von Philadelphia nach München, wie immer beim Einsteigen, ob ein Bordrollstuhl an Bord sei. Die Flugbegleiterin ging nochmal nachsehen und sagte, es sei einer da. Diesmal konnte ich nicht meinen eigenen Rollstuhl nutzen, wie auf dem Hinflug.

Wir flogen also los, es gab etwas zu essen und zu trinken. Danach wollte ich zur Toilette und bat die Flugbegleiterin um den Bordrollstuhl. Sie bat um etwas Geduld und es passierte erst einmal nichts. Ich dachte schon, sie habe mich falsch verstanden. Aber irgendwann fiel mir auf, dass sie immer wegschaute, wenn sie an mir vorbei lief. Ich ahnte schon, dass irgendwas nicht stimmte. Nachdem sich nach 15 Minuten nichts tat, schaute ich sie offensiv fragend an als sie wieder bei mir vorbei kam. Und tatsächlich, sie sagte, mit dem Bordrollstuhl sei etwas nicht in Ordnung. Er stecke in der Verkleidung des Flugzeugs fest. Sie habe so etwas noch nicht erlebt und es tue ihr leid etc. Man versuche es weiter, ihn aus dem Schrank zu bekommen.

Ich drehte mich um und tatsächlich stand im Gang weiter hinten eine Scharr an Menschen, die sich an einem Schrank zu schaffen machten. Offensichtlich ohne Erfolg. Ich schickte A. nach hinten, um zu klären, was los ist. Unterdessen war auch der Pilot nach hinten gegangen und dann wieder nach vorne. Er telefonierte mit Stirnrunzeln. Lief wieder zurück. Telefonierte wieder. Ich überlegte mir unterdessen wie ich dennoch zur Toilette kommen könnte, malte mir aus, dass man alle Sitze der Businessclass vor mir zurückkippen könnte, alle Leute müssten aufstehen und ich könnte vielleicht vor bis zur Küche über die Sitze klettern. Vielleicht hätte mein eigener Rollstuhl zumindest in diesen Küchengang gepasst. Der war nämlich nicht verladen, sondern oben in der Kabine im Schrank. Ich überlegte mir dann noch, ob ich mich nicht auf einen der Essenswagen setzen könnte – das wäre sicher ein lustiger Auftritt gewesen. Und ich überlegte mir, was ich mit dem zweistelligen Millionenbetrag machen würde, der mir sicherlich durch ein amerikanisches Gericht zugesprochen werde, wenn ich stundenlang nicht zur Toilette kann.

Nach geschätzt einer Stunde kam A. endlich mit dem Bordrollstuhl. Er hatte sich unter einer Metallverkleidung im Schrank verhakt. Die Verkleidung war mit drei Schrauben gesichert, die man spielend leicht hätte entfernen können, wenn es nur einen einzigen Schraubendreher an Bord gegeben hätte. Aber die sind ja bekanntlich verboten.

Nach dem x-ten Telefonat mit einem Verantwortlichen am Boden entschied der Pilot, Gewalt anzuwenden und zu versuchen, die Wandverkleidung rauszureißen. Wahrscheinlich hatte schnell jemand ausgerechnet, dass die Wandverkleidung in jedem Fall preiswerter ist als eine Klage oder eine Zwischenlandung in Grönland. A. und er zogen den Rollstuhl gegen den Willen der Wandverkleidung aus dem Schrank. Die Platte sprang mit einem riesen Knall nach vorne und auch genauso schnell wieder zurück. Aber der Rollstuhl war draußen. Die Wandverkleidung dennoch in Ordnung.

Die Flugbegleiterin sagte dann, nachdem alles vorbei war und ich endlich zur Toilette konnte, zu mir: „Sehen Sie, da haben Sie jetzt wenigstens was zu erzählen, wenn Sie wieder zu Hause sind.“

Nach Hause

Flugzeuge am Flughafen

Kino übern den Dächern New Yorks

Leinwand auf einem Giebeldach

In New York kann man wirklich alles, auch Filme auf dem Dach schauen. Möglich macht das das Projekt Rooftopfilms, die im Sommer Kino auf unterschiedlichen Dächern anbieten – teilweise sogar auf barrierefreien Dächern.

Apple Store weiß alles

Heute war ich im neu eröffneten Apple Store an der 5th Avenue.

Apple Store

Der Shop hat mich weniger beeindruckt, sieht aus wie alle Apple-Läden. Nur der Eingang ist ganz stylisch. Ein gläserner Kubus mit Treppe und Fahrstuhl unter die Erde. Beeindruckt hat mich etwas anders. Ich habe nicht an der Kasse bezahlt, sondern bei einem Verkäufer. Der hatte einen PDA, hat das Gekaufte gescannt und die Kreditkarte an der Seite durch ein Lesegerät gezogen. Dann sagte er: „Ist das ihre E-Mailadresse?“ und zeigte mir das Display. Es erschien meine E-Mailadresse. Ich war baff. Er meinte: „Wir schicken Ihnen den Beleg per Mail.“ Dann gab er mir eine Tüte und das wars. Ich schaute ihn fragend an und er verstand wohl, dass ich sehr überrascht war, dass der Apple Store, in dem ich noch nie eingekauft hatte, meine E-Mailadresse kennt. Er meinte, die Adresse sei auf der Kreditkarte hinterlegt. Ich vermute aber etwas ganz anderes. Ich habe mit der gleichen Kreditkarte bei iTunes eingekauft. Und iTunes kennt meine E-Mailadresse. Eine Kundin neben mir hatte nämlich zufällig ebenfalls eine Lufthansa-Visa-Kreditkarte und diese musste ihre E-Mailadresse sehr wohl angeben. Zudem wurde sie nach ihrer Postleitzahl gefragt. Diese war bei mir wohl ebenfalls bekannt.

Insofern steht der gläserne Kubus am Eingang vielleicht für den gläsernen Kunden!?

Googles WiFi Zone

Bryant Park

Es gibt in den USA ziemlich viele freie WiFi-Zonen wie hier im Bryant Park in New York, gesponsert von Google. Es macht richtig Spaß freie Wifis zu nutzen und diese bei Plazes zu registrieren. Wo ich gerade bin und welche Plätze ich schon entdeckt habe, kann man bei Plazes in meinem Profil sehen.

Braille in Boston

Brailleheft und eine Hand, die liest

Im Restaurant „Rock Bottom Brewery“ in Boston gibt es Speisekarten in Braille – und gutes Essen gibts da auch. Nur das angeblich typisch deutsche Bier „Munich Gold“ war nicht ganz mein Geschmack.

WM in den USA

Wer meint, man müsse nur in die USA fahren, um von der WM nichts mitzubekommen, liegt falsch. Auch hier steht an ganz vielen Kneipen, dass sie die Spiele übertragen. Wir haben das Deutschland – Polen-Spiel im Goetheinstitut in Washington D.C. gesehen.

Zuschauer im Goetheinstitut

Das war sehr nett. Es gab deutsches Bier und Brezel. Es waren viele Deutsche da. Die meisten leben hier. Außerdem waren Gäste der polnischen Botschaft unter den Zuschauern. War sehr lustig.

Das Goetheinstitut ist wirklich ein Stück Deutschland in Washington. Ich habe mich gleich wie zu Hause gefühlt als ich die Stufen vor dem Eingang sah. Ein amerikanischer Mitarbeiter brachte uns dann mit dem Lastenfahrstuhl zur Leinwand, wo das Spiel übertragen wurde – aber nicht ohne zu erwähnen, dass das Goetheinstitut gegen das Gesetz verstoße, weil sie nicht barrierefrei sind. Ich sagte ihm augenzwinkend, dass das zur deutschen Kultur gehöre. Ich musste dringend zur Toilette und es gab eine Rollstuhltoilette, die diesen Namen aber nicht verdient hatte. Mein Rollstuhl ist 63 Zentimeter breit und 80 Zentimeter tief. Ich passte kaum in den winzigen Raum und es bedurfte einiger Akrobatik bis ich mein Ziel erreicht hatte. Als ich dann endlich umgestiegen war, kam ich gegen den Rollstuhl und der gegen die Tür – es war ja super eng. Weil zu allem Überfluss auch noch das Schloss defekt war, sprang die Tür auf. Die Welt zu Gast bei Freunden mit winziger Rollstuhltoilette und defektem Schloss. Es kam Gott sei Dank niemand rein – ich konnte meine Akrobatik in Ruhe beenden und zwischendurch die Tür zuhalten.

Barrierefreie Tram in Baltimore

In Baltimore sind wir viel mit der Lightrail, eine Art Straßenbahn, gefahren. Obwohl es sich um eine ältere hochflurige Bahn mit Stufen handelt, ist sie barrierefrei nutzbar – und zwar dank eines Systems, das ich so noch nicht gesehen hatte. Jede Haltestelle ist mit einer Rampe und einer Plattform ausgestattet.

An der Uni:
Plattform an Gleisen

Am Bahnhof:
Rampe am Zug

Der Zug hält so, dass die erste Tür des Zuges an der Plattform steht.

Treppen am Eingang des Zuges

Im Zug ist eine Rampe, die bei Nichtgebrauch an der Wand eingeklappt ist.

Weggeklappte Rampe an der Wand

Wird die Rampe benötigt, wird sie nach unten geklappt. Dabei gibt es zwei gleich große Flächen, die im zusammen geklappten Zustand übereinander liegen. Die eine Fläche überdeckt ausgeklappt die Treppenstufen, die andere Hälfte dient als Brücke zur Plattform.

Ausgeklappte Rampe

Wird die Rampe an der kommenden Station wieder benötigt, lässt der Fahrer sie einfach halb ausgeklappt liegen.

Halb geklappte Rampe bei geschlossener Tür

Das ganze Prozedere (Ausklappen / Einklappen) dauerte vielleicht 30 Sekunden – inklusive der Zeit, die der Fahrer zum Aufstehen brauchte. Das System ist zudem ziemlich ausfallsicher, da es rein manuell funktioniert und sehr teuer dürfte es auch nicht sein. So kann man auch alte Bahnen nachrüsten.

Die Rampen wurden übrigens auch von alten Leuten genutzt und auch ein blinder Mann mit Blindenhund stieg so in die Bahn ein. Die Fahrer klappten die Rampe jedes Mal ohne Murren aus.

Willkommen in Baltimore

Hafen von Baltimore

Eigentlich wollten wir nur auf der Durchreise nach Washington einen Nachmittag in Baltimore bleiben und jetzt bleiben wir doch über Nacht. Die Stadt hat uns so gut gefallen, dass wir Washington um einen Tag verschoben haben. Es gibt viele Restaurants am Hafen, eine alte Markthalle und ein nettes Hotel, ebenfalls am Hafen, haben wir auch gefunden.

Wir sind übrigens diesmal ohne Auto unterwegs, sondern mit der Amtrak, der amerikanischen Eisenbahn. Das geht problemlos, weil an vielen Bahnhöfen die Gleise einfach höher sind als bei uns und man ebenerdig, mit einer kleinen Brücke, einsteigen kann.

Kleine Brücke zum Zug

Über die Lightrail in Baltimore und wie man hochflurige Straßenbahnen nachträglich barrierefrei machen kann, schreibe ich morgen. Ich geh jetzt mal meinen Sonnenbrand pflegen.